Hobbyläufer des Jahres: Die Kandidaten 2018

Hobbyläufer des Jahres: Die Kandidaten 2018

| Texte: Christian Ermert | Fotos/Videos: Norbert Wilhelmi

Die Wahl zu den „Läufern des Jahres“ geht in die nächste Runde: Bereits zum siebten Mal haben wir zusammen mit Krombacher o,0% Läuferinnen und Läufer gesucht, die andere motivieren. Hier lernst du die Kandidaten kennen.

Bereits zum siebten Mal hat laufen.de zusammen mit Krombacher o,0% bei der Wahl der "Hobbyläufer des Jahres" Läuferinnen und Läufer gesucht, die auch andere motivieren. 2018 stand die Wahl der Hobbyläufer des Jahres unter dem Motto: So hat Laufen mein Leben verbessert. Und die Resonanz auf unseren Aufruf, Läuferinnen und Läufer vorzuschlagen oder sich selbst zu bewerben, war gewaltig. Über 400 Vorschläge und Bewerbungen sind bei uns eingegangen. Aus denen hat die Redaktion von laufen.de drei Kandidaten ausgewählt, die wir dir hier näher vorstellen: Britta Seiler aus Berlin hat durchs Laufen eine schwere Autoimmunkrankheit ohne Medikamente in den Griff bekommen. Markus Bock aus Hildesheim läuft erfolgreich gegen seine Depressionen an. Und Ricarda Drobig aus Lübeck zeigt, dass man trotz zwei Hüftoperationen und mit einem Herzschrittmacher Spaß am Laufen finden kann. Zur "Hobbyläuferin des Jahres" gewählt wurde Britta Seiler. Sie erhielt 42 Prozent der abgegebenen Stimmen. Auf Platz zwei kam Ricarda Drobig (30 Prozent. Markus Bock wurde mit 28 Prozent der Stimmen Dritter.

Mit Anfang 20 musste Ricarda Drobig aus Lübeck bereits zweimal das Gehen ganz neu lernen. Und hat dabei das Laufen lieben gelernt. Vor ihrer ersten Hüft-Operation war an Sport nicht groß zu denken. Bei fast jedem Schritt hatte sie Schmerzen. Die angeborene Fehlstellung auf beiden Seiten hatte sie schon als Kind gebremst. ,,Wegen der starken Schmerzen konnte ich nur selten am Sportunterricht teilnehmen, wodurch ich nicht mal eine Note bekam. Ich hatte nie wirklich Spaß am Sport, sondern hab es eher gehasst.“

Ihre Kindheit verlief etwas anders als üblich. „Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen und war etwas stiller als die anderen Kinder. Ich war eher das Pferdemädchen“, blickt sie zurück. Und auch später war sie nicht so wie die meisten anderen Teenager. „Wenn du jeden Tag so viele Schmerzmittel nehmen musst und deine Hüfte nicht alles mitmacht, setzt man einfach andere Prioritäten als freitagabends feiern zu gehen.“

Deshalb genießt sie es heute umso mehr, durchs Laufen immer neue, nette Leute kennenzulernen. „Früher war ich sehr zurückhaltend und wagte es kaum, mich anderen mitzuteilen. Mittlerweile rede ich gerne, gehe auf Menschen zu und teile meine Geschichte. Auch um anderen zu zeigen, dass es sich lohnt zu kämpfen“, schreibt sie in ihrer Bewerbung für den Titel „Läuferin des Jahres“.

Nach der Hüft-Operation: Das Gehen und Laufen ganz neu gelernt

Möglich wurde das alles durch zwei Hüft-Operationen, mit denen die angeborenen Gelenkfehlstellungen korrigiert wurden. Ein heftiger Eingriff, bei dem das Gelenk gebrochen und neu ausgerichtet wird. Danach müssen die Patienten zunächst das Gehen ganz neu lernen. Ricarda Drobig benötigte dafür nach der ersten Operation auf der rechten Seite ein halbes Jahr.

