Ganz Österreich umrundet
Wie Andreas Ropin vom Alkoholiker zum Ultraläufer wurde

| Text: Tom Rottenberg | Fotos: privat

In 72 Tagen hat Andreas Ropin Österreich umlaufen. Doch sein größter Triumph liegt 17 Jahre zurück: Er war seit seiner Jugend schwerer Alkoholiker – der Sport half ihm, von der Sucht loszukommen.

„Ich bin Alkoholiker.“ Andreas Ropin redet nicht um den heißen Brei herum. Er beschönigt nicht, redet Dinge nicht klein oder sucht Ausreden oder Entschuldigungen: „Ich bin Alkoholiker,“ sagt der kernige Mann aus Trofaiach, einer kleinen, ländlichen Gemeinde in der Steiermark in Österreich. Ropin sagt das sehr bewusst: Er weiß, dass viele andere vermutlich „war Alkoholiker“ sagen würden. Nicht nur weil es besser klingt, sondern weil es technisch sogar stimmt: Das letzte Mal zur Flasche gegriffen hat Andreas Ropin Anfang Februar 2007.

An welchem Tag genau, spielt keine Rolle mehr: Diesen Tag feiert der 45-jährige nämlich nicht. Im Gegensatz zum 7. Februar. An dem besuchte der damals 28-Jährige zum ersten Mal ein Treffen der Anonymen Alkoholiker. Gemeinsam mit seinem Vater. „Das war mein zweiter Geburtstag, dieser Tag hat mein Leben verändert – und gerettet: Seit dem 7. Februar 2007 bin ich trocken.“

„Weltberühmt in Österreich“

Und auch wenn der gelernte Stahlbauschlosser darauf stolz ist, betont er: „Die Sucht besiegt zu haben, heißt nicht, dass die Krankheit nicht mehr da ist und auf ihre Chance wartet: Ich bin Alkoholiker – das bleibt man ein Leben. Aber man kann aufhören zu trinken, sich befreien. Und das sage ich jedem, dem ich meine Geschichte erzähle.“

Seit dem letzten Sommer erzählt der Familienvater seine Geschichte nicht nur oft, sondern auch vor großem Publikum: Ropin ist, wie man in seiner Heimat gerne mit selbstironischem Augenzwinkern scherzt, „weltberühmt in Österreich“. Ein National-Promi: Im Acht-Millionen-Einwohner-Land war und ist der Ex-Alki heute ein gern und oft in TV-Talkshows geladener und in Magazinen und Radio interviewter Gast.

Jeder hat es in der Hand

Jenseits der Grenzen der „Alpenrepublik“ kennt Andreas Ropin und seine Geschichte aber kaum jemand. Eigentlich schade. Zum einen, weil Andreas Ropins sportliche Geschichte auch größeres Publikum beeindrucken würden. Zum anderen und vor allem aber, weil der Mann, den man daheim „Rambo“ nennt, glaubwürdig ist. Weil er dazu steht, was und wer er war, bevor er durchs Laufen zunächst regionale Berühmtheit erlangte.

Und weil er nicht müde wird, genau deshalb darauf hinzuweisen, dass es jeder und jede selbst in der Hand hat, sich aus dem tiefsten Sumpf wieder nach oben zu strampeln. Ja, durchaus mit Hilfe – aber um die annehmen zu können, muss man sich zuallererst selbst eingestehen, dass man Hilfe braucht. Ein Problem hat. Man muss selbst wieder aufstehen wollen – und selbst den ersten Schritt machen.

Einmal rund um Österreich

Andreas Ropin wollte genau das. Damals im Februar 2007. Und erkannte in den Wochen und Monaten darauf, was alles geht, wenn man wirklich will – und anpackt: Er erfand sich neu. Machte aus dem Alkoholiker einen Sportler. Einen Läufer. Einen, der sich Aufgaben suchte, auf die vor ihm meist noch niemand gekommen war. Er wurde zum Spezialisten für Herausforderungen, die andere sprachlos machen. Und mit denen er nicht nur Aufmerksamkeit für die eigentliche Challenge generierte, sondern auch für jenes Thema, dass er dann immer auch anspricht: Die Sucht, die Krankheit. Wie, aber vor allem, dass man davon loskommen kann.

