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Nach dem Berliner Rekordlauf
Amanal Petros: „In Kenia habe ich die Disziplin von Weltklasseläufern gelernt“

| Das Gespräch führte Christian Ermert

Mit 2:04:58 Stunden hat Amanal Petros beim BMW Berlin-Marathon einen sensationellen deutschen Rekord aufgestellt. Im Interview verrät er die Hintergründe seiner Steigerung um fast eineinhalb Minuten.

Einen sensationellen deutschen Rekord lief Amanal Petros (SCC Berlin/Marathon Team) beim 49. BMW Berlin-Marathon. Der 28-Jährige war als Neunter nach 2:04:58 Stunden im Ziel und durchbrach damit als erster Deutscher die 2:05-Stunden-Barriere. Diese Zeit von Amanal Petros wäre vor gut 20 Jahren noch ein Weltrekord gewesen. Es ist der erste deutsche Männer-Rekord in der Geschichte des Rennens, die 1974 am Grunewald begann. Ein Jahr vor den Olympischen Spielen ist Amanal Petros auf dem Weg, den Anschluss an die erweiterte Weltspitze zu finden. Er ist jetzt der viertschnellste Europäer aller Zeiten und hat sogar Großbritanniens Lauf-Superstar Mo Farah in dieser Liste hinter sich gelassen. Amanal Petros steigerte seine eigene Bestzeit von 2:06:27 auf 2:04:58. Die Verbesserung der deutschen Bestzeit um 1:29 Minuten ist die deutlichste Steigerung des Rekordes seit Marathon-Olympiasieger Waldemar Cierpinski 1976 als erster deutscher Läufer unter 2:10 Stunden blieb (2:09:55). In unserem Exklusiv-Interview spricht Amanal Petros auch darüber, wie er in Kenia Disziplin lernte und wie groß der Anteil seiner neuen Schuhe an seiner Leistungssteigerung ist.

Amanal, wie hast du beim BMW Berlin-Marathon dein Rennen zum neuen deutschen Rekord erlebt?
Amanal Petros: Ich hatte von Anfang an den Plan, unter 2:05 Stunden zu laufen. Aber ob der aufgehen würde? Das weißt du beim Marathon nie. Da passiert immer irgendetwas, mit dem man vorher nicht rechnet. So auch dieses Mal. Bei Kilometer 25 fühlten sich meine Beine sehr fest an. Aber dank der unglaublichen Atmosphäre in Berlin habe ich darauf gar nicht mehr weiter geachtet. Es war mein erster Start in Berlin. So etwas habe ich noch nie erlebt. Auf dem letzten Kilometer war es so laut, das war der Wahnsinn. Diese Musik, und die Leute haben mich angeschrien wie verrückt. Da musste ich einfach alles rausholen, um tatsächlich unter 2:05 Stunden zu bleiben. Jetzt bin ich froh, das geschafft zu haben. Und es war eine tolle Erfahrung in einem Rennen mit Eliud Kipchoge zu sein. Ich bin auch dankbar, dass mir das vom Marathon-Team Berlin und ganz besonders von Renndirektor Mark Milde ermöglicht wurde.

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Wiedersehen bei der Pressekonferenz nach dem Rekordrennen von Berlin: Eliud Kipchoge und Amanal Petros trainieren zwar in Kenia nicht gemeinsam, aber begegnen sich dennoch des Öfteren.

Du hast die vier Monate vor Berlin ganz in der Nähe von Eliud Kipchoge in Kenia gelebt und trainiert. Trifft man sich da eigentlich?
Amanal Petros: Ja. Der Wohnort von Eliud bei Eldoret ist ja nur gut 20 Kilometer entfernt von dem Dorf bei Iten, wo ich gewohnt habe. Zwei, dreimal pro Woche trainiert Eliud mit seiner Gruppe dort, wo wir auch gelaufen sind, und dann sieht man sich auch. Das ist sehr motivierend und ich habe in der langen Zeit in Kenia sehr viel Neues übers Laufen gelernt.

Was war deine wichtigste Lehre aus der langen Zeit auf weit über 2000 Meter Höhe in Kenia?
Amanal Petros: Geduld, Durchhaltevermögen, Disziplin und nicht Meckern, wenn hartes Training auf dem Programm steht.

