BMW Berlin-Marathon
So kommt die Musik an die Strecke

| Text: Olaf Kaiser | Fotos: Andreas Schwarz, imago images/Contrast, imago images/Camera4

Ein Niederländer gibt beim BMW Berlin-Marathon den Beat vor: Jazzclubbetreiber John Kunkeler sorgt dafür, dass sich die über 90 Bands, die entlang der Strecke für Stimmung sorgen, nicht in die Quere kommen.

Ein Niederländer gibt beim BMW Berlin-Marathon den Beat vor: Jazzclubbetreiber John Kunkeler sorgt dafür, dass sich die über 90 Bands, die entlang der Strecke für Stimmung sorgen, nicht in die Quere kommen. Daneben hat der 71-Jährige noch einen Spezialauftrag: Er fischt die Schummler aus den Ergebnislisten.

Vom Rundfunk Berlin Brandenburg ist John Kunkeler schon als Allzweckwaffe des Berlin-Marathons bezeichnet worden. Und das trifft es ziemlich gut: Bereits seit Mitte der 90er Jahre ist Kunkeler in die Organisation eingebunden, und noch länger ist er fixer Teil der Berliner Laufszene. Der 71-Jährige gehört zu jener Sorte von Menschen, bei denen man sich fragt, wie sie ihr tägliches Tun in 24 Stunden unterbringen. Er fungiert nicht nur als offizieller Streckenvermesser (außer in Berlin übrigens auch in Dubai, Tokio, Amsterdam, Hannover, Leipzig, Dresden und Magdeburg, um nur einige Läufe zu nennen), sondern organisiert auch die Zug- und Bremsläufer. Vor allem aber ist er Direktor des Musikmarathons – des musikalischen Begleitprogramms entlang der Strecke. Und das alles neben seinem eigentlichen Job als Mitbetreiber des Jazzclubs Schlot in Berlin-Mitte.

24/7 für Musik und Marathon: John Kunkeler

Mit Horst Milde, dem Initiator des Berlin-Marathons und langjährigen Renndirektor, ist er eng befreundet. „Wir beide haben die gleiche Denkweise“, sagt er. Der Marathon in der Hauptstadt sei vor allem durch „Manpower“ zu dem Mega-Event geworden, der er heute ist. „Und durch charismatische Persönlichkeiten an der Spitze.“ Kunkeler meint damit zwar vor allem Horst Milde. Doch die Aussage trifft genauso gut auch auf ihn selbst zu.

Musik und Laufen sind die beiden großen Leidenschaften des Holländers – und beim Musikmarathon kann er sie verbinden. Angefangen hatte alles damit, dass es Mitte der 90er Jahre Streit mit einer Trommelband und einer Cheerleadergruppe aus Detmold gab, die bis dahin am Platz am Wilden Eber für Stimmung gesorgt hatten. Die Band war damals eine der wenigen entlang der Strecke und bekam deshalb schnell Kultcharakter. Doch dann gab es Differenzen, weil die Gruppe einen anderen Bekleidungssponsor hatte als der Marathon – und dieser Sponsor war auch noch ständig im Fernsehen zu sehen.

Als der Wilde Eber zahm zu werden drohte

Die Detmolder drohten: Dann kommen wir eben nicht mehr! Ihr werdet ja sehen, wie sich das auf die Stimmung auswirkt! Doch als der Wilde Eber zahm zu werden drohte, kam John Kunkeler ins Spiel. „Ich habe zu Horst Milde gesagt: Das schaffen wir doch auch mit eigenen Bands.“ Nur drei Tage später hatte er eine andere Gruppe aufgetrieben. Die war noch größer als die Gruppe aus Detmold und legte einen fulminanten ersten Auftritt hin. Bei der Suche nach weiteren Bands halfen Kunkeler natürlich seine Kontakte aus dem Jazzclub. Und aus ehemals zwei Bands an der Strecke sind mittlerweile 92 geworden. Inzwischen muss sich Kunkeler nicht mehr um die Besetzung bemühen – die Gruppen melden sich bei ihm. Mittlerweile muss er vor allem darauf aufpassen, dass sie nicht zu nah beieinander stehen und sich damit womöglich akustisch in die Quere kommen.

