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Everest-Marathon
Der höchste Marathon der Welt

| Text: Stefan Schlett | Fotos: EverestMarathon.com, Stefan Schlett

Der Everest-Marathon: Ein Lauf zwischen 3440 und 5364 Metern – eine unglaubliche Herausforderung und ein einmaliges Erlebnis. laufen.de-Autor Stefan Schlett war 1991 als erster Deutscher dabei.

Ein Ultra-Marathon vor dem Marathon – so kann man bezeichnen, was in den 1990er-Jahren nötig war, um am Everest-Marathon teilzunehmen. Schon eine Flugreise nach Kathmandu, Hauptstadt von Nepal, dauert so einige Zeit. Doch das ist Nichts gegen das, was danach kommt, wenn man 1991 am Mt. Everest-Marathon teilnehmen wollte. So wie laufen.de-Autor Stefan Schlett, der damals als erster deutscher Teilnehmer bei der 3. Auflage des höchsten Marathons der Welt dabei war.

Denn danach ging es in einer zehnstündigen Busfahrt von Kathmandu über chaotische Hochgebirgspisten ins 1900 Meter hoch gelegene Städtchen Jiri. Und von dort waren damals 17 Tage Anmarschweg über 200 Kilometer nötig, um zum Startplatz Gorak Shep auf 5184 Metern Höhe zu kommen, das noch zwei Fußstunden vom Mt. Everest Basislager (5364 m) entfernt ist.

Gepäck wird in Nepal oft mit Yaks transportiert, oder von Menschen, die schwere Lasten tragen.

Kontrovers diskutierte Premiere

Die letzten fünf Tage Fußmarsch führten über die Marathonstrecke, die nach dem Start an einem Novembermorgen bei -22° Celsius über Gletscher, Geröllhalden, Singletrails, Wildwasserflüsse und wackelige Hängebrücken, zwar überwiegend abwärts, aber nicht ohne einige brutale Gegenanstiege, ins 3446 Meter hohe Namche Bazar führte.

Trotz der dreiwöchigen Akklimatisation mussten noch am Tag vor dem Start sechs Athleten wegen Höhenkrankheit ein paar hundert Meter absteigen. In dieser Höhe beträgt der Sauerstoffpartialdruck nur 54 Prozent, das heißt der Körper erhält nur knapp halb so viel Sauerstoff wie in Meereshöhe.

60 von 70 Teilnehmern erreichten das Ziel zwischen 4:04:08 und 10:10:34 Stunden. Einen Monat dauerte die „Marathonexpedition“ insgesamt und wurde bei der Premiere 1987 von Experten, Presse und Medizinern ähnlich kontrovers diskutiert und heftig kritisiert, wie ein knappes Jahrzehnt vorher die Erstbesteigung des Mt. Everest ohne Sauerstoff durch Reinhold Messner und Peter Habeler.

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Auch wenn heute die Anreise deutlich kürzer ist als bei den ersten Ausgaben des Everest-Marathons,
einen Teil der Strecke zum Start muss man immer noch zu Fuß zurücklegen.

Erstes Rennen 1985 über 13 Kilometer

Wie es überhaupt zu dem Event kam? Im Oktober 1985 hatten sich der Londoner Künstler Jan Turner und Tony Hunt, Antiquitätenhändler aus Norfolk, auf den Weg zum Everest gemacht. Als sie Namche Bazar, die legendäre „Hauptstadt der Sherpas“ erreichten, beschlossen sie, ein 13 Kilometer langes Rennen von Namche nach Tengboche und wieder zurück abzuhalten. Tengboche ist ein weltbekanntes Buddhisten-Kloster, sowohl religiöses als auch kulturelles Zentrum des Distrikts Solukhumbu, wie die Region um den Everest offiziell heißt.

14 Läufer aus sechs Ländern machten sich auf den Weg, zwölf kamen ins Ziel (niemand weiß, was mit den anderen beiden passiert ist!). Und zwei Nepalesen teilten sich den Sieg in 3:07 Stunden. Die Einheimischen hielten sie alle für völlig verrückt, genossen aber das Spektakel.

Jan Turner und Tony Hunt kehrten mit der Idee nach Hause zurück, einen kompletten Marathon zu veranstalten, um Geld für nepalesische Hilfsorganisationen zu sammeln. Ein Jahr später fanden sie mit der Britin Diana Penny Sherpani, Chefin der Trekkingagentur Bufo Ventures Ltd., und dem Profifotografen Rob Howard die richtigen Leute. Nach einer nächtlichen Sitzung in Rob Howards Wohnung standen Plan und Termin für das erste Rennen am 27.11.1987.

