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Mehr als nur Sport
Laufen, feiern und genießen beim Médoc-Marathon

| Text: Stefan Schlett | Fotos: Yves Mainguy, Stefan Schlett

Der Marathon des Châteaux du Médoc ist mehr als ein Lauf über 42,195 Kilometer. Bei ihm steht neben dem Laufen das Genießen – von Wein und anderen Köstlichkeiten – im Vordergrund. Während des Laufs!

Es gibt den Kölner Rosenmontagszug, den größten Karnevalsumzug in Deutschland. Der Karnevalsumzug in Düsseldorf mit einer Länge von 5,5 Kilometern, rund 5000 Teilnehmenden und 72 Gesellschaftswagen ist die Nummer zwei. Mainz folgt mit seiner 170-jährigen Geschichte auf Platz drei. Und dann gibt es den Médoc-Marathon. Da begeben sich 8500 läuferische Narren auf eine 42,195 Kilometer lange Partymeile.

Es würden noch mehr auf die Srecke gehen, aber das Teilnehmenden-Limit liegt bei 8500. 80 Prozent der Teilnehmenden sind verkleidet, teils in aufwendigsten Kostümen. Ganze Laufgruppen ziehen, schieben, tragen oder rollen Dutzende von Persiflagewagen über die gesamte Strecke, an der insgesamt 22 Weintastings offeriert werden und 29 Musikbands für krachende Stimmung sorgen.

Neben flüssiger Verpflegung werden außerdem Frühstück, Käse, Austern, Eiscreme, Entrecôte (gegrilltes Rindersteak) und Schokoladenspezialitäten kredenzt. Es ist fast unmöglich, mehr als zwei Kilometer zu laufen, ohne durch lukullische Köstlichkeiten, edelste Rotwein-Verköstigungen, Kunst und Musik verführt zu werden!

Die Mutter aller Weinmarathons

Der Marathon des Châteaux du Médoc ist definitiv der längste Karnevalsumzug der Welt und gilt seit seiner Gründung vor knapp 40 Jahren als die Mutter aller Weinmarathons, derer es mittlerweile unzählige in mehreren Ländern gibt. Bei diesem Format steht schlemmen, feiern, genießen im Vordergrund und nebenbei wird auch noch ein Marathon gelaufen.

Läuferinnen und Läufer, die auf Bestzeiten getrimmt sind und durch Alkoholabstinenz und Körnerkuren auch noch das letzte Gramm Fett zur Optimierung weghungern, bleiben dieser Veranstaltung besser fern. Médoc wirbt zusätzlich mit dem längsten Marathon der Welt – das offizielle Logo zeigt einen angeheiterten Läufer, der im Zickzack durch die Weinberge rennt.

Laufen durch eines der berühmtesten Weinbaugebiete der Welt

Der 37. Médoc-Marathon in der Region Nouvelle-Aquitaine französischen im Département Gironde lockte auch dieses Jahr wieder Teilnehmer aus 72 Nationen, darunter so ferne Länder wie Singapur, Neuseeland, Taiwan, Australien, Südafrika und Brasilien. 900 Briten und 350 Deutsche stellten das stärkste ausländische Kontingent.

Zentrum des Geschehens ist das 5000 Einwohner zählende Städtchen Pauillac auf der Médoc-Halbinsel, das 48 Kilometer nordwestlich von Bordeaux am Ufer des riesigen Mündungsdeltas der Gironde liegt. Und somit mitten in einem der berühmtesten Weinbaugebiete der Welt.

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Rund 3000 Weingüter erzeugen hervorragenden Wein

Das Bordeaux ist ein gesegnetes Land und gilt als größtes zusammenhängendes Anbaugebiet für Qualitätswein. Unzählige Weinberge fügen sich ästhetisch in die lieblichen Landschaften der Gironde, man lebt von und mit dem Wein. Etwa 3000 Château genannte Weingüter, darunter so ehrwürdige Lagen wie Lafite-Rothschild und Mouton-Rothschild, erzeugen hier edelste Tropfen, überwiegend Rotwein.

