Der optimale Lauf
6 Expertentipps für den perfekten Wettkampf
Du hast fleißig trainiert, dein Wettkampf steht kurz bevor. Jetzt in den letzten Tagen bloß nichts mehr falsch machen! Unser Experte Carsten Eich weiß, wie der Wettkampf ein Erfolg wird.
Der Wettkampf, für den du so viel trainiert hast, steht kurz bevor. Jetzt noch mal richtig Gas geben auf der Zielgeraden? Nein! Stop! Das wäre genau das Falsche.
Direkt vor dem Wettkampf heißt es: Einen Gang zurückschalten und die Form kommen lassen. Hier liest du alles Wichtige zur Zeit vor dem Wettkampf und zum Lauf selbst: Wieso ist es wichtig, es in den letzten Tagen ruhiger angehen zu lassen? Wie gestaltet man die letzte Woche vor dem großen Tag?
Wie gibt dir ein Testwettkampf Selbstvertrauen und Sicherheit? Warum solltest du am Wettkampftag auf Gewohntes setzen? Wie teilst du dein Rennen ein und genießt es? Wir beantworten deine Fragen und verraten, was es auch nach dem Rennen noch zu beachten gibt.
1. Tapering: Der entscheidende Kick auf dem Weg zur Topform
Dein geplanter Wettkampf steht kurz bevor. In den letzten Wochen und Monaten standen unzählige Einheiten auf deinem Trainingsplan, um dein Ziel am Wettkampftag zu erreichen. Jetzt stehen noch ein paar wichtige Tage an, die Vorbereitung geht sozusagen auf die Zielgerade. Denn die optimale Wettkampfform ist leider nicht automatisch abrufbar, man muss sie in den letzten Tagen der Vorbereitung herauslocken.
Wie das funktioniert? Ganz einfach: indem du dich erholst. In der sogenannten Tapering-Phase werden Trainingsbelastungen deutlich reduziert. Der Begriff Tapering steht im Englischen für Zuspitzung oder Reduktion. Es geht also darum, rechtzeitig vor dem Wettkampf einige Gänge runterzuschalten. Umfang und Intensität des Trainings sinken. Vor einem Halbmarathon sollte diese Reduzierung mindestens zwei Wochen vor dem Wettkampf beginnen, bei einem Zehn-Kilometer-Wettkampf solltest du dir zumindest acht bis zehn Tage Erholung gönnen. Dein Körper benötigt diese Zeit, um die gezielten Trainingsreize der letzten Wochen zu verarbeiten.
Denn in den vergangenen Wochen hast du deinen Körper durch die Intensität und die Anzahl an Trainingseinheiten in eine Dauerermüdung versetzt. Das ist kein optimaler Zustand für den bevorstehenden Wettkampfstart. Daraus ergibt sich eigentlich nur ein Motto für die letzten Tage vor dem Wettkampf: In der Ruhe liegt die Kraft! Das heißt nicht, dass du deine Laufaktivitäten vollständig einstellen sollst. Du trainierst jetzt nur gezielter.
Deine Einheiten werden ab sofort deutlich kürzer, hin und wieder wird noch der eine oder andere Akzent im Tempotraining gesetzt. Aber auch auf deutlich verkürzten Strecken. Grundsätzlich sollte kein Test der Wettkampfgeschwindigkeit innerhalb der letzten Tage vor dem Wettkampf stattfinden. Genieße während des Taperings einfach die freie Zeit und nutze sie für Dinge, die in letzter Zeit dem Training zum Opfer gefallen sind. Bei den wenigen noch stattfindenden Trainingseinheiten wirst du eine Veränderung feststellen. Durch die einsetzende Erholung spürst du selbst am besten, wie es von Einheit zu Einheit besser läuft.
2. Ein Testwettkampf fürs Selbstvertrauen
Die persönliche Selbsteinschätzung der Leistung ist manchmal gar nicht so leicht. Um zu wissen, wie gut die Form wirklich ist, ist der Testwettkampf hilfreich. Idealerweise findet dieser zwei bis vier Wochen vor dem Hauptwettkampf statt. Die halbe Distanz deiner angestrebten Wettkampfstrecke ist dabei ein guter Richtwert.
Teste auf der ersten Hälfte dein geplantes Wettkampftempo, das sollte dir nicht besonders schwerfallen. Kommst du schon auf der ersten Hälfte an deine Grenzen, solltest du die Wettkampf-Pace für Tag X noch einmal überdenken. Läuft es aber super und du hast das Gefühl, dass du das Tempo noch eine ganze Weile weiterlaufen kannst, wird dir das Zuversicht und Selbstvertrauen geben.