Als das geschafft war, kam der große Aha-Effekt: „Ich konnte plötzlich sogar laufen, ohne dass dabei jeder Schritt mit Schmerzen verbunden war.“ Ihre ersten Schritte absolvierte sie auf dem Laufband im Fitnessstudio. Schon bald wurden aber auch die Läufe im Freien zum festen Bestandteil im Leben der angehenden medizinischen Fachangestellten. Sie begann, an Wettkämpfen teilzunehmen. Der Traum vom Triathlon und einem Halbmarathon in Köln kam auf. ,,Köln weil die Stimmung da am besten ist, und das Rheinländische einfach in meinem Blut ist‘‘, sagt die 23-jährige, die in Bergisch Gladbach zur Welt kam.

Doch zunächst platzte der Traum. Die Ärzte entschieden 2016, dass auch die linke Hüfte operiert werden muss. Der Operation folgte erneut das volle Reha-Programm. Auch wenn sie diesmal noch am Abend vor der Operation einen kleinen Sprint beim Spazieren gehen hinlegte, um noch mal das Feeling des Laufen zu spüren, musste sie danach wieder das Gehen neu lernen. Mit dem Ziel, möglichst schnell auch wieder zu laufen.

Denn mittlerweile hatte das Laufen für sie eine ganz neue Bedeutung erlangt. Es wurde zu einer Art Lebensversicherung. Nach der ersten Hüft-Operation kam bei Ricarda zu ihren orthopädischen Problemen auch noch eine Herzkrankheit. Aus einem verschleppten Infekt entwickelte sich eine Entzündung am Herzmuskel, die das Organ so stark schädigte, dass ein Herzschrittmacher implantiert werden musste. Da das Laufen auch auf ein Herz mit Schrittmacher positiven Einfluss hat, bedeutet es viel für Ricardas Gesundheit. „Durchs Laufen kann ich alle meine Werte stabil halten“, erklärt sie. Und so lief sie schon zwei Wochen nach der Implantation ihren ersten Wettkampf. „Natürlich mit dem Okay meines Arztes“, sagt sie.

Nach der zweiten Hüft-OP konnte sie sich endlich ihren Traum von kleineren Triathlon-Wettkämpfen und vom Halbmarathon erfüllen: Im Oktober finishte sie in Köln. Und nahm jede Menge Motivation für die Zukunft vom Kölner Dom mit ans Lübecker Holstentor. „Ich will noch lange laufen, viele Leute kennenlernen und Halbmarathons finishen“, sagt sie. Marathon kommt für sie allerdings erstmal nicht infrage. „Die Belastung wäre beim Training und beim Wettkampf für meinen Körper zum derzeitigen Trainingsstand zu groß“, sagt sie. Und warum will sie Hobbyläuferin des Jahres werden? „Weil ich den Menschen Mut machen will, indem ich zeige, dass Laufen und Bewegung bei vielen Erkrankungen helfen kann und man auch mit einem Herzschrittmacher Halbmarathon laufen und Triathlons finishen kann.“

Markus Bock leidet seit über 20 Jahren an wiederkehrenden schweren Depressionen. Als Kind alkoholkranker Eltern rutschte er immer tiefer in einer Spirale aus negativen Gedanken. „Ich kann mein Leben einfach nicht gestalten. Ich schaffe nichts.“ Das war so etwas wie sein ständiges Mantra. Zweimal versuchte er, sich das Leben zu nehmen.

Seit 2013 berichtet er auf seinem Blog von seinen Erfahrungen mit den Depressionen. Dessen Name verrät, worum es Markus Bock dabei geht. verbockt.com – das ist ein Wortspiel mit seinem Namen – irgendwie ironisch, aber vor allem auch „ein Synonym für den Zustand, den die Krankheit Depression mir in den Kopf setzt“, wie er selbst schreibt.