Im vergangenen Sommer schaffte „Rambo“ dann den Sprung von regionalen Bezirksblättern ins nationale Bewusstsein: Andreas Ropin umrundete Österreich. Laufend. Exakt an und auf der Staatsgrenze. Der Läufer legte vom 1. Juni bis zum 11. August in 72 Tagen nicht nur 3125 Kilometer, sondern auch über 125.000 Höhenmeter zurück. Er watete und schwamm durch Flüsse, schlug sich querfeldein durch Hecken und Wälder, lief über Felder und Wiesen, ebenso wie entlang hochalpiner Gipfelwege und Saumpfade – oder querfeldein.

Zahlreiche Extrem-Projekte

Und während man den damals 44-Jährigen beim Start im Salzburger Dorf Großgmain noch belächelte, begleiteten ihn nach zwei oder drei Wochen ganze Laufgruppen auf einzelnen Etappen. Weil man dem Rundläufer via Livetrack gut folgen konnte, warteten sogar auf ausgesetzten Wegen in den Hochalpen immer wieder Wanderer oder Bergläufer auf ihn. Oder feuerten ihn an: Man wusste, wer der Mann war, der da daherkam. Ropin hatte sich als Zeitlimit 100 Tage gesetzt: Vor ihm war ja noch niemand je diese Runde gelaufen. Als er dann schon am 72.Tag in der Gemeinde Großgmain im Flachgau ankam, kannte ihn und seine Geschichte fast ganz Österreich.

Dabei hatte der Extremsportler schon früher immer wieder auf sich aufmerksam gemacht: Ropin betrieb „Everesting“, das kumulierte Sammeln von Höhenmetern, bis man die 8849 Meter des Mount Everest überschreitet, bevor es das Wort oder den Trend gab. Er „sammelte“ – natürlich laufend – in 30 Tagen die höchsten sieben Gipfel Europas. Er stellte einen 24-Stunden-Dauer-Wasserrutsch-Rekord auf – bei dem er insgesamt 64.920 Stufen (oder 12.700 Höhenmeter) hinauflaufen musste. Er legte sich immer wieder mit diversen österreichischen Bergen an und versuchte sie gleich mehrmals zu bewältigen und jubelt über Triumphe. Etwa als er er seinen „Hausberg“, das Rennfeld bei Bruck an der Mur, in sieben Tagen 36-mal bezwang und dabei über 40.000 Höhenmeter überwand. Oder, als letztes Abenteuer vor der Österreich-Umrundung, als er Österreichs höchsten Gipfel – den 3798 Meter hohen Großglockner – binnen 36 Stunden sechsmal bezwang.

Andreas Ropin ist bodenständig geblieben

Was Ropin von anderen Extremsportlern unterscheidet ist unter anderem, dass er auch über die unvermeidlichen Niederlagen offen und gern spricht – etwa, wenn das Knie nicht mitspielt, wenn ein anderer Berg (der Hochschwab) in Rekordzeit mehrfach belaufen werden soll. Aber auch die Bodenständigkeit – und die Freude an extremen Abenteuern, die weder medial noch finanziell ausgeschlachtet werden können, unterscheidet ihn von anderen: „Rambo“ läuft mitunter mehrere hundert Kilometer „in den Urlaub“ von Trofaiach ans Meer – während Frau und Kinder mit dem Auto vorausfahren.

Im Rückblick sieht dieser Weg manchmal sogar einfach aus. Er wirkt schlüssig, stimmig und nachgerade zwingend. Und es klingt sogar kokett, wenn Andreas Ropin sagt, dass er „ein absoluter Suchttyp“ ist: In der Psychologie spricht man ja tatsächlich von der „Substitution“ der einen durch eine andere Sucht, wenn Menschen ihr Leben so ändern, wie „Rambo“ es tat.

