UTMB World Series
Dauwalter und Walmsley triumphieren in Chamonix – Hartmuth mit sensationellem Rennen auf Rang zwei

| von Norbert Hensen | Fotos: UTMB

Der UTMB war wieder ein großartiges Festival des Trailrunnings. Neben den starken Amerikanern und Franzosen mischten auf der Mont Blanc-Umrundung auch zwei Deutsche weit vorne mit.

Der Star trug gelb. Nicht nur wegen der Trikot-Farbe von Courtney Dauwalter fühlte man sich immer wieder an die Tour de France erinnert. Als die US-Amerikanerin den Aufstieg zum Col de la Forclaz genommen hatte, wusste sie nicht, was ihr geschah. Seit Stunden harrten dort tausende Fans aus, die sangen, feierten und jeden anfeuerten, der hier oben vorbeikam.

Nicht mal einen halben Meter ließ die Menge den Läuferinnen und Läufern Platz, aber die genossen das Bad in der Menge sichtlich. Auch Courtney Dauwalter hatte Gänsehaut. Und lachte. Aber das macht die Amerikanerin eigentlich immer. Es ist ihr Markenzeichen. So wie auch die weiten Hosen. Aber das größte Merkmal ist ihre unglaubliche Ausdauer und mentale Stärke.

Courtney Dauwalter: US-Star gewinnt dritten 100-Meiler in 2023

Dass die 38 Jahre alte Lehrerin aus dem US-Staat Minnesota siegen würde, hatten eigentlich alle erwartet. So wie sie in diesem Jahr die legendären 100-Meiler Western States (Ende Juni) und Hardrock 100 (Mitte Juli) jeweils mit Streckenbestzeiten dominiert hatte, galt sie auch beim UTMB als große Favoritin. Aber auch Courtney Dauwalter ist keine Maschine. Und irgendwie tat es gut zu sehen, dass auch die derzeit überragende Ultratrailläuferin weltweit kämpfen muss.

Ihren UTMB-Streckenrekord von 2021 als sie in 22:30:54 Stunden gewann und als siebte der Gesamtwertung ins Ziel lief, konnte sie nicht wiederholen. „Die zweite Hälfte tat weh heute, ich war müde, aber ich wollte das Rennen durchstehen. Darum ging es heute“, sagte Dauwalter im Ziel. Beim letzten Anstieg hoch zu La Flégère sah es auch beim Superstar nicht mehr ganz so leichtfüßig aus.

Fans an der Strecke fordern "Courtney for President"

23:29:14 Stunden zeigte die Uhr in Chamonix. Rund eine Stunde langsamer als vor zwei Jahren. Und dennoch überragend, wenn man bedenkt, dass es ihr drittes 100-Meilen-Rennen in gut zwei Monaten war. Warum tut man seinem Körper so etwas an? „Ich mache gerne schwierige und verrückte Dinge“, meinte Dauwalter in der ihr eigenen Art. Und lachte dabei. „Das war verrückt heute und ich bin glücklich, hier zu sein. So eine Unterstützung in einem Rennen habe ich noch nie erlebt.“ Seit 2017 ist die großgewachsene Amerikanerin Trailrunning-Profi und wird von Salomon unterstützt.

Was möglich gewesen wäre, wenn sich Dauwalter in diesem Jahr ganz auf den UTMB konzentriert hätte? Niemand weiß es. Dauwalter, die schon als junges Mädchen im Cross Country und Skilanglauf Erfolge feierte, ist längst eine Ikone des Trailrunnings. Mehr als 500.000 folgen ihr auf Instagram. Tausende Fans (auch aus den USA) sind nur wegen ihr angereist, um sie anzufeuern. „Courtney for President“ war auf einem der vielen Plakate am Col de la Forclaz zu lesen.

Ihr fesselndes Lächeln, ihre lockere Art sich zu kleiden und ihr intuitives Training fasziniert die Menschen. Überall wo sie auftaucht, bildet sich eine Traube. Dauwalters Ausstrahlung und Aura befeuert den Hype um ihre Person. Dieses Golden-Trail-Triple wird ihr vielleicht nie jemand nachmachen.