Der Blog hilft ihm dabei, weniger Zeit und Energie dafür aufzuwenden, seine Depression auszublenden, unsichtbar und vergessen zu machen. Er zwingt ihn dazu, seine Krankheit einzugestehen – oder, wie er selbst positiv formuliert: „Ich nehme mir den Druck, jemandem etwas vormachen zu müssen und werde immer wieder daran erinnert, über die Krankheit nachzudenken, mir meinen Zustand ins Bewusstsein zu rufen und so besser damit umzugehen.“

Und so kam es auch zu seinen ersten Schritten als Läufer. Im vergangenen Jahr fand auf dem Tempelhofer Feld in Berlin der „Mutlauf“ statt. Dabei wurde für die Entstigmatisierung von Depression und seelischer Erkrankung gerannt. „Und da wollte ich unbedingt dabei sein und Gesicht zeigen“, sagt Markus Bock, der vor zwei Jahren den Verein „Sport gegen Depressionen" mitgegründet hat. Joggen kam damals allerdings nicht in Frage. Walken, ja, aber Laufen? Nie. „Das macht mit 116 Kilogramm einfach keinen Spaß“, schwor er sich.

Beim Laufen die Schleife aus negativen Gedanken durchbrechen

Und dann kam dieser Lauf in Berlin. „Ich wollte einfach diese 2,5 Kilometer lange Runde im Laufschritt schaffen. Und wenn ich dabei kotzen muss.“ Er schaffte es, und seitdem gehört das Laufen zu seinem Leben. Meistens absolviert er Intervalle auf der Kunststoffbahn. Laufen und Gehen im Wechsel. Zwölf Kilometer hat er so schon geschafft. Meistens läuft er allein. „Ich will ja niemandem mein langsames Tempo aufzwingen“, sagt der Vater eines dreijährigen Sohns. Der Grafik- und Social Media-Experte ist derzeit Vollzeit-Papa, bleibt zu Hause, um sich um den Nachwuchs zu kümmern oder ist mit Vorträgen über sein Herzensthema in Deutschland unterwegs.

Bei seinen Runden auf der Bahn merkt er, wie sehr ihm das Laufen bei der Bewältigung seiner Depressionen hilft. Er kann dabei die Schleife aus negativen Gedanken durchbrechen, die für Depressionen so typisch ist. „Ich konzentriere mich dabei auf die Bewegung, auf meinen Körper und nicht darauf, wie schlecht es mir gerade geht. Und wenn ich nach Hause komme, habe ich das Gefühl, etwas geschafft zu haben“, beschreibt er, was das Laufen mit ihm macht.

Mittlerweile hat er sogar schon einen Volkstriathlon absolviert. Radfahren und Schwimmen machen ihm genauso viel Spaß wie Laufen. Und die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ist ihm wichtig: „Ich will zeigen, dass ich als von Depressionen Betroffener doch etwas leisten kann. Laufen ist einer der Anker geworden, die mich in der Bahn halten. Die Entspannung, die Lernphasen, den Körper spüren, der Ausgleich zum Alltag, die Resonanz für den Lebensweg haben mir eine Menge Lebensqualität mitgegeben“, schreibt er in seiner Bewerbung für die Wahl der „Läufer des Jahres“ und sagt später im Interview mit laufen.de: „Ich möchte Läufer des Jahres werden, weil ich anderen Mut machen will, Sport für sich zu entdecken. Laufen sorgt für Entspannung, bringt aber gleichzeitig Struktur und Verbindlichkeit in den Alltag. Und am Ende ist es natürlich auch gut für die körperliche Gesundheit.“

Wenn Britta Seiler zusammen mit hunderten anderen bei einem Wettkampf läuft, geht es ihr richtig gut. Dann fühlt sie sich wie eine ganz normale, fitte Läuferin und nicht wie eine chronisch kranke Patientin. Ein Glücksgefühl, das sie in den vergangenen sechs Jahren nicht oft erlebt hat. Denn die 41 Jahre alte Berlinerin leidet an einer seltenen Autoimmunkrankheit. Sie hat systemische Sklerose, eine Krankheit, bei der sich das Bindegewebe im Körper so stark verhärtet, dass es die Funktionsfähigkeit der Organe immer mehr einschränkt. Eine wirksame Therapie gegen die Krankheit gibt es noch nicht. Sie kann nicht gestoppt werden, lediglich die Verlangsamung des Verlaufs und die Behandlung der Symptome ist möglich.

