Ein Mann springt zur Kälteanwendung ins Eis.
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Ab in die Eistonne
Bessere Leistung und Regeneration durch Kälte?

| Text: Dr. Stefan Graf | Fotos: iStockphoto, Adobe Stock

Lange galt Wärme als bestes Mittel zur Regenerationsbeschleunigung. Viele setzen mittlerweile aber auf Kälte. Was Kälte vor und nach dem Sport bewirken kann und ob sie effektiver ist als Wärme.

„Drei Tage Eistonne“ – erinnerst du dich? Seit Fußballweltmeister Per Mertesacker 2014 in einem legendären Interview seine After-Match-Planung preisgab, weiß ganz Deutschland, wie Fußballprofis regenerieren.

Jahrzehntelang galten die heiße Dusche oder das warme Entmüdungsbad als regenerierendes Non-plus-Ultra. Kälteanwendungen hatten dagegen „nur“ als Sofortmaßnahme im Rahmen der „PECH-Regel“ (Pause, Eis, Compression, Hochlagern) zur Versorgung von Verletzungen ihren festen Platz. Zwar gab es im Sport auch früher schon überzeugte Anhänger von Kälteanwendungen zur Regeneration und auch zur Wettkampfvorbereitung. Nur wurde das eher in die anekdotische Pfarrer-Kneipp-Ecke oder die „Naturburschenszene“ verdrängt.

Zumindest als wirkungsvolles Gefäßtraining sind Wechselduschen, kalte Gliedmaßengüsse und das eisige Tauchbecken nach dem Saunagang anerkannt. Der wiederholte Temperaturwechsel optimiert über eine abwechselnde Blutgefäßverengung (kalt) und -erweiterung (warm) die körpereigene Thermoregulation.

Paula Radcliffe inspiriert die Sportmedizin

Zusammen mit der kalten Abhärtungsdusche stärken diese Anwendungen die Anpassungsfähigkeit des Organismus an witterungsbedingte Temperaturschwankungen. Doch die Verbindung von Kälte mit Erhöhung der Leistungsfähigkeit und beschleunigter Regeneration wurde lange kaum thematisiert.

Als die britische Jahrhundertläuferin Paula Radcliffe zu einer Zeit, als noch alles Erwärmende zur Wettkampfvor- und -nachbereitung „state of the art“ war, ihre Vorliebe für Eisbäder preisgab, belächelten viele dies als Marotte. Von ihren Erfolgen inspiriert, hat die Sportmedizin die eigenwillige Methodik aber ins Visier genommen.

Kältereize sind keine Alternative zum Aufwärmen!

Zur Vermeidung von Missverständnissen sei betont, dass Kältereize „von außen“ nicht als Alternative zum Aufwärmen der Muskulatur „von innen“ durch Bewegung (lockeres Einlaufen, Gelenkmobilisation) und eventuell leichtes Passivdehnen vor jeder Belastung verstanden werden dürfen. Die mobile Muskelaktivierung ist zur Minimierung des Verletzungsrisikos sowie als Voraussetzung für die Erbringung sportlicher Leistung unabdingbar. Externe Kälteanwendungen sind ein optionales Extra.

Die unumstößliche Überzeugung von Paula Radcliffe und einiger erfolgreicher Nachahmer und Nachahmerinnen, die ihre hohe Belastungsfähigkeit auch den regenerativen und leistungsoptimierenden Effekten intensiver Eisbäder zuschreiben, wirft die Frage auf, ob die Wirkung von warmem Entmüdungsbecken, heißer Dusche und Sauna falsch eingeschätzt wird.

Ein Paar geht statt Kälteanwendung in die Sauna.
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Wärme verbessert die Versorgung mit Sauer- und Nährstoffen

Um Antworten zu finden, ist es notwendig, die körperlichen Reaktionen auf thermische Reize genauer unter die Lupe zu nehmen. Wärme stellt die Blutgefäße weit, verbessert so die Organversorgung mit Sauer- und Nährstoffen sowie den Abtransport von Stoffwechselprodukten. Auf diesen Erkenntnissen beruhen die Empfehlungen für regenerative Wärmeanwendungen und leistungsvorbereitende Aufwärmprogramme. Da Kälte via Gefäßengstellung und Durchblutungsminderung gegensätzlich wirkt, erscheint die Vorstellung einer regenerations- und leistungsfördernden Wirksamkeit zunächst befremdlich.

Die Idee, Athletinnen und Athleten im Extremfall in eine auf minus 110° Celsius temperierte Kältekammer zu bitten, stammt nicht aus dem Sport, sondern aus der Rheumatologie. Schmerztherapeuten und -therapeutinnen schicken Rheumageplagte für einige Minuten in diese „Tiefkühltruhe“. Dass dieses Verfahren nicht nur als Schmerzkiller wirkt, sondern auch die Leistungsfähigkeit gesunder Sportlerinnen und Sportler erhöht – insbesondere aus dem Ausdauerbereich–, erschien erst später auf dem Radar der Sportmedizin.

