Neuer Weltrekord in Sicht?
Der größte Marathonläufer aller Zeiten ist zurück in Berlin – Aber Eliud Kipchoge verrät nicht, wie schnell er sein will
Eliud Kipchoge geht am Sonntag als zweifacher Olympiasieger, als Weltrekordler und als der Mann, der als Erster einen Marathon unter zwei Stunden rannte, beim BMW Berlin-Marathon an den Start.
Vor vier Jahren stürmte der 37-Jährige am Brandenburger Tor in der nach wie vor gültigen Weltrekordzeit von 2:01:39 Stunden ins Ziel. Er hatte damit die alte Bestmarke seines Landsmannes Dennis Kimetto gleich um 1:18 Minuten verbessert. Das war die größte Steigerung des Männer-Weltrekordes im Marathon seit über 50 Jahren. 1967 war Derek Clayton (Australien) in Fukuoka 2:09:36 gelaufen und hatte die damalige Bestmarke um knapp zweieinhalb Minuten unterboten.
Eliud Kipchoge ist bereit für ein sehr schnelles Rennen, das ihn möglicherweise zu seinem zweiten Weltrekord über die 42,195 km führen könnte. Bezüglich konkreterer Aussagen hielt sich der 37-jährige Kenianer jedoch auch zwei Tage vor dem Start zurück: „Ich danke den Organisatoren, dass ich nach vier Jahren wieder in Berlin starten kann und erwarte ein sehr gutes Rennen. Ich habe wie sonst auch gut trainiert - jeder Trainingstag ist dabei eine Herausforderung.“ Auf die Frage, was genau für ihn ein „sehr gutes Rennen“ sei, antwortete Eliud Kipchoge bei der Pressekonferenz: „Ein sehr gutes Rennen ist: ein gutes Rennen.“ Damit hatte er die Lacher auf seiner Seite bevor er hinzufügte: „Ich möchte die Menschen inspirieren und wenn am Ende dann ein Streckenrekord herauskommt, würde ich mich freuen“, fügte der Ausnahmeläufer hinzu. Der Streckenrekord ist natürlich auch der Weltrekord, doch dieses Wort nahm Eliud Kipchoge nicht in den Mund.
Die äußeren Bedingungen werden voraussichtlich perfekt sein, wenn das Rennen um 9:15 Uhr gestartet wird (Live-Übertragung im Ersten mit Kommentator Ralf Scholt und Jan Fitschen als Experten): Leichte Bewölkung, Temperaturen um maximal 14 Grad Celsius sowie ein sehr schwacher Wind aus Südost – so lautet die Wetterprognose für den Marathon-Sonntag. „Es ist angerichtet! Das sind perfekte Bedingungen nicht nur für die Top-Elite, sondern auch für alle Breitensportler:innen“, freut sich Jürgen Lock, Geschäftsführer von SCC Events, dem Organisator des BMW Berlin-Marathons. Das Rennen verzeichnet dieses Jahr 45.527 gemeldeten Läuferinnen und Läufer aus 157 Nationen.
Eliud Kipchoge kann auf eine einmalige Marathon-Karriere zurückblicken, die sich inzwischen über fast ein Jahrzehnt erstreckt. Der Kenianer lief bei 16 seiner 18 Marathonläufe als Sieger ins Ziel. Darunter sind auch die zwei nicht rekord-konformen Rennen in Mailand 2017 und Wien 2019. Im Wiener Prater durchbrach Eliud Kipchoge vor drei Jahren dabei sensationell die Zwei-Stunden-Barriere mit einer Zeit von 1:59:40,2 - eine Leistung, die als „Kipchoges Mond-Landung“ bezeichnet wurde und weltweit für Schlagzeilen sorgte. Dabei wurden ständig wechselnde Tempomacher eingesetzt, und außerdem wurden ihm die Verpflegungsflaschen während des Laufes vom Fahrrad aus gereicht - beides ist nicht zugelassen bei offiziellen Rekorden.
Nur zweimal konnte Eliud Kipchoge einen Marathon nicht gewinnen. 2020 kam er in London bei extrem schlechtem Wetter mit eiskaltem Dauerregen mit den Bedingungen nicht zurecht und belegte Platz acht. Zuvor war er in Berlin 2013 in seinem zweiten Marathon Zweiter – hier war allerdings ein Weltrekord von seinem Landsmann Wilson Kipsang nötig, um Kipchoge auf Platz zwei zu verweisen.
Eliud Kipchoge wird nun bereits zum fünften Mal in Berlin über die 42,195 km an den Start gehen − öfter lief er bei keinem anderen Marathon. Mit einem vierten Sieg nach 2015, 2017 und 2018 würde Eliud Kipchoge aufschließen zu Äthiopiens Lauf-Legende Haile Gebrselassie, der den BMW Berlin-Marathon viermal gewann und damit zurzeit der Rekord-Sieger des Rennens ist.
Vorjahressieger Guye Adola schärfster Konkurrent für Kipchoge
Sein stärkster Konkurrent dürfte Guye Adola aus Äthiopien sein, der im vergangenen Jahr bei ungewöhnlich warmem Wetter in 2:05:45 Stunden gewann und dabei Äthiopiens Superstar Kenenisa Bekele deutlich hinter sich ließ. In Berlin stellte Guye Adola bei seinem Debüt 2017 auch seine Bestzeit von 2:03:46 Stunden auf. Damals war nur Eliud Kipchoge vor ihm, doch zwischenzeitlich hatte Guye Adola sogar die Führung übernommen. „Ich bin gut vorbereitet und freue mich auf das Rennen“, sagte der 31-jährige Äthiopier, der Eliud Kipchoge als „einen Helden“ beschrieb.