Sensationell: Katharina Hartmuth wächst über sich hinaus

Und auch wenn Dauwalters Schatten groß ist, so wuchs in Chamonix eine andere Läuferin über sich hinaus: Katharina Hartmuth. Sie hatte am Ende des Rennen die Leichtigkeit, mit der sonst auch Dauwalter unterwegs ist. Im letzten Renndrittel konnte Hartmuth den Abstand auf die führende Amerikanerin sogar deutlich verkürzen. Zwischenzeitlich lag sie schon einmal rund eineinhalb Stunden zurück. Im Ziel waren es weniger als 45 Minuten. In großartigen 24:10:52 Stunden absolvierte Hartmuth das wichtigste Trail-Rennen der Welt. Und war im Ziel überwältigt. Von der Stimmung und von ihrer eigenen Leistung.

„Ich hatte insgeheim mit einer Top-10 Platzierung geliebäugelt – wenn alles gut läuft. Aber Rang zwei ist einfach nur unglaublich“, so Hartmuth. Die 28-Jährige lief von Beginn an sehr kontrolliert ihr eigenes Rennen. Zunächst auf Rang 15 unterwegs, arbeitete sie sich im Laufe der Nacht immer weiter nach vorne. „Ich schaue auf mich, ich muss meinen Rhythmus finden – und was dann hinten rauskommt, werde ich sehen“, sagte Hartmuth vor dem Rennen ganz bescheiden.

So war sie auch im Juni bei den Trail-Weltmeisterschaften in Innsbruck aufgetreten, wo sie überraschend die Silbermedaille gewann und sich mit ihrem Lächeln während des Rennens in die Herzen der Zuschauer lief. Aber das waren „nur“ 86 Kilometer. Beim UTMB ist die Strecke doppelt so lang. Immerhin kam Katharina Hartmuth, die in Leipzig geboren wurde und seit einigen Jahren in der Schweiz lebt, wo sie in diesem Jahr ihre Dissertation in Klimawissenschaften abgegeben hat, mit der Empfehlung des Sieges beim Eiger Ultratrail über 101 Kilometer nach Chamonix. Die Form war also da. Und am Wochenende lief es einfach.

Was ihr plötzlich sogar Stress machte. Denn die Französin Blandine L’Hirondel kam bei Kilometer 140 auf einmal immer näher. Da hatte Hartmuth gerade die lange Zeit auf Rang zwei laufende Chinesin Fuzhao Xiang überholt. „Ich habe gemerkt, dass ich mir nicht viel Zeit nehmen kann, da habe ich auf einmal den Druck gespürt.“

Hartmuth im letzten Renndrittel sogar stärker als Dauwalter

Aber Hartmuth lief einfach ihr Rennen zu Ende. Den letzten Up- und Downhill auf dem Weg ins Ziel nahm sie so schnell und flüssig wie keine andere Läuferin. „Ich habe den Tank heute völlig leer gemacht“, sagte Hartmuth. Sie wird einige Zeit brauchen, um zu begreifen, was rund um den Mont Blanc passiert ist und was das für ihre Zukunft bedeutet.

Wie auch Dauwalter hat Hartmuth keinen Coach. Die beiden Top-Läuferinnen trainieren sich selbst. In so einem langen Rennen, muss man jede Entscheidung selbst treffen und seinen Körper und Geist extrem gut kennen – das unterscheidet den Ultratrail von kürzeren Distanzen. Katharina Hartmuth, dem SCC Berlin angehört, geht bei internationalen Rennen für das Team HOKA an den Start, zu dem auch Jim Walmsley gehört, der bei den Männern siegte. Ein sehr erfolgreiches Wochenende für den offiziellen Ausrüster des UTMB.

Als Dritte kam die Blandine L’Hirondel zwölf Minuten nach Katharina Hartmuth ins Ziel. Für die zweite deutsche Top-Läuferin, Ida Sophie Hegemann, war der UTMB schon nach gut 30 Kilometern beendet. Hegemann kämpfte mit „höllischen Magenschmerzen“ und musste früh aus dem Rennen gehen.

Jim Walmsley erfüllt sich großen Traum vom Sieg in Chamonix

Das Männerrennen stand dem der Frauen in nichts nach. Auch wenn Superstar und Vorjahressieger Kilian Jornet (Spanien) verletzt fehlte, war das Rennen extrem stark besetzt. Jornet, vierfacher Sieger des UTMB hatte im vergangenen Jahr mit 19:49 Stunden einen großartigen Streckenrekord aufgestellt. Würden die starken US-Amerikaner und Franzosen diesen Rekord angreifen können?

Sie konnten. Allen voran die beiden US-Läufer Jim Walmsley (Team HOKA) und Zach Miller (The North Face), die den UTMB mittlerweile wie die berühmte Westentasche kennen. Dass ein 100-Meiler nicht berechenbar ist, wissen die beiden zu gut. Schon im vergangenen Jahr galten beide (vor allem Walmsley) als Mitfavoriten, kamen aber „nur“ als Vierter und Fünfter ins Ziel.

