#gemeinsammehrbewegen-Preis 2023
Preiswürdig (Teil 1): Ein Lauftreff, der im Chaos nach der Flut hilft

| von Joël Kruse

Wir stellen Aktionen vor, die zeigen, wie Laufen das Leben verbessert. Dann entscheidest du mit, wer den „#gemeinsammehrbewegen-Preis“ 2023 erhält. Ein Kandidat: Der Lauftreff des TuS Ahrweiler 1898 e.V.

1.400 Mitglieder in zwölf Abteilungen und eine langjährige Tradition – bis zum 14. Juli 2021 war der TuS Ahrweiler ein Sportverein wie viele andere in Deutschland. Dann kam die Jahrhundertflut und am Morgen des 15. Juli 2021 war nichts mehr so, wie es einmal war. Die gigantische Flutwelle zerstörte Gebäude, riss Menschen in den Tod und hinterließ ein breites Band der Zerstörung. Das Unfassbare war passiert: Die eher beschauliche Ahr war auf über sieben Meter angeschwollen, mehr als das Doppelte vom historischen Höchststand vom 2. Juni 2016.

„Alle Sportstätten waren zerstört und auch unser ganzes Inventar“, sagt Sabine Schenke, seit 2018 hauptamtliche Geschäftsführerin des TuS Ahrweiler. „Kurz vor unserem 125-jährigen Vereinsjubiläum mussten wir wieder komplett bei Null anfangen und lernen, mit den psychischen Belastungen der Katastrophe umzugehen.“ Leichter gesagt als getan. Aber den Menschen im Ahrtal blieb nichts anderes übrig. Entlang der Ahr im Landkreis Ahrweiler leben rund 56.000 Menschen. Davon haben mindestens 17.000 Personen unmittelbar Hab und Gut verloren oder standen vor erheblichen Schäden, so die Schätzung auf Basis der Satellitenauswertung.

Vielen Betroffenen blieb als einziger Trost, überlebt zu haben. Hoffnung machte die überwältigende Anteilnahme, die deutschlandweite Hilfe und die tatkräftige Unterstützung durch die Bevölkerung sowie die Gemeinschaft, die letzte Kräfte mobilisierte. Schnell wurde erkannt, dass trotz körperlicher Belastung durch die Aufräumarbeiten, Bewegung und Sport in der Gemeinschaft wohltuende Ablenkung ist.

So wird der #gemeinsammehrbewegen-Preis vergeben

Wir finden: Die Macher des Lauftreffs beim TuS Ahrweiler sind gute Kandidaten für den mit 1000 Euro dotierten #gemeinsammehrbewegen-Preis, den der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) und laufen.de unterstützt von DATEV in diesem Jahr vergeben. Der Preis wird am 1. Dezember bei unserer großen Lauf-Gala in Bergisch-Gladbach verliehen, wo wir gemeinsam mit German Road Races, der Vereinigung der großen Laufveranstaltungen im deutschsprachigen Raum, auch die Läuferinnen und Läufer des Jahres ehren. Wer den Preis erhält, entscheidet jetzt die Community von laufen.de. Die Gewinner-Initiative wird zur Laufgala nach Bergisch-Gladbach eingeladen.

#gemeinsammehrbewegen: Die ganze Story des TuS Ahrweiler 1898 e.V

So half auch der Lauftreff- und die (Nordic-)Walking Gruppe in der Leichtathletik-Abteilung, mit der sich der TuS Ahrweiler für den „#gemeinsammehrbewegen-Preis“ 2023 bewirbt, den Menschen, die Folgen der Flut zu bewältigen. Während im Tal das Chaos regiert, treffen sich regelmäßig rund 20 Mitglieder des Lauftreffs zunächst hoch oben in den Weinbergen. „Das gemeinsame Laufen und Walken hat uns sehr geholfen, den Kopf frei zu bekommen, das Erlebte besser zu verarbeiten und unser Seelenwohl zu verbessern“, sagt Sabine Schenke.

Diesen besonderen Lauftreff, eine Institution in Ahrweiler seit 1983, konnte auch eine sieben Meter hohe Flutwelle nicht zerstören. Denn Laufen und Walken geht immer. In diesem Fall immer mittwochs um 19 Uhr. Ein in Stein gemeißelter Termin. Die Gruppe trifft sich bei Wind und Wetter, ohne Wenn und Aber und inzwischen auch wieder am altbewährten Treffpunkt dem Ahrtor. Und zur Belohnung gibt es anschließend seit eh und je süßen Tee.