In der Breite der etwas weiteren Männer-Spitze ist der BMW Berlin-Marathon so gut besetzt wie nie zuvor. Gleich 18 Athleten auf der Startliste weisen Bestzeiten von unter 2:08:00 Stunden auf. Darunter ist mit Ghirmay Ghebreslassie auch der Überraschungs-Weltmeister von 2015. Der Läufer aus Eritrea, der 2016 auch den New York-Marathon gewann, geht mit einer Bestzeit von 2:05:34 an den Start, die er in diesem Februar in Sevilla gelaufen ist. „Es ist eine Herausforderung in einem solchen Feld mit Eliud Kipchoge zu laufen - er ist eine Legende. Ich werde mein Bestes geben und mein Ziel ist ein Podiumsplatz“, erklärte Ghirmay Ghebreslassie.
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Bei den finanzstarken Marathonrennen in London im Oktober oder New York im November hätte Eliud Kipchoge sicherlich wesentlich mehr Startgeld erhalten können, doch in Berlin geht es um etwas anderes für den Ausnahmeathleten: „Berlin bietet den schnellsten Kurs. Hier kann ein Mensch sein Potenzial zeigen und die Grenzen verschieben. Ich möchte eine sehr schnelle Zeit laufen“, sagt Eliud Kipchoge, der bereits 2003 als 19-jähriger Außenseiter bei den Weltmeisterschaften in Paris für eine Sensation gesorgt hatte: Der damalige Youngster gewann das 5.000-m-Finale und überraschte die beiden Superstars Kenenisa Bekele (Äthiopien) und Hicham El Guerrouj (Marokko).
Eliud Kipchoge: Bescheidene Lebensweise, Geld interessiert ihn nicht
Längst ist Eliud Kipchoge ein Leichtathletik-Superstar. Doch seine bescheidene Lebensweise hat sich nicht wesentlich verändert, was sicherlich ein Grund dafür ist, dass er sein enorm hohes Leistungsniveau über einen derart langen Zeitraum halten kann. Eliud Kipchoge wurde in Kapsisiywa im Nandi-Gebiet geboren, wo seine Eltern eine Farm führten. Sein Vater starb jedoch früh und seine Mutter arbeitete als Lehrerin, um die Familie zu ernähren. Wie viele andere kenianische Weltklasseläufer schuf Eliud Kipchoge die Grundlage für seine Karriere unbewusst, indem er täglich zur Schule und zurück rannte. Außerdem verdiente sich der junge Eliud Kipchoge ein Taschengeld, indem er die Milch von Bauernhöfen weiterverkaufte. Dabei legte er mit dem Rad jeweils Strecken von rund 40 Kilometern zurück.
Als 16-Jähriger traf er den ehemaligen Weltklasseläufer über 3.000 m Hindernis, Patrick Sang, der für den holländischen Manager Jos Hermens eine Trainingsgruppe in Kenia betreute. Seit inzwischen über 20 Jahren ist Sang der Coach von Kipchoge, der von Hermens und seinem holländischen Management-Team betreut wird. „Eliud Kipchoge“, sagte Patrick Sang in einem Interview der BBC, „hat in dieser ganzen Zeit keine Trainingseinheit verpasst - nicht eine einzige!“
Eliud Kipchoge lebt heute mit seiner Frau Grace Sugutt und den drei Kindern in Eldoret. Dort allerdings ist er in der Regel nur am Wochenende, ansonsten ist der Athlet im Trainingscamp im 2.400 Meter hoch gelegenen Kaptagat. Das Training in der dünnen Höhenluft ist für Langstreckenläufer leistungsfördernd. „Unser Leben hier ist sehr simpel. Wir stehen morgens auf und laufen, machen danach gegebenenfalls etwas sauber oder ruhen uns aus, essen mittag, bekommen eine Massage und absolvieren dann unsere zweite Trainingseinheit um 16 Uhr. Nach dem Abendessen erholen wir uns noch etwas und gehen dann schlafen. Das ist alles“, beschreibt Eliud Kipchoge einen Tagesablauf im Trainingscamp, wo er mit etlichen weiteren Weltklasseathleten zusammen wohnt.
Die enormen Beträge, die er während seiner einmaligen Karriere verdient hat und die sich im Millionenbereich bewegen, interessieren Eliud Kipchoge nicht. „Ich arbeite nicht mit Geld und halte es fern von mir, es ist in der Bank. Ich möchte ein einfaches Leben leben“, erklärte Eliud Kipchoge. Es gibt einige Beispiele für kenianische Weltklasseathleten, die mit dem Erfolg und dem damit verbundenen Reichtum nicht umgehen konnten. Einige verfielen dem Alkohol und zerstörten so ihre eigene Karriere. Nicht so Eliud Kipchoge. Sein Physiotherapeut Peter Nduhiu erklärte gegenüber der BBC: „Wenn irgendein anderer Läufer die Zwei-Stunden-Barriere durchbrochen hätte, hätten wir hier Karneval gehabt. Eliud kam (aus Wien) zurück ins Trainingscamp, trank mit dem Team eine Tasse Tee und begann wieder mit dem Training!“