Costa Blanca-Trail
Hoch über dem Mittelmeer und den Türmen von Benidorm
Benidorm – das klingt nach Pauschalurlaub mit Unterkünften in Hochhaustürmen am Strand. Dass man an der Costa Blanca aber auch wunderbar traillaufen kann, hat Stefan Schlett herausgefunden.
Heiße Rhythmen schallen durch die malerischen Gassen der historischen Altstadt von Finestrat, einem Städtchen nahe Benidorm an der Costa Blanca. Unter einem satten Vollmond werden in einer kalten Novembernacht 250 Läuferinnen und Läufer um 23 Uhr auf ihre 101 Kilometer lange Reise geschickt. 6020 Höhenmeter wollen beim Costa Blanca-Trail in den Küstenbergen der spanischen Region um Alicante abgearbeitet werden.
Direkt nach dem Start steht ein fast vertikaler Streckenabschnitt auf dem Programm: Auf nur vier Kilometern führt der Weg von 352 auf 1410 Meter über dem Meer. Der Gipfel des Puig Campana ist der zweithöchste Berg an der Costa Blanca. Seine mächtige Südwand thront über Finestrat. Nach der anspruchsvollen nächtlichen Überschreitung dieses steilen Kalksteinbrockens wird die märchenhaft klare Vollmondnacht von einem Morgen mit Regenwolken abgelöst. Die staubigen Trails verwandeln sich in Schlammrutschbahnen. Für den Läufertross ist das ein zusätzliches Handicap auf dem Weg in die Sierra Aitana, einem kleinen, aber wilden Gebirgszug mit zackigen Felstürmen und zerklüfteten Gipfeln.
Das nimmt jeder gern in Kauf – wohlwissend, dass in Deutschland wegen steigender Corona-Inzidenzen schon wieder Lauf-Events abgesagt werden. In Spanien ist die Situation dank einer hohen Impfquote dagegen unter Kontrolle. Insgesamt 1800 Teilnehmer aus 18 Ländern meldeten beim 7. Costa Blanca Trail für die für Distanzen von 20 bis 101 Kilometer, was neuen Rekord gegenüber der letzten Austragung im Jahr 2019 bedeutete. Die 20-, 29- und 46-Kilometer-Strecken waren seit Juli ausgebucht.
Auch Regen an den drei Veranstaltungstagen konnte die Stimmung nicht trüben. Dieser ist hier relativ selten, wie mir einige Einheimische versicherten, weil der meist von den Küstengebirgen abgehalten wird. So selten, dass selbst die Kinder in der Schule „regenfrei“ haben wollen, wenn der Himmel einmal seine Schleusen öffnet …
Der Costa Blanca Trail findet immer am dritten Wochenende im November statt, also das nächste Mal vom 18. bis 20. November 2022. Das Anmeldeportal öffnet am 13. Juni 2022. Die fünf Strecken sind auf drei Tage verteilt: Die 101 Kilometer mit 6020 Höhenmeter starten Freitagnacht, die 75 Kilometer (mit 4100 hm) und die 46 Kilometer (mit 3100 hm) am Samstag und am Sonntag gehen Läuferinnen und Läufer über 29 Kilometer mit 2010 Höhenmetern und 20 Kilometer mit 1000 Höhenmetern an den Start.
Toporganisiertes Event in bis zu 1500 Meter hoher Berglandschaft
Für Sportler aus Zentral- und Nordeuropa ist der Costa Blanca-Trail eine ideale Möglichkeit, auch noch spät im Jahr ein toporganisiertes Event mit allen Schwierigkeitsgraden im milden Klima Südspaniens zu genießen. In den Alpen schneit es im November auf diesen Höhen meistens schon. Die maximal 1500 Meter hohen Berge der Costa Blanca können im Winter zwar auch mal von einem Schneeteppich gepudert werden, was selbst für Einheimische eine Sensation darstellt, jedoch ist der weiße Zauber in der Regel nach einigen Tagen schon wieder abgetaut. Eine tolle Gelegenheit also, den grauen Novembertagen für kurze Zeit zu entfliehen.
Alicante mit seinem internationalen Flughafen ist nur 60 Kilometer von Benidorm entfernt. Den Event mit einem Kurzurlaub in der mit einer hervorragenden touristischen Infrastruktur ausgestatteten Region zu verbinden, bietet sich also geradezu an. Während der Trailläufer oder die -läuferin die einsame und ruhige Bergwelt erobern, kann sich die Familie beim Shopping und an den Top-Stränden von Benidorm vergnügen. Die durchschnittliche Wassertemperatur liegt zu dieser Jahreszeit noch immer bei 19 bis 20 Grad. Natürlich kann man sein Quartier auch in den kleinen, von Weinbergen und Olivenhainen eingerahmten Bergdörfern aufschlagen, die allesamt nur einen Katzensprung von der Küste entfernt sind.
Die Region ist nicht nur ideales Trainingsgelände für Läufer aller Disziplinen. Auch Mountainbiker, Rennradfahrer, Wander- und Kletterfreunde finden Dutzende reizvolle Routen vor. Schließlich gibt es in dieser Region rund 40 Berge die höher sind als 1000 Meter. Aber auch 244 Kilometer Küstenlinie, sowie 170 Strände und Buchten. Der Verpflegungsstand bei Kilometer zwölf zum Beispiel liegt am Fuße des 1182 Meter hohen Monte Ponoig mit seiner berühmten Via Ferrata, einem schwindelerregenden Klettersteig.
