Brummschädel
Kopfschmerzen: Wann Laufen hilft
Druck im ganzen oder Hämmern im „halben“ Kopf – Kopfschmerzen sind unangenehm, Migräneanfälle quälend. Kann Laufen helfen?
Kopfschmerzen sind nicht gleich Kopfschmerzen. Mediziner unterscheiden rund 230 Kopfschmerzarten, von denen die meisten sehr selten sind. Was viele aus eigener Erfahrung kennen, ist der typische „dicke Kopf“, ein dumpfer, gleichmäßiger Druck etwa nach einem stressigen Arbeitstag.
Dieser sogenannte „Spannungskopfschmerz“ ist die mit Abstand häufigste Kopfschmerzform. Beim Laufen tritt sie besonders bei Überlastung und/oder Fehlern im Trinkverhalten auf. Dehydratation (Körperwasser-Defizit) durch zu geringe Flüssigkeitsaufnahme, aber auch Störungen im Elektrolythaushalt – besonders ein Absinken des Natriumspiegels durch zu hohe Wasseraufnahme – können Spannungskopfschmerz beim Laufen auslösen.
Die zweithäufigste, ungleich belastendere Kopfschmerzform ist die Migräne. Der Begriff leitet sich von „hemi kranion“ (griechisch: „halber Kopf“) ab und damit ist ein Schmerzcharakteristikum genannt. Die meist einseitigen, anfallartigen, puckernd-pochenden Kopfschmerzen sind oft von Übelkeit, Erbrechen, hoher Licht- und Geräuschempfindlichkeit begleitet. Bei einigen kommt noch eine sogenannte „Aura“ mit Sehstörungen, Augenblitzen und Gefühlsstörungen hinzu. Eine Migräneattacke kann von einer Stunde bis zu mehreren Tagen andauern und erzeugt einen erheblichen Leidensdruck.
Wie entsteht Spannungskopfschmerz?
Über die Schmerzentstehung im Kopf haben sich selbigen bereits Generationen von Forscherinnen und Forschern zerbrochen. Abschließende Erklärungen gibt es bis heute nicht. Die Gehirnsubstanz selbst ist schmerzunempfindlich. Aber die Hirnhäute und ihre Blutgefäße enthalten Schmerzrezeptoren, die sensibel auf kleine Entzündungen reagieren. Die lange geltende Lehrmeinung, dass ein Wechsel zwischen Verengungen und Erweiterungen von Blutgefäßen Auslöser für Spannungskopfschmerzen ist, gilt heute als widerlegt.
Solche Blutgefäßreaktionen sind eher für die Migräne von Belang. Beim Spannungskopfschmerz scheinen Verspannungen der Muskeln in den Wänden von Gehirnarterien eine wichtige Rolle zu spielen, die oft von Verkrampfungen im Nacken-Schulterbereich herrühren. Wer lange oder sehr intensive Laufeinheiten bewältigt, verfügt vermutlich über eigene Erfahrung mit Verhärtungen in dieser Körperpartie, die beim Laufen viel Haltearbeit zu leisten hat.
Aber es gilt auch an entfernte Muskelgruppen zu denken, die aufgrund eines individuellen Laufstils Fehlspannungen aufbauen können. Sogar ein übererregter Wadenmuskel kann seinen Hochspannungszustand über Muskelketten bis in den Hinterkopf leiten und hier Schmerzen auslösen. Wenn etwas weh tut, nehmen wir Schonhaltungen ein, was zu weiteren Verspannungen führt – ein Teufelskreis. Ursachensuche bei Kopfschmerzen kann detektivische Kleinarbeit sein.
Was passiert während einer Migräneattacke?
Migräneanfälle werden durch Aktivierung spezieller Gehirnregionen – Migräne-Generatoren genannt – eingeleitet. In der Folge werden Botenstoffe freigesetzt, darunter das Serotonin. Klingelt da was? Serotonin wird gern als „Glückshormon“ bezeichnet und seine Konzentration im Gehirn nachweislich durch aerobe Belastungen, also moderaten Ausdauersport, erhöht.
