Experten-Gespräch
Gesund alt werden: Mit Laufen und dem richtigen Essen funktioniert das!

| Interview: Christian Ermert | Fotos: Norbert Wilhelmi

Gesund alt werden. Der Wunsch ist eine Riesenmotivation zum Laufen. Hier erklären Andreas Butz und Anita Horn, worauf es neben dem Laufen ankommt, wenn man ohne starke Beeinträchtigungen alt werden will.

Anita, Andreas, wie alt wollt ihr eigentlich werden?
Anita Horn: Hundert Jahre, aber nur wenn es der Menschheit gelingt, unseren Planeten bis dahin auch lebenswert zu gestalten. Und nur dann, wenn möglichst viele nette Menschen mit mir genauso alt werden.
Andreas Butz: Ich möchte mit 90 Jahren Weltspitze im Marathon sein. Für die Zeit danach habe ich heute noch keine konkreten Pläne.

Wie schnell muss man denn mit 90 sein, um zur Marathon-Weltspitze in dieser Altersklasse zu gehören?
Andreas Butz: Ich hatte einmal das Glück, Fauja Singh kennenzulernen, der aus Indien stammt und 2003 einen Marathon in 5:40:04 Stunden gelaufen ist. Nach eigenen Angaben war er zu diesem Zeitpunkt über 90 Jahre alt. 2011 lief er den Marathon in 8:25:16 Stunden. Als über Hundertjähriger. Auch wenn diese Leistungen von Guiness World Records nicht anerkannt werden, weil er sein Alter nicht zweifelsfrei belegen kann, sind sie für mich sehr inspirierend. Mittlerweile ist er 112 Jahre alt. Aber da gibt es ja auch so Menschen wie Klemens Wittig, der mit 3:39:54 Stunden 2017 in Frankfurt den Marathon-Europarekord für über 80-Jährige aufgestellt hat. In diese Richtung soll es für mich auch gehen. Ich bin jetzt 58 Jahre alt und das Schöne ist: Ich muss ja gar nicht schneller werden, sondern lediglich das Langsamerwerden möglichst langsam gestalten. Meine Triebfeder ist es auf jeden Fall, mit 90 noch superfit zu sein.

Und du, Anita, brauchst du auch solche Ziele, um alles dafür zu tun, fit alt zu werden?
Anita Horn: Nein, ganz im Gegenteil. Mir geht’s um Gesundheitssport. Ich war früher auch mal so drauf, dass ich beim Laufen immer mehr wollte: Je länger die Strecken und verrückter die Herausforderungen, desto besser fand ich das. Am liebsten war es mir, danach völlig kaputt zu sein. Das brauche ich gar nicht mehr. Seit ich auch Mama bin, gehe ich den Sport viel entspannter an und fühle mich gut damit.

Hier diskutieren unsere Experten

Ist dieses entspannte Laufen nicht viel gesünder als das ambitionierte Marathonlaufen bis ins hohe Alter?
Andreas Butz: Ich bin fest davon überzeugt, dass das, was ich mache, auch Gesundheitssport ist. Ich laufe oft einfach allein 35 Kilometer. Der Unterschied zum Marathon mit 42,195 Kilometern ist dann gar nicht mehr so groß. Die meisten meiner Marathonläufe bin ich nicht im Renntempo, sondern im Dauerlauftempo gelaufen …
Anita Horn: ... aber am Ende willst du dann mit 90 Jahren doch der Schnellste sein.
Andreas Butz: Genau, aber dafür reicht es ja, seinen gesunden Lebensstil zu pflegen, regelmäßig zu trainieren und von Verletzungen und Krankheiten verschont zu bleiben. Das hat nichts mit dem Leistungssport zu tun, wie er von jungen Leichtathletinnen und Leichtathleten unter hohem Konkurrenzdruck betrieben wird. Ich muss einfach nur fit bleiben, meinen Trainingsumfang zum richtigen Zeitpunkt immer wieder anpassen – so dass ich dann die geringere Leistungsdichte in den hohen Altersklassen für mich nutzen kann. Grundsätzlich sehe ich Wettkämpfe nur als Spielerei, Ausdruck von Lebensfreude. Was mich wirklich antreibt, ist die Lust am Laufen. Am liebsten täglich.
Anita Horn: Das ist doch schön, so kann uns das Laufen sogar die Angst vor dem Altwerden nehmen. Viele Menschen denken beim Thema Alter vor allem an Gebrechlichkeit und Leid. Das muss aber gar nicht zwangsläufig dazugehören. Wer gesund alt werden will, sollte neben viel Bewegung auch viel Entspannung in sein Leben bringen. Ich laufe beispielsweise gar nicht mehr so viel, seitdem ich mit meiner Familie aufs Land gezogen bin. Ich trainiere das, worauf ich gerade Lust habe – Schwimmen, Crossfit oder gehe wandern – und arbeite im Sommer auch gerne in unserem Gemüsegarten. Das entspannt mich und ich bin gleichzeitig körperlich aktiv.  Ich bin fest davon überzeugt, dass alle, die gesund alt werden wollen, in unserer Gesellschaft, die in Sachen Arbeit und Sport sehr leistungsorientiert ist, mehr nach Lust und Laune machen sollten. Und deshalb ist es auch völlig egal, ob jemand einen Marathon schafft oder „nur“ zehn Kilometer.
Andreas Butz: Das stimmt. Und das Schöne am Laufen ist, dass es für Vieles den Boden bereitet, das nachweislich wichtig ist, um gesund alt zu werden.

