Ein Marathon mit Herz
50 Jahre Bienwald-Marathon

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Bevor der Laufsport seinen Boom erlebte und große Unternehmen bei der Organisation mitmischten, lebten Events nur von einem: Leidenschaft. In Kandel ist das bis heute so.

Ein Geheimtipp unter den Marathon Events

Der Bienwald-Marathon ist nicht unter den größten oder beliebtesten Laufevents Deutschlands - 2024 schafften es 1877 Läuferinnen und Läufer, entweder nach 21 oder 42 Kilometern über die Ziellinie. Das Zeitlimit liegt bei fünf Stunden, da eine längere Straßensperrung der Stadt nicht möglich ist. Und statt vorbei an bekannten Denkmalen und Wahrzeichen führt die Strecke durch Kandel, Minfeld und den Bienwald. Der Marathon in Kandel versucht nicht wie die großen Städtemarathons zu sein. Und das muss er auch nicht! Denn er hat seinen eigenen Charme – und seine Geschwindigkeit. Denn der Bienwald-Marathon ist mit seiner asphaltierten, gradlinigen Strecke unter den fünf schnellsten Marathon-Veranstaltungen in Deutschland! Die zahlreichen Bäche und Rinnsale, die den Bienwald durchziehen sorgen dafür, dass es beim Laufen nicht langweilig wird. Ganze 151 gefährdete und seltene Pflanzenarten fühlen sich hier wohl, darunter sogar gefährdete Orchideenarten und ein ganz besonderer Zuschauer: die in Deutschland gefährdete Waldkatze.

Mr. Bienwald-Marathon

Die 9212 Einwohnerstadt Kandel liegt in Rheinland-Pfalz, etwa 12 Kilometer von der französischen Grenze entfernt. Die nächstgrößeren Städte sind Landau und Karlsruhe. Und genau in die Fächerstadt zieht es das junge Lauftalent Roland Schmidt nach dem Abitur. Während des Studiums lässt seine Begeisterung für den Sport keinesfalls nach und beflügelt vom frischen Wind des Internationalen Leichtathletik Fests, kehrt der 34-jährige 1976 mit einer klaren Vision nach Hause zurück. Nämlich, einen eigenen Marathon in Kandel zu gründen.

Gesagt, getan! Einen Leichtathletik Verein gab es in Kandel schon seit 1925, die Laufabteilung war jedoch zur Gründungszeit des Marathons etwas verstaubt. „Beim ersten Marathon hatten wir unser Wettkampfbüro noch in einem Nebenzimmer, zwischen den Sportkabinen“, erinnert sich der mittlerweile 82-jährige zurück „aber Enthusiasmus im Verein war von Anfang an da.“

Im Jahr 1976, nach mühseliger Streckenplanung und -vermessung gehen im März schließlich 95 Läufer und eine Läuferin an den Start. 77 von ihnen schaffen es nach 42,195 Kilometern auch wieder über die Ziellinie. Der erste Marathon führt noch 10 Kilometer durch die Innenstadt, bevor die Teilnehmenden sich in Richtung des rund 120 Quadratkilometer großen Naturschutzgroßprojekts Bienwald machen. Das habe allerdings nicht so gut funktioniert, erzählt Roland Schmidt. „Die Läufer und Bevölkerung haben nicht mitgezogen“, erinnert er sich. Seitdem ist die Strecke fast ausschließlich ein Naturerlebnis mit vielen schier endlosen Geraden und kaum Kurven. Genau so mag es der Gründer. „Viele sagen sie möchten beim Laufen nicht so weit vorrausschauen, weil es mental eine große Herausforderung ist. Aber die Geraden machen die Strecke so unglaublich schnell. Auch ich bin hier meine persönliche Bestzeit gelaufen.“ Die Geschichte des Bienenwald Marathons ist eng mit der Lebensgeschichte Roland Schmidts verflochten.

Die Geschichte des Bienwald Marathons: Von Bierkrügen zu Deutschen Meisterschaften

Es dauert nicht lange bis die Siegerehrung vom Nebenzimmer in die Stadthalle umzieht. Ab dem dritten Lauf nimmt das Event langsam andere Dimensionen an. Seit 1979 bringt der Bienwald Express Familie und Freunde zum Anfeuern an zwei Punkte an der Strecke. Auch nach dem Marathon geht es in Kandel heiter zu. Das Bier fließt und die Läuferinnen und Läufer werden mit der regionalen Spezialität „Pfälzer Saumagen“ belohnt. Als Preise werden Weine aus der Pfalz überreicht und die Teilnehmenden sitzen oft noch bis in die Abendstunden zusammen.