Raketenüberwachung, militärische Hinterlassenschaften und extrem gute Verpflegung
Nicht ganz so natürlich schön präsentiert sich allerdings der Aitana – mit 1558 Metern der höchste Berg der Region. Nebelschwaden wabern geheimnisvoll um die alten, verwahrlosten und mit Elektroschrott vollgestopften Ruinen unterhalb seines Gipfel. Es sind die Hinterlassenschaften eines militärischen Überwachungsapparates, der auf dem Bergrücken von der NATO errichtet wurde, um früh vor möglichen Raketenangriffen auf Europa warnen zu können. Zahlreichen Antennen ragen immer noch in die tiefe Wolkendecke, als die Läuferinnen und Läufer den Gipfel erklimmen. Die Station ist noch in Betrieb.
Die militärische Infrastruktur hat allerdings auch Vorteile für den Trail. Eine asphaltierte Straße führt zu der Station. Und diesen Weg haben die Veranstalter des Costa Blanca-Trails genutzt, um feinste Speisen auf den Berg zu karren. So eine genussvolle Oase und so freundliche Helfer erlebt man selten am höchsten Punkt eines Trailruns. Hier verweilt man gern, bevor man sich wieder vom dicken Nebel verschlucken lässt. Denn noch sind 800 felsige Meter bis zum höchsten Punkt zu bewältigen. Dann erst erfolgt der 14 Kilometer lange und steile Downhill über mehr als 1000 Höhenmeter in das Bergdorf Sella, einem lauschigen 600 Seelen Ort.
Hier erwartet den müden Ultraläufer am frühen Abend bei nach 82 Kilometern ein extremer Kontrast: Aus der Dunkelheit der Berge kommend führen ihn am Berghang gelegene enge Gassen zum hell erleuchteten Ortskern, wo er mit einer Fiesta empfangen wird: Menschen tanzen, Kinder toben, die Kneipen sind gerammelt voll, eine Kapelle schmettert lautstarke Blechmusik und der Verpflegungsstand lockt mit allerlei Leckereien. Denn heute wird nicht nur die Ankunft der Trailmatadoren gefeiert, sondern auch das Fest der heiligen Cecilia, Patronin der Musiker.
Zwei Welten treffen aufeinander: Hier das jahrhundertealte Traditionsfest, dort das noch junge und boomende Trailrunning mit seinen Ritualen. Freilich sind zu diesem Zeitpunkt die Sieger schon längst in Finestrat eingelaufen, aber das Zeitlimit für die Ultradistanzen läuft erst um Mitternacht aus. Der Sieger Pepelu Ballester Gomez hat die 101 Kilometer in 13:01:36 Stunden abgerissen, während der Brite Rob Sinclair von den Highland Hill Runners die 75 Kilometer mit über einer halben Stunde Vorsprung in 8:06:03 Stunden gewonnen hat. Bei den Damen siegen die Spanierinnen Roser Nicolau Pico in 16:17:15 Stunden über 101 Kilometer und Jessica Asensio Pérez über 75 Kilometer in 10:22:24 Stunden.
Der Regen sorgt für einen schwierigen Weg ins Tal
Während die ultralangen Strecken noch in der trockenen Nacht gestartet wurden, gehen die 29 Kilometer am Morgen los, als der Regen die Trails bereits aufgeweicht hat. In den steilen Rinnen der ersten, fast vertikalen Kilometer führt das dazu, dass sich der Läufertross staut: Es ist so rutschig, dass die Steigung von vielen nur auf allen Vieren zu bewältigen ist. Oben angekommen stürmt und regnet es zwar, aber wenn die Wolkenfetzen dann doch mal den Blick auf die Küste freigeben, ist dieser gigantisch. Hier der wilde Berggipfel, 1400 Meter tiefer die Küstenlinie mit den vorgelagerten Inseln, dem Meer und der Touristenmetropole Benidorm mit ihren Wolkenkratzern – was für ein Kontrast!
Nur sieben Kilometer Luftlinie trennen den Gipfel des Puig Campana vom nächstgelegenen Strand. Doch auf den Schlammrutschbahnen wird der Weg ins Tal super anspruchsvoll und fordert alle Sinne. Der Trail ist in einem erbärmlichen Zustand, was auf die unschöne Seite des Trailrunning-Booms verweist: Ehemals kaum begangene Bergpfade, die vielleicht von ein paar Tausend Wanderern im Jahr frequentiert wurden, sollen plötzlich die gleiche Menge Menschen an einem einzigen Tag verkraften. Das kann in diesem empfindlichen Ökosystem schnell irreparable Schäden verursachen, gerade wenn der Pfad durch Regen aufgeweicht und verschlammt ist.
Trailrunning als Massenevent erscheint in solchen Regionen nur dann vertretbar, wenn die Organisatoren durch jährlich wechselnde Streckenführungen, durch Teilnehmerlimits oder Nutzung gut ausgebauter Wege dafür sorgen, dass die ökologischen Risiken des Booms klein gehalten werden. Dann werden auch künftig solche Rennen genehmigungsfähig sein und uns solche einmaligen Erlebnisse ermöglichen wie an der Costa Blanca, wo am Ende dann doch wieder die Sonne rauskommt und die schlammverkrusteten Läuferinnen und Läufer wärmt – aber das ist an der Costa Blanca ja auch ziemlich normal. Die Küstenregion punktet immerhin mit durchschnittlich 300 Sonnentagen im Jahr.