Deshalb musste Britta in den vergangenen sechs Jahren täglich eine Vielzahl von Medikamenten nehmen. Alle zehn bis zwölf Wochen war sie im Krankenhaus. Wurde mit Infusionen und Chemotherapie behandelt. Zusätzlich leidet sie an einer Hüftarthrose. Die beiden Krankheiten belasteten sie psychisch so schwer, dass sie in eine schwere Depression abrutschte. „Ich war ständig in Sorge, was aus meinen Kindern mal werden soll, konnte mich aber gleichzeitig zu gar nichts motivieren“, erinnert sie sich. Sie hat zwei Söhne, sieben und 18 Jahre alt.

Ihr Mann hat schon immer viel Sport gemacht. Und er hat sie inspiriert, eine Entscheidung zu treffen, die ihr Leben mit der Krankheit vollkommen verändert hat. „Ich bin ja schon fast tot. Ich muss was machen. Ich will nicht mehr täglich gefühlte 1000 Medikamente nehmen und Chemomedis spritzen. Ich will nicht mehr als ,die arme Kranke‘ gelten, sondern mich wieder fit und gesund fühlen“, beschreibt sie die Gedanken, mit der sie die Wende einleitete.

Alles, was ihr gut tut, ist auch gut

Sie sprach mit ihrem Arzt über ihren Plan, laufen zu gehen. Der machte sich mehr Sorgen wegen der Arthrose als wegen der Sklerose, gab aber grünes Licht. Seine Haltung: Alles, was ihr gut tut, ist auch gut. Und so brach Britta Seiler zu ihrem ersten Lauf auf. „Es fühlte sich schrecklich an“, erinnert sie sich an die ersten Schritte im Sommer 2017. Nach einem Kilometer war Schluss. „Und danach konnte ich nicht mal mehr mit meinem jüngsten Sohn Fußball spielen …“ Aber sie blieb dabei. Lief weiter und merkte, wie sie sich immer besser fühlte. Mittlerweile läuft sie seit einem Jahr, hat schon an zahlreichen Wettkämpfen teilgenommen und schafft zehn Kilometer am Stück.

Das Beste ist allerdings, dass sie mittlerweile ganz ohne Medikamente gegen ihre Krankheit auskommt. Im vergangenen Jahr war sie nur einmal im Krankenhaus. Eine Erklärung dafür haben die Ärzte nicht, aber sie unterstützen Britta Seiler. Denn bei der systemischen Sklerose ist noch so viel unerforscht, dass auch ihre Behandlungen zum Großteil auf dem Prinzip von Versuch und Irrtum beruhen. Objektiv feststellen ließ sich allerdings, dass der Einfluss der Krankheit auf ihre Lunge zurückgedrängt wurde, seit sie läuft. Ihr Lungenvolumen ist größer geworden. Sie ist fitter.

Dank des Laufens blickt Britta Seiler jetzt auch wieder positiv in die Zukunft. Für 2019 schmiedet sie bereits große Pläne. Einer ihrer Wettkämpfe soll ein Halbmarathon sein. Und warum will sie „Hobbyläuferin des Jahres“ werden? „Weil ich der lebende Beweis dafür bin, wie gut Laufen tut – sogar bei manchen Krankheiten. Und ich will zeigen, dass Laufen einen nicht nur körperlich fit macht, sondern auch Seele und Geist.“