Gründer Roland Schmidt versteht es schon früh mit dem Geist der Zeit zu gehen. Der Bienwald-Marathon wird zu einem der ersten Events, dass eine digitale Ergebnisliste veröffentlicht. Schon 1980 werden die Zeiten der Läuferinnen und Läufer über einen Großrechner veröffentlicht, 11 Jahre bevor die erste Website im Word Wide Web auftaucht. Im selben Jahr wird auch der Kandler Halbmarathon gegründet, der fast zwei Jahrzehnte als separates Event existiert, bevor er mit dem Bienwald-Marathon verschmilzt.

Mit den Deutschen Meisterschaften 1984 und 1989 etabliert sich der Bienwald- Marathon endgültig in der deutschen Laufcommunity. In den 80er Jahren sind die heute großen Stadtmarathons noch nicht so präsent und auch kleine Events haben die Möglichkeit sich die Ausrichtung zu sichern. So werden bei der ersten DM in Kandel damalige Marathon-Rekordzeiten von 2:14:25 bei den Männern und 2:38:13 bei den Frauen aufgestellt. Ralf Salzmann schafft es sogar trotz suboptimalen Temperaturen von Kandel nach Los Angeles zu den Olympischen Spielen.

Generationenwechsel in Kandel

2020 übernimmt der ehemalige Trainer der Kandler Leichtathleten Markus Poth die Organisationsleitung. „Für mich ist es eine enorme Ehre, dass ich dieses „Baby“ übernehmen durfte“, verrät er ihm Interview. Schon als Kind hat er bei der Zielversorgung und beim Auslotsen der Strecke geholfen, ist mit dem Fahrrad zwischen dem Ziel im Stadion und den Wendepunkten auf der Strecke hin- und hergefahren. „Ich war nie ein guter Läufer“, gibt der bisher zweite Organisationsleiter zu „Irgendwie bin ich in die Planung einfach reingerutscht, und wegen den Leuten geblieben “.

Ehrenamt und familiärer Charakter werden in Kandel großgeschrieben. Es gibt jedes Jahr bis zu 150 Kuchenspenden und der Kaffee kostet seit Jahren immer noch einen Euro. Markus Poth und seinem Team ist es wichtig, dass das Event nicht zu sehr kommerzialisiert wird. Die gesamte Planung wird von Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtlern übernommen. 200 Menschen aus Kandel helfen am Tag des Marathons bis zu 2000 Teilnehmende zu verpflegen. In der Stadt kennt jeder den Lauf, der seit Jahrzehnten vom Herzblut und der Leidenschaft des Teams lebt.

Corona: Die Zerreisprobe

Diese Leidenschaft wurde bisher nur einmal auf die Probe gestellt. Ende Februar 2020 als es wegen den steigenden Corona Fallzahlen kritisch wird entschließt sich Markus Poth schweren Herzens den Bienwald-Marathon abzusagen. Als Ausgleich wird ein virtueller Lauf organisiert, „aber das war natürlich nicht dasselbe“. Alle Angemeldeten hatten die Möglichkeit die Startgebühr zurückzuerhalten oder zu spenden. Vom sogenannten Marathonsterben war der Bienwald-Marathon zum Glück nicht betroffen, aber die ungewisse Zeit der Pandemie war besonders für die ehrenamtlich engagierten eine mentale Belastung.

Umso größer die Freude, als es nach der Pandemie-Pause erstmals im Herbst an den Start ging – wenn auch unter strikten Bedingungen. Die Strecke muss aufgrund der Corona-Richtlinien verändert und somit auch neu vermessen werden. Die Läuferinnen und Läufer müssen am 3. Oktober 2021 im eingezäunten Startbereich mit Masken anlaufen. Diese dürfen erst zur Seite geworfen werden, nachdem genug Abstand zwischen einander aufgebaut wurde. „Es war ein bizarres Bild“ erinnert sich Markus Poth.

50 Jahre Bienwald-Marathon

Mittlerweile läuft in Kandel alles wieder normal. Ab und zu verirrt sich sogar internationales Publikum in die Stadt. „2023 schrieb uns ein Mann aus der Ukraine eine E-Mail“, erzählt der Organisationsleiter „er hatte eine Woche Fronturlaub bekommen, um seine Familie in Mainz zu besuchen und wollte unbedingt einen Marathon laufen. Wir versorgten ihn mit einem Freistart und er verbrachte einen seiner wertvollen Tage bei uns in Kandel. Wie er ausgerechnet bei uns gelandet ist, weiß ich aber auch nicht.“ Auch aus Australien und Singapur reisten schon Teilnehmer an.

2025 feiert der Bienwald-Marathon sein 50-jähriges Jubiläum. Das Bier ist mittlerweile alkoholfrei, aber am regionalen, familiären und naturverbundenen Charakter hat sich auch nach einem halben Jahrhundert nichts verändert. Zur Feier des Anlasses wird es zum ersten Mal Live Musik und eine Pasta Party am Vorabend des Laufes geben. Und am 9. März 2025 geht es für die Läuferinnen und Läufer in Kandel wieder auf Bestzeitenjagd!