Aber Serotonin übernimmt im Körper unzählige Aufgaben – nicht nur selig machende. Wie Serotonin wirkt, hängt davon ab, an welchem Orten es mit welchen „Anlegestellen“ (Rezeptoren) in Verbindung tritt. Mindestens 14 verschiedene Andockpunkte sind bekannt. Einige liegen in den Wänden der Gehirn-Blutgefäße. Wenn Serotonin hier andockt, kann es durch Erweiterung oder Verengung der Gefäße den Blutdruck und zugleich die Durchlässigkeit für Entzündungssubstanzen verändern. Treten diese ins Hirngewebe über, lösen sie in den Hirnhäuten eine Schmerzreaktion aus – eine Migräneattacke.
Und was diese so unerträglich macht, ist der besondere Nerv, der dabei aktiviert wird. Es ist der Drillingsnerv „Trigeminus“, der wegen seines extremen Schmerzpotenzials unrühmliche Prominenz genießt. Einer seiner drei Äste versorgt den Stirnbereich und ist für die höllischen Migräne-Schmerzen verantwortlich. Soweit die Theorie, aber welche Faktoren lösen einen Anfall aus? Lässt er sich verhindern? Und wie wirkt Laufen?
Die Rolle von Genetik und Umwelt beim Kopfschmerzen
Wenngleich noch keine speziellen Kopfschmerz-Gene identifiziert sind, geht man besonders bei der Migräne von einer genetischen Veranlagung aus („Migräne-Familien“). Weniger eindeutig ist die Sache beim Spannungskopfschmerz. Ersten-Grades-Verwandte von chronischen Spannungskopfschmerzpatientinnen und -patienten sind aber gehäuft vom gleichen Leiden betroffen.
Beide Kopfschmerzformen sind stark von Lebensstilfaktoren abhängig. Migräne-Trigger, also Einflüsse, die Schmerzanfälle auslösen, verstärken oder ihre Häufigkeit erhöhen, können sich aus allen Lebensbereichen rekrutieren. Sportliche Überanstrengung, Flüssigkeitsmangel mit Elektrolytverschiebungen gehören dazu. Wetter, Ernährung, Stress, Emotionen (auch positive) – die Palette ist so individuell wie die besten Mittel zur Beschwerdelinderung.
Daraus wird klar, dass Eigenbeobachtung ungemein wichtig ist, um die besten Vermeidungs- und Linderungsstrategien zu ermitteln. Einige Faktoren haben sich als nahezu universell wirksam erwiesen – in positiver wie in negativer Hinsicht. Individuell abgestimmter Ausdauersport wird von Betroffenen fast ausnahmslos positiv im Kampf gegen ihr Kopfschmerzleiden bewertet.
Serotonin wird gern als „Glückshormon“ bezeichnet. Seine Konzentration im Gehirn wird nachweislich durch aerobe Belastungen, also moderaten Ausdauersport, erhöht.
Laufen ist Prävention und Therapie bei Kopfschmerzen
Die erste, vielleicht wichtigste Positivwirkung des Sports beginnt bereits vor dem Schnüren der Laufschuhe mit der Vermeidung des heftigsten Auslösers für Spannungskopfschmerz und Migräne: Rauchen! Wer es tut, ist weder Sportler oder Sportlerin noch darf er bei Kopfschmerzproblemen auf Mitgefühl hoffen. Klingt empathielos, muss aber so gesagt werden. Die multiplen Giftstoffe in Kombination mit der Schädigung der Blutgefäßwände sind für Kopfschmerzgeplagte ein absolutes No-Go. Da leider auch das Passivrauchen heftige Triggerwirkungen entfaltet, heißt es, in weitem Bogen um jeden glühenden Glimmstängel herumzulaufen.
