Lauftrainer des Jahres 2021
Kurt Ring: Unentdeckte Talente zu Top-Athleten entwickeln
Kurt Ring von der LG Telis Finanz Regensburg ist eine Institution unter den deutschen Lauftrainern. Seit 45 Jahren führt er in der Oberpfalz Athletinnen und Athleten in die nationale Spitzenklasse.
Kurt Ring von der LG Telis Finanz Regensburg ist der von German Road Races und laufen.de gekürte Lauftrainer des Jahres 2021. Weil Regensburg für den Deutschen Leichtathletik-Verband eher nicht der Nabel der Leichtathletik-Welt ist, hat er es sich zur Aufgabe gemacht, aus bislang unentdeckten Talenten Top-Läuferinnen und -Läufer zu machen. Mit großem Erfolg, wie gerade die jüngste Vergangenheit gezeigt hat.
Die Liste der von ihm trainierten Läuferinnen, die es an die nationale Spitze im Mittel- und Langstreckenlauf geschafft haben, ist lang. Richtig lang: Miriam Dattke holte 2019 EM-Silber bei den unter 23-Jährigen über 10.000 Meter und lief dieses Jahr mit 31:38 Minuten auf Rang vier der ewigen deutschen Bestenliste im Zehn-Kilometer-Straßenlauf. Simon Boch blieb im Frühjahr 2021 bei einem einsamen Rennen durch Kälte und Wind in Dresden mit 2:10:48 Stunden unter der Norm für den Olympia-Marathon im japanischen Sapporo.
Domenika Meyer ist in 1:09:52 Stunden hinter Melat Kejeta und vor ihrer Vereinskollegin Miriam Dattke die zweitschnellste Deutsche 2021 im Halbmarathon. Philipp Pflieger entwickelte sich bei Kurt Ring zu einem der besten deutschen Marathonläufer. Florian Orth, Olympiastarter 2016 über 5000 Meter und Benedikt Huber, zweifacher EM-Teilnehmer, führte er zu nationalen Meistertiteln über 800 und 1.500 Meter.
Für Corinna Harrer steht Kurt Ring auch nach dem Ende ihrer internationalen Karriere noch im Wald
Diese Aufzählung ließe sich noch länger fortsetzen. Aber im internationalen Vergleich wohl am besten von all‘ den Läuferinnen und Läufern, die Kurt Ring trainiert hat, ist Corinna Harrer. 2012 verpasste die mittlerweile 30-Jährige den Einzug in das Olympiafinale von London über 1500 Meter, in dem sechs von zwölf Finalistinnen später des Dopings überführt wurden und das deshalb nachträglich ohne Olympiasiegerin endete. Damit wurde ihr ein Traum geraubt. „Medaillen kann man nachliefern. Finals sind unwiederbringlich weg“, heißt es dazu auf der Webseite der LG Telis Finanz Regensburg.
Was für eine Größe muss man haben, um trotz solcher Erlebnisse immer weiterzumachen und an den Traum von sauberen Erfolgen im Laufsport zu glauben? Corinna Harrer ist danach immer weitergelaufen, gewann 2013 eine Silbermedaille über 3.000 Meter bei den Halleneuropameisterschaften in Göteborg. Danach begannen orthopädische Probleme, die eine Fortsetzung ihrer Karriere auf diesem Niveau unmöglich machten. Vom Leistungssport verabschiedete sie sich dennoch nie und gewann im Oktober 2021 bei den Deutschen Marathon-Meisterschaften in München ihren achten nationalen Meistertitel.
