Expertin im Interview
Ernährung für Läufer: Darauf kommt es wirklich an
Sollte man in der Ernährung für Läufer auf Zucker verzichten? Und ist Fett schlecht? Buchautorin Anita Horn verrät, wie Aufklärung und Achtsamkeit der beste Weg zu Gesundheit sein kann.
Anita, du hast jahrelang für dein Ernährungsbuch „Is(s) gut jetzt“ recherchiert. Was ist die wichtigste Erkenntnis in Sachen Ernährung für Läufer und Läuferinnen, die du dabei gewonnen hast?
Am wichtigsten bei der Ernährung für Läufer ist, dass wir alle viel mehr übers Essen nachdenken und bewusste Entscheidungen treffen sollten. Und dann: Mehr Gemüse essen. Läuferinnen und Läufer neigen oft dazu, zu essen, was ihnen in die Hände fällt: Brot, Brötchen, Nudeln, Fertiggerichte, Reis, Pizza. Wer viel läuft, hat viel Hunger und oft nicht viel Zeit, selbst etwas zu kochen. Das muss man auch nicht immer, es gibt auch gesunde Sachen, die man fertig kaufen kann. Aber man muss halt genau hinschauen. Es sollte immer frisches Gemüse oder Obst dabei sein. Und die eine oder andere Mahlzeit kann auch mal nur daraus bestehen - statt aus Nudeln oder Brot. Denn Gemüse und Obst liefern neben Kohlenhydraten auch Vitamine und Mineralstoffe. Und die meisten von uns essen eher zu viele Kohlenhydrate …
Was ist mit Kartoffeln? Zählen die als Gemüse oder zur Gruppe mit Brot, Nudeln und Reis?
Kartoffeln sind ein super Gemüse. Besonders mit Pelle versorgen sie uns mit wertvollen Kohlenhydraten, Vitaminen und Mineralstoffen. Wenn wir sie allerdings in stark verarbeiteter Form als Pommes, Kartoffelpuffer oder Chips essen, schmälert das den gesundheitlichen Wert deutlich. Und je nach verwendetem Fett und anderen Zusatzstoffen kann der exzessive Verzehr von Kartoffelprodukten sogar richtig ungesund werden.
Also ist die Grundbotschaft: Natürliches Essen möglichst wenig verarbeitet zu sich nehmen, oder?
Absolut. Es geht nicht nur ums satt werden, sondern darum, dem Körper das zu geben, was er braucht. Proteine, Kohlenhydrate, Fette, Mineralstoffe, Vitamine – in der richtigen Mischung. Wenn die Basis stimmt, dann kann man sich natürlich auch als Ausnahme die Pizza gönnen.
Obst und Gemüse ist in der Ernährung für Läufer zentral. Und am besten Bio wählen!
Sind Bio-Gemüse und Obst wertvoller als konventionell angebaute Produkte?
Definitiv. Pflanzenschutzmittel sind oft nicht vollständig abwaschbar, und wir wissen nicht, was sie mit uns machen. Es kommt allerdings auf die Sorte an: Bananen schält man ja immer vor dem Verzehr, aber wenn die Schale mitgegessen wird, ist die Entscheidung für Bio immer die bessere.
Bio ist aber immer teurer …
… schon, aber es gibt auch super Bioprodukte im Discounter. Bequemlichkeit kann sehr viel teuer sein, denn die Industrie verkauft uns mit ihren Fertigprodukten oft für eine Menge Geld viel Verpackung und viel Werbung, aber wenig gesunde Lebensmittel. Natürlich ist Biogemüse teurer als konventionell angebautes. Mein Vorschlag: Weniger Fleisch kaufen und essen, und das so eingesparte Geld in Biogemüse und die eigene Gesundheit investieren.
Sollten Läuferinnen und Läufer überhaupt Fleisch essen, um so gesund und leistungsfähig wie möglich zu sein?
Das hängt von den individuellen Vorlieben ab, aber optimale Ernährung kann auch ohne Fleisch funktionieren. Sportlerinnen und Sportler können sich vegetarisch mit allem versorgen, was sie brauchen. Das klappt sogar vegan, auch wenn man da mehr aufpassen muss, dass man essenzielle Aminosäuren und Vitamine in ausreichender Menge zu sich nimmt. Bei veganer Ernährung ist es oft sinnvoll Vitamin B12 einzunehmen. Fleisch und Fisch können aber auch Läuferinnen und Läufer getrost weglassen und durch pflanzliche Proteinquellen wie Hülsenfrüchte oder Tofu ersetzen, die auch in Sachen CO2-Bilanz umweltschonender produziert werden als Fleisch.
Zur Person: Anita Horn
Anita Horn ist freiberufliche Journalistin, Autorin, Ernährungstrainerin, Hobby-Landwirtin und begeisterte Hybridathletin, die ihr Können schon bei diversen Wettkämpfen wie einem Ironman-Triathlon und dem StrongmanRun unter Beweis gestellt hat. Sie lebt mit ihrer Familie im Bergischen Land bei Köln und brennt für den Sport, aber auch für alle Themen rund um eine gesunde Ernährung. Seit über zwanzig Jahren bereitet sie beim WDR im Radio und Fernsehen Beiträge rund um das Thema Ernährung und Gesundheit auf. Sie sieht es als journalistische Pflicht, ihren Fundus an Wissen mit der Öffentlichkeit zu teilen.
