Petition gestartet
Bei EM in München droht Hitzemarathon − DLV unterstützt Kampf dagegen
Der Deutsche Leichtathletik-Verband unterstützt aktiv eine Petition von deutschen Marathonläufern, die sich für eine Verschiebung der Startzeiten der EM-Marathons in diesem Jahr in München einsetzt.
Deutschlands Top-Marathonläuferinnen und -Marathonläufer, unter anderem die Olympia-Sechste Melat Kejeta (PSV Grün-Weiß Kassel) und der Deutsche Rekordhalter Amanal Petros (TV Wattenscheid 01), haben eine Petition ins Leben gerufen, die sich gegen die geplanten Startzeiten der Marathon-Rennen im Rahmen der Europameisterschaften in diesem Jahr in München (15. bis 21. August) richtet.
Nach derzeitigem Stand ist der Marathon der Frauen am 15. August um 10:30 Uhr, der für die Männer um 11:30 Uhr geplant. Zuletzt gab es immer wieder Diskussionen über Ausdauer-Wettkämpfe bei extremen Wetterbedingungen. Um nicht bei extremer Hitze laufen zu müssen, haben die Athletinnen und Athleten beim Europäischen Leichtathletik-Verband European Athletics (EAA) sowie bei den European Championships nun versucht, eine Verlegung der Startzeiten zu erwirken – allerdings bisher ohne Erfolg.
Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) unterstützt die Petition der Sportler. Im Unterschied zur Heim-EM in Berlin 2018 ist der nationale Verband erstmals bei Europameisterschaften im eigenen Land weder Ausrichter noch Veranstalter. Organisiert werden die European Championships von der Münchner Olympiapark GmbH und European Athletics. Auf www.change.org kannst du auch die Petition der Top-Läuferinnen und -Läufer unterstützen.
„Wir können die Athletinnen und Athleten sehr gut verstehen, denn im August kann es in München zur Mittagszeit schon mal bis zu 30 Grad und mehr warm werden. Ein Hitzerennen sollten wir deshalb im Sinne der Gesundheit der Athleten unbedingt vermeiden“, sagte DLV-Präsident und EAA-Council-Mitglied Jürgen Kessing, der sich zusammen mit dem DLV-Vorstandsvorsitzenden Idriss Gonschinska für eine Änderung im Zeitplan einsetzt.
„Wenn der Marathon in die frühen Morgenstunden verlegt würde, dann würde es mit Sicherheit keine gesundheitlichen Risiken durch eine mögliche Hitzewelle geben“, sagte Idriss Gonschinska. „Wir hoffen noch immer, auf der Gesprächsebene eine athletenfreundliche Lösung zu erreichen.“
In den vergangenen Jahren waren Hitzerennen in Ausdauersportarten ein buchstäblich heißes sportmedizinisches und -politisches Thema. Dennoch bleiben EA und „European Championships“ vorläufig bei ihrem Plan. In einer gemeinsamen Stellungnahme heißt es, man habe die Wettersituation anhand historischer Daten genau analysiert und sei zu dem Schluss gekommen, dass die Bedingungen zu den geplanten Tageszeiten „akzeptabel und ohne besondere Risiken für die Gesundheit der Athleten“ seien.
In den vergangenen beiden Jahren war es am 15. August in München fast 30 Grad heiß
„Die Gesundheit und Sicherheit der Athleten hat für uns oberste Priorität“, heißt es in der Stellungnahme. „Wenn es vor Ort offensichtlich werden sollte, dass die Wetterbedingungen risikoreich für die Athleten sein könnten, wird entschieden, entweder die Startzeiten zu verschieben, den Termin zu ändern oder im Extremfall sogar die Rennen ganz abzusagen“, erklärt European Athletics.
Während für den Marathon Temperaturen von knapp unter 20 Grad Celsius als warm anzusehen sind und alles was sich im Bereich von etwas über 20 Grad im Schatten bewegt bereits in Richtung Hitze-Rennen geht, scheinen European Athletics und die „European Championships“ andere Maßstäbe anzusetzen. Denn die Durchschnittstemperaturen in München aus den vergangenen 30 Jahren betragen laut „wetter.de" für das Maximum 24 und für das Minimum 14 Grad. 2021 wurden am 15. August in München gut 30 Grad gemessen, 2020 waren es 27. In der direkten Sonne ist es dann natürlich entsprechend wärmer.
Bleibt es bei den derzeit geplanten Startzeiten, dürfte ein mögliches Hitzerennen auch die außergewöhnlich guten Chancen der deutschen Marathonläufer schmälern. Sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen sind die nationalen Athleten so stark wie vielleicht noch nie und haben Medaillenchancen. Zumindest in den parallel gewerteten Team-Wettbewerben sind die Aussichten auf einen Podest-Platz sogar sehr gut. Nun allerdings könnten die Startzeiten auch dazu führen, dass einige Athleten auf einen Sommer-Marathon verzichten oder lieber bei den im Juli in Oregon (USA) stattfindenden Weltmeisterschaften starten. Dort herrschen im Sommer vergleichbare Durchschnittstemperaturen wie in München. Um einem möglichen Hitzerennen bei der WM so gut es geht aus dem Weg zu gehen, hat der internationale Leichtathletik-Verband World Athletics die Startzeiten dort allerdings auf 6:15 Uhr festgelegt.