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Keine Verletzungen, keine Krisen: Die Premiere ist ein Erfolg

Noch nie wurde bis dahin ein Wettkampf in dieser Höhe ausgetragen und es gab jede Menge Kritik aus der Ärzteschaft und der Presse. Der Daily Telegraph brachte einen Artikel mit dem Titel „Marathon-Wahnsinn am Berg – das Rennen, das sie zu verbieten versuchten“. In der Hauptsache befürchtete man Tote und Schwerverletzte aufgrund von aktiver Höhenkrankheit sowie fehlender Rettungskapazitäten.

Doch die Organisatoren hatten ihre Hausaufgaben gemacht und sich gewissenhaft auf alle Eventualitäten vorbereitet. Es gab weder Verletzungen noch Krisen, alle Teilnehmenden erreichten den Start auf 5184 Metern. 42 Finisher sowie drei Läufer, die eine kürzere Distanz (32 km) zurücklegten, waren das Resultat. Die Veranstaltung war ein voller Erfolg und hielt Einzug ins Guinness-Buch der Rekorde als Marathon mit der höchsten Startlinie der Welt.

Eine der Schlüsseltaktiken zum Erfolg: Insgesamt neun britische Höhenmediziner begleiteten das rund 100-köpfige Trekkingteam, bestehend aus Läufern, Trägern, Sherpas und Organisatoren. Aufgeteilt in Gruppen war jeder Arzt für circa elf Personen zuständig.

Weitere Veranstaltung seit 2003

Zudem konnte so während des Rennens an jeder der alle fünf Kilometer aufgebauten Versorgungsstationen ein Arzt positioniert werden, womit verhindert wurde, das mehrtägige Fußmärsche notwendig waren, um Verunfallte zu erreichen und zu versorgen. In dieser Zeit gab es in Nepal nur rudimentäre Kapazitäten für eine Helikopterevakuierung. Schöner Nebeneffekt: Auch unzählige Einheimische, die sonst tagelange Fußmärsche bis zur nächsten Sanitätsstation auf sich nehmen mussten, erhielten im Lauf der Expedition ärztliche Hilfe.

Der Everest-Marathon fand nach der Premiere im Zweijahresrhythmus statt, bis 2003 anlässlich des 50. Jahrestages der Besteigung des Everest durch Tenzing Norgay Sherpa und Sir Edmund Hillary, die Nepalesen eine Konkurrenzveranstaltung ins Leben riefen.

Gefördert vom Nepal Tourism Board und mit offizieller Genehmigung der Regierung organisierte das nepalesische Reiseunternehmen Himalayan Expeditions den ersten Marathon mit Start im Mount Everest Basislager. Seitdem findet das Event jährlich am 29. Mai, dem Tag der Erstbesteigung, der in Nepal auch ein Feiertag ist, als Tenzing Hillary Everest Marathon (THEM) statt.

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Mit Ausnahmegenehmigung ins Basislager am Mount Everest

Bis dahin wurde noch keiner Trekking- oder Laufgruppe die Genehmigung erteilt, im Basislager zu übernachten, dies ist nur Expeditionsmitgliedern in Vorbereitung auf eine Besteigung des Berges erlaubt. Bis heute gilt diese Ausnahmegenehmigung ausschließlich für den THEM, dessen Teilnehmende vor dem Start zwei Nächte biwakieren dürfen.

In den Folgejahren kam noch ein „Extreme Ultra“ über 60 Kilometer mit einem Abstecher ins Gokyo Tal hinzu, der 2023 auf 70 Kilometer erweitert wurde – Anlass war das 70-jährige Besteigungsjubiläum. Zudem gibt es einen Halbmarathon, der im 1000 Meter tiefer gelegenen Dingboche (4359 m) startet.

Besonderer Nervenkitzel: Landung und Abflug am Abgrund

Heute werden sämtliche Trekkingtouristinnen und -touristen sowie Bergsteiger und Bergsteigerinnen von Kathmandu mit einer der inländischen Fluggesellschaften nach Lukla geflogen, was das Unternehmen um mindestens eine Woche verkürzt. Den Marsch von Jiri ins Solukhumbu nehmen nur noch die Puristen auf sich.

Dafür müssen moderne Trekking- und Expeditionstouristinnen und -touristen zuerst einmal ihre eigenen Dämonen überwinden, denn der 2846 Meter hohe Tenzing-Hillary Airport gilt als einer der am schwierigsten anzufliegenden Flugplätze der Welt. Auf einem YouTube-Video mit den „10 gefährlichsten Airports der Welt“ taucht er auf Platz 1 auf.

Der Altiport, wie solche Plätze in der Fliegersprache genannt werden, hat nur eine 527 Meter lange Start- und Landebahn, die an einem Hang mit 12 Prozent Gefälle liegt. Gelandet wird bergauf, gestartet bergab, und zwar jeweils über einen 600 Meter tiefen Abgrund. Geflogen werden kann nur bei gutem Wetter und Sichtflugbedingungen, weshalb es manchmal zu tagelangen Verzögerungen kommen kann.