Was war eigentlich deine Motivation, das alles zu recherchieren und das Buch zu schreiben?
Das hat sich aus meinen Recherchen der letzten 20 Jahre beim WDR ergeben, denn dort habe ich viele Ernährungsthemen behandelt und Diskussionen geführt. Außerdem fand ich es erschreckend, wie üblich das Täuschen von Verbrauchern in der Lebensmittelbranche ist, ohne dass es der Gesetzgeber verhindert. Ein Beispiel: Fertiger Heringssalat muss nur zu mindestens 25 Prozent aus Heringsfilet bestehen, daneben kann aber auch gegartes Rindfleisch oder Fleischbrät enthalten sein. Das muss dann zwar kleingedruckt in der Zutatenliste stehen, aber wer schaut die schon an? Zumal sie oft voller komplizierter Fachbegriffe ist. Wenn da aber auf der Verpackung groß „Heringssalat“ steht und Fisch abgebildet ist, kommt man ja kaum auf die Idee, dass da Rindfleisch drin ist. Ich finde, das muss viel transparenter werden und dazu will ich mit meinem Buch ein Stückweit beitragen.
Du schreibst, dass wir verlernt haben, bewusst mit Essen umzugehen. Lässt sich das wieder lernen?
Wenn der Wille da ist, ja. Viele erleben eine Hemmschwelle, weil sie denken, gesunde Ernährung sei kompliziert und zeitintensiv. Doch das muss sie gar nicht sein! Gemüse schneiden, mit Öl beträufeln und in den Ofen schieben, fertig. Viel wichtiger ist aber das Bewusstsein, wann und wie wir essen. Essen wir immer nur hastig im Stehen, abgelenkt durch unser Handy und Schlingen dabei alles runter? Oder setzen wir uns hin und nehmen uns bewusst die Zeit? Für mehr Achtsamkeit kann es auch helfen, vor einer Mahlzeit erst durchzuatmen und dann anzufangen.
Ist das Bewusstsein rund ums Thema Ernährung bei Läuferinnen und Läufern ausgeprägter?
Sportler befassen sich mehr mit ihrer Ernährung. Das geht aber nicht immer in die richtige Richtung. Oft wird zu schnell zu Nahrungsergänzungsmitteln gegriffen, ohne ärztliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Wenn kein Mangel vorliegt, belastet diese zusätzliche Zufuhr von Magnesium, Eisen oder Zink den Körper mehr, als dass sie hilft.
Gibt es denn das eine Patentrezept für die richtige Ernährung für Läuferinnen und Läufer?
Es gibt Grundregeln, aber nicht die eine richtige Ernährungsweise. Dafür sind wir alle viel zu unterschiedlich, die Vorlieben und Bedürfnisse zu individuell und die Möglichkeiten zu vielfältig. Die einen ernähren sich rein pflanzlich, die anderen essen Tierprodukte. Auch global gesehen unterscheiden sich die Gewohnheiten – schon allein auf Grund der regional verfügbaren Lebensmittel. Ein afrikanischer Läufer hat andere Essgewohnheiten als jemand in Deutschland. Es ist wichtig bei sich selbst anzufangen und zunächst die aktuellen Gewohnheiten zu reflektieren: Was esse ich? Wie oft esse ich? Wie viel esse ich? Dann kann man basierend auf Trainingsintensivität und den eigenen Zielen Anpassungen vornehmen. Der Prozess ist zwar etwas aufwendiger als sich an einen Ernährungsplan zu halten, lohnt sich aber, da man so lernt, die Bedürfnisse des Körpers zu verstehen.
Hilft dein Buch dabei so sehr, dass Läuferinnen und Läufer ihre Ernährung selbst optimal auf ihre Bedürfnisse und ihr Trainingspensum abstimmen können?
Zumindest im Ansatz. Es vermittelt Basiswissen darüber, wie hoch ist der individuelle Bedarf an Kohlenhydraten, Proteinen und Fetten ist. Den exakt und im Detail zu ermitteln ist allerdings nicht einfach. Das beginnt schon damit, dass sich die Empfehlungen für Kohlenhydrate beispielsweise der Deutsche Gesellschaft für Ernährung stark von denen in der Schweiz oder Österreich unterschieden. Die Wahrheit liegt am Ende oft irgendwo dazwischen und muss individuell herausgefunden werden. Das Buch kann aber helfen, ein Bewusstsein für den Kohlenhydratkonsum zu schaffen.