Am einfachsten seien die Trommelgruppen. „Sie brauchen keinen Strom und können deshalb überall spielen“, erklärt Kunkeler. Wenn jemand dagegen eine E-Gitarre mitbringt, braucht er immer gleich eine enorme Apparatur, einen Tontechniker und ein Mischpult. „Das kann allenfalls an einigen Stellen geleistet werden, wo entsprechender Stromzugang besteht“, sagt er. Geld bekommt nur etwa die Hälfte der Musikgruppen, und dann auch eher eine Aufwandsentschädigung. „Davon können sie vielleicht einmal Pizza essen gehen“, sagt Kunkeler. Die andere Hälfte spielt komplett kostenlos. „Sie machen das einfach, weil es ihnen Spaß macht. Theoretisch könnte jede Band auch stundenlang immer dasselbe Lied spielen, weil die Läufer schnell vorbeilaufen und immer nur kurz zuhören. Aber das machen sie natürlich nicht, weil sie mit der gleichen Begeisterung bei der Sache sind wie die Sportler.“

Wo Cheerleader müden Läufern Beine machen

Für ihn gilt das ohnehin. John Kunkeler organisiert im Alleingang, womit ansonsten wohl ein halbes Dutzend Personen in einer Eventagentur beschäftigt wären. Doch der Einsatz lohnt sich: „Der Berliner Musikmarathon ist weltweit das Maß aller Dinge“, sagt er. In New York etwa stünden ebenfalls hervorragende Bands an der Strecke, doch insgesamt sei deren Zahl deutlich geringer als in Berlin. „In dieser Fülle gibt es das nirgendwo sonst. Das ist ein echtes Alleinstellungsmerkmal“, so Kunkeler. Immer wieder würden ihn selbst die Spitzenläufer darauf ansprechen: „Sie berichten mir, dass die Atmosphäre dadurch eine ganz andere ist als beispielsweise in Dubai, wo es über weite Strecken durch die menschenleere Wüste geht.“ Umso weniger kann er es verstehen, dass immer mehr Läufer mit Kopfhörer an den Start gehen. Kunkeler meint: „Mit so einem Knopf im Ohr kriegt man von dem besonderen Ambiente doch gar nichts mehr mit.“

Und weil Jazzclub, Musikmarathon und all die anderen Jobs rund um den Berlin-Marathon noch nicht genug sind, ist John Kunkeler auch noch als Detektiv für das Rennen in der Hauptstadt unterwegs: Jedes Jahr, wenn die Veranstaltung vorbei ist, durchforstet der Niederländer auf der Suche nach Betrügern akribisch die Ergebnislisten. Der Mann mit dem verschmitzten Lächeln hat schon so manchen schummelnden Läufer beim Berlin-Marathon enttarnt und seiner gerechten Strafe zugeführt. Zwei der spektakulärsten Fälle ereigneten sich 2007. Der frühere mexikanischer Präsidentschaftskandidat Roberto Madrazo flog auf, weil bei ihm einige Zwischenzeiten fehlten – er war einen Teil der Strecke gar nicht gelaufen. Und eine Läuferin aus Liechtenstein, Kerstin Metzler-Mennenga, gab mit Landesrekord und Olympianorm ins Ziel gekommen zu sein. Doch sie selbst war gar nicht gelaufen, ein anderer Läufer hatte ihren Chip getragen.

Die Laufchips haben Kunkelers Aufgabe deutlich erleichtert. Alle fünf Kilometer wird damit die Zeit erfasst. „Wenn wir Unregelmäßigkeiten feststellen, wenn also beispielsweise jemand für die ersten fünf Kilometer  noch 30 Minuten braucht, für die zweiten dann aber nur noch 18 Minuten, schreiben wir die Läufer sofort an“, sagt Kunkeler. Das passiere jedes Jahr rund 300 Mal, wobei am Ende über 100 Läufer tatsächlich aus der Wertung fallen. Allerdings ist nicht jeder von ihnen ein Betrüger. John Kunkeler hat es vor einigen Jahren in New York selbst erlebt, wie schnell man zu Unrecht verdächtigt wird: Er war damals vorzeitig ausgestiegen, musste aber in den Zielbereich, um seine Sachen abzuholen. „Ich bin aber nur reingekommen, indem ich wieder auf die Strecke gegangen und ins Ziel gelaufen bin“, sagt er. In anderen Fällen habe vielleicht der Chip einfach nicht ausgelöst, was immer wieder vorkomme, zum Teil sogar mehrfach. „Ich prüfe jeden Fall ganz genau“, sagt er. Es soll gerecht zugehen bei Deutschlands größtem Laufevent.