Marathon-Hoffnung
Fabienne Königstein: Mit dem Baby nach Kenia und dann auf dem Weg zu Olympia

| von Anja Herrlitz (Text) und Norbert Wilhelmi (Fotos)

Marathon-Bestzeit auf 2:25:48 gesteigert. Olympianorm unterboten. Sechstbeste Deutsche überhaupt. Und das neun Monate nach der Geburt ihrer Tochter. Wir stellen Shooting-Star Fabienne Königstein vor.

Vier Jahre mit Verletzungen, einer Schwangerschaft und Geburt sowie ohne Marathonstart liegen hinter Marathonläuferin Fabienne Königstein. Beim Hamburg-Marathon in diesem Frühjahr dann die Erlösung: Nur neun Monate nach der Geburt ihrer Tochter steigert sie ihre Marathonbestzeit um 6:47 Minuten auf 2:25:48 Stunden, unterbietet die Olympia-Norm und ist jetzt die sechstbeste Deutsche aller Zeiten. Hier liest du ihre ganze, märchenhafte Geschichte.

Manchmal kommen einem die besten Ideen nachts. Wenn man eigentlich schlafen sollte, aber wach liegt. So auch bei Fabienne Königstein, die eigentlich geplant hatte, am 23. April in Hamburg über die Halbmarathon-Distanz an den Start zu gehen. Doch das Training lief super. „Und dann lag ich nachts im Bett und mir kam die Idee, ich könnte doch den ganzen Marathon laufen“, erzählt sie. Was folgte, hört sich fast an wie ein Märchen. Und das noch mehr, wenn man die Vorgeschichte kennt.

Denn hinter Fabienne Königstein liegen zu diesem Zeitpunkt sportlich schwierige Jahre. Bis Anfang 2019 sieht alles gut aus. 2018 startet sie bei der EM im Marathon und wird dort als Elfte beste Deutsche. Im selben Jahr hatte sie ihre Bestleistung von 2:32:35 Stunden aufgestellt. Im Frühjahr 2019 läuft sie beim Berliner Halbmarathon in 1:11:39 Stunden Bestzeit. „Und vier Tage später hatte ich im Training plötzlich Schmerzen im Fuß“, blickt sie zurück.

Ermüdungsbruch – und noch mehr Probleme

Nach drei Tagen Pause und Beobachtung, in denen es keine Verbesserung gibt, zeigt ein MRT: Ermüdungsbruch. „Das war für mich in dem Moment echt schwer, weil ich eine tolle Form hatte.“ Aber sie lässt sich nicht unterkriegen, absolviert Alternativtraining, der Ermüdungsbruch verheilt gut und Fabienne Königstein hat einen Herbstmarathon im Blick. Doch dann bremst sie eine muskuläre Verletzung aus. Sechs bis acht Wochen dauert es bis zur kompletten Heilung – und das Jahr 2019 ist vorbei.

Wieder schöpft Fabienne Königstein Hoffnung, doch aus ihrem geplanten Start bei der Halbmarathon-WM 2020 wird nichts, weil die Veranstaltung wegen der Corona-Pandemie abgesagt wird. Das ganz Jahr über plagt sich Fabienne Königstein mit muskulären Problemen an der linken Oberschenkelrückseite. Niemand kann ihr bei der Problemlösung richtig helfen. Sie und ihr Mann und Trainer Karsten Königstein versuchen alles Mögliche, aber immer, wenn sich die Probleme mal bessern, sind sie auch genauso schnell wieder da.

Erst eine MRT-Untersuchung 2021 zeigt einen Anriss der Sehne. Nachdem Fabienne Königstein ein paar Monate versucht, die Verletzung konservativ zu behandeln, entscheidet sie sich im August 2021 doch für eine Operation. Die Sehne wird wieder im Knochen fixiert. „Die Entscheidung für die Operation ist mir schwergefallen, auch weil sie mit einer zweimonatigen Komplettpause einherging“, blickt Fabienne Königstein zurück.