Kraft, Mut, Durchhaltevermögen

Beispiele gibt es dafür etliche. Auch bei Extrem- und Ultraläufern. Den Nord-zu-Südpol-Läufer Robby Clemens etwa. Oder den Triathleten Andreas Niedrig. Auch sie waren schwer suchtkrank, hingen an Flasche und Nadel. Auch sie zogen sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf – und erzählen heute offen darüber, wie sie auf dem Weg nach ganz unten in allerletzter Sekunde noch die Kurve bekommen haben. Und im Nachhinein, als Motivationsvortrag, klingt das fast spielerisch. Dabei braucht diese Kehrtwendung unendlich viel Kraft, Mut und Durchhaltevermögen. Weit mehr als jeder Lauf und jedes Rennen.

Das betont auch Andreas Ropin stets: „Bei meinen Abenteuern habe ich immer nur einen Gegner: mich selbst“, sagt er. So, erzählt er, war es auch, als er sich 2007 „gegen das Trinken und für das Leben“ entschied: Im Vergleich dazu war seine Österreichumrundung ein Spaziergang. Trotz der 3120 Kilometer und 125.000 Höhenmeter.

Sein Gegner: er selbst

Denn auch wenn Andreas Ropin erst 28 Jahre alt war, als er das erste Mal eine Selbsthilfegruppe besuchte, war er da schon ein langjähriger, „geeichter“ Trinker: Der erste Vollrausch lag da bereits über 15 Jahre zurück. Denn Alkohol gehörte seit seinem 13. Lebensjahr zum Alltag. Und als Schlosser-Lehrling, erzählt Ropin, war das Herankarren von Bier und Schnaps eine seiner ganz offiziellen Aufgaben. Egal ob in der Werkstatt oder, später, auf Montage: „Nicht mittrinken gab es schlicht und einfach nicht. Das wäre als Schwäche ausgelegt worden. Das war unmännlich.“

Also stand Andreas Ropin schon als Teenager seinen Mann: Tage ohne Alkohol gab es nicht. Der Rausch nach der Arbeit, der Vollrausch am Wochenende wurden selbstverständlich. So selbstverständlich, dass er einen Job nach dem anderen verlor. Zuletzt, mit 25 Jahren, versuchte er sich, mit einem Putzjob in einem Pub über Wasser zu halten. Mehr schlecht als recht: „Ich war am Ende. So pleite, dass man mir einen Münzzähler installierte, um den Strom einzuschalten.“

Ich war am Ende. So pleite, dass man mir einen Münzzähler installierte, um den Strom einzuschalten.

Trinken als „Familientradition“

Ausweg und Perspektive sah er da längst keinen mehr. Es gab ja sogar eine „Entschuldigung“: Alkoholsucht hatte in seiner Familie Tradition. Denn auch der Vater war Trinker. Just das rettete aber den Sohn: „Mein Vater hat mir erzählt, dass er über eine Selbsthilfegruppe von der Sucht loskommen will – und hat mich dann mitgenommen.“ Andreas spürte mehr als er wusste, dass das vielleicht seine letzte Chance war – und griff nach der Rettungsleine: „Fünf Wochen danach habe ich auch mit dem Rauchen aufgehört.“ Bei 50 bis 60 Zigaretten pro Tag alles andere als ein Kinderspiel – erst recht, nach so langer Zeit: Ob er früher mit dem intensiven Rauchen oder dem harten Trinken begonnen hat, kann Rambo heute nicht mehr sagen: „Das ging Hand in Hand.“

Um nicht bei erster Gelegenheit wieder in alte Muster und Gewohnheiten zu verfallen, brauchte er: „Ablenkung. Oder Ausgleich. Wie auch immer man das nennen will.“ Er besorgte sich ein Mountainbike und begann, erste, kleine Touren zu machen. Die erste Größere führte ihn dann von daheim, in Bruck an der Mur, zu seinem Bruder nach Feldbach – rund 100 Kilometer entfernt. „Seit damals bin ich jeden Tag mit dem Rad gefahren. Es tat mir gut.“ Nach kurzer Zeit kam das Berg-Gehen dazu. Daraus wurde Berglaufen. Und mit dem Essen kam der Appetit: Die Lust nach mehr, die Freude am Ausloten eigener Grenzen – und die Suche nach nicht alltäglichen Aufgaben.