3. Erholung in der Wettkampfwoche
In der Wettkampfwoche sollte es nur ein einziges Mal anstrengend werden – auf der Wettkampfstrecke. Jetzt kann kein Training mehr nachgeholt werden. Wahrscheinlich würde eine schnelle Trainingseinheit gut funktionieren, aber dein Körper hätte keine Zeit mehr, den Trainingsreiz zu verarbeiten. Jetzt steht nur noch der eine oder andere kurze Regenerationslauf auf dem Programm. Bewegen erlaubt, anstrengen verboten.
Je nach Leistungsvermögen kann vier Tage vor dem Wettkampf noch eine kurze Tempoeinheit auf dem Programm stehen, dann aber nur sehr kurze Abschnitte. Es soll kein Test der Wettkampfgeschwindigkeit sein, vielmehr eine Art motorische Ansteuerung der Laufmuskulatur. Am Tag vor dem Wettkampf kannst du dich locker 15 bis 20 Minuten einlaufen, anschließend ein paar Dehnungsübungen und zum Abschluss drei lockere Steigerungsläufe über circa 50 bis 60 Meter. Ein Steigerungslauf beginnt im lockeren Trab. Steigere deine Geschwindigkeit bis zu einem hohen Tempo, aber ohne Maximalsprint.
Achte auch auf deine Ernährung. Je höher die Wettkampfgeschwindigkeit, umso höher wird der Anteil des Kohlenhydratstoffwechsels an der Energiebereitstellung sein. Da Kohlenhydrate nur begrenzt in der Muskulatur zur Verfügung stehen, sollten die Speicher möglichst voll sein. Nimm viele Kohlenhydrate zu dir, am besten in Form von Vollkornprodukten, Kartoffeln sowie Bananen.
Auch Sportgetränke und Energieriegel verfügen über gut speicherbare Energie. Insgesamt sollte deine Ernährung in der Wettkampfwoche eher leicht ausfallen. Sorge für genügend Nachtschlaf, denn nur so gelingt die vollständige Erholung deines Körpers. Es kann auch nicht schaden, die eine oder andere Stunde vorzuschlafen, da die letzte Nacht vorm Wettkampf oft unruhig ausfällt.
4. Gewohnte Abläufe am Wettkampftag
Am Wettkampftag solltest du auf Experimente verzichten. Gut ist ein leicht verdauliches Frühstück, das bei mir während meiner Profi-Zeit aus Toast mit Butter und Honig bestand, dazu einen starken Kaffee. Ich habe beim Frühstück am Wettkampftag komplett auf Eierspeisen sowie jegliche Fruchtsäuren wie Obst oder Säfte verzichtet. Natürlich ist auch ein Müsli als Wettkampffrühstück vollkommen okay, wenn dein Magen das kennt und die Zeit bis zum Start für die Verdauung ausreicht. Der gesamte Verdauungsapparat ist im Wettkampf mit der Energiebereitstellung beschäftigt und sollte daher auf keinen Fall zusätzlich belastet werden.
Plane für den Weg zur Wettkampfstrecke genügend Zeit ein und vermeide jegliche Form von Hektik. Das kostet nur Energie und hilft nicht weiter. Vor Ort kannst du dir einen genaueren Überblick über Kleiderabgabe, Toiletten und Startblöcke verschaffen.
Durch die Nettozeitmessung ist es egal, wie lange du nach dem Startschuss bis zur Startlinie benötigst. Sowohl zu weit vorne als auch zu weit hinten zu stehen ist schlecht. Stehst du zu weit vorn, läufst du entweder zu schnell los und überziehst auf den ersten Kilometern, oder du hältst schnellere Läufer auf. Stehst du zu weit hinten, verbrauchst beim Überholen langsamerer Läufer zusätzlich Energie. Versuche daher, deine geplante Zielzeit möglichst genau einzuschätzen, und stelle dich in den entsprechenden Block. So kannst du die ersten Kilometer in der Masse mitschwimmen und läufst nicht Gefahr, das Tempo zu überziehen.
5. Kein Fehler nach dem Startschuss: Die optimale Renneinteilung
Eine richtige Renneinteilung funktioniert nicht nur bei den Profis. Viele meiner Athleten haben sehr gute Erfahrungen mit zwei gleich schnellen Rennhälften gemacht. Man kann aber auch etwas ruhiger loslaufen und auf den ersten Kilometern nicht zu viel Energie investieren, um dann schneller zu werden. Du selbst entscheidest schließlich ob, beziehungsweise wann der „Mann mit dem Hammer“ auf dich wartet.
Damit ist der Moment gemeint, wenn die Kohlenhydrate nahezu aufgebraucht sind und dein Körper nur noch auf die Energiereserven des Fettstoffwechsels zurückgreifen kann. Dieser Moment ist immer verbunden mit einem mehr oder weniger deutlichen Einbruch der Laufgeschwindigkeit. Doch mit dem richtigen Anfangstempo reicht deine Energie bis zur Ziellinie, und du kannst auf der zweiten Hälfte sogar noch an Tempo zulegen.