Der Präsident von World Athletics, Sebastian Coe, hatte nach den extrem harten olympischen Hitze-Marathonrennen in Sapporo 2021 zu einem Umdenken bezüglich der gesamten Terminierung im Sommer aufgefordert. „Wir mussten hier ein Feld-Krankenhaus aufbauen … keiner will so etwas machen“, sagte Sebastian Coe. Dies sei nicht der Sinn des Sportes. „Es kann uns passieren, dass wir bei Olympia in Paris 2024 wieder mit derartiger Hitze konfrontiert werden.“
Richard Ringer spekuliert mit WM- statt EM-Start im Sommer 2022
„Wir kämpfen seit Jahren darum, die Startzeiten so zu legen, dass der Hitze bestmöglich aus dem Weg gegangen wird. Dass wir nun ausgerechnet bei unserer Heim-EM derartige Zeiten vorgesetzt bekommen, ist extrem enttäuschend“, sagt die Marathon-Bundestrainerin Katrin Dörre-Heinig. Und die frühere Weltklasse-Marathonläuferin fügt hinzu: „Ich kann durchaus nachvollziehen, wenn sich Athleten jetzt eventuell anders entscheiden und nicht bei der EM in München laufen wollen. Aber das wäre natürlich sehr schade, zumal die Athleten ja eigentlich starten wollen.“
Einer, der sich fühlt, als ob ihm ein Bein gestellt wird, ist Richard Ringer. „Ich bin ziemlich enttäuscht - und nicht nur ich. Im Sommer können unglaubliche Temperaturen herrschen und man sieht dann bei derartigen Rennen wie viele Athleten aufgrund einer Überhitzung aufgeben müssen“, sagt der Läufer des LC Rehlingen, der beim Olympia-Marathon 2021 als bester Deutscher Rang 26 erreicht hatte und sich derzeit im Höhentraining in Kenia befindet. Ein Hitzerennen wie in Japan will er eigentlich nicht noch einmal erleben. „Hier wird nicht an die Gesundheit der Athleten gedacht. Ich muss mir jetzt sehr genau überlegen, ob ich nicht doch besser bei der WM starte. Man kann sich als Athlet auch nicht alles gefallen lassen.“ Richard Ringer war selbst, auch im Namen anderer Marathonläufer, an die EM-Veranstalter herangetreten und hatte sich für geeignetere Startzeiten stark gemacht - ohne Erfolg.
Selbst die lokalen Münchner Organisatoren der Marathon-EM-Rennen blicken mit Skepsis auf die Startzeiten, die sie erstmals bereits im November 2020 von European Athletics als Vorgabe erhielten. „Unser Vorschlag war, entweder früh morgens oder spät abends zu starten - wobei wir den Morgen aufgrund der Temperaturen vorgezogen hätten“, sagt Gernot Weigl. Der Race-Direktor des München-Marathons soll mit seinem Team die EM-Rennen am 15. August umsetzen.
Immer wieder gab es in den letzten Jahren extrem heiße Meisterschaftsrennen im Marathon. Abgesehen vom Olympia-Marathon in Sapporo 2021 und dem nachts gestarteten WM-Marathon in Doha 2019 gab es auch schon 2018 unschöne Bilder eines solchen Rennens: Bei den Commonwealth Games an der australischen Gold Coast sah der Brite Callum Hawkins mit gut zwei Minuten Vorsprung wie der sichere Sieger aus. Doch bei Kilometer 40 brach der WM-Vierte von London 2017 vor Erschöpfung zusammen und musste medizinisch versorgt werden, nachdem er kurz zuvor bereits getaumelt und dann in eine Absperrung gelaufen war. Hohe Temperaturen und hitze-bedingte Ausfälle gab es 2018 auch bei der EM in Berlin, wo die Rennen damals um 9.05 (Frauen) beziehungsweise 10 Uhr (Männer) gestartet wurden.
Trotz all der Warnungen und Diskussionen in den letzten Jahren sieht European Athletics offenbar zurzeit keinen Grund, etwas zu ändern. Stattdessen hofft der Verband auf ein großes Fest zur Mittagszeit: „Wir erwarten in München angesichts der Starttermine viele tausend Zuschauer an der Strecke und hohe TV-Einschaltquoten und wollen dies nutzen, um den Laufsport weiter zu bewerben und damit auch einen gesunden Lebensstil“, erklärt European Athletics.