Kurt Rings größtes Erlebnis: Das Olympiahalbfinale 2012 mit Corinna Harrer
Corinna Harrer war wohl die talentierteste Athletin, die Kurt Ring bisher trainiert hat. „Aus jetziger Sicht wäre sie wohl Fünfte oder Sechste bei Olympia 2012 in London geworden, wenn man all die später als gedopt überführten Athletinnen rausrechnet“, sagt Kurt Ring. Für den heute 73-Jährigen war deren Olympia-Halbfinale von London eins der größten Erlebnisse im Sport. „Nach dem Rennen war ich völlig fertig und musste das riesige und ausverkaufte Olympiastadion verlassen, durch das immer wieder dieser „Roarrr“ ging, wenn 80.000 Fans die Athleten feierten.“ So emotional ist Kurt Ring selten. Und das aus gutem Grund: „Ich bin für die rationale Ebene der Leistung zuständig und muss mit kühlem Kopf Theorie und Praxis im täglichen Training verbinden, damit die Athleten ihre Emotionen vor allem im Wettkampf ausleben können und so ihre beste Leistung abrufen.“
Auf der Zielgeraden hatte Corinna Harrer an diesem 8. August 2012 sogar Hanna England niedergerungen, die ein Jahr zuvor WM-Silber gewonnen hatte. Zum Finaleinzug fehlten nur 21 Hundertstel. Die Dramatik war schon in diesem Augenblick groß und steigerte sich nochmal, nachdem bekannt wurde, wie viele der vor ihr platzierten Finalistinnen des Dopings überführt wurden. Um zu erklären, wie man als Trainer mit der Situation umgeht, seine Athleten und Athletinnen ständig in Rennen schicken zu müssen, in denen auch Konkurrenten antreten, die unsauber arbeiten, zitiert Kurt Ring eine weitere Top-Mittelstrecklerin, die er in deren letztem Jahr als Leistungssportlerin auch trainiert hat: „Scheuklappen aufsetzen. Dein Ding machen. Was du damit wirst, entscheiden die Mediziner der anderen“, hat Claudia Gesell mal zu ihm gesagt. Die 800-Meter-Läuferin mit einer Bestzeit von 1:58,34 Minuten war 2003 Fünfte bei den Weltmeisterschaften in Paris.
Domenika Meyer und Miriam Dattke zählen aktuell zu seinen stärksten Athletinnen
Erfolge genießen und Niederlagen aushalten. Das muss ein Trainer können. Aber natürlich erinnert sich Kurt Ring lieber an die großen Erfolge seiner Schützlinge. Ganz vorn liegt da auch Miriam Dattkes Alleingang zur Silbermedaille über 10.000 Meter bei den U23-Europameisterschaften 2019 im schwedischen Gävle. Oder der BMW Berlin-Marathon 2015, als Philipp Pflieger nach einer langen Zeit des Zweifelns endlich einen starken Marathon finishte und sich in 2:12:50 Stunden für die Olympischen Spiele ein Jahr später in Rio de Janeiro qualifizierte.
„Es fasziniert mich, jemanden seinen Träumen näher zu bringen, indem man ihm hilft, seine Leistung zu verbessern“, beschreibt Kurt Ring, was ihn antreibt, und fügt an: „Medaillen sind nicht mehr wichtig für mich.“ Aber wie geht das eigentlich im Laufsport? Worauf kommt es an, wenn man Athleten an die Spitze führen will? Es gibt nicht das eine Trainingsprogramm, mit dem Athleten stark werden – davon ist Kurt Ring überzeugt: „Am wichtigsten ist, dass man als Trainer den richtigen Reiz setzt, um Athleten zum richtigen Zeitpunkt in der exakt richtigen Stärke fordern. Wenn das über einen langen Zeitraum ohne Störungen durch Krankheiten oder Verletzungen und ohne Unter- oder Überbelastung gelingt, wird ein talentierter Athlet sein ganzes Potenzial entfalten.“
Entscheidend für seine eigene Entwicklung nach sechs Semestern Sportstudium sei der Kontakt zum ehemaligen DDR-Trainer Lothar Pöhlitz gewesen, der sich 1979 beim Leichtathletik-Europapokal in Turin von der DDR-Mannschaft abgesetzt hatte und über Italien in die Bundesrepublik gelangt war, wo er von 1980 bis 1998 Bundestrainer für die Läuferinnen und Läufer im DLV war. „Ich habe natürlich jede Menge Veröffentlichungen über das Lauftraining gelesen, das machen ja alle Trainer“, sagt Kurt Ring, „am meisten habe ich aber von Lothar Pöhlitz und dessen Veröffentlichungen gelernt. Er ist derjenige, der letztendlich die komplette Methodik des Lauftrainings in deutscher Sprache niedergeschrieben hat.“ Neben dem theoretischen Wissen und der Bereitschaft, immer wieder Neues dazuzulernen braucht ein Trainer aber auch ein gutes Auge und Erfahrung. „Nur so kann man einschätzen, was für den einzelnen Athlet am besten ist.“
In Kurt Rings Karriere kam es auf dieses Auge für Läuferinnen und Läufer ganz besonders an: Er war gezwungen, immer wieder solche Talente zu entdecken, die vom Deutschen Leichtathletik-Verband und den ganz großen Leichtathletikzentren übersehen wurden. „Die offensichtlichen Talente sind ja meistens schnell beispielsweise in Wattenscheid, Leverkusen oder Berlin. Mir macht es Riesenspaß, aus einem bislang eher unerkannten Talent einen Top-Athleten zu entwickeln.“
Dafür hat er in Regensburg zusammen mit der LG Telis Finanz in vielen Jahren ein eigenes Zentrum aufgebaut. Um die Athleten kümmert sich ein Team aus Athletiktrainern, Physiotherapeuten und Nachwuchstrainern, zu dem auch Kurt Rings Ehefrau Doris Scheck gehört. „So haben wir ein Aufbausystem entwickelt, in dem auch Schüler und Jugendliche zu Top-Athleten reifen können“, sagt Kurt Ring. Er selbst arbeitet eher im Hintergrund und kümmert sich um Trainingssteuerung und -planung. „Ein über 70-Jähriger im Trainingsanzug von 1974 käme bei 16-Jährigen ja etwas schräg an“, sagt er und schmunzelt.
