In Deutschlands Wäldern ist nur noch jeder fünfte Baum ganz gesund. In den vergangenen Jahren gingen rund 500.000 Hektar Wald verloren. Deshalb finanzieren der Deutsche Leichtathletik-Verband, German Road Races und DATEV zum Tag des Laufens die Neu-Anpfla
© AdobeStock/D. Ziegler

Für Bäume laufen
So helfen wir dem Wald

| Interview: Tom Rottenberg

Beim „Tag des Laufens“ 2023 wird an 100 Orten in ganz Deutschland für die Rettung der Wälder gelaufen. Hier erklärt ein Experte, warum das dringend nötig ist.

In Deutschlands Wäldern ist nur noch jeder fünfte Baum ganz gesund. In den vergangenen Jahren gingen rund 500.000 Hektar Wald verloren. Deshalb, und weil das Laufen im Wald so gut tut, finanzieren der Deutsche Leichtathletik-Verband, German Road Races und DATEV zum Tag des Laufens die Neu-Anpflanzung von 1000 Bäumen. Wer am 7. Juni 2023 bei einem der circa 100 Events oder auf eigene Faust mitläuft und bei der Anmeldung mindestens sieben Euro als freiwillige Teilnahmegebühr zahlt, finanziert einen weiteren Baum. Im Interview mit laufen.de erklärt Jan Muntendorf, der Geschäftsführer der „Stiftung Unternehmen Wald“, wieso und wo Aufforstungen so wichtig sind.

Wer und was ist eigentlich die Stiftung Unternehmen Wald, mit der zusammen am Tag des Laufens Bäume gepflanzt werden?
Jan Muntendorf: Mit unserer Stiftung setzen wir uns für den Wald ein. In den letzten Jahren beschäftigen wir uns vor allem mit der Wiederaufforstung zerstörter Waldflächen und dem „Waldumbau“: Insbesondere Fichten- oder Kiefermonokulturen wandeln wir in Mischwälder um. Wir arbeiten mit Kommunen aber auch einigen privaten Forsten. Unser Fokus liegt zwar primär auf Deutschland, aber wir haben auch ein Aufforstungsprojekt in Nepal - und demnächst auch in Nigeria.

Von den elf Millionen Hektar Wald in Deutschland sind in den letzten Jahren 500.000 verloren gegangen. Nur noch jeder fünfte Baum, so steht es im Waldzustandsbericht des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, kann als ganz gesund bezeichnet werden. Braucht der Wald Hilfe?
Jan Muntendorf: Im Grunde nicht. Wald regeneriert sich gut. Wenn wir Menschen da irgendwas kaputt gemacht haben, hilft er sich schon selbst. In seiner Zeit, auf seine Art. Es kommt aber darauf an, welche Anforderungen wir an den Wald stellen. Und diese Anforderungen sollen schnell erfüllt werden. Darum machen wir Aufforstungen und Wiederaufforstungen: Durch Borkenkäferbefall, durch Trockenheit, Hitze, Waldbrände und Extremwetter sind enorme Flächen zerstört worden. 500.000 Hektar Wald – die wollen wir möglichst schnell wieder bewalden. Das spielen auch wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle.

Und die wären?
Jan Muntendorf: Wir könnten sagen: Wir machen jetzt mal nichts und warten ab. Die Flächen werden sich schon selbst wieder bewachsen. Die Frage lautet aber: Wie – und womit. Das wären nämlich meist Baumarten, die aus heutiger Sicht nicht besonders wertvoll sind. Weiden etwa – wir brauchen aber mehr Buchen und Eichen. Aber das dauert viel, viel länger, bis die von selbst nachrücken. Doch wir brauchen sie. Auch wirtschaftlich – obwohl das oft negativ klingt. Aber Möbel, um nur ein Beispiel zu nennen, kann man schlecht aus Weidenholz machen. Deswegen sagen wir: Wir greifen ein - und überspringen die natürliche Sukzession. Natürlich pflanzen wir auch Weiden und Birken, aber in erster Linie werden Baumarten gepflanzt die – unter Anführungsstrichen – auch als nützlich gelten.

Jan Muntenberg ist der Geschäftsführer der Stiftung Unternehmen Wald
© Stiftung Unternehmen Wald

Wir sollten lieber Rotbuchen pflanzen, bevor wir auf Baumarten aus irgendwelchen anderen Ländern zurückgreifen."

Jan Muntendorf von der Stiftung Unternehmen Wald

Geht es da auch um die Frage, ob aufgrund des Klimawandels andere Pflanzen leichter bei uns heimisch werden?
Jan Muntendorf: Eher weniger. Wir glauben, dass die Baumarten, die wir haben, eine sehr, sehr breite genetische Vielfalt aufweisen. Die klassische Rotbuche etwa ist von Südschweden bis Süditalien heimisch: Das sollten wir ausnutzen, bevor wir zum Beispiel Libanonzedern und ähnliche Arten anpflanzen. Das Klima verändert sich zwar, aber man muss nicht gleich auf Arten irgendwelcher fremden Länder zurückgreifen. Das regelt sich noch gut von selbst: Ich glaube, wir werden immer Wald in Deutschland haben – nur wird er anders a aussehen als heute. Wir müssen keine Angst haben, dass das hier eine Steppenlandschaft wird. Aber natürlich: wenn wir drei oder vier Grad höhere Durchschnittstemperaturen haben, kann das sehr wohl problematisch werden.