Und mit Mathieu Blanchard war immerhin der UTMB-Zweite von 2022 im Rennen, der vor einem Jahr nur fünf Minuten hinter Jornet ebenfalls die ikonische 20-Stunden-Barriere unterbieten konnte.

Vor allem Walmsley wirkte von Beginn an sehr konzentriert, hielt sich aus allen Tempoverschärfungen heraus und reihte sich lange Zeit um Rang zehn ein. Etwas aktiver agierte Zach Miller, der kleine Läufer mit dem riesigen Kämpferherzen, übernahm in der langen Nacht noch vor der „Halbzeit“ in Courmayeur die Führung. Bis zu zehn Minuten ließ Walmsley ihn ziehen. Schwäche oder Taktik?

Walmsley hatte in diesem Jahr einen Plan – das wurde im Laufe des Rennens immer deutlicher. Der Rekordhalter beim Western States, der seit eineinhalb Jahren viele Monate im Jahr in den Bergen rund um Chamonix trainiert, wollte diesen Sieg unbedingt. Und er wusste, wann es Zeit für den Angriff ist.

Spitzen-Trio setzte sich ab und wurde nicht mehr eingeholt

Nach gut 100 Kilometern hatten sich Miller, Walmsley und der Franzose Germain Grangier abgesetzt. Bis auf 25 Minuten waren die drei enteilt. Grangiers Landsleute Mathieu Blanchard, Arthur Joyeux Bouillon, Thibaut Garrivier und Schwedens Petter Engdahl (CCC-Sieger von 2022, der später ausstieg) waren die ersten Verfolger des Spitzen-Trios. Und auch Deutschlands bester Ultratrailläufer Hannes Namberger war immer im Bereich der Top-10 unterwegs.

Kurz nach der Verpflegung im schweizerischen Champex-Lac liefen Walmsley und Grangier gemeinsam – mit zehn Minuten Rückstand auf Zach Miller. Walmsley wirkte zum Teil weniger frisch als sein direkter Kontrahent. Aber das täuschte. Das letzte Drittel gehörte dem schlanken und großen US-Amerikaner, der in diesem Jahr nur ein Pflichtrennen absolviert hatte. Beim Istria100 by UTMB hatte Walmsley im April in Kroatien über 168 Kilometer einen neuen Streckenrekord aufgestellt. Schon dort ging er das Rennen konservativ an. Dieser Sieg bedeutete die Teilnahme beim UTMB 2023. Seinem großen Traum vom Sieg in Chamonix hatte Walmsley ansonsten alles untergeordnet und keine weiteren Rennen mehr bestritten.

Wahnsinns-Empfang am Col de la Forclaz für alle Top-Läufer

Am Cheering-Point Col de la Forclaz kam Walmsley als Erster an – Miller nur wenige Sekunden hinter ihm. Walmsley, in Phoenix/Arizona aufgewachsen, wirkte plötzlich souverän. Der 33-Jährige wusste, was zu tun ist, um dieses Rennen zu gewinnen. Miller konnte dem Tempo seines Landsmannes nicht mehr mitgehen.

Der Streckenrekord schien wieder möglich. Und Walmsley absolvierte die letzten 30 Kilometer wie ein Uhrwerk. Sichtlich ergriffen nahm er auf der Zielgerade in Chamonix das Tempo heraus. Jeden Meter wollte er genießen. Der neue Streckenrekord war nicht in Gefahr – zu stark war Walmsley am Ende des 171 Kilometer langen Rennens. In 19:37:39 Stunden war er rund 12 Minuten schneller als sein großer Kontrahent Kilian Jornet ein Jahr zuvor.

Auch Zach Miller blieb noch unter 20 Stunden. Weil er es wollte. Die „Kampfmaschine“ aus Colorada spurtete auf der Zielgerade als ginge es noch um den Sieg. In 19:58:58 Stunden blieb er als Vierter Läufer überhaupt unter der magischen UTMB-Marke. Miller, geboren in Kenia, ist ein Weltenbummler. In seinen frühen 20ern lebte er auch einem Schiff und trainierte auf dem Laufband oder lief an Land, wenn das Schiff an irgendeinem Hafen auf der Welt anlegte. So bereitete er sich auch auf den CCC im Jahr 2015 vor, den er als erster Amerikaner gewinnen konnte. Beim UTMB gelang das in den Folgejahren weder ihm noch Walmsley – bis 2023.