Und welcher dieser Punkte war für dich am schwierigsten zu lernen?
Amanal Petros: Ganz klar die Disziplin. Es ist schon eine große Herausforderung für mich, über so lange Zeit vor einem wichtigen Rennen auf Vieles zu verzichten, was ich eigentlich sehr mag. Ich würde schon gern öfter Kuchen und Burger essen, Freunde treffen und feiern. Aber wenn du ein Weltklasse-Marathonläufer sein willst, geht das nicht. Das war auch ein Grund, warum ich so lange in Kenia war. Dort kann man nur das machen, was man für die Leistungsentwicklung machen muss. In dem Dorf, wo ich war, gibt es keine Ablenkung. Man kann nur trainieren, essen, schlafen und sich ausruhen. Das ist sonst auch im Höhentrainingslager anders. In St. Moritz in der Schweiz oder im US-amerikanischen Flagstaff verlierst du vier Stunden am Tag mit Einkaufen, Kochen, Freunde treffen, Trainingspartner organisieren. Und vier Stunden am Tag sind in einer Marathonvorbereitung sehr viel, wenn du jede Woche 210 bis 215 Kilometer läufst und zwischendurch die entsprechende Erholung benötigst. In Kenia fällt das alles weg und man kann sich komplett aufs Training fokussieren. Fürs Essen steht uns ein Hotel zur Verfügung. Die Trainingsstrecke und die Trainingspartner sind nie weiter als 400 Meter entfernt. Du gehst einfach zum Treffpunkt, schaust, mit welcher Gruppe du trainieren willst, und legst los.

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Immer hilfsbereit und freundlich: Auch das ist Amanal Petros. Hier kümmert er sich vor dem Start des BMW Berlin-Marathons um die Schuhschnürung eines Konkurrenten.

Passt das Gruppentraining immer zu deinem individuellen Trainingsplan?
Amanal Petros: Wir kommunizieren viel und finden immer Lösungen, um das Training in der Gruppe mit den individuellen Plänen zu harmonisieren.

Welche Rolle spielt in solch einem System dein ehemaliger Wattenscheider Coach Tono Kirschbaum?
Amanal Petros: Ich stimme immer noch mein komplettes Training mit ihm ab. Vor Ort steuert zwar Renato Canova das Training meiner Gruppe, aber Tono schaut die Pläne an und kontrolliert alles. Wenn er etwas findet, das nicht passt, wird es korrigiert.

Mit deiner Zeit von Berlin bist du aktuell im Jahr 2023 die Nummer 13 in der Welt. Das heißt du gehörst zur erweiterten Weltspitze. Woran musst du bis Paris 2024 noch arbeiten, um womöglich noch weiter nach vorn zu kommen?
Amanal Petros: Bei der Schnelligkeit und der Kraft habe ich noch Reserven. Besonders die Muskulatur im Bereich der Hüfte muss ich weiter aufbauen. Und für die Schnelligkeit sind mir Bahnrennen über 10.000 Meter wichtig, auch wenn es immer ein kleines Wagnis ist, mit Spikes im Stadion zu rennen, wenn man sonst immer in Straßenlaufschuhen unterwegs ist. Mein Ziel ist es, auch über 10.000 Meter den deutschen Rekord zu laufen.

Den Dieter Baumann seit 26 Jahren mit 27:21,53 Minuten hält …
Amanal Petros: … genau. Ich will 27:20 oder 27:15 Minuten laufen.

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Eine Minute schneller auf 42,195 Kilometer: So groß schätzt Amanal Petros den Effekt ein, den sein neuer Adidas-Schuh auf seine Leistung in Berlin hatte.

Wie planst du die Vorbereitung auf Olympia in Paris?
Amanal Petros: Ich werden sicher wieder vier, fünf Monate in Kenia sein, auch wenn in einer so langen Zeit meine Wohnung in Bochum immer etwas vernachlässigt wird. Wenn ich nach Hause kommen, sind die Pflanzen sicher alle gestorben. Im Frühjahr möchte ich auf jeden Fall noch einen Marathon laufen, bevor dann die finale Vorbereitung auf Paris beginnt.

In Berlin bist du mit dem neuen Adizero Adios Pro Evo gelaufen, der mit nur 138 Gramm der leichteste Rennschuh ist, den Adidas je produziert hat. Kannst du beziffern, um wie viel schneller dich dieser Schuh gemacht hat?
Amanal Petros: Ich bin mir sicher, dass der Unterschied zum Adizero Adios Pro 3, den ich davor gelaufen bin, eine Minute beträgt. Der neue Schuh ist mein absoluter Favorit. Allerdings muss man damit laufen können. Er ist weniger stabil als der Pro 3. Du musst in der Lage sein, deinen Körper und den Schuh in Einklang zu bringen. Mir ist das gut gelungen und dann pusht dich der Schuh so richtig nach vorn. Das hat sich extrem gut angefühlt. Zum Training werde ich ihn aber nur selten anziehen.