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Der Hauch des Todes
Kadaver und alle drei Minuten ein Monstertruck: Australier läuft 4000 Kilometer von Küste zu Küste

| von Christian Ermert

Nedd Brockmann ist durch Australien gelaufen. Von Perth nach Sydney. 3953 Kilometer in 47 Tagen. Im Schnitt über 84 Kilometer jeden Tag. Und alle drei Minuten donnerte ein Monstertruck an ihm vorbei.

Der Mann muss fast 90 Kilometer laufen. Nicht nur heute. Nicht nur heute und morgen. Und auch nicht heute, morgen und übermorgen. Sondern jeden Tag. 47-mal hintereinander. Und das meistens nicht in irgendwelchen schönen Landschaften. Sondern im Outback Australiens. Das ja schon von Natur aus nicht besonders menschenfreundlich ist: Wind, Hitze, Sonne, Trockenheit, giftige Tiere. Zu Fuß durchqueren lässt sich das riesige Land eigentlich nur auf den geteerten Straßen, die vor allem von den Trucks befahren werden, die Australiens Städte mit allen lebenswichtigen Gütern versorgen. Gleichzeitig sorgen die aber auch dafür, dass die Straßen noch lebensfeindlicher sind als das Land, durch das sie führen.

An diesem Septembertag 2022 ist Nedd Brockmann schon seit Stunden auf dem geteerten Randstreifen unterwegs. Der Wind kommt von vorn, die Sonne steht in seinem Rücken. Sein Nacken ist rot, auf der Rückseite seiner Arme haben sich Blasen gebildet. Der damals 23-Jährige hört und spürt, dass sich schon wieder so ein fast 50 Meter langes Monstrum von LKW nähert, die den Güterverkehr in Australien am Laufen halten.

Die Erde zittert. Und dann donnern über 150 Tonnen mit fast 100 Stundenkilometern an ihm vorbei. Er wird gehörig durchgeschüttelt. Muss seine Mütze festhalten, die ihn an diesem Tag noch viele Stunden vor der Sonne schützen soll. Danach ist es kurz ruhig. Nedd Brockmann kann sich ganz aufs Laufen konzentrieren, spürt so etwas wie Glück, weil er allein mit sich und der Natur ist. Doch das währt nur gut drei Minuten. Schon rollt der nächste Monstertruck heran.

Die Strecke

Die Strecke führte von Perth an der australischen Westküste nach Sydney im Osten. Der Start war am Cottesloe Beach. Der ein Kilometer lange weiße Sandstrand bei Perth ist ein Paradies zum Baden und Schnorcheln. Das Ziel erreichte Nedd Brockmann nach 47 Tagen am weltberühmten Bondi Beach, dem Surf-Mekka in Sydney. Dazwischen lagen 3953 Kilometer auf den Straßen durchs Outback.

Dazu dieser unerträgliche Gestank von verwesendem Fleisch, der ihm täglich für ein paar Minuten in die Nase zieht. Die Trucks bremsen nicht für Kängurus oder andere Tiere, die über die Straße laufen. Die „Roadkills“ räumt im zum Großteil menschenleeren Australien niemand weg. Sie bleiben am Straßenrand liegen. Und stinken nach ein paar Tagen zum Himmel.

Acht Herausforderungen – und Gründe zum Aufgeben

„Mein Lauf durch Australien war eben nicht nur die eine Herausforderung, täglich fast hundert Kilometer zu laufen. Es waren acht – neben dem Laufen“, blickt Nedd Brockmann auf sein Abenteuer zurück und zählt auf: „Zu den Monstertrucks und den stinkenden Kadavern kamen noch Entzündungen in Gelenken. Magenprobleme, die von den Medikamenten verursacht wurden, die ich gegen die Entzündungen nehmen musste. Wegen der Schmerzen konnte ich nachts auch kaum schlafen und es ist mir nicht gelungen, die 12.000 Kalorien, die ich jeden Tag verbrannt habe, wieder aufzunehmen. Zumal ich mich mehr als einmal übergeben musste, wenn es mir nicht gut ging und ich dann auch noch den Verwesungsgeruch der toten Kängurus in der Nase hatte. Dazu kam noch der Wind, der mir an 37 der 47 Tage ins Gesicht geblasen hat. Und natürlich die Sonne, die trotz Schutz meine Haut verbrannte.“

