© Golden Trail Series/The Adventure Bakery

Salomon Golden Trail Series
Großes Finale: Am italienischen Mittelmeer siegen zwei Außenseiter zweimal

| von Tom Rottenberg

Nach vier Rennen in Europa und zwei in den USA stiegen an der ligurischen Küste die Finals der „Golden Trail Series“. In der Gesamtwertung siegten Favoriten, die Tagessiege gingen an Außenseiter.

Bei knackig-kurzen Prologrennen und anspruchsvollen Finalläufen vor einer Traumkulisse zeigten das hochkarätige Starter- und Starterinnenfeld mit den derzeit besten Trailrunnern der Welt, was sie können: In der Gesamtwertung gab es Favoritensiege von Sophia Laukli (USA) und Remi Bonnet (Schweiz) - die Finalläufe selbst dominierten mit der Rumänin Mădălina Florea und dem Marokkaner Elhousine Elazzaoui aber in unseren Breiten zu Unrecht kaum bekannte Namen.

Ja, es mag längere und auch weitaus „alpinere“ Trail-Wettkämpfe geben als die vier Finalläufe der „Golden Trail Serie“ in Golfo Dell’Isola, an der wundervollen ligurischen Küste Italiens zwischen Genua und Monaco. Es mag auch – noch – hochkarätigere Events als diese von Salomon vor fünf Jahren ins Leben gerufene Rennserie geben. Dennoch dürfte die dieses Wochenende in der mittelalterlichen Küstenstadt Noli zu Ende gegangene Serie der sechs Golden-Trail-Hauptläufe das bessere, weil trotz aller Dramatik weniger „einschüchternde“ Vehikel sein, um Traillaufen einem breiten, nicht spezialisierten und nicht auf Ultra-Distanzen fixierten Publikum näher zu bringen.

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Nahbare und sympatische Gesamtsiegerin: Sophia Laukli

Auch, weil da mit der Gesamtsiegerin und dem Gesamtsieger dieses Jahres – Sophia Laukli (USA) und Remi Bonnet (Schweiz) - Heldinnen und Helden jubelten, die nahbar, menschlich und sympathisch auftreten. Deren Leistungen für Jedermensch-Läuferinnen und Läufer zwar aus einer fernen, unerreichbaren Galaxie stammen, die aber dennoch auf Strecken und über Distanzen rennen, die auch Normalos verstehen und begreifen können: Die in Europa und den USA ausgetragenen sechs Läufer der Serie waren zwischen 21 und 42 Kilometer lang. Haben „satt“ Höhenmeter (zwischen 1400 und 2700). Sind technisch und landschaftlich durchaus fordernd.

Finale an einer von Europas schönsten Küsten: Ligurien

Aber - und das galt dann auch für das 25-Kilometer-Finale (mit 1200 Höhenmetern) an der ligurischen Küste – doch irgendwie vorstellbar. Wenn natürlich auch in gänzlich anderen Geschwindigkeits- und Leistungsklassen: Bilder, Videos, Berichte von solchen Läufen in Traumgegenden triggern Wünsche und Ideen - und sind, erst recht in Kombination mit kleinen, menschlichen Geschichten rund um die Eliteläuferinnen und Läufer, die beste Werbung, die sich eine Sportart nur erträumen kann. Erst recht, wenn Setup und Dramaturgie so perfekt sind wie bei den insgesamt vier Finalläufen in und um Noli – und die Läufe selbst dann an Spannung kaum zu überbieten sind.

Alleine dass sich mit der US-Läuferin (und olympischen Langläuferin) Sophia Laukli eine der Top Favoritinnen auf den Gesamttitel ebendiesen am Samstag mit einem dritten Platz im Finale haarscharf – und immer wieder knapp vor dem Aufgeben – sicherte, war hoch spannend. Genauso wie die Tatsache, dass sich am Sonntag im Männer-Finale mit Remi Bonnet, der auch im Skitouren-Rennsport zur Weltspitze gehört, der Vorjahreschampion zwar ein zweites Mal die GTS-Krone aufsetzte - obwohl er sich im Lauf selbst mit dem undankbaren vierten Platz begnügen musste.