Die direkt vom regelmäßigen Laufen für die Vorbeugung und Therapie von Spannungskopfschmerz und Migräne ausgehenden Wirkungen, werden erst seit einigen Jahren gebührend wertgeschätzt. Dabei gibt es einen gravierenden Unterschied zwischen beiden Kopfschmerzarten. Bei bestehendem Spannungskopfschmerz wirkt nicht erschöpfendes Laufen an frischer Luft direkt schmerzlindernd. Das liegt wohl vor allem in der stressabbauenden, muskulaturentspannenden Komponente.
Sport bei einer Migräneattacke? No way!
Migräne-Episoden sind in aller Regel deutlich quälender: „Während einer solchen Attacke, greifst du nach jedem Strohhalm“, sagt Bernhard Farr, „aber an eines denkst du dann nicht – an Laufen oder Sport“. Der laufbegeisterte Endvierziger hat in jüngeren Jahren unter häufigen Migräneanfällen gelitten. Seit er sich vom Leistungssport verabschiedet hat und bewusste Entspannungsphasen in seinen nun „entstressten“ Alltag integriert hat, sind Migräneereignisse eine Seltenheit geworden.
Bernds persönliche Erfahrung entspricht der wissenschaftlichen Datenlage. Während der Attacken ist an jegliche Belastung nicht zu denken, aber regelmäßiger Sport dazwischen ist ein wichtiger Baustein der Migränetherapie. Mehrere große Studien zeigen, dass Anfallshäufigkeit und -dauer sowie die Schmerzintensität reduziert werden, wenn regelmäßig nicht überlastender Ausdauersport betrieben wird.
Der große Unterschied zwischen der Wirkung entspannten Laufens auf Spannungskopfschmerz und Migräne ...
... liegt in der direkten Wirkung auf den aktuellen Schmerz. Wenn der Kopf spannt, heißt es: raus in die Natur und locker bewegen. Dagegen gibt es während einer Migräneattacke nur eine Alternative: absolute Ruhe und im abgedunkelten Raum mit kühlenden Umschlägen entspannen. Aber in schmerzfreien Phasen ist Laufen ohne Leistungsdruck für Migränepatienten enorm hilfreich.
Mit „Köpfchen“ laufen
Sport mit Vernunft sollte immer die Maxime lauten, aber für jene, die an Spannungskopfschmerz oder Migräne leiden, ist das essenziell. Wer abgehetzt von der Arbeit, in Gedanken nur auf den Trainingsplan fokussiert, in die Laufschuhe springt und dann sklavisch die Intervalle „powert“, darf sich nicht wundern, wenn der Kopf seiner Überforderung mit quälendem Druckgefühl oder pochenden Schläfen Gehör verschafft – „pain without gain“!
Besonders für Migräne ist es typisch, dass Attacken erst in Entspannungsphasen ausbrechen, wenn die schmerzlindernd wirkenden Stresshormone absinken. Im Fachjargon heißt das „Stressabfall-Migräne“. Die Botschaft: „Hilfe, mir wird alles zu viel!“ Wer seinem Kopfschmerzleiden Linderung verschaffen will, sollte entspannt, ohne Leistungsdruck, im Wohlfühltempo in seinem Lieblingsrevier laufen – ohne Tracker, Schritt- und Kalorienzähler getreu dem Andreas-Möller-Motto: „Vom Feeling her hab ich ein gutes Gefühl!“
Auch Krafttraining kann helfen
Wegen der Gefahr von Pressatmung und Blutdruckspitzen lange als „No Go“ für Kopfschmerzpatienten angesehen, wird moderates(!) Krafttraining heute wegen der stabilisierenden Wirkung auf die Grundspannung der Muskeln empfohlen.