So reagiert der Körper auf einen Kälteschock

Wie reagiert der Körper auf den plötzlichen Kälteschock? Um Wärmeverluste zu minimieren, der Kälte eine möglichst geringe Angriffsfläche zu bieten und die Temperatur im Körperkern aufrechtzuerhalten, macht der Organismus seine Peripherie quasi zu. Die herzfernen Gefäße in den Extremitäten werden eng gestellt, die Durchblutung stark gedrosselt. Das Blut wird verstärkt dem Zentrum zugeführt, sodass dem Herz-Kreislaufsystem ein größeres Blutvolumen zur Versorgung der lebenswichtigen Organe zu Verfügung steht.

Nach der kurzzeitigen „Kältestarre“ kommt es zur Gegenregulation, die den Muskeln durch Gefäßweitstellung eine besonders gute Sauer- und Nährstoffversorgung beschert. Je nach Zeitpunkt der Kälteanwendung sollen davon Leistung und Regenerationsfähigkeit profitieren.

Die Wirksamkeit so drastischer Kälteanwendungen als Vorbereitung auf sportliche Hochleistung ist unter anderem durch Praxisstudien an der Universität Münster belegt. Der Leistungszuwachs lag durchschnittlich bei 10 bis 12 Prozent, vorausgesetzt, der Gang in die Kältekammer wurde richtig dosiert und terminiert. Eineinhalb Minuten bei minus 110° Celsius unmittelbar vor dem Wettkampf erwiesen sich als optimal. Wer es übertreibt und zu lange frostet, muss den Energieverlusten Tribut zollen. Ist das Intervall zwischen Kältegang und sportlicher Leistungsaufnahme zu lang, verpuffen die Effekte.

Ein Mann geht zur Kälteanwendung in die Kältekammer.
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Vorkühlen im Ausdauersport besonders effizient

Als besonders effizient erwies sich die „Vorkühlung“ in den Ausdauersportarten, was sich mit dem hohen Sauerstoffbedarf der hier dominierenden Fettverbrennung erklären lässt. Zudem ist die Wirkung bei höheren Außentemperaturen über 15° Celsius besonders evident. Hier profitieren die Sportlerinnen und Sportler von einem verlängerten Intervall, bis die Muskulatur „heiß“ gelaufen ist und der Organismus Energie zur Kühlung aufbringen muss. Ganz nebenbei steigt auch die geistige Frische.

Freizeit- und wettkampforientierte Breitensportlerinnen und -sportler haben selten Zugang zu dreistelligen Minusgraden. Kein Problem! Schon beim Sommermärchen 2006 stellte Kult-Doc Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt seine Schützlinge regelmäßig für drei Minuten bis zur Brust ins Eisbad. Neben dem regenerativen Aspekt war er von der Verbesserung von Muskelfunktion und Gelenkspiel sowie verminderter Schmerzempfindlichkeit und Verletzungsanfälligkeit überzeugt.

Eisbäder begünstigen die Bildung von Radikalfängern

Alles Punkte, die auch bei langen Ausdauerläufen zum Tragen kommen. Eine weitere Wirkung der Eisbäder ist die vermehrte Bildung sogenannter Radikalfänger (Antioxidantien), darunter das hochwirksame Glutathion. Freie Radikale können erhebliche Zellschäden verursachen. Glutathion und Co. fangen diese „Übeltäter“ ab.

Um die Wirksamkeit des Pre-Coolings im leistungsorientierten Sport zu eruieren, haben Wissenschaftler um Tim Meyer – Professor für Sport- und Präventivmedizin an der Saarland-Universität – die wissenschaftliche Befundlage aufgearbeitet. Die Daten zeigen, dass durch Pre-Cooling im Ausdauerbereich bereits ab einer Belastungsdauer von etwa 20 Minuten positive Effekte auf die Leistung zu erwarten sind, die mit zunehmender Trainingszeit (bis circa eine Stunde) und steigender Umgebungstemperatur anwachsen. Eine genaue Quantifizierung der erreichbaren Leistungssteigerung sei aufgrund zu weniger aussagekräftiger Studien nur mit Vorsicht zu genießen.

Die Analyse von vier Arbeiten mit gut ausdauertrainierten Radfahrerinnen und Radfahrern ergab eine durchschnittliche Leistungssteigerung von knapp 4 Prozent – nicht die Welt, kann aber im Leistungssport entscheidend sein. Die Studienautoren vermuten, dass die durch Pre-Cooling bewirkte Herabsetzung der Körpertemperatur zu einer Erhöhung der Wärmespeicherkapazität führt, was den Organismus unempfindlicher gegen äußere Temperatureinflüsse macht und so die Erschöpfung bzw. den Leistungsabfall hinausgezögert.

Viele Studien untersuchen die Wirkung von Kälte

Kälteanwendungen direkt nach dem Sport mit dem Ziel schnellerer Regeneration beruhen auf analogen Mechanismen. Die Kälte reduziert via Gefäßverengung die periphere Durchblutung zugunsten einer zentralen Kreislaufanregung. Mit Beendigung der Kälteapplikation erfolgt die Gegenregulation. Die Weitstellung der Oberflächengefäße stellt den Muskeln viel nähr- und sauerstoffreiches Blut für die Reparatur belastungsinduzierter Schäden in den Muskelfasern zur Verfügung.