Denn die Finalläufe über steile Singletrails durch Wälder aber auch schroff-bergiges Terrain, mit Traumblicken aufs Mittelmeer und durch die mittelalterliche Altstadt von Noli wurden von zwei Außenseitern dominiert – und auch gewonnen. So wie die schon am Donnerstag (Frauen) und Freitag (Männer) angesetzten 8,7 Kilometer kurzen, technisch aber vielfältigen und anspruchsvollen Prologläufe mit 400 Höhenmetern: Die Rumänin Mădălina Florea und der Marokkaner Elhousine Elazzaoui gewann jeweils den Prolog und das Hauptrennen. Zwei Spitzenathleten, die zwar auch schon bei den früheren Rennen stets als mögliche Top-Ten-Finisher gesetzt waren und da auch gute bis sehr gute Resultate ablieferten. Dennoch haben – nun wohl: hatten – ihre Namen weniger Strahlkraft, als die vieler anderer von großen Teams und Marken gesponserten und somit vor dem Publikum und der Presse präsenteren Läuferinnen und Läufern der Serie.

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Die Damenrennen: Zweimal Mădălina Florea

Der Überraschungsreigen begann schon am ersten Finaltag, dem Donnerstag: Nachmittags ging es das erste Mal auf den kurzen, 8,7 Kilometer langen Rundkurs mit 400 Höhenmetern. Auf den engen und hochtechnischen Trails konnte sich Mădălina Florea (CSM Sighisoara/ Rumänien) rasch und souverän durchsetzen: In exakt 39 Minuten holte sie sich beim Auftaktrennen den Tagessieg - deutlich schneller als die beiden Top-Favoritinnen: Sophia Laukli (Salomon/USA) lag 38 Sekunden, Judith Wyder (Hoka/Red Bull, CH) 1:32 Minuten hinter Florea zurück.

Florea – die bislang nicht einmal einen namhaften Sponsor hatte – hatte da ganz eindeutig Blut geleckt: „Das hat total Spaß gemacht! Ich habe nicht gemerkt, wie die Zeit verging: Ich hatte kaum losgelegt, da war ich schon wieder zurück! Ich habe mich im Ziel nicht mal erschöpft gefühlt“, sagte sie nach dem Lauf - und legte sich selbst für Samstag die Latte hoch: „Ich will nochmal gewinnen!“

Ob sie selbst da schon daran glaubte, dass ihr das tatsächlich gelingen würde, kann im Nachhinein niemand mehr wirklich überprüfen. Fakt ist, dass Laukli, Wyder und Madalina vom Start weg das Feld anführten, sich schon auf der ersten Runde absetzten und dem Publikum sowohl in Noli als auch entlang der Strecke nicht nur das von allen erwartete Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Titel-Anwärterinnen Wyder und Laukli, sondern ein insgesamt hochkarätiges, schnelles Renn-Spektakel boten.

Die Strecke - ein „Blumenrennen“

Dazu vielleicht eine kleine Anmerkung: Der 26-Kilometer lange Kurs führte zwar über fünf Runden, allerdings war jede anders. „Blumenrennen“ nennt GTS-Erfinder Grégory Vollet dieses neue, hier erstmals umgesetzte Konzept: Wie die Blütenblätter einer Blume waren die Runden rund um den malerischen Kern der Stadt angelegt. Für die Läuferinnen und Läufer war der Kurs also jedes Mal neu - für die Betreuerteams im Start-Ziel-Bereich die Arbeit einfacher. Das Konzept erwies sich auch als ideal für das Publikum: Die anderswo unvermeidlichen, meist langen und oft komplizierten Anfahrtswege zu den einzelnen Fan- und Cheer-Punkten entfielen. Letzteres, so Vollet, sei ein Stück „gelebter Nachhaltigkeit: Traillaufen findet in der Natur statt - sie zu schützen und das Bewusstsein dafür zu schärfen, muss unser oberstes Ziel sein.“

