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Wüstenrennen in Tunesien
100 Kilometer am Fata Morgana-See in der Sahara

| Andrea Löw ist mitgelaufen und berichtet

Die tunesische Sahara hat viel zu bieten: Einen Salzsee, in dem früher Karawanen versunken sind. Den Wüstenplaneten Tatooine aus Star Wars. Man kann dort aber auch 100 Kilometer durch den Sand laufen.

Der Chott el-Djerid mutet magisch an, wie er so daliegt im Zentrum Tunesiens. Ein riesiger See mit einer hart getrockneten Salzdecke, über der es im flirrenden Licht immer wieder zu Fata Morganas kommt. Ich denke an Karl May und seinen Roman „Durch die Wüste“, als wir auf der sicheren Asphaltstraße diesen Salzsee überqueren. Und dabei fallen mir die Geschichten von ganzen Karawanen ein, die hier früher versunken sein sollen. Die Härte der Salzkruste auf diesem See kann eine gefährliche Illusion sein.

Wir sind auf dem Weg von der Touristenhochburg Djerba in die Wüste. In der Oasenstadt Tozeur soll morgen die „Ultra Mirage“ 2020 starten. Ein 100-Kilometer-Rennen durch die Sahara und unter Corona-Bedingungen. Du fragst dich jetzt sicher: Eine Reise nach Tunesien in Zeiten von Corona, um durch die Wüste zu laufen? Kann man das machen?

Ich war auch lange Zeit unsicher, habe hin und her überlegt. Auch stand lange Zeit in den Sternen, ob unsere Reise überhaupt stattfinden kann. Eingeladen vom Tunesischen Fremdenverkehrsamt sollte unsere Reise in die Sahara, zu dem 100-Kilometer-Rennen Ultra Mirage El Djerid, führen, uns aber auch das Hygienekonzept im Land demonstrieren, zeigen, dass Touristen ohne große Bedenken ins Land reisen können.

Mit einem negativen Corona-Test im Gepäck (notwendig, da wir aus Deutschland einreisten, einem Land, das aufgrund steigender Fallzahlen als „orange“ eingestuft war) kommen wir in Tunis an. Die ersten Tage sind wir im Norden Tunesiens unterwegs. Zwei Dinge werden uns schnell klar: Tunesien nimmt die Gefahr, die von Corona ausgeht, sehr ernst und es hat einen Grund, dass die Fallzahlen den Sommer über so niedrig waren (inzwischen allerdings doch leider, wie überall, wieder ansteigen) und, zweitens, das Land und vor allem seine Tourismusbranche, sind tief getroffen von den Auswirkungen der Pandemie. Außer uns ist nur eine Handvoll Gäste im riesigen und schicken Hotel in Tunis.

Wenn wir Hotels betreten möchten, wird als erstes unsere Temperatur gemessen und wir bekommen Desinfektionsmittel in die Hände gesprüht, sonst kommen wir gar nicht hinein. Unsere Taschen werden desinfiziert, ohne Maske geht es ohnehin nicht. Beim Frühstücksbuffet werden uns die Dinge gereicht, wir dürfen nichts selbst nehmen. Die Maßnahmen werden strenger kontrolliert als ich es aus vielen Hotels hierzulande kenne, wir sind allerdings auch nur in wirklich guten Hotels unterwegs. Jedenfalls: Ich fühle mich sicher, sehr viel sicherer als jeden Morgen in der Münchner S-Bahn auf dem Weg zur Arbeit.

Nirgends sind viele Touristen unterwegs, weder in den Ausgrabungsstätten in Karthago noch in der wunderschönen weiß-blauen mediterranen Küstenstadt Sidi Bou Said und auch nicht in der Medina von Hammamet. Hier begrüßen uns die einsamen Händler erfreut, sagen uns auf Deutsch, dass sie so froh sind, dass endlich wieder jemand kommt.

Wir baden im Meer und in den Pools zweier ausgezeichneter Hotels, die uns freundlicherweise eingeladen haben: Das La Badira in Hammamet ist das erste Hotel in Tunesien, in dem sowohl eine Frau Hotel-Managerin als auch Besitzerin ist. Das The Residence Tunis präsentiert uns sein Projekt „The Earth Basket“: Das Hotel produziert u.a. eigenes Olivenöl aus lokalen Ernten und baut im Resort Bio-Gemüse an, um eine nachhaltige Entwicklung zu fördern und den Gästen frische und regionale Produkte zu servieren.

Ein kurzer Flug bringt uns in den Süden des Landes, von Tunis nach Djerba. Von dort geht es mit der Fähre aufs Festland, dann fahren wir Richtung Westen und nähern uns dabei langsam immer mehr der Wüste an.

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Zu Tee, Brot und Olivenöl in die Lehmhäuser von Matmata

Im Bergdorf Toujene halten wir kurz an und trinken einen Kaffee, wenig später der nächste Stopp in Matmata bei einem der hier traditionell in die Erde gebauten Häuser, wo wir zwei Frauen besuchen, die hier in den in den Lehmboden gegrabenen und durch einen Innenhof zugänglichen Räumen wohnen. Wir trinken Tee und essen das einfache, aber so schmackhafte Brot, das in Olivenöl mit Honig getunkt wird, dann geht es weiter. Im Berberdorf Tamezret essen wir zu Mittag, dann fahren wir weiter Richtung Douz, der Stadt, die das „Tor zur Wüste“ genannt wird. Hier beginnt die Sahara. Wir sind da. Die Wüste!

Bald erreichen wir den Chott el-Djerid, jenen Salzsee aus dem Karl May-Roman. Wir gelangen auf einer sicheren Asphaltstraße in die Oasenstadt Tozeur und hier in das Golden Yasmin Hotel, dem Basis-Ort des Rennens. Es gibt ein freudiges und aufgeregtes Wiedersehen mit bekannten Läuferinnen und Läufern. Alles wie immer? Nein, während wir uns bei solchen Gelegenheiten sonst alle glücklich um den Hals fallen, bleibt in diesem Corona-Jahr alles auf Abstand. Und mit Mundschutz. Es ist anders, sehr anders. Amir Ben-Gacem, der Renndirektor, berichtet uns mit müden Augen von Gesprächen in der Woche des Rennens, die nötig geworden waren durch die aktuelle Verschärfung der Hygieneregeln in Tunesien: Die endgültige Genehmigung, das Rennen in der beabsichtigten Form durchzuführen, habe er erst in diesen Tagen erhalten.

Das Race Briefing findet nur online statt, die Startnummernausgabe wird in strengen Zeitfenstern und mit viel Abstand durchgeführt. Da es aufgrund der Hygienevorschriften nicht gestattet ist, dass der Veranstalter an den Checkpoints Lebensmittel ausgibt, bekommen wir einen großen Sack mit allerlei Keksen und Kuchen, zahlreichen Dattelriegeln und – wir sind schließlich in einer Stadt, die genau dafür berühmt ist – ein Kilogramm Datteln!

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Start bei den Star Wars-Kulissen für den Planeten Tatooine

Am Renntag klingelt um 4 Uhr klingelt der Wecker, um 5 Uhr geht es los in Richtung Nefta, zur berühmten Star Wars-Kulisse mitten in der Wüste. Hier wurde ein Set aufgebaut, in dem viele der Szenen gedreht wurden, die in den Stars Wars-Filmen auf dem Planet Tatooine spielen. Und das waren viele und wichtige – beispielsweise haben die Zuschauer dort Luke Skywalker kennengelernt.

Um 6 Uhr starten die ersten, zwei aus unserer Gruppe sind dabei, Judith Havers und ich müssen noch vierzig Minuten warten. Immer 25 Läuferinnen und Läufer dürfen gemeinsam starten, werden mit Abstand im Startblock platziert. Die Maske darf erst abgenommen werden, nachdem wir die Startlinie überquert haben.