Die wuchtigen Premier Crus und Grand Crus von Pauillac genießen Weltruf und bringen Weinliebhaber rund um den Globus in Verzückung. Eigentlich ist der Médoc-Marathon ein dreitägiges Festival, bei dem nicht nur dem Gott des Weines gehuldigt wird, der hier eine strategische Partnerschaft mit dem Marathongott eingeht, sondern auch eine Hommage an die Lebensfreude, den Genuss und die Fröhlichkeit.

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Schon die Pasta-Party ist ein Highlight

Los geht es mit der Pasta Party am Freitagabend, die so ganz anders abläuft, als man das in der Lauferszene gewohnt ist. Die Mille Pâtes (Tausend Pastas) genannte Veranstaltung findet an lang gedeckten Tafeln vor dem historischen Ambiente des Château Mauvesin Barton statt, einem Schloss-Weingut mit über 500-jähriger Geschichte.

Das 4-Gänge-Menü wird begleitet von erlesenen Tropfen aus den Weinkellern von Mauvesin Barton, dazu gibt es Livemusik und ein großes Parkett zum After-Dinner-Dance oder bereits zum warmmachen für den Marathon am nächsten Morgen.

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Alle warten auf die Akrobatikshow vor dem Start

In Frankreich nennt man so etwas „dîner spectacle“. Schon beim traditionellen Aperitif, eine Stunde vor dem offiziellen Festessen, wurde getanzt, zum Schluss stehen die Läuferinnen und Läufer sowie ihre Begleiterinnen und Begleiter auf den Tischen und zelebrieren „la fête du marathon“.

Am Samstag füllt sich schon eine Stunde vor dem Start der Startkanal mit dem närrischen Marathonvolk. Keiner will die große Akrobatikshow kurz vor dem Start verpassen. Es findet ein Schaulaufen der skurrilsten Kostüme und fantasievollsten Bagagewagen statt.

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Verkleidung ist für die meisten Ehrensache

Das diesjährige Thema, man kann es auch Kleiderordnung nennen, hieß Gastronomie. Beliebteste Utensilien sind Kochschürzen und -mützen. Zwei Läuferinnen sind als Sushi und Kaviar kostümiert. Ein Hot Dog-Verkäufer schiebt seinen Wagen vor sich her, unter seiner mit Startnummer verzierten Küchenschürze prangt ein Ironman T-Shirt. Eine orientalisch gekleidete Gruppe transportiert einen Wagen mit asiatischem Streetfood, daneben Horden von Supermännern und -frauen sowie Gladiatoren.

Asterix, Obelix und Idefix sind gleich Dutzendfach vertreten. Und wie immer sehr beliebt sind die „Nacktärsche“: vorne Schürze, hinten nichts! Hier herrscht die sprichwörtliche Narrenfreiheit. Alles Schräge, Schrille, Kuriose wird lustvoll zelebriert.

Ab in die Weinberge!

Als direkt an der Startlinie per Kran ein überdimensionales Mobile in die Höhe gehievt wird, kehrt andächtige Ruhe ein. Die darauffolgende Performance einer Artistentruppe ist atemberaubender als das gesamte Rennen!

Und Punkt 9:30 Uhr wird mit viel Tamtam die ganze Meute losgelassen. Bereits seit einer halben Stunde ist – wie bei der Tour de France – die Werbekarawane unterwegs. Das festliche und kreative Eröffnungsdefilée fährt dem Marathonfeld voraus.

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Und zwischendurch: ein Schluck Wein

Es geht aus Pauillac hinaus und direkt hinein in die Weinberge. Vorbei an 63 Châteaux erwarten die Läufer 22 Versorgungsstände, die zur Weinprobe laden. Ein paarmal werden die köstlichen Tropfen statt in Plastikbechern sogar stilvoll in richtigen Weingläsern kredenzt. Dabei wird natürlich nicht gesoffen, sondern eine kleine Menge des Rebensaftes genussvoll geschlürft und zwei Becher Wasser zum Neutralisieren hinterhergekippt.