In der Verletzungspause den Kinderwunsch erfüllt

Doch die heute 30-Jährige geht das Thema pragmatisch an. „Für mich war immer der Wunsch da, Kinder zu bekommen. Und dann habe ich mir gedacht, ich nutze die Pause. Ein besserer Zeitpunkt wird in den nächsten Jahren nicht kommen.“ Der Plan geht auf, sie wird schnell schwanger. Rückblickend war das vielleicht sogar förderlich für den OP-Erfolg. „So hatte ich viel mehr Zeit für mein Reha-Training. Sonst hätte ich wahrscheinlich viel schneller versucht, wieder die Laufumfänge zu steigern. Wir haben uns bewusst viel Zeit gelassen für Krafttraining, Mobilisation und haben die Laufumfänge nur sehr sachte gesteigert.“

Auch während ihrer Schwangerschaft trainiert sie. Immer so viel, dass sie das Gefühl hat, sie hätte noch ein bisschen mehr oder intensiver trainiert haben können. Große Unterstützung erfährt sie von ihrem Mann. Er ist Kinderarzt, hat eine Weiterbildung als Sportmediziner und hat auch vier Jahre in der Wissenschaft nah mit Sportwissenschaftlern zusammengearbeitet. Er gibt ihr Sicherheit, dass sie nicht zu intensiv trainiert und ihr ungeborenes Kind nicht gefährdet. Und im Juli 2022 kommt Tochter Skadi gesund und munter zur Welt.

Eine Woche nach der Geburt macht Fabienne Königstein die ersten Atem- und Beckenübungen. Später geht sie spazieren, fährt wieder Rad auf der Rolle, walkt, marschiert Berge hoch und runter. Langsam steigert sie die Belastung und tastet sich vorsichtig ans Laufen heran. Sieben Wochen nach der Geburt sind zehn Minuten laufen auf dem Rasen möglich, nach zwölf Wochen ist es eine halbe Stunde am Stück. „Manchmal hätte ich mir erhofft, dass es etwas schneller geht, aber mein Körper hat einfach die Zeit gebraucht.“

Eigentlich hatten sie und ihr Mann Karsten mit einem Frühjahrs-Marathon geliebäugelt. „Aber im November haben wir gemerkt, dass ich doch mehr Zeit brauche, um die Trainingsumfänge zu steigern, als wir gedacht hatten.“ Deswegen entscheidet sich das Paar, einen Halbmarathon im Frühjahr vorzubereiten. Die heute 30-Jährige legt im November und Dezember nicht so viele Laufkilometer zurück, dafür umso mehr auf dem Rad. „Im Grunde habe ich so umfangreich trainiert wie noch nie zuvor.“ Nur anders.

Mit der kleinen Skadi ins Trainingslager nach Kenia

Anfang 2023 reist die Familie ins Höhentrainingslager. Und zwar nach Kenia. Obwohl manche den Kopf darüber schütteln, wie man das mit einem sechs Monate alten Kind machen könne. Aber die drei sind gut vorbereitet. Außerdem waren beide schon mehrmals in Iten und kennen sich gut aus. Windeln gibt es wie in Deutschland vor Ort, Milchpulver nehmen sie für die komplette Reisezeit als Vorrat mit. Gemüsebrei lassen sie sich im Hotel kochen, ab und an gibt es Fleisch und Fisch aus Gläschen, die sie aus Deutschland mitbringen. Dazu kommen eine große Reiseapotheke und die Beruhigung, dass Fabienne Königsteins Mann Kinderarzt ist.

Während Fabienne trainiert, ist Skadi beim Papa. Skadi schläft noch mehrmals am Tag, so dass sich Fabienne oft mit ihr zusammen hinlegen kann. Sobald die Familie zum Essen kommt, freut sich das Personal schon auf das Baby und kümmert sich gerne um die Kleine. „Und wir konnten in aller Ruhe essen“, lacht Fabienne Königstein. Außerdem ist in der Vollpension ein Waschservice und Putzen inbegriffen, „das heißt ich habe trainiert und konnte sonst Zeit mit meiner Familie verbringen“. Die drei genießen die sechs Wochen in der Höhe.