Auch wenn die Detail zwischen Andreas Butz und Anita Horn leidenschaftlich diskutiert wurden: Einig sind sich die beiden, dass fürs gesunde Altern neben viel Bewegung eine gute Ernährung mit möglichst wenig Zucker entscheidend ist.

Was ist denn wirklich wichtig, wenn man gesund alt werden will?
Anita Horn: Das hat der US-Forscher Dan Buettner schon vor fast zwanzig Jahren mit seinem Konzept der „Blue Zones“ herausgefunden: Er hat weltweit fünf Regionen identifiziert, wo die Menschen besonders alt werden, ohne an den bei uns weit verbreiteten Zivilisationskrankheiten zu leiden. Die Regionen sind die zu Japan und Italien gehörenden Inseln Okinawa und Sardinien, die Nicoya-Halbinsel in Costa Rica, Ikaria in Griechenland und Loma Linda in Kalifornien. Allen diesen Regionen ist gemeinsam, dass sich ihre Bewohner besonders um ihre Familien kümmern. Dass sie nicht rauchen. Dass sie sich pflanzenbasiert ernähren und viele Hülsenfrüchte essen. Dass sie ständig körperlich aktiv sind – aber nicht exzessiv, sondern moderat. Und dass sie in jedem Alter sozial aktiv und in die Gemeinschaft integriert sind.
Andreas Butz: Und genau das fördert das Laufen. In Deutschland werden die Menschen auch immer älter, aber viele werden am Leben erhalten, ohne dass da noch viel Lebensfreude wäre.

Woran liegt es, dass die Menschen in Deutschland älter werden, aber gleichzeitig auch kränker?
Andreas Butz: Dass sie älter werden, liegt vornehmlich am Fortschritt der Medizin. Für die Krankheiten ist vor allem unser Lebensstil verantwortlich, neben zu wenig Bewegung, Rauchen, Alkohol und die alltägliche Ernährung ...
Anita Horn: … ja, schlechte Ernährung macht uns kaputt.
Andreas Butz: Und da ist an erster Stelle Zucker zu nennen. Zu süßes Essen, zu viel zugesetzter Industriezucker und die ganzen einfachen Kohlenhydrate, die in Weißmehlprodukten wie Brötchen und Nudeln stecken, sind das größte Übel in der Zivilisationskost. Er ist einfach zu haben, gibt schnell Energie, schmeckt gut und macht süchtig. Es ist wirklich hart, vom Zucker loszukommen.
Anita Horn: Zumal in Deutschland die Nahrungsmittelindustrie kaum Anreize hat, gesunde Lebensmittel mit wenig Zucker und wenig Einfachkohlenhydraten auf den Markt zu bringen. Hier müsste der Gesetzgeber viel konsequenter und nachhaltiger eingreifen, um gesunde, natürliche Ernährung zu fördern.
Andreas Butz: Noch wichtiger ist es allerdings, das Bewusstsein der Menschen für gesunde Ernährung zu schärfen. Es haben alle die Möglichkeit, im Supermarkt zu den gesunden Sachen zu greifen. Und das Wissen, was gesund ist, steht ja allen offen.

Laufen kann eine ungesunde Ernährung nicht ausbügeln“

Andreas Butz hält wenig davon, wenn Läuferinnen und Läufer sich ungesundes Essen in Maßen gönnen.

Aber wie motiviert man Menschen, aus der Trägheit herauszukommen und einen gesunden Lebensstil in den Fokus zu nehmen?
Anita Horn: Die Antwort ist – wie bei so vielen wichtigen Fragen für unsere Gesellschaft: Bildung. Ernährungslehre muss von Anfang an Bestandteil des Schulunterrichts sein. Es gibt noch zu viele Menschen, denen dieses Wissen fehlt. Aufklärung ist gefragt.