Gelebte Inklusion: Beim TuS Ahrweiler sind alle Menschen willkommen

2015 haben Sabine Schenke und Arne Heuser, 1. Vorsitzender des Gesamtvereins, die Leitung von Gründer Hardy Hoss übernommen. „Wir sind ein schöner gemischter Haufen“, sagt Sabine Schenke. Will sagen: Hier versammeln sich Menschen, die sich gemeinsam bewegen wollen. Herkunft, Bildung, Familienstand oder Alter spielen keine Rolle. Es geht nicht um Leistungssport, hier steht das gemeinsame Erlebnis in der Natur im Vordergrund. So wie wohl bei den meisten der rund 3.500 Lauftreffs in Deutschland. „Uns ist außerdem Inklusion sehr, sehr wichtig“, betont Sabine Schenke. Man ist offen für Menschen mit Einschränkungen. „Nichts ist einfacher, als in der sportlichen Gemeinschaft Barrieren zu überwinden“, sagt die 55-Jährige und ergänzt: „Bei uns sind alle Menschen herzlich willkommen, sobald Laufen oder das sportliche Walken möglich sind. Für Menschen mit weiterreichenden Beeinträchtigungen bieten wir alternative Sportangebote in unserem Verein an.“

„Gemeinsam mehr bewegen“, sei dabei das Motto, das sich der Lauftreff praktisch auf die Fahne geschrieben habe. Der gemeinsame Spaß an der Bewegung in der Natur im wunderschönen Ahrtal und die damit verbundene Auszeit vom Alltag stehe zwar im Vordergrund, darüber hinaus seien aber auch gemeinsame Aktionen sehr wichtig. „Anfang Juli jeden Jahres organisieren wir zusammen unseren AHRTuS-Lauf, ein Volkslauf für die ganze Familie, sowie gemeinsame Wanderungen, Trainingseinheiten mit geselligem Abschluss, Zeitschätzläufe oder ähnliches“, berichtet Sabine Schenke. Beim Zeitschätzlauf muss jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin seine Zielzeit schätzen und wird ohne Uhr oder Handy auf die Strecke geschickt. Wer am nächsten an der geschätzten Zeit dran ist hat gewonnen. „Wir legen viel Wert auf das unbeschwerte, zwanglose Beisammensein und den sozialen Austausch, denn wir sind nicht nur Sportler, sondern es haben sich auch Freundschaften entwickelt“, so Sabine Schenke.

  • Fotos: imago images/Eibner, Funke

Auch zwei Jahre nach der Flut wird noch in Provisorien trainiert

Immer wieder stelle sie überrascht fest, wie gemeinsame Bewegung Menschen zusammenführe, die im „normalen Leben“ nie zueinander finden würden. „Die Wichtigkeit des sozialen Kontaktes innerhalb unserer Gruppe ist uns insbesondere in den Monaten nach der Flutkatastrophe aufgefallen, als wir uns gegenseitig unterstützt, ausgetauscht oder einfach nur unsere Seelen mit unserer Auszeit balsamiert haben. Wir sind stolz darauf, Teil dieser Gruppe zu sein und möchten unsere Begeisterung für den Lauftreff mit anderen teilen“, sagt sie.

Auch über zwei Jahre nach der Flutkatastrophe ist im Ahrtal längst noch nicht der Alltag eingekehrt. Bei den Sportvereinen sowieso nicht. Die tiefen Wunden, die der Fluss gerissen hat, sind überall spürbar und auch sichtbar. Laut einer SWR-Datenanalyse wurden von den 4.200 Gebäuden entlang der Ahr mehr als 3.000 beschädigt. Das sind mehr als 70 Prozent. Fußballplätze, Sporthallen, Vereinsheime wurden quasi über Nacht ausradiert. Die Erfolge beim Wiederaufbau sind sehr zart. Trainiert wird in Provisorien, wie beispielsweise einem Sportzelt, das der TuS Ahrweiler für Frauengymnastik und Mutter-Kind-Turnen nutzt.

„Ein paar Kilometer unseres Wiederaufbau-Marathons haben wir dank der Unterstützung von vielen Seiten schon geschafft. Aber es gibt noch über Monate hinweg unendlich vieles zu tun. Überwältigend ist die deutschlandweite Hilfsbereitschaft. Insbesondere von Sportvereinen und Sportverbänden, das macht uns Mut für den Wiederaufbau“, schreibt der TuS Ahrweiler auf seiner Internetseite. Stand Ende August 2023 waren zwei von sieben Sporthallen wiederhergestellt – ein Hoffnungsschimmer. „Wir müssen auch zwei Jahre nach der Flut immer noch sehr viel improvisieren“, sagt Sabine Schenke. Hoffnung mache ihr der Zusammenhalt, die Gemeinsamkeit und der unbedingte Wille. „Daran sieht man, wie wichtig der Sport ist und welche Kraft er hat.“