Das Laufen hat schon immer eine wichtige Rolle in seinem Leben gespielt. In den 70er-Jahren war er selbst ein guter Langstreckler mit Bestzeiten von 14:41 und 30:59 Minuten über 5.000 und 10.000 Meter. Doch dann traten Achillessehnenprobleme auf, er wurde zweimal operiert und gab mit 28 Jahren die eigenen läuferischen Ambitionen für sein Engagement als Coach auf. „Ich habe dann gemerkt, dass mir die Arbeit mit jungen Leuten viel mehr Spaß macht, als weiter an meiner eigenen Leistungsfähigkeit herumzufummeln, die doch begrenzt war.“
Vollzeit-Coach wurde er indes erst gut 30 Jahre später. Bis zu seinem 60. Lebensjahr arbeitete er als Grundschullehrer. Mit 50 ging er zwar in Teilzeit, um mehr Freiraum für die Leichtathletik zu haben. Richtig erfolgreich wurde er aber erst, nachdem er nach einer Lungenembolie lange krank war und danach nicht mehr in seinen Job zurückkehren konnte.
Seine Heimat Regensburg hat er dabei nie verlassen. Warum auch? Für Kurt Ring bietet die bayerische Unistadt mit 150.000 Einwohner alles, was man fürs Leben und Laufen braucht: „Wir haben hier das Teamgefüge und die Landschaft, die wir brauchen, um gute Läuferinnen und Läufer zu entwickeln.“ In der Tat: Regensburg bietet Klasse-Laufstrecken. Flach an der Donau oder hügelig im Gelände um die Stadt. Und die nötige Infrastruktur für Top-Leichtathletik hat das Team um Kurt Ring immer weiterentwickelt.
Da gibt es beispielsweise das „Athletenhaus“: Ein Miethaus wurde angemietet, in dem fünf oder sechs junge Athleten gemeinsam leben können, wenn sie neu nach Regensburg kommen. „Wir wollen ihnen so die Abnabelung vom Elternhaus erleichtern. In so einer Läufergruppe lebt es sich in dieser Lebensphase einfacher als allein in einer Studentenbude. Zumal wir auch Services bieten wie unseren Vereinsbus, der vor der Tür parkt und mit dem die jungen Bewohner zum Training fahren können“, sagt Kurt Ring. Und in diesem Haus legten bereits Athleten wie Simon Boch, Miriam Dattke, Susi Lutz oder Philipp Pflieger die Grundlagen für ihre Entwicklung, in deren Verlauf sie später alle deutsche Meistertitel bei den Erwachsenen holen sollten.
Was jetzt noch fehlt, ist eine richtige Leichtathletikhalle, in der vor allem im Winter noch besser trainiert werden kann. Aber auch die soll kommen: Die Stadt Regensburg hat versprochen, bis 2025 circa 40 Millionen Euro in den Leichtathletik-Standort zu investieren und eine Halle mit einer 200-Meter-Rundbahn zu errichten. Und die wird dann gleichzeitig Bestätigung für 45 Jahre Trainerarbeit von Kurt Ring und Grundlage für die erfolgreiche Fortsetzung seines Lebenswerkes in Regensburg sein.