Der Papa ist Kinderarzt

Dann wird es Frühling. „Im März und April lief es auf einmal so gut“, blickt Fabienne Königstein zurück. Einmal in der Woche läuft sie an einem Tag 30 Kilometer, aufgeteilt auf zwei Einheiten. Während sie im März noch daran zu knabbern hat und die Belastung vor allem am Bewegungsapparat merkt, kann sie die 30 Kilometer im April schon richtig gut wegstecken und hat sogar das Gefühl, sie hätte noch mehr machen können.

Zehn Tage vor dem geplanten Halbmarathonstart liegt sie nachts wach, und die Gedanken kommen. Wirklich nur ein Halbmarathon in Hamburg? Und wenn sie doch den ganzen laufen würde …? Fabienne Königstein ist euphorisiert, die Entscheidung ist für sie schon so gut wie gefallen. Trotzdem will sie am nächsten Morgen mit ihrem Mann reden. Und der schluckt erst einmal. Und dann gibt er zu, dass er auch schon an diese Option gedacht hat.

„Ich wollte diesen Marathon unbedingt laufen. Ich hatte so Lust“, erzählt die studierte Molekularbiologin. Während sich sonst in den beiden letzten Wochen vor einem Marathonstart schon mal Zweifel und Sorgen breitmachten, war davon nichts zu spüren. Da war nur Lust. Und deswegen läuft Fabienne Königstein in Hamburg den Marathon. Aber nicht nur um anzukommen. Sie will die Olympia-Norm unterbieten und die liegt bei 2:26:50 Stunden und damit 5:45 Minuten unter Fabienne Königsteins Bestzeit. „Diese Steigerung klingt immer wahnsinnig“, gibt sie zu. „Aber ich hatte in den Verletzungsjahren so oft ein Niveau für unter 2:30 Stunden, habe es aber nie gesund an den Start eines Marathons geschafft.“

© Haspa Hamburg-Marathon

Befreiungsschlag beim Haspa Marathon in Hamburg

Dieses Mal schafft sie es. Und es rollt. Das Wetter ist perfekt und die Unterstützung der Zuschauer klasse. „Erst ab Kilometer 30 musste ich schauen, dass ich an meinem Tempomacher dranbleibe“, blickt Fabienne Königstein zurück. Als dieser zwei Kilometer später seine Arbeit beendet, muss sie selbst dafür sorgen, das Tempo zu halten. Und es klappt. In 2:25:48 Stunden bleibt sie nicht nur deutlich unter der Olympia-Norm, sondern läuft auch auf Rang sechs der ewigen deutschen Bestenliste und ist noch vier Sekunden schneller als die Berlinerin Deborah Schöneborn, die bis zu diesem Zeitpunkt als einzige Deutsche die Olympia-Norm unterboten hatte. Da es derzeit viele starke deutsche Marathonläuferinnen gibt, aber nur drei bei Olympia im kommenden Jahr starten dürfen, könnten diese vier Sekunden im Kampf um einen Startplatz schon entscheidend sein.

Als Fabienne Königstein ins Ziel läuft, „war es für mich wie ein Befreiungsschlag nach den harten Jahren mit den Verletzungen.“ Ob es nun für Olympia in Paris reicht? Sie weiß es nicht und wird im Herbst noch einen Marathon laufen. Vielleicht ist ja noch eine Steigerung drin. Was noch möglich ist? „Ich bin jetzt schon schneller gelaufen, als ich vor fünf Jahren gedacht hätte. Eigentlich sollte man sich keine Grenzen setzen“, sagt sie. Den deutschen Rekord von Irina Mikitenko von 2:19:19 Stunden hält sie trotzdem für ein bisschen zu weit weg. Aber die zweitschnellste Zeit einer deutschen Frau, die bislang Melat Kejeta mit 2:23:57 Stunden gelaufen ist, hält sie für möglich. „Der Schlüssel ist, gesund und verletzungsfrei zu bleiben. Dann kommt auch die Leistung.“ Und wer könnte das besser wissen als Fabienne Königstein.