Auf diesem Kurs setzte sich dann im Anstieg zur zweiten Runde Florea von ihren beiden Mitbewerberinnen ab. Spielerisch, wie es beim Zuschauen schien, baute sie ihren Vorsprung rasch auf fast eineinhalb Minuten aus. Auch wenn Judith Wyder dann im dritten Drittel des Rennens eine fulminante, geradezu atemberaubende Aufholjagd lieferte, hielt dieser Puffer bis ins Ziel: Lediglich 16 Sekunden trennten die Rumänen im Ziel von der Schweizerin – Sophia Laukli hatte, als Dritte, schon mehr als zwei Minuten Rückstand auf Wyder.
„Ich dachte die ganze Zeit, das sei ein Traum und gleich wache ich auf!“ Jubelte Florea, während Judith Wyder ihr Rosen streute: „Mădălina war echt stark! Ich hatte noch Reserven und versuchte, sie ab der dritten Runde einzuholen. Ich konnte sie am Schluss sehen, habe allerdings in einer Kurve wegen eines kleinen Ausrutschers wenige, aber wichtige Sekunden verloren. Ich war so nah dran – aber sie war stärker.“

Weniger glücklich mit dem Lauf war Sofia Laukli: „Ich habe mich komisch gefühlt und so gut wie möglich mitgezogen. Zwischendrin habe ich allen Ernstes drüber nachgedacht, aufzugeben, aber ich habe mich durchgebissen.“

Wohl auch, weil sie wusste, dass die Punkte für den dritten Platz ausreichen würden, um sich den Gesamtsieg zu sichern: Mit insgesamt 958 Punkten aus allen GTS-Rennen der Saison lag die US-Amerikanerin nach dem Finale zwar exakt gleichauf mit ihrer Schweizer Konkurrentin. Da sie in der Serie aber einen Sieg mehr als Wyder holte, geht der Titel der Gesamtsiegerin der Golden Trail World Series 2023 an sie. Kurz nach den Siegerinterviews zeigte die Titelgewinnerin dann auf ihren Social Media-Kanälen, was wahrer Sportsgeist ist: Zu einem Bild, das sie beim Jubeln mit Judith Wyder zeigt, schrieb sie, dass der Schweizerin aus ihrer Sicht der Titel ebenso zustehe – sie freue sich schon darauf, kommendes Jahr das Match mit Wyder erneut auszutragen.

Auch wenn die Verteilung der Finalläufe in Golfo Dell’ Isola anfangs sogar unter den Golden-Trail-Athletinnen und Athleten für einige hochgezogenen Augenbrauen sorgte und die Routenführung über mehrere „Blütenblatt“-Runden sowie – dazwischen – immer wieder durch die Altstadt von Noli nicht ganz unumstritten war: Im Nachhinein erwies sich das als genialer Schachzug. Zum einen, weil so – nicht zuletzt durch die Liveübertragung auf Eurosport und dem YouTube-Kanal der GTS – gesichert war, dass Männer und Frauen die gleiche mediale Aufmerksamkeit bekamen. Zum anderen aber auch, weil es enorm motiviert, immer wieder beim dicht gedrängt im Zielbereich stehenden Publikum vorbeizukommen. Das räumte auch die eingangs skeptische Judith Wyder dann ein: „So konnte ich mir fünf Mal von meinen Kindern Motivation holen! Super!“

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Elhousine Elazzaoui aus Marokko gewinnt bei den Männern Prolog und Hauptrennen

Bei den Männern jubelte Elhousine Elazzaoui aus Marokko ausführlich und laut, als er am Freitag den Prolog der Herren mit einem hauchdünnen 19-Sekunden-Vorsprung vor dem unangefochtenen Superstar der Serie, Remi Bonnet (Salomon / Red Bull / CH), ins Ziel flog.

Wissend, wer zwei Tage darauf beim Hauptlauf, seine schärften Konkurrenten sein würden, war sein „offizielles“ Statement aber deutlich weniger selbstbewusst-angriffslustig als das von Prolog-Gewinnerin Mădălina Florea einen Tag zuvor: „Das stärkt das Selbstvertrauen!“, so der Vorjahres GTS-Gesamt-Zweite. Und weiter: „Ich habe nicht alles gegeben, aber auch nicht viel zurückgehalten. Dieser Sieg gibt mir Auftrieb für Sonntag: Die Karten werden dann zwar neu gemischt, aber ich hoffe, dass ich mich nochmal durchsetzen kann.“
Elazzaouis Zurückhaltung wird bei einem genaueren Blick auf das Starterfeld doppelt verständlich: Die Top Ten am Start in Noli hatten mit durchschnittlich 920,6 ITRA-Punkten (sozusagen die „Währung“, die „Wert“ oder Position eines Läufers im globalen Ranking angibt) einen Score, den noch nie zuvor ein anderer Trail-Wettkampf oder -rennen vorzeigen konnten.

Das Rennen begann dementsprechend schnell. Sehr schnell: Auf den Singletrails würde Überholen nämlich schwierig werden. Vom Start weg lag genau jene Gruppe in Führung, die auch die GTS-Gesamtwertung anführte: Neben Remi Bonnet noch die beiden für das österreichische „Run2Gether“-Team startenden Kenianer Philemon Ombogo Kiriago und Patrick Kipngeno. Außerdem waren - zumindest anfangs – auch Eli Hemming (Salomon/USA) und Roberto Delorenzi (Brooks/Schweiz) mit von der Partie. Und natürlich: Elhousine Elazzaoui.

Lange Zeit, fast bis in die fünfte und letzte Runde, leistete Kiriago die gesamte Führungsarbeit. Mit hohem Tempo zog er die Führungsgruppe durch die ersten vier Runden. Erst auf der letzten Runde setzte sich der Marokkaner dann von dem Kenianer ab - und gab diese Führung bis zu einem gewaltigen, fast schwerelosen Finish nicht mehr ab. Auch weil Elazzaoui damit ein Statement setzen wollte: „Ich wollte klarstellen, dass mein Sieg beim Dolomyths keine einmalige Nummer war.“ Aufgrund von Visaproblemen hatte er danach die beiden September-Rennen in den USA auslassen müssen. Aber hier, beim Finale, „wollte ich zeigen, wie stark ich bin. Auch als Ansage für nächstes Jahr: Mein Traum ist es, die Golden Trail World Series zu gewinnen!“

Der am Sonntag Zweitplatzierte, Philemon Kiriago, weiß, was diese Ansage bedeutet: „Ich freue mich auf nächstes Jahr: Elhousine war heute einfach besser als ich, aber wer von so guten Athleten geschlagen wird, der kann nicht enttäuscht sein!“ Ähnlich sah es auch er dritte Afrikaner auf dem Treppchen, Patrick Kipngeno: „Das war ein schwieriges Rennen, aber ich freue mich sehr über den Platz auf dem Treppchen und kann das nächste Jahr auch kaum erwarten!“

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Vierter Platz aber auch Gesamtsieg: Remi Bonnet

Und Remi Bonnet? Der kämpfte am Sonntag zweitweise hart, um den Anschluss an die anderen Läufer der Führungsgruppe nicht zu verlieren. Da er mit 93 Punkten Vorsprung in der Gesamtwertung ins Finale ging, wusste er natürlich, dass eine gute Platzierung ausreichen würde, ihm seinen zweiten Golden-Trail-Gesamtsieg zu sichern: Vielleicht spielt ja auch der Kopf mit, wenn ein Spitzenathlet nicht voll auf Risiko setzen muss, um sein Ziel zu erreichen …

Doch davon, dass Bonnet nur mit halber Kraft gelaufen wäre, kann keine Rede sein: So ausgepumpt wie im Zielraum des Finallaufes hat man den Sieger von drei GTS-Rennen („Pikes Peak“ und „Mammouth Trail“ im September sowie dem dem „Marathon du Montblanc“ im Juni) nicht oft gesehen. Dennoch: Auch dieser vierte Platz reichte aus, um Bonnet den Titel mit einem mehr als soliden Vorsprung auf Kipngeno zu sichern.

Dementsprechend jubelte der alte und somit auch neue König: „Mein Ziel war ganz klar, den Titel zu gewinnen – ich wusste, dass ich Spielraum hatte. Natürlich hätte ich auch das gern das Rennen gewonnen - aber heute war das einfach nicht drin: Die Jungs waren schlichtweg stärker. Aber ich freue mich schon auf nächstes Jahr. Denn wenn die drei wieder mit von der Partie sind, werden wir uns da eine Menge toller Wettkämpfe liefern!“