Das Essen

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Das Essen von Nedd Brockmann bestand aus Haferflocken und Kaffee zum Frühstück, danach gab es vor allem Fleischpasteten – 84 Stück davon hat Nedd Brockmann unterwegs verzehrt – und Brötchen mit Schinken und Ei, Käsecroissants, Kakao, Reis, Donuts, Hähnchenschnitzel und Chips. 12.000 Kalorien hätte Nedd Brockmann täglich aufnehmen müssen, um seinen Kalorienbedarf zu decken. Ganz gelungen ist ihm das nicht. Am Ende hat er 13 Kilo abgenommen.

Jede Menge Herausforderungen – und genauso viele Gründe aufzugeben. Aber Nedd Brockmann ist immer weitergelaufen, bis er nach 47 Tagen in Sydney angekommen ist. Warum eigentlich? „Wenn ich einmal eine Entscheidung getroffen habe und die auch öffentlich gemacht habe, ziehe ich das durch“, sagt er. „Da, wo ich herkomme, macht man das so.“ Nedd Brockmann ist auf einer Farm in New South Wales aufgewachsen. In Forbes, einem Nest, mehr als sechs Stunden Autofahrt westlich von Sydney gelegen. Die Gegend ist rau und sehr trocken. Wer dort – wie Brockmanns Familie – eine Farm hat, kann nicht einfach aufgeben, wenn es mal hart wird. So wie damals, als es vier Jahre lang so gut wie gar nicht regnete. Und dann ist da noch dieser Satz, den ihm seine Eltern immer wieder eingetrichtert haben: „Was immer du tust, tu es aus Überzeugung, dann wirst du es auch schaffen.“

1,5 Millionen Euro für Obdachlose gesammelt

Seine Überzeugung, quer durch Australien laufen zu wollen, hat auch viel mit den Obdachlosen zu tun, auf die er aufmerksam wurde, nachdem er vom Land in die Metropole Sydney gezogen ist. Seitdem beschäftigt ihn das Thema. Er fragte sich: „Warum darf ich mich glücklich schätzen, nicht auf der Straße zu leben. Was ist in deren Leben passiert, dass es so weit kam?“ Er suchte nach Möglichkeiten, den Menschen zu helfen. Und kam auf die Idee zu dem Lauf quer über den Kontinent. Um maximale Aufmerksamkeit zu erzeugen und Spenden zu sammeln. Am Ende wurde die Aktion von 30.000 Menschen unterstützt, die 2,6 Millionen Aussie-Dollars spendeten – das sind über 1,5 Millionen Euro.

Ein Erfolg, der Nedd Brockmann immer noch sprachlos macht. Obwohl er ein Jahr zuvor bereits mit einer anderen Laufaktion schon einmal über 100.000 australische Dollar eigesammelt hatte, die den Obdachlosen zugutekamen. Damals ist er 50 Marathons in 50 Tagen gelaufen. Neben seiner Arbeit als Elektriker. „Ich bin jeden Morgen um halb sechs aufgestanden und zur Arbeit gegangen. Wenn ich dann am Nachmittag wieder daheim war, habe ich die Laufschuhe angezogen und bin einen Marathon zwischen dreieinhalb und viereinhalb Stunden gelaufen. Das geschafft zu haben, hat mir vor der Australien-Durchquerung die nötige Zuversicht gegeben, jeden Tag 100 Kilometer laufen zu können“, sagt er.

Für einen besonders talentierten Läufer hält er sich nicht: „Mit dem richtigen Mindset können viele Menschen so etwas schaffen.“ Seine Laufhistorie ist auch noch kurz. In der Corona-Pandemie ging es ihm 2020 wie vielen anderen weltweit. „Der Weg ging entweder in Richtung superfit, weil außer Laufen kaum was möglich war. Oder eben in Richtung superfett, weil man zu Hause gesessen und gegessen hat“, blickt Nedd Brockmann zurück und gibt zu, dass er unterwegs war Richtung superfett. Obwohl er in der Schulzeit noch richtig sportlich war. Mit Rugby und Rudertraining. „Ich habe eines Tages in den Spiegel geschaut und mich gefragt: Was machst du hier eigentlich?“ Seine Konsequenz: Ein Richtungswechsel. Richtung Fitness. Mit Laufen.