Du schreibst von dem 2-1-0 Prinzip …
… ja genau. Dabei fängt man beispielsweise an einem Montag an, nur zwei klassische Kohlenhydrat-Mahlzeiten zu essen. Obst und Gemüse zählt nicht dazu. Also zum Frühstück Müsli und abends Nudeln. Dienstags isst man so wie immer. Mittwoch ist dann der Einser Tag, also einmal Kohlenhydrate. Dadurch denkt man: „Ach Mist, das Brötchen, das geht jetzt vielleicht nicht.“ Donnerstags isst man wieder normal und am Freitag verzichtet man ganz auf Mahlzeiten mit Brot, Nudeln, Reis oder Kartoffeln. Dadurch konzentriert man sich viel mehr auf sein Essverhalten. Ganz wichtig sind Phasen zwischen den Mahlzeiten, in denen man gar nichts isst, um dem Körper die Möglichkeit zu geben, die zugeführte Nahrung zu verarbeiten. Essenspausen helfen auch, dass sich der Körper mit seinen Organen auf zellulärer Ebene regenerieren kann.
Wer spät isst, nimmt nicht automatisch zu
Also empfiehlst du Intervallfasten?
Dafür müsste man zunächst mal den Begriff genau definieren. Wenn die nächtliche Essenspause morgens verlängert wird, hat der Körper natürlich mehr Zeit für die regenerativen Prozesse. Allerdings gibt es viele, die danach so großen Hunger haben, dass sie mehr essen und mehr Kalorien zu sich nehmen, als sie benötigen. Die Konsequenz: Sie fühlen sich „voll“ und nehmen vielleicht sogar zu. Andere haben bei zu langen Essenspausen das gegenteilige Problem: Ihnen fällt es schwer, in den verbleibenden Mahlzeiten ihren Nährstoffbedarf zu decken. Wer beim Intervallfasten ganze Mahlzeiten weglässt, muss darauf achten, gute Vollkornprodukte und viel Gemüse, Hülsenfrüchte oder Obst zu essen. Mangelernährung kann auch bei ausreichender Kalorienzufuhr entstehen, deshalb ist es beim Intervallfasten umso wichtiger auf eine gesunde und nährstoffreiche Basis zu achten.
Viele Leute behaupten, dass man abends nicht spät essen soll, um dann nicht zuzunehmen. Wie siehst du das?
Das hat nichts miteinander zu tun, beim Abnehmen kommt es allein auf die Kalorienbilanz an. Essen am Abend kann sich allerdings negativ auf den Schlaf auswirken, weil der Körper zusätzlich mit der Regeneration auch noch mit der Verdauung beschäftigt ist. Aber auch das ist wieder sehr individuell, so passt sich der Körper natürlich Lebensumständen wie Nachtschichten oder veränderten Schlafrhythmen an.
Wie sieht es mit dem Zucker aus? Erlaubt oder verboten?
Zucker ist erlaubt, denn wenn man bewusst mit ihm umgeht, ist er nicht schlecht für die Gesundheit. Am Ende ist es auch nicht so wichtig, ob er als Honig, Dattel- und Ahornsirup oder Industriezucker konsumiert wird. Zucker ist Zucker, auch wenn erstere Lebensmittel mehr Nährstoffe enthalten. Es kommt auf die Menge an. Das Problem ist nicht der Löffel Honig, mit dem ich bewusst meinen Joghurt süße, sondern der versteckte Zucker in verarbeiteten Nahrungsmitteln. Egal ob im Brötchenteig oder in der Tomatensoße, überall wird er mittlerweile beigefügt und trägt erheblich dazu bei, dass viele die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene Menge von 25 Gramm pro Tag überschreiten.
Thema Fett. Wie viel braucht man denn da als Sportler oder Sportlerin?
Fett ist für viele Prozesse im Körper notwendig. Wir sind auf essenzielle Fettsäuren angewiesen, da der Körper sie nicht selbst herstellen kann. Am besten nehmen wir sie in Form von pflanzlichen Ölen zu uns. Besonders empfehlenswert sind Rapsöl, Olivenöl, Kürbiskernöl oder Hanföl. Auch pflanzliche Streichfette, wie Kokosfett und Margarine können Teil einer gesunden Ernährung sein. Butter würde ich nur bedingt empfehlen, denn auch da ist der Klimaeffekt durch die Milchwirtschaft enorm. Gerade bei Sportlern geht es aber vor allem um die persönlichen Ziele. Wenn man an Körperfett verlieren möchte, kann es sinnvoll sein die Fette zu reduzieren, da diese mehr Kalorien als Proteine und Kohlenhydrate enthalten
Das Buch von Anita Horn: Is(s) gut jetzt!
In ihrem Buch „Is(s) gut jetzt!“ gibt sie die notwendigen Tricks und Kniffe an die Hand, um informierte, bewusste und gesundheitsfördernde Entscheidungen zur Ernährung im Alltag zu treffen. Das Buch stellt dem Leser unter anderem zwölf Aufgaben, um ein neues Bewusstsein für die eigenen Essgewohnheiten zu entwickeln und illustriert, dass gesunde Ernährung kein Hexenwerk sein muss. Seit 2018 ist Anita Horn lizenziert als Food Coach und betreut sowohl Verbände, Unternehmen als auch Sportler in Sachen gesunder Ernährung. Das 264 Seiten starke Buch „Is(s) gut jetzt“ ist mit der ISBN ISBN 978-3-8403-7847-8 im Meyer & Meyer Fachverlag erschienen und kann hier für 22 Euro bestellt werden: