Interview mit Denisa Dragomir
Über den Wolken zuhause: Eine kleine Rumänin ist im Skyrunning die Größte
Bei der Skyrunning World Series starten die besten Trailrunner der Welt. Im vergangenen Jahr beherrschte die Rumänin Denisa Dragomir die Szene. Nach einer Verletzung steht sie kurz vor ihrem Comeback.
Immer fröhlich, aufgeschlossen und top motiviert. Wir haben uns mit Denisa Dragomir verabredet. Die zierliche Rumänin kennen in Deutschland nur wenige - dabei gehört sie zu den besten Läuferinnen der Welt. Ihre Spezialdisziplin: Skyrunning. Es ist eine besondere Form des Laufens in den Bergen. Was es damit auf sich hat, und wie man von einer talentierten Mittelstrecklerin zur besten Bergläuferin der Welt wird, darüber haben wir mit der sympathischen Denisa Dragomir aus dem Merrell Trailrunning-Team gesprochen.
Denisa, 2021 hast du die Skyrunner World Series gewonnen. Du hast fünf Siege eingefahren. Warum lief das vergangene Jahr so sensationell gut für dich?
Das ist nicht das Ergebnis eines Jahres. 2019 war schon ein super Jahr für mich. Dann kam leider Corona und es gab erstmal keine Wettkämpfe mehr. Ich habe aber gut trainiert und konnte meine Form weiter aufbauen. Als es dann 2021 endlich wieder losging, hatte ich eine riesige Motivation, endlich wieder an Rennen teilnehmen zu können. Ich möchte ja immer vorne mitlaufen. Es klappt nicht immer, aber 2021 war ich wirklich gut drauf.
Skyrunning ist eine extreme Form des Trailrunnings – die Anstiege sind extrem steil und die Downhill-Passagen technisch sehr anspruchsvoll. Was gefällt dir am meisten am Skyrunning?
Ich liebe den Downhill. Das ist auch meine Stärke. Oft bin ich bergan noch nicht ganz vorne dabei, aber wenn es sehr technisch wird, kann ich meine Stärken meist sehr gut ausspielen. Schnell den Berg hinunter zu laufen, wenn es sehr steil ist, kann man natürlich lernen, aber es gibt eine mentale Komponente. Du musst dich trauen, sollst Respekt, aber keine Angst haben. Da habe ich wohl ein gewisses Talent.
Ich liebe den Downhill. Das ist auch meine Stärke. Oft bin ich bergan noch nicht ganz vorne dabei, aber wenn es sehr technisch wird, kann ich meine Stärken meist sehr gut ausspielen."
Denisa Dragomir über ihre Stärken und Schwächen im Skyrunning
Zum Trailrunning bist du über die Leichtathletik gekommen. Du warst bereits als Teenager international erfolgreich auf den Mittelstrecken. Bist auch 3000 Meter Hindernis gelaufen. Wann hast du die Berge für dich entdeckt.
Als ich 18 Jahre alt war, hatte ich die Chance, mich für die Berglauf-Europameisterschaften bei den Junioren in Bulgarien zu qualifizieren. Das ist mir gelungen. Und auf Anhieb habe ich das Rennen gewonnen. Ein Jahr später konnte meinen Titel in der Türkei verteidigen. Vorher war ich eher als Mittelstrecklerin unterwegs, das stimmt. Mir hat das Laufen in den Bergen aber so viel Spaß gemacht, dass ich dabei geblieben bin.
Was fasziniert dich daran am meisten?
Dass es technisch anspruchsvoll und so vielseitig ist. Und ich habe die Berge einfach lieben gelernt.
Bist du Profisportlerin?
Ja, ich laufe professionell und kann derzeit davon leben. Ohne meine Sponsoren wie Merrell oder RedBull würde das aber nicht funktionieren. Aber zusammen mit den Prämien bei sportlichen Erfolgen geht das, wenn man erfolgreich ist. Ich arbeite nebenbei noch ein bisschen als Coach – aber momentan fast nur online.
Wie wichtig ist es, am Berg die bestmögliche Ausrüstung zu tragen?
Das ist enorm wichtig. Deshalb bin ich so froh, seit zwei Jahren Merrell an meiner Seite zu haben. Sie versorgen mich nicht nur mit dem besten Equipment. Merrell hat auch ein wirklich starkes Team aufgestellt, das eine enorme Unterstützung auf Wettkampfreisen ist. Damit meine ich nicht nur andere starke Läuferinnen und Läufer im Team, sondern auch Leute, die uns bei der Organisation von Wettkämpfen zur Hand gehen. Das ist wirklich ein großer Gewinn und hat mir geholfen, nochmal auf ein neues Level zu kommen.
Welche Schuhe trägst du im Training und welchen bevorzugst du im Wettkampf?
Ich mag den MTL Long Sky 2 fürs Training. Im Wettkampf bevorzuge ich den Merrell Skyfire. Wirklich ein überragender Schuh. Im Downhill muss ich mich zu 100 Prozent verlassen können. Da können Feinheiten entscheidend sein. Da macht Merrell wirklich einen guten Job.
Der Skyrunning-Zirkus ist wie eine große Familie. Man kennt sich unter den Top-Athleten. Aber klar, im Wettkampf zählt die Freundschaft dann nicht – wir wollen alle gewinnen.
Denisa Dragomir über Freundschaft und Konkurrenz in der Skyrunning-Szene
Wie sieht dein Trainingsalltag aus?
Ich trainiere tatsächlich viel auf flachen Strecken. Tempowechselläufe und schnelle Intervalle gehören mehrmals in der Woche neben den ruhigeren Dauerläufen dazu. Das ist für mich wichtig, um fit für die Wettkämpfe zu werden. Intensives Athletiktraining ist ebenfalls sehr entscheidend. Ich verbringe viel Zeit im Gym. Ein oder maximal zwei Mal in der Woche geht es für mich in die Berge – mehr aber nicht. Dort trainiere ich die speziellen Fähigkeiten und vor allem auch die Technik, die ich im Downhill brauche.
Trainierst du alleine?
Ungefähr die Hälfte meines Trainings absolviere ich alleine. Die andere Hälfte mit Männern aus meiner Trainingsgruppe, ich denke, das macht mich stark.
Die Saison 2022 fängt für dich erst an. Warum so spät?
Leider habe ich in diesem Frühjahr Probleme mit meiner Achillessehne bekommen. Ich konnte nicht wie geplant trainieren. Mittlerweile laufe ich aber wieder, benötige aber noch ein paar Wochen, um wieder richtig in Form zu kommen. Eigentlich stand der OCC über 55 Kilometer im Rahmen des UTMB Ende August auf dem Plan, aber für dieses Rennen sind vier Wochen gezieltes Training nicht genug.
Impressionen: So läuft es bei Denisa Dragomir
Was steht für dich dieses Jahr noch an?
Mein großes Ziel dieses Jahr sind die ersten offiziellen World Mountain und Trail Running Championships des Weltverbandes IAAF in Chiang Mai in Thailand im November 2022. Da geht es um den WM-Titel. Bis dahin möchte ich wieder in Form sein, um vorne mitzulaufen.
Und wenn du schon mal auf das Jahr 2023 blickst – was sind deine Ziele?
Der OCC im Rahmen des UTMB soll dann nächstes Jahr folgen. Das wird eines meiner Highlights werden. Im Frühjahr plane ich mit dem MIUT (Madeira Island Ultra Trail). Und dann würde ich gerne wieder die Skyrunning Worldseries gewinnen. Der Transvulcania auf La Palma reizt mich auch. Damit ist das nächste Jahr schon gut gefüllt.
Du bist sehr naturverbunden – wie wichtig ist dir das?
Ich liebe es, in den Bergen zu sein. Das ist für mich das Leben. In der Natur zu sein, bedeutet für mich, die Natur zu verstehen. In den Bergen ändern sich die Bedingungen oft sehr schnell. Das ist für mich als Sportlerin wichtig, aber ich fühle mich der Landschaft sehr verbunden. Man lernt Demut und Respekt. Das ist schwer zu erklären, man muss es einfach spüren.
Zur Person: Denisa Dragomir
Die 30 Jahre alte Rumänin gilt als eine der besten Athletinnen im Skyrunning weltweit. Geboren und aufgewachsen in Berevoiești in Rumänien, begann sie ihre Karriere als Leichtathletin. Über die 1500 Meter und 3000 Meter Hindernis kam sie mit 18 Jahren zum Berglaufen. Gewann auf Anhieb die Junioren-Europameisterschaften und verteidigte ein Jahr später ihren Titel.
In Rumänien trainiert sie in den Karparten, verbringt aber auch viel Zeit in Norditalien. Dragomir wechselte dann auf die längeren Berglauf-Distanzen (bis ca. 30 Kilometer) und siegte 2015 beim Giir di Mont Sky Marathon. 2016 and 2017 gewann sie die „World Long Distance Mountain Running Championships“. 2019 gewann sie ebenfalls Gold bei den Skyrunning Europameisterschaften in Piedmont, Italien. Im vergangenen Jahr dominierte sie die Skyrunner World Series mit fünf Siegen in fünf Rennen.
Man hört, dass Konkurrenten im Trailrunning auch Freunde sind. Ist das beim Skyrunning auch so?
Wir sind wie eine große Familie. Man kennt sich unter den Top-Athleten. Aber klar, im Wettkampf zählt die Freundschaft dann nicht – wir wollen alle gewinnen. Aber vor und nach den Rennen ist es wieder freundschaftlich, wir sprechen dann nicht nur über den Sport, es geht auch um private Themen.
Mit 30 bist du im besten Alter für Langstreckenläufe. Reizen dich auch die Ultradistanzen wie der UTMB?
Vielleicht werden es in Zukunft auch Ultra-Rennen, vielleicht auch der UTMB, aber da lasse ich mir noch Zeit. Ich muss mich an längere Distanzen erstmal herantasten. Momentan machen mir die kürzeren Strecken einfach noch zu viel Spaß.
Das ist die Skyrunning
Skyrunning existiert offiziell bereits seit 1992. Der Italiener Marino Giacometti war die treibende Kraft, noch heute ist er Präsident der „International Skyrunning Federation“ (ISF). Die Skyrunner World Series wurde 2004 aus der Taufe gehoben. Skyrunning gilt als die technisch anspruchsvollste Disziplin des Trailrunnings. 2022 umfasst die Serie 13 Rennen in zehn Ländern. Die Serie wird vom US-Outdoor-Hersteller Merrell unterstützt.
Um Teil dieser Serie zu sein, müssen die Wettbewerbe bestimmten Kriterien erfüllen. Weite Teile der Strecke müssen in einer Höhe von mindestens 2000 Metern stattfinden – die Auf- und Abstiege sind davon ausgenommen. Die Schwierigkeit darf den zweiten Grad des alpinen Kletterns (UIAA-Skala) nicht überschreiten und die Steigung muss minimum 30 Prozent betragen – was im Durchschnitt einer Steigung von fast 17 Grad entspricht.
Skyrunning ist sozusagen die technisch anspruchsvollste Disziplin des Trailrunnings. Das Konzept ist einfach: Start und Ziel liegen in einem Bergdorf. Von dort geht es über mindestens einen Gipfel mit vielen technischen Passagen und entsprechend steilen Abschnitten im Up- und Downhill. Oft werden die Rennen im Downhill entschieden.