Bis zum nächsten Tasting, drei Kilometer weiter, ist der Alkohol bereits wieder verdampft … Einige der zahlreichen Zuschauerinnen und Zuschauer haben sogar zusätzliche Weinprobierstände aufgebaut. Natürlich staut sich beim Ausschank und den dargebotenen Köstlichkeiten regelmäßig die Masse der Laufenden, was aber niemanden zu stören scheint.

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Ein kulinarisches Highlight nach dem anderen

Keiner hat es hier eilig. Schnell sein muss man bei diesem Marathon lediglich beim Anmelden, auch dieses Jahr war der Event wieder innerhalb von 48 Stunden ausgebucht. Nur eine handvoll „Streber“ sprinten vorneweg, um das Ding zu gewinnen. Als Belohnung für ihre Abstinenz werden die Siegerin und der Sieger in Wein aufgewogen.

Bei Kilometer 35 ist der nördlichste Punkt der Strecke erreicht. Nach einem kleinen Schlenker durch die Reben geht es auf die 5 Kilometer lange Zielgerade entlang der Gironde. Wer jetzt meint, noch zu einem Endspurt ansetzen zu müssen, wird durch die finale Genussmeile wieder ausgebremst. Austern – 18.000 werden im Verlaufe des Rennens verköstigt – bei Kilometer 38, Entrecôte bei Kilometer 39, Eiscreme bei Kilometer 40. Diesem lukullischen Feuerwerk kann sich keiner entziehen!

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Der Besenwagen lässt sich Zeit

Natürlich ist man hier viel länger als bei einem „normalen“ Marathon unterwegs. Das offizielle Zeitlimit von 6:30 Stunden legen die Organisatoren großzügig aus und nach rund 7:30 Stunden werden auch die letzten als Clowns, Köche, Metzger oder Asterix verkleideten „Genussathletinnen und -athleten“ im Ziel empfangen. Atemlos geht es weiter, zahllose Köstlichkeiten warten auf der breiten Platanenallee hinter der Zielgeraden. Um 22:30 Uhr gibt es ein Feuerwerk, die Tanzparty startet um 23 Uhr und offizieller „Zielschluss“ ist dann einen halbe Stunde nach Mitternacht.

Aber noch ist die Party nicht zu Ende! Kommentar auf der Website des Rennens: „Natürlich hast du es nicht eilig, uns zu verlassen! Wir bringen es ebenfalls nicht über das Herz, dich gehen zu lassen … Dann komm doch zur Weinbergwanderung am Sonntagmorgen“. 3000 Marathonläuferinnen und -läufer folgten diesem Aufruf!

Und am Tag danach? Wird gewandert!

Die Wanderung startete in Moulis-en-Medoc, 20 Kilometer südlich von Pauillac. 10 Kilometer durch gepflegte Weinberge und edle Weingüter, um die steifen Beine vom Vortag zu lockern, bei strahlendem Sonnenschein und stahlblauem Firmament. Und natürlich noch mehr Wein und Leckereien.

Ziel vor dem Château Mauvesin Barton, wo der 37. Marathon des Châteaux du Médoc zum grande finale mit gastronomischen Mittagessen, Musik und Tanz einen würdigen Ausklang fand. Dann durften die Weinläufer und -läuferinnen endlich die Heimreise antreten. Was für ein verrücktes Marathonwochenende!

Das ist der Médoc-Marathon

Der Lauf findet immer am 1. Samstag im September statt. Es ist ein kompaktes Eventwochenende. Am Freitag Registrierung und mondäne Pasta Party. Am Samstag der Marathon und am Sonntag die Weinbergwanderung. Sämtliche Aktivitäten neben dem Marathon sind nur mit Voranmeldung und gegen Aufpreis zu buchen.