Jeden einzelnen Kilometer bekämpft

Dass sich das dann in weniger als drei Jahren zu etwas entwickeln würde, das manchmal etwas von einem Krieg hat, hätte er damals kaum erwartet. Aber genau das war eins der Gefühle, mit denen er während seines Laufs durch Australien morgens aufwachte. „Beim Aufstehen hat es sich ein bisschen so an angefühlt, als würde ich in eine Schlacht ziehen. In einen Kampf um jeden Kilometer. Von Anfang an habe die 100 Kilometer in 20-Kilometer-Abschnitte zerteilt, die ich zu bewältigen hatte. Später dann in Vier- oder Fünf-Kilometer-Abschnitte. Manchmal musste ich aber auch jeden einzelnen Kilometer bekämpfen, um es zu schaffen.“

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Er hat den Schmerz neu definiert, mit dem man weiterlaufen kann“

Nedd Brockmanns Physiotherapeut über die Leidensfähigkeit des Australiers

16 Paar Laufschuhe verschlissen

Diese tägliche, extreme Belastung hat nicht nur Nedd Brockmann an seine Grenzen gebracht. Auch die Anforderungen an seine Laufschuhe waren extrem. Zu Beginn hatte er zwölf Paar im Gepäck, die ihm von Puma zur Verfügung gestellt wurden. Der deutsche Hersteller unterstützt die Aktion und Nedd Brockmann. Nach einer Woche waren seine Füße allerdings so angeschwollen, dass ihm die Schuhe nicht mehr passten. Neue mussten her, eine Nummer größer. Puma lieferte. Am Ende waren 16 Paar hinüber. Im Schnitt hielt ein Paar auf dem extrem rauen Asphalt der australischen Highways nur 250 Kilometer. Die Sohle der Deviate Nitro-Modelle, die Nedd Brockmann meistens trug, wurde viel schneller zerrieben als auf üblichen Laufuntergründen. Die Logistik organisierten für Nedd Brockman sechs Personen: Neben einem Fotografen und einem Kameramann, die das Unterfangen dokumentierten, waren sein Physiotherapeut, seine Freundin und seine Eltern dabei. Übernachtet wurde in Trucker-Unterkünften, von denen es an Australiens Straßen etwa alle 200 Kilometer eine gibt. Wenn diese Raststätten nicht zu erreichen waren, schlief Nedd Brockman in dem Wohnmobil oder dem Camping-Anhänger, mit dem er von seinem Team begleitet wurde.

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Ich würde das immer wieder tun“

Nedd Brockmann über seine Gefühlslage bei der Zielankunft nach fast 4000 Kilometern am Bondi Beach in Sydney

Mit dem Papa unterwegs zu sein, inspiriert besonders

Eine besondere Inspiration war die Anwesenheit seines Vaters: „Er hatte zum ersten Mal in seinem Leben eine so lange Zeit frei. Ich habe ihn immer dafür bewundert, wie er das getan hat, was er tun musste, ohne viel darüber zu sprechen. Ist jeden Tag früh raus, hat das Vieh gefüttert und all das getan, was auf unserer Farm unter schwierigen Bedingungen zu tun ist, ohne sich je zu beklagen. Das hat mich bei meinen 100 Kilometer jeden Tag angetrieben. Ich bin auch einfach raus und habe getan, was getan werden musste.“

Was jetzt klingt wie eine 47 Tage lange Folter, hat bei Nedd Brockmann aber auch große Glücksgefühle ausgelöst. „Von den 14 Stunden, die ich täglich aktiv war, habe ich acht genossen und war glücklich“, schätzt der Australier, der versuchte, Probleme und Schmerzen einfach wegzulächeln. „Mit dem Team zu lachen, war extrem wichtig. Das

pusht ungemein. Und das Gefühl im Ziel am Bondi Beach war so großartig, dass ich das Ganze immer wieder tun würde. Das lässt einen jeden Schmerz vergessen.“ Auch wenn die so groß waren, dass sein Physiotherapeut auf Instagram dazu ganz große Worte fand: „Ich habe noch nie einen Athleten erlebt, der Schmerzen so ertragen kann wie Nedd. Er hat die Menge an Schmerz neu definiert, mit der man weiterlaufen kann.“