12 Minuten später wurde es wieder laut im Zielbereich als mit Germain Grangier der erste von vier Franzosen nach 20:10:52 ins Ziel kam. Es folgten Mathieu Blanchard, der vor einem Jahr lange wieder der Jornet-Bezwinger aussah, in 20:54:25 und Ludovic Pommeret, UTMB-Sieger von 2016, der mit 48 Jahren ein Comeback feierte, und schneller war als bei seinem Erfolg vor sieben Jahren. Thibaut Garrivier (21:10:38 h) war der Vierte der französischen Musketiere.

Hannes Namberger: „Mehr geht auf dieser Strecke für mich nicht“

Dass ihm Tyler Green aus den USA kurz vor dem Ziel noch Rang sieben wegschnappte, war völlig egal. „Alle, die heute vor mir im Ziel waren, haben das verdient“, meinte Hannes Namberger, nachdem er mit vielen Freudensprüngen nach 21:20:46 h in Chamonix als Achter gefeiert wurde. Der beste deutsche Ultratrailläufer hatte alles gegeben. Kurz nach dem Zieleinlauf hatte er Mühe, sich auf den Beinen zu halten.

„Heute hat alles gepasst, mehr geht auf dieser Strecke für mich nicht“, meine Namberger, der exakt eine Stunden schneller unterwegs was als vor zwei Jahren bei seinem damals sechsten Platz.

„Das Niveau war brutal hoch und die Strecke liegt mir eigentlich nicht. Sie ist zu lang und zu schnell,“ so Namberger. Er liegt Distanzen um 100 Kilometer und technisch anspruchsvollere Trails. So wie beim Eiger Ultra, den er vor wenigen Wochen gewinnen konnte. Warum er sich den UTBM dennoch antut? „Weil es das wichtigste und größte Rennen der Welt in unserem Sport ist.“

UTMB in Chamonix – Festival des Trailrunnings

Gänsehaut. Herzklopfen. Feuchte Augen. Und das schon beim Start. Wenn rund 2500 Läuferinnen und Läufer mit dem Klängen von Vangelis‘ „Conquest of Paradise“ auf die Reise geschickt werden, bebt Chamonix. Der Bergsport-Ort am Fuß des Mont Blanc zieht seit 20 Jahren die Elite des Trailrunnings an.

Nach phantastischen Trail-Weltmeisterschaften im Juni in Innsbruck, versammelt sich die Elite des Trailrunnings diese Woche wieder in Chamonix am Fuß des Mont Blanc. Dieser legendäre Berg hat dazu geführt, dass der Ultra-Trail du Mont Blanc (UTMB) selbst zur Legende wurde.

Auch wenn das Hauptrennen, die Umrundung des Mont Blanc-Massivs über 171 Kilometer, erst am Freitagabend startet, so stehen die kürzeren Distanzen über 55 Kilometer (OCC) und 100 Kilometer (CCC) dem eigentlichen UTMB kaum nach. Die Besten der Besten sind im Rahmen der UTMB World Series am Start.

Zum ersten Mal finden bei der 20. Auflage des UTMB diese sogenannten World Finals statt. Bei mittlerweile 35 weiteren Trail-Events weltweit konnte man sich für die drei Kategorien 50K, 100K und 100M (also 100 Meilen) qualifizieren. Mit dem OCC begannen die Finals in der 50K-Kategorie.

Man darf der Professionalisierung und Kommerzialisierung des UTMB nach der Übernahme durch die Ironman Gruppe kritisch gegenüberstehen. Aber wer den (Leistungs)Sport und seine Helden liebt, der kann sich dem UTMB nicht entziehen. Eine Inszenierung, die emotionaler kaum sein könnte. Eine Stimmung, die phasenweise kocht. Und Leistungen, die höchsten Respekt verdienen.

Das alles sind die Zutaten der UTMB World Series in Chamonix. Zum ersten Mal fanden diese Finals in den Wettbewerben OCC (55K), CCC (101k) und UTMB (172K) im Rahmen des 20. Dacia UTMB Mont-Blanc statt. Bei 35 Trailevents weltweit konnte man sich für die Finals in der UTMB-Woche qualifizieren. Rund 10.000 Läuferinnen und Läufer waren in den drei Final-Wettbewerben und weiteren Rahmen-Events wie dem TDS, PTL, MCC oder YCC am Start.