Trotz dieser Einschränkungen ist die Stimmung fantastisch, vor allem tunesische Läufer singen und tanzen. Ich bin aufgeregt, auch etwas unsicher, ob ich fit genug bin für dieses Abenteuer. Aber diese Ungewissheit gehört bei einem derartigen Laufabenteuer dazu, so viel kann passieren bei einem Lauf, der einer Reise ähnelt. Für mich sollte es eine weite Reise werden bzw. eine Reise, die lange gedauert hat.

© Ultra Mirage El Djerid

Von zehn runterzählen und dann mit Maske in die Wüste

Dann geht es los, von zehn heruntergezählt und ab in die Wüste. Judith sprintet gemeinsam mit der Vorjahressiegerin Bouchra vorneweg, eine kleine Weile sehe ich die beiden noch, dann sind sie im Morgenlicht der Wüste verschwunden. Ich trabe langsam vor mich hin, weiß, dass es für mich heute vor allem darauf ankommen wird, mir die Kräfte einzuteilen, zu wenig lange Läufe habe ich in diesem Jahr der ausgefallenen Wettkämpfe in den Beinen.

Bei Kilometer 50 ist ein größerer Checkpoint, an unsere am Vortag abgegebenen Dropbags liegen. Beim Betreten der Checkpoints müssen wir den MNS aufsetzen und unsere Hände desinfizieren, dann können wir uns einen Platz suchen, um etwas auszuruhen, uns zu verpflegen und in diesem Fall auch die Verpflegung für die zweite Rennhälfte und die Stirnlampe in den Laufrucksack zu packen.

Ein Schrei gegen den Sandsturm

Nun wird es 15 Kilometer lang richtig fies. Dünen mit tiefem, lockeren Sand, in den ich bei jedem Schritt einsinke, dazu der Gegenwind, der immer stärker wird, mir den Sand ins Gesicht bläst und vor allem die Anstrengung, vorwärts zu kommen, immens vergrößert. Ich fluche. Ich schreie.

Und dann tut auch noch das Knie richtig weh

Eine Zeit lang läuft ein junger Tunesier neben mir her, wir unterhalten uns kurz. Er meint trocken: „Du bist aus Deutschland. Das Problem ist, du kannst gar nicht im Wüstensand trainieren.“ Endlich klärt mich mal jemand auf, warum das hier so hart ist! Ich lehne mich weiter gegen den Wind, überlege, wann ich mich das nächste Mal hinsetzen muss, um Sand aus den Schuhen zu kippen.

Bei Kilometer 60 überqueren wir eine Straße, hier steht wieder ein Jeep, der uns mit zusätzlichem Wasser versorgt. Ich nutze die Gelegenheit, um meine Schuhe zu entsanden. Schwerfällig stehe ich wieder auf, mache dabei offenbar eine unglückliche Bewegung – und zack, tut es weh. Mein rechtes hinteres Bein schmerzt, es zieht in der Kniekehle, ich kann kaum auftreten. Panik! Wenn ich in den Tempo weiter durch den Sand humple, dann kann ich ein Finish vergessen. 40 Kilometer sind lang, wenn man gar nicht von der Stelle kommt. Nach einigen Minuten lässt der Schmerz im Bein nach. Er wird in den nächsten Stunden immer dann zurückkehren, wenn ich kurz gesessen habe, aber nach einer Weile erträglich sein. Das weiß ich jetzt noch nicht, aber halbwegs erleichtert trabe ich weiter.

Am Checkpoint setze ich mich erschöpft hin und schaue offenbar nicht besonders glücklich in die Gegend. Eine supernette Helferin umsorgt mich, redet auf mich ein, dass ich nun schon so weit bin, dass ich den Rest jetzt auch noch schaffe. Viele seien schon ausgestiegen, die Bedingungen seien irre hart heute, aber ich habe noch genügend Zeit, ich schaffe das. Sagt sie. Ich nicke, setze meine Stirnlampe auf den Kopf, ein Helfer befestigt den nun aus Sicherheitsgründen notwendigen Leuchtstab hinten an meinem Rucksack, dann setze ich mich schwerfällig wieder in Bewegung, laufe in die beginnende Dämmerung. Die ersten Schritte schmerzen, dann wird es besser.

Der Endspurt ist hier zwanzig Kilometer lang

Mehrere Blasen machen mir nun zu schaffen, aber das kenne ich, da muss ich jetzt durch. Drei Kilometer noch durch den Sand, dann kommen zwölf Kilometer auf einer Straße. In einer Mischung aus marschieren und laufen komme ich weiter. Irgendwann geht es wieder von der Straße ab, es wird wieder sandig, wenig später ist der letzte Checkpoint bei Kilometer 80 erreicht.

Die ersten paar Meter nach dem Aufstehen sind wieder schlimm, ich humple los, auf in den „Endspurt“. Lustiges Wort für das, was ich da jetzt mache… Ich erinnere mich gut daran, wie sehr sich diese letzten 20 Kilometer ziehen, inzwischen ist auch klar, dass ich langsamer sein werde als 2019. Aber ich werde es schaffen, davon bin ich nun, anders als noch 20 Kilometer früher, überzeugt. Es tut weh, es ist hart, aber da muss ich jetzt durch.

Irgendwann sehe ich in der Ferne Licht, höre Geräusche. Das Ziel, das muss es sein. Meine Uhr zeigt schon 105 Kilometer, ich will jetzt auch bitte, bitte wirklich, dass das Ziel jetzt da ist. Ich sehe Lichter, Stirnlampen, höre jemand rufen und ankündigen, dass wieder ein Finisher kommt. Das bin ich! Ich bin die angekündigte Finisherin! Ich sehe das Ziel, laufe noch einmal so schnell, wie meine Füße das zulassen und laufe nach 18 Stunden und 31 Minuten durch den gelben Start- und Zielbogen, an dem am Morgen meine lange Reise durch die tunesische Sahara begonnen hat.

Meine Freundin Judith Havers gewinnt und wird vom Boulevard zur „Königin der Wüste“ gekrönt

Amir gibt mir meine Medaille, gratuliert mir und erzählt mir hoch erfreut, dass Judith das Rennen gewonnen hat. Unglaublich! Die „Königin der Wüste“ und „Hammer-Havers“, wie eine deutsche Boulevard-Zeitung sie zwei Tage später nennen wird, ist nach 12:21:42 Stunden als erste Frau ins Ziel gelaufen.

Amir berichtet mir auch, dass viele Läuferinnen und Läufer ausgestiegen sind, da die Bedingungen durch den Wind, der teilweise zum Sandsturm mutierte, so hart waren. In den nächsten anderthalb Stunden bis zum Cut Off kommen aber noch einige ins Ziel, am Ende finishen von 112 Startern 86 dieses harte 100-Kilometer-Rennen. Ich bin auf Platz 59 und als 12. Frau ins Ziel gekommen. Robin Siegert ist bei seinem ersten Wüstenrennen in unglaublichen 12:17:02 Stunden auf Rang 5 als erster Europäer ins Ziel gekommen. Beim erstmals ausgetragenen 50-Kilometer-Rennen haben 74 von 99 Läufern das Ziel erreicht.

Mit einem Bus werden wir zurück ins Hotel gebracht. Ich humple ins Zimmer, verwandle den Boden beim Ausziehen ungewollt in einen Sandstrand, dusche und falle 24 Stunden, nachdem der Wecker geklingelt hat, ins Bett. Ich bin erschöpft, zugleich habe ich so viele Bilder und Eindrücke im Kopf, dass ich nur unruhig schlafe. Aber das ist mir in dem Moment egal. Ich bin glücklich.