Okay, verstanden. Die gesunde Ernährung ist wichtig. Aber kann man eigentlich die negativen Effekte von ungesunder Ernährung mit zu viel Zucker durchs Laufen ausgleichen?
Anita Horn: Ja, bis zu einem gewissen Grad geht das. Am Ende kommt es ja auf die Gesamtbilanz an. Ich kann mal einen Keks zum Kaffee essen oder bei langen Läufen die benötigte Energie mit zuckerhaltigen Riegeln zuführen, wenn ich danach wieder gesund und zuckerfrei esse. Es geht ja nicht um den einzelnen Tag, sondern um das Große und Ganze.
Andreas Butz: Das sehe ich anders. Laufen kann eine ungesunde Ernährung nicht ausbügeln. Wer läuft und gleichzeitig eine ungesunde Ernährung mit viel Fertiggerichten pflegt, wird trotzdem anfälliger für Diabetes, Adipositas und andere Krankheiten. Das sehe ich an meinen Kumpels, mit denen ich vor über 20 Jahren mit dem Laufen begonnen habe. Von denen läuft heute kaum noch einer. Die meisten können es nicht mehr, weil sie gesundheitliche Probleme haben, die ihre Ursache in der Ernährung haben und entstanden sind, obwohl sie viel gelaufen sind.

Also ist die richtige Ernährung viel wichtiger als die Bewegung?
Andreas Butz: So kann man das auch nicht sagen. Es kommt auf das Zusammenspiel an. Wenn Menschen zu mir kommen, die gecoacht werden wollen, um fitter zu werden, um abzunehmen, um einfach gesünder zu leben, fange ich bei der Beratung nie mit der Ernährung an, sondern immer mit dem Laufen.

Warum denn das, wenn es doch eine ungesunde Ernährung nicht wettmachen kann?
Andreas Butz: Weil die Menschen durchs Laufen offensichtlich etwas dazugewinnen, während sie bei Veränderungen in der Ernährung oft das Gefühl haben, ihnen werde etwas weggenommen. Zugewinn ist immer motivierender als Verzicht. Indem ich Menschen zum Laufen bringe, gebe ich ihnen etwas. Wenn ich ihnen erkläre, dass sie das Nutella auf dem Brötchen oder den Rotwein am Abend weglassen sollten, nehme ich ihnen etwas weg. Das hebe ich mir für später auf, wenn sie die ersten Erfolge beim Laufen sehen und bereit sind, für weitere Erfolge auch liebgewonnene, aber ungesunde Ernährungsgewohnheiten zu ändern. So kommen sie dann zu einer gesünderen Alltagsernährung, die im Zusammenspiel mit dem Laufen das Leben deutlich verlängert.
Anita Horn: Mir ist es aber ganz wichtig, dass die Menschen die Veränderung hin zu gesünderer Ernährung gar nicht als Verzicht empfinden müssen. Gesunde Lebensmittel und deren Zubereitung bereichern das Leben doch genauso wie Sport. Deshalb kann man direkt mit der Ernährungsumstellung beginnen. Und wenn man sich dann größtenteils gesund ernährt, kann man sich auch mal Schokolade als Belohnung für ein gutes Training gönnen.

Wer läuft, darf beim Essen auch mal sündigen“

Anita Horn findet, dass es bei der Ernährung aufs Große und Ganze ankommt. Einzelne ungesunde Ausrutscher fallen für sie nicht ins Gewicht.

Können wir uns denn darauf einigen, dass das Laufen für euch beide der Schlüssel zum Erfolg auf dem Weg zu einem langen, gesunden Leben ist?
Andreas Butz: Ja, ich glaube fest daran, dass Laufen der erste Schritt ist. Der Rest ergibt sich dann daraus.
Anita Horn: Das gilt sicher für viele Menschen, aber wir dürfen dabei nicht die vergessen, die gar keinen Sport machen können, weil sie krank sind, keine Zeit oder Motivation finden. Denen müssen Wege aufgezeigt werden, etwas für ihre Gesundheit zu tun, ohne gleich mehrmals pro Woche laufen zu sollen.  Die müssen einfach mit der Ernährung anfangen und es dann schaffen, moderate Bewegung in ihr Leben zu integrieren.

Und was ist mit den kleinen Sünden, die viele Menschen zwischendurch mal brauchen, auch wenn sie größtenteils gesund leben. Verkürzen die das Leben oder helfen sie, gesund alt zu werden?
Anita Horn: Es gibt ja genug Geschichten von Menschen, die komplett gesund gelebt haben und trotzdem früh gestorben sind. Und von Menschen, die total ungesund leben und sehr wohl alt werden. Vor dem Hintergrund glaube ich, dass man sich auch mal was gönnen darf, was nicht so besonders gesund ist. Und solche Sünden kann man sich eher erlauben, wenn man läuft.
Andreas Butz: Viele reden davon, dass man etwas in Maßen tun sollte. Aber wer definiert, was „in Maßen“ ist? Da bin ich lieber konsequent und meide Industriezucker konsequent. Es gibt Studien, die besagen, dass der Mensch von der Natur so konstruiert ist, dass er 120 Jahre lang leben kann. Unsere Zivilisation hat es bisher nur geschafft, dass wir eine Lebenserwartung von etwas über 80 Jahre haben. Ich will ein Stückweit beitragen, näher an die 120 zu kommen und dabei gesund zu bleiben. Und das mit der Freude, die mir das Laufen, die gesunde Ernährung und soziale Kontakte geben.