Achtmal 1609 Meter hohen Berg hinauf

Der erste Lauf, der dann die Vorsilbe „Extrem“ trug, war ein Heimspiel: Andreas Ropin lief 2011 innerhalb von 24 Stunden achtmal auf das Brucker „Rennfeld“, einen 1609 hohen Berg nahe seiner damaligen Heimatstadt Bruck. Die 1100 Höhenmeter pro Tour klingen heute geradezu harmlos. Doch für Ropin waren sie eine Zäsur: „Da wusste ich, dass ich mit meinem alten Leben abgeschlossen hatte.“

In seinem neuen, zweiten Leben suchte er dann neue Aufgaben. Herausforderungen. Nicht um der Welt, sondern um sich selbst zu beweisen, was möglich ist, wenn man nur will – und sich der Aufgabe mit ganzem Herzen widmet: An seinem Plan, Österreich zu umrunden, tüftelte er über zehn Jahre. Lief im Training täglich zwischen 30 und 60, an Wochenenden gern auch 100 Kilometer. Recherchierte Routen und Wege – und fand heraus, dass die österreichische Staatsgrenze laut Wikipedia zwar „nur“ 2700 Kilometer lang ist, er in den Alpen aber ohne Flügel wohl ein paar hundert Kilometer mehr zusammen bekommen würde.

Eine Herausforderung in vielerlei Hinsicht

Eine enorme Herausforderung waren auch Logistik und Finanzierung: Ropin war zeitlebens nie Profisportler, sondern immer „ein ganz normaler Arbeiter“. Zuletzt, vor dem Grenzlauf, arbeitete er als Eisenbahn-Schienen-Techniker. Um sich den Traum „Rund um Österreich“ verwirklichen zu können, musste er den Job aufgeben. Sponsoren? Ein Wiener Laufschuhshop half bei Schuhen („ich habe acht Paar verbraucht“) und Ausrüstung, ein regionaler Getränkehersteller unterstützte das begleitende Charityprojekt – das war es im Großen und Ganzen.

Ropins „Begleittross“ unterwegs bestand aus seinem Bruder in dessen Privat-PKW. Seine Frau stieß alle ein oder zwei Wochen kurz dazu. „Wir haben einen Haushalt, Kinder – und seit kurzem sogar ein Enkelkind. Das kann man ja nicht einfach auf ‚Standby‘ schalten“, erzählte Ropin. Und weit mehr als mit den Strapazen der Strecke, erklärte er, kämpfte er damit, seine Liebsten nicht um sich zu haben. Umso größer war der Jubel, als er sie am 11. August, 72 Tage nach dem Start, dann in Großgmain alle in die Arme schließen konnte. Schon damals deutete der Grenzgänger an, „schon neue Ideen und Pläne zu haben“. Darüber reden wollte er damals aber noch nicht.

Neue Beschäftigung: ein Radgeschäft

Nun, ein dreiviertel Jahr nach dem Lauf, ist das anders: Andreas Ropin hat mittlerweile in Trofaiach ein Fahrradgeschäft aufgemacht. In „Rambo’s Radl Hittn“ liegt der Fokus auf Retro-Mountainbikes. Fahrräder dürften auch bei seinem nächsten Abenteuer eine wichtige Rolle spielen: Ende April will Rambo die Donau ablaufen. Von Donaueschingen bis ans Schwarze Meer – rund 3200 Kilometer. Die Hin- und Heimreise von und nach Trofaiach will er mit dem Rad absolvieren. Noch einmal 2200 Kilometer. In Summe 5400 Kilometer.

Den meisten, auch ambitionierten, „Normalsportlern“ verschlägt es da die Sprache. Zurecht. Andreas Ropin nicht. Er weiß, dass er seine härteste Herausforderung vor mittlerweile 17 Jahren angenommen und bestanden hat. Und nur das zählt.