Neben der richtigen Geschwindigkeit ist auch die Getränkeversorgung auf der Strecke – besonders bei längeren Wettkämpfen wie dem Halbmarathon und Marathon – nicht zu unterschätzen. Je höher die Temperaturen, umso wichtiger ist die Flüssigkeitsaufnahme auf der Strecke. Zum Trinken solltest du notfalls kurz stehen bleiben, aber bitte nicht direkt am Getränketisch, den wollen schließlich auch noch ein paar andere Läufer nutzen.
Speziell beim Halbmarathon solltest du dir im Vorfeld auch Gedanken über eine mögliche Energiezufuhr in Form von Gels machen, das probierst du am besten vorher im Training aus. Nicht jeder Läufer verträgt jedes Gel gleich gut, deshalb rate ich dazu, es im Training zu testen. Wenn du nur ein bestimmtes Produkt verträgst, solltest du dieses mit auf die Strecke nehmen. Oder du schaust in den Informationen des Veranstalters nach dem offiziellen Verpflegungspartner und besorgst dir das entsprechende Produkt vorab zum Testen, damit es auf der Wettkampfstrecke keine bösen Überraschungen gibt. Mit der entsprechend nachgetankten Energie kannst du dann auf der zweiten Teilstrecke das Tempo erhöhen. Es ist ein gutes Gefühl, ab jetzt das Feld von hinten aufzurollen, schließlich macht Überholen viel mehr Spaß als überholt zu werden.
6. Genieße deinen Zieleinlauf
Spätestens wenn der Zielbogen in Sicht ist, überkommt dich ein tolles Gefühl der Erleichterung. Jetzt einfach nur noch genießen. Vergessen sind die vielen Trainingsstunden, die Zweifel kurz vor dem Start und die Anstrengung auf der Strecke. Es hat funktioniert und fühlt sich einfach nur toll an. Versuche, genau dieses intensive Gefühl so gut wie möglich zu speichern, um es irgendwann als Motivation in einer neuen Vorbereitung zu nutzen.
Die verdiente Finishermedaille darfst du fortan voller Stolz tragen. Auch im Ziel gilt es noch, Fehler zu vermeiden. Du solltest die Nachzielverpflegung dazu nutzen, deine Flüssigkeits- und Energiespeicher wieder aufzufüllen. Das ist für deine Regeneration sehr wichtig, schließlich willst du am Abend noch ein wenig feiern. Auch die Erkältungsgefahr ist nicht zu unterschätzen, versuche so schnell wie möglich, deine durchgeschwitzten Sachen gegen trockene zu tauschen. Vielleicht gibt es sogar die Möglichkeit einer Massage zur Muskelauflockerung.
Am Tag nach dem Rennen hast du frei! Gönne deinem Körper eine Laufpause, bis deine Muskulatur wieder bereit und schmerzfrei ist. Es wird nach wie vor die Meinung vertreten, dass ein lockeres Läufchen die Durchblutung der Muskulatur anregt. Stimmt, aber das funktioniert genauso gut in einer heißen Wanne, in der Sauna oder mithilfe einer Lockerungsmassage. Gönne deiner Muskulatur je nach Wettkampfdistanz ein paar Tage Pause, du wirst spüren, wann die Beine wieder bereit zum Laufen sind. In der Zwischenzeit kannst du neue Pläne schmieden und weitere Ziele ins Auge fassen. Du weißt ja jetzt, wie es funktioniert.
Buchtipp - Carsten Eich: Dein Running-Coach
Ex-Laufprofi Carsten Eich ist unser Trainingsfachmann. Er war über viele Jahre die deutsche Nummer eins auf der Straße. Von 1993 bis 2021 hielt er mit 1:00:34 Stunen den deutschen Rekord im Halbmarathon. Die nationale Bestmarke über zehn Kilometer (27:47 min) ist immer noch in seinem Besitz. Nach seiner Karriere ist er der Laufszene auf vielfältige Weise verbunden. So leitet er die laufen.de-Running Camps auf Mallorca und an der portugiesischen Algarve. In seinem Buch „Dein Running-Coach“ zeigt er mit fundiertem Expertenwissen und wertvollen Ratschlägen, wie die ideale Wettkampfvorbereitung aussieht und mit welchen Übungen du nachhaltig deine Leistungsfähigkeit und Kondition steigerst. Dabei geht er auch auf die richtige Ausrüstung, Regeneration und Ernährung für Läufer ein und präsentiert konkrete Laufübungen und Trainingspläne für verschiedene Ansprüche.
Carsten Eich: Dein Running-Coach. Effektiv trainieren für 10 km und Halbmarathon | Delius Klasing Verlag | 192 Seiten | ISBN: 978-3-667-12369-5 | 24,90 €