Zwölf Tage hochalpines Trekking zum Start

1991 wurden die Laufenden nach dem Marathon von Lukla (zwei Tagesmärsche vom Zieleinlauf in Namche Bazar entfernt), das damals nur über eine Graspiste verfügte, an deren Rand ein altes Flugzeugwrack vom letzten Crash verrostete, per Helikopter evakuiert. Heute hat der Platz einen asphaltierten Runway und verzeichnet 15.000 Starts und Landungen pro Jahr. Ein kleiner Heliport ist noch dazugekommen.

Wem die Propellerflüge mit den Kleinmaschinen des Typs De Havilland, Twin Otter, Dornier oder LET zu heikel sind, hat immer noch die Wahl, das entsprechende Kleingeld vorausgesetzt, sich mit einem Helikopter in die Everest-Region fliegen zu lassen.

Von Lukla erwartet die Läuferinnen und Läufer ein zwölftägiges hochalpines Trekking bis zum Start im Basecamp. Mit leichten Tagestouren zwischen vier und 13 Kilometern wird die Schlafhöhe stetig ein paar hundert Meter nach oben verschoben, um eine adäquate Höhenakklimatisierung zu gewährleisten.

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Bis 2009 war Gorak Shep Start des Everest-Marathons. Heute wird auf dem Weg zu
Start hier ein Ruhetag eingelegt und man kann den Kala Patthar besteigen.

Strapaziöses Leben in bizarrer Umgebung

In Namche Bazar (3446 m) und Dingboche (4359 m) werden jeweils ein Ruhe- und Akklimatisationstag eingelegt. In Gorak Shep (5184 m), dem ehemaligen Startplatz des „Original Everest Marathon“ (letzte Austragung 2009), gibt es einen weiteren Ruhetag mit der Option, den Aussichtsberg Kala Patthar (5644 m) zu besteigen.

Dies ist nach dem Prinzip „go high, sleep low“ nicht nur vorteilhaft für die Akklimatisation, sondern eröffnet auf dem Gipfel einen atemberaubenden Rundblick auf den Everest und das Khumbutal, die Traumgipfel Nuptse und Pumori scheinen zum Greifen nahe. Und nur von hier ist auch der Südsattel (8000 m) des Everest zu sehen, wo die Expeditionen das letzte Hochlager vor dem Gipfelgang aufbauen.

Das Mt. Everest Basislager (5364 m) ist eine Pop-up-Stadt, die in der Besteigungssaison von März bis Mai auf der Moräne des Khumbu-Gletschers aufgebaut wird, rund 1500 Menschen beherbergt und jährlich von etwa 40.000 Trekkingtouristinnen und -touristen besucht wird. Das Leben hier oben ist strapaziös, die Umgebung surreal und bizarr. Jeder Schritt und jeder Handgriff bedeuten eine enorme Anstrengung.

Tagsüber kann es in der Sonne bis zu 30° Celsius heiß werden, nachts stürzt die Temperatur mitunter auf -20° Celsius ab. Zwei Nächte verbringen die Marathon- und Ultraläufer und -läuferinnen in dieser Außenstation der Menschheit, neben dem Lauf selbst das zweite große Highlight dieser Tour.

Ein Abenteuerlauf und einen einschneidende Lebenserfahrung

Die 2023er Edition des THEM sah 20 Ultras, 164 Marathonis und 17 Halbmarathonis am Start. Wie in den vergangenen Jahren üblich siegten Läuferinnen und Läufer aus Nepal, in dem es mittlerweile einen ganzen Pool an Topathletinnen und -athleten gibt. Nur den Halben beendete die Australierin Emma Williams als Gesamtsiegerin, was der Tatsache geschuldet war, dass bei der „Kurzdistanz“ keine Einheimischen antraten.

Der höchste Marathon der Welt ist ein Abenteuerlauf, der Körper, Seele und Geist enorm fordert, aber von jedem gut trainierten und vorbereiteten Langstreckenläufer oder -läuferin bewältigt werden kann.

Die dreiwöchige Expedition ab Nepals Hauptstadt Kathmandu wird von Himalaya Expeditions und seinen höhenerfahrenen Experten, darunter auch einige die bereits auf dem Gipfel des Mt. Everest standen, seriös organisiert. In die bizarren und atemberaubenden Hochgebirgswelten des Solukhumbu vorzudringen, ihre faszinierenden Menschen, die Kultur und Religion kennen zu lernen, ist eine einschneidende Lebenserfahrung.

Die Standardtour des Everest-Marathons ...

... dauert 20 Tage und beinhaltet sämtliche Transfers, 4 Tage Hotelübernachtung in Kathmandu, 2 Inlandsflüge, Nationalpark- und Trekkinggebühren, die komplette Trekkingtour mit Führern, Trägern und Unterkunft in Lodges auf Doppelzimmerbasis und Vollpension. Im Basecamp gibt es nur Zelte. Daneben gibt es mehrere Optionen, um die Tour zu variieren.