Aber wieso dann die Aufforstungen?
Jan Muntendorf: Weil Kahlflächen Probleme schaffen. Etwa mit dem Grundwasser: Wenn oben nichts wächst, rinnt das Wasser einfach ab. Das geht in den nächsten Bach – und steht nicht mehr für das Grundwasser zur Verfügung. Wälder speichern unheimlich viel Wasser: Ein Wald verträgt auch 100 Liter Wasser pro Quadratmeter. Ein intakter Waldboden nimmt das pro Stunden auf – und speichert es. Ohne Wald rauscht das Wasser weg. Und das hat natürlich Folgen, wenn wir später das Grundwasser brauchen. Außerdem ist der Wald gut fürs Klima: Wald kühlt.

Ist das messbar?
Jan Muntendorf: Ja, klar. Acht, neun Grad – im Vergleich zu landwirtschaftlichen Flächen. Und im Vergleich zur Stadt noch mehr. Und global betrachtet: Wald macht Regen. Weil er Wasser verdunstet – und diese Feuchtigkeit kommt irgendwann als Regen wieder runter. Über den Wald verdunstet mehr als in der offenen Landschaft: Wenn ich Wald habe, habe ich irgendwann auch Regen. Und natürlich ist auch das Thema CO2-Speicher wichtig: Holz speichert nicht das CO2 sondern das C, also den Kohlenstoff – der Sauerstoff wird wieder abgegeben. Der Kohlenstoff bleibt im Baumkörper: Wenn ich die Bäume lange stehen lasse, habe ich eine Kohlenstoffanreicherung im Wald - und es ist aus der Atmosphäre raus. Auch deshalb sind Aufforstungen aus Sicht des Klimaschutz so wichtig.

Beim Tag des Laufens wird für die Wiederaufforstung der Wälder in Deutschland gelaufen
© AdobeStock/Robert Kneschke

Wir forsten die Wälder so auf, dass aus anfälligen Monokulturen gesunde Mischwälder werden"

Jan Muntendorf von der Stiftung Unternehmen Wald

Und wie sehen diese Aufforstungen jetzt konkret aus?
Jan Muntendorf: Wir forsten in Deutschland regional und überregional auf. Und auf einem kleineren Level auch in Nepal. In Deutschland sind das vor allem Wiederaufforstungen. Wir machen aber auch Erstaufforstungen – das heißt, es wird neuer Wald geschaffen. Das ist in letzter Zeit aber ein bisschen zurück gegangen, weil wir erstmal unsere Flächen wieder bewirtschaften müssen.

Gibt es Zahlen?
Jan Muntendorf: In Deutschland pflanzen wir ungefähr 100.000 bis 150.000 Bäume pro Jahr. Insgesamt waren es bisher weit über eine Million Bäume seit unserer Gründung im Jahr 2006.

Sie beschäftigen sich auch mit Monokulturen?
Jan Muntendorf: Wenn wir von Monokulturen sprechen, sprechen wir von Wäldern, die durch den Menschen angelegt worden sind. Meist Fichte und Kiefer. Das sind Pflanzungen, die in Bestand und Bild sehr einheitlich sind. Gleichartig. Gleich alt. Keine Mischung, keine Artenvielfalt. Es hat sich gezeigt, dass diese Wälder nicht besonders resilient sind, nicht viel Widerstandskraft gegen biotische Eingriffe durch Tiere haben. „Schädlinge“ kann man ja immer nur unter Anführungszeichen sagen. Es geht aber auch um abiotische Faktoren: Monokulturen sind auch gegen Sturm und Trockenheit weniger widerstandsfähig. Auch, weil die Fichte eine Baumart der Hochlage ist. Sie kommt von Natur aus eher in den Bergen vor – da haben wir natürlich ganz andere klimatische Verhältnisse als in Tieflagen: Die Fichte braucht vergleichsweise viel Wasser – und wenn so ein Borkenkäfer dann im trockenen Sommer kommt, ist das problematisch.

Was hat der Borkenkäfer mit Wasser zu tun?
Jan Muntendorf: Wenn der Baum zu wenig Wasser hat, kann er nicht genug Harz bilden, um die Käfer „totzuharzen“. Wenn da 6000 Hektar auf einmal befallen werden … Wir kennen die Bilder aus dem Harz oder dem Sauerland: das sind ganze Hänge – und da ist dann alles weg. Das liegt auch an der Monokultur: Der Käfer hat es sehr leicht, von einem Baum zum nächsten zu springen. In Kombination mit dem Klimawandel sind diese Wälder auch anfälliger für Waldbrände. Wegen der Trockenheit brennt es auch häufiger: Wir haben in den letzten zwei Jahren die größten Waldbrände aller Zeiten in Deutschland gehabt. Und das betraf fast nur Nadelwälder: Laubhölzer brennen eigentlich nicht.

In den Bergen ist es auch eine wichtige Funktion des Waldes, der Bodenerosion vorzubeugen, oder?
Jan Muntendorf: Ja, natürlich. Der Wald hat auch da eine ganz zentrale Bedeutung - egal ob wir von Muren oder Hangrutschungen oder dem Ausspülen und Abtragen der Böden sprechen: Der Wald hält den Boden fest. Kurz gesagt: Wälder haben ganz viele Funktionen. Bodenschutz, Klimaschutz, Feinstaubfilter … Das sind nicht einfach nur Bäume.