Nicht auf nüchternen Magen laufen
Migränebetroffene verfügen über Hochleistungsgehirne mit niedriger Reizabschirmung und hohem Energie-/Zuckerverbrauch. Heißhunger auf „Süßes“ ist im Umfeld eines Migräneanfalls nicht ungewöhnlich. Regelmäßige Mahlzeiten sind für Migräniker sehr wichtig, um ein starkes Absinken des Blutzuckerspiegels zu vermeiden. Daher gilt es, nach langen Laufeinheiten rechtzeitig Kohlenhydrate zuzuführen. Aufgrund dieser geringen Toleranz gegenüber Blutzuckerschwankungen ist Migränepatienten auch vom gerade so gehypeten Intervallfasten – mit täglich 16-stündigem oder tageweisem Nahrungsverzicht – und ebenso vom Nüchterntraining abzuraten. Einzelberichte über Positiverfahrungen mag es geben, doch lässt sich daraus keine Allgemeinempfehlung ableiten.
Viele Migränebetroffene nennen bestimmte Nahrungsmittel als Trigger. Häufig werden histaminhaltige Lebensmittel genannt. Dazu zählen Käse, Schinken, Salami, Gemüsesorten wie Auberginen, Tomaten, Spinat und besonders Rotwein. Alkohol ist ohnehin ein Problem. Das Bierchen nach dem Sport sei jedem gegönnt, aber die Blutgefäßwirkung von Alkohol ist bei Kopfschmerz kontraproduktiv, der „Chateau Migraine“ (gibt es wirklich) kann seinem Namen unangenehme Ehre machen. Dass auch Schokolade Migräneattacken auslöst, wird auf Basis neuerer Studien angezweifelt. Die häufig mit Migräneanfällen assoziierten Heißhungerattacken auf Süßes hätten hier eine falsche Fährte gelegt. Insgesamt gestalten sich die Trigger aber sehr individuell. Eine besondere Migräne- oder Kopfschmerz-Diät gibt es daher nicht. Achtsam leben und selbst eruieren, was einem guttut, lautet die Maxime. Regelmäßigkeit bei den Mahlzeiten und beim Laufen sollte dazu gehören.
Auch an die Zähne denken
Kieferfehlstellungen mit Verspannungen der Kaumuskulatur sowie Zahnfleischentzündungen und Karies können (Mit-)Verursacher von Migräne und Spannungskopfschmerz sein.
Aufpassen bei Medikamenten
Migränepatienten sind in der Regel in ärztlicher Behandlung und erhalten dort individuell dosierte Schmerzmittel. Und beim Spannungskopfschmerz? Wohl jeder hat gegen seinen „Brummschädel“ schon mal zum freiverkäuflichen Schmerzmittel gegriffen. Das ist okay, solange es nicht zur Gewohnheit wird. Generell sollten Ibuprofen, Diclofenac & Co ohne ärztliche Verordnung nicht länger als drei Tage hintereinander und nie über die im Beipackzettel angegebene Dosierung eingenommen werden.
Wer oft an Spannungskopfschmerz leidet, sollte das ärztlich abklären lassen. Leider hat sich unter ehrgeizigen Hobbyläuferinnen und -läufern der Schmerzmittelmissbrauch zur Unterdrückung von Muskel- und Gelenkschmerzen zum gefährlich bagatellisierten „Selbstläufer“ entwickelt, der nicht wenige Opfer fordert. Neben schweren Leber-, Nieren- und Gelenkschäden kann eine dauerhaft unkontrollierte Schmerzmitteleinnahme auch nachhaltig Kopfschmerzen provozieren. Für diesen „schmerzmittelinduzierten" Kopfschmerz spielt es keine Rolle, ob die Medikamenteinnahme ursprünglich zur Behandlung von Kopfschmerzen oder für anderweitige Betäubungszwecke erfolgt ist.
Lass Laufen!
Laufen mit „Köpfchen“ ist Prävention und Therapie! Das allein wird zwar nicht jedes Kopfschmerzleiden besiegen, aber die individuellen Trigger zu erkennen und zu meiden, kann enorm hilfreich sein. Die richtige Mischung aus Bewegungsfreude und Entspannung, anstatt nur auf Höchstleistung fixiert zu sein, ist ein wichtiger (Lauf-)Schritt in Richtung Beschwerdefreiheit.