Mittlerweile haben eine Vielzahl von Studien die möglichen Wirkungen von Nach-Belastungs-Kälteanwendungen auf Regeneration und erneute Leistungsbereitschaft untersucht. Die weitaus meisten Arbeiten beziehen sich dabei auf sogenannte „Kaltwasserimmersionen (KWI)“, also auf das, was Sportlerinnen und Sportler die „Eistonne“ nennen. Dabei sollte ein möglichst großer Teil der Körperoberfläche für fünf bis 15 Minuten in 10 bis 15° Celsius kaltes Wasser getaucht werden.

Ein Vergleich der Studienergebnisse zeigt, dass allgemeingültige Aussagen zur regenerativen KWI-Wirkung nicht möglich sind. Die Effekte scheinen stark von der Art der vorausgegangenen Belastung (Ausdauer-, Kraft-, Schnellkraftanteile), von der Belastungsfrequenz, vom Trainingszustand und nicht zuletzt von der individuellen Psyche abhängig zu sein.

Kälteanwendungen können die Leistungsfähigkeit verbessern

So hat etwa die Arbeitsgruppe um Prof. Oliver Faude vom Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit der Universität Basel über mehreren Metaanalysen (Vergleich einer Vielzahl von Studien) herausgefiltert, dass Kälteanwendung zwischen kurz aufeinanderfolgenden Ausdauerbelastungen die Leistungsfähigkeit verbessern können. Dabei ist jedoch unklar, ob der After- oder eher der Pre-Cooling-Effekt entscheidend ist. Bei intensiven, vorwiegend anaeroben Belastungen mit hohem Kraft-Schnellkraftaufwand sei dagegen mit negativen Effekten der KWI zu rechnen, wobei die Befundlage jedoch uneinheitlich ist.

Eine für Läuferinnen und Läufer interessante Arbeit haben Glauko Dantas und Kollegen aus Sao Carlos/Brasilien 2020 publiziert. Ziel war es, die Wirkung der sofortigen KWI nach einem 10-Kilometer-Straßenlauf auf die Reparatur kleiner Muskelschäden zu bestimmen, die bei dieser Distanz bereits nachweisbar sind.

Kann Kälte Muskelkater vorbeugen?

Das Ergebnis: Die für 10 Minuten bei 10° Celsius ins Eisbad steigenden Läuferinnen und Läufer zeigten keine besseren Regenerationswerte als zwei Kontrollgruppen, die entweder in einem auf Raumtemperatur eingestellten Wasserbad oder ohne besondere Anwendung regenerierten.

Interessant ist die Frage, ob die kalte Wanne nach dem Sport Muskelkater verhindern oder schneller aus den Beinen treiben kann. Da Muskelkater durch winzige Risse in den Muskelfibrillen verursacht wird, auf die das Immunsystem mit einer Entzündung reagiert, könnte sofort nach dem Sport applizierte Kälte über die antientzündliche Wirkung der Katerschmerzentwicklung entgegenwirken.

Professor Faude hält die Kälteanwendung für einen lohnenden Versuch, wenngleich sich aus der Studienlage keine verlässliche Empfehlung ableiten lässt. Oliver Schmidlein, DOSB-Physiotherapeut und Reha-Experte, verweist auf die Bedeutung der individuellen Wahrnehmung jeder Regenerationsmaßname und betont darüber hinaus, wie wichtig es sei, sich nicht auf eine einzelne Regenerationsmaßnahme zu konzentrieren. In der Kombination aus passiven und aktiven Anwendungen sieht Schmidtlein den Schlüssel zum regenerierenden Erfolg.

Hohe Bedeutung kommt der Psyche bei

So uneinheitlich die Studienlage, so einig sind sich die Experten über die Bedeutung der Psyche. Subjektives Wohlbefinden, positive (Placebo) und negative (Nocebo) Erwartungen nehmen maßgeblich Einfluss auf die Wirkung von Kälteanwendungen und allen anderen Regenerationsmaßnahmen.

Wer überzeugter „Warmduscher“ ist und schon beim Gedanken an die Eistonne mit den Zähnen klappert, kann auf kälteschockende Momente verzichten, ohne nachteilige Effekte auf seine Erholung und Leistungsfähigkeit befürchten zu müssen. Ausnahme bleibt die PECH-Regel: Auf frische Verletzungen gehört schmerz- und blutungsstillende Kälte.

Die individuell erzielbaren Positiveffekte von Kältereizen dürfen nicht zu der Vermutung verleiten, Wärmeanwendungen von Warmbad bis Sauna seien leistungs- und regenerationsphysiologisch unbedeutend. Deren kreislauffanregende Positivwirkungen bleiben unbestritten und werden durch die Kombination mit Kälteimpulsen (kaltes Tauchbecken, Wechselduschen) noch verstärkt. Zudem dient wohlige Wärme auch der psychischen Entspannung, für die eine immunsteigernde Wirkung nachgewiesen ist. Als Fazit bleibt die altrömische Weisheit: „Suum cuique – jedem das Seine!“