Schwedische Trailrunning-Zwillinge
Lina und Sanna El Kott Helander: Leben, lieben, laufen – und lächeln
In Schweden geboren und aufgewachsen touren die Zwillinge Lina und Sanna El Kott Helander als Trailrunner durch Europa.
2017 ging ihr Stern am Trailrunning-Himmel auf, als sie den Transalpine-Run gewannen. Diesen Erfolg beim weltweit anspruchsvollsten Paar-Traillauf über den Alpenhauptkamm wiederholten sie ein Jahr später. Seitdem gehören die schwedischen Zwillinge Lina und Sanna El Kott Helander zu den besten Bergläuferinnen der Welt.
Wer auf YouTube „Lina und Sanna El Kott Helander“ in die Suchmaske eingibt, wird eher enttäuscht. Ein paar kurze Interviews mit Sponsoren, ein paar selbstgemachte Handyvideos, teilweise leicht verwackelt, das war‘s. Aber dann ist da noch dieses Vorschauvideo auf den Livigno Skymarathon 2018: Zu chilliger Loungemusik sieht man zwei Frauen locker leicht lächelnd fast schon traumwandlerisch sicher in schwindelerregender Höhe über schneebedeckte Hänge rennen.
74 Sekunden, die einem den Atem rauben
Von weitem sieht es fast so aus, als würden Kinder leichtsinnig Fangen spielen und elfengleich über den schmalen Grat hinweghuschen. Immer mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht, als gäbe es nichts Schöneres auf dieser Welt. 74 Sekunden, die einem fast den Atem rauben und man hört kaum zu, was die El Kott Twins über sich zu erzählen haben; über den schwesterlichen Konkurrenzkampf, ihre Persönlichkeiten, Stärken und Schwächen am Berg und ihre ersten Bergläufe der Skyrunner® World Series, die bevorstanden. „Wir freuen uns richtig drauf“, sagt Lina und Sanna ergänzt: „Ja, das wird richtig cool!“ Beide lächeln zufrieden in die Kamera – Ende.
„Wir vertrauen ganz auf unser Gefühl. Wir trainieren viel, wenn wir Energie haben, und ruhen uns aus, wenn es uns an Energie mangelt. Bei uns ist alles ‚learning by doing‘ – wir haben schon viele Fehler gemacht, aber daraus lernt man am meisten“
Lina (li.) und Sanna El Kott Helander sind ihre eigenen Coaches
Vier Trailsaisons später können Berglauf-Kenner mit Fug und Recht behaupten: „Ja, das war richtig cool!“ Denn die beiden 28 Jahre alten Schwedinnen beleben und bereichern die Szene nicht nur durch ihre Erfolge, sondern auch durch ihre Lockerheit, ihr Lächeln und ihre herzliche Art. 2017 und 2018 ließen sie durch Siege beim Transalpine-Run aufhorchen, es folgten unter anderem Erfolge beim Pitz Alpine Glacier Trail (2020 und 2021) und beim Monte Rosa Sky Marathon (2021).
Und: Anfang Februar dieses Jahres wurde Lina erste Weltmeisterin bei der SkySnow-WM in der Sierra Nevada in der Kategorie „Vertical“, also mit Gefälle, Sanna kam auf Platz sieben. Aktuell belegen die El Kott Twins im Ranking der Skyrunner® World Series die Plätze 11 (Lina) und 12 (Sanna). Beim Sky Running sind die Strecken nicht so lang wie bei anderen bekannten Trailevents (wie beispielsweise dem Ultra-Trail du Mont Blanc) – dafür umso steiler.
Spaß haben und auf den Körper hören!
Ihr Erfolgsrezept ist einfach formuliert: Spaß haben und auf den Körper hören! Wir haben die super-sympathischen Zwillinge zum Interview getroffen. Und was sie über Training, Wettkämpfe und das Leben als Trailrunner sagen, ist herzerfrischend anders. Sie trainieren nach Gefühl, haben keinen Trainer (Lina: „Wir sind da ein bisschen, sagen wir, dominant. Ich mag es nicht, wenn mir jemand sagt, was wir tun sollen.“) und verfolgen keine strikten Trainingspläne.
„An manchen Tagen haben wir einfach so viel Energie und können so viel machen, aber manchmal ist es ziemlich klar, dass wir uns ausruhen müssen, und das tun wir dann auch“, sagt Sanna. „Wir vertrauen auf unser Gefühl und trainieren viel, wenn wir Energie haben, und ruhen uns aus, wenn es uns an Energie mangelt. Wir sind auch viel besser darin geworden, uns auszuruhen und das Gefühl, müde zu sein, zu genießen.“ Auch aus Erfahrung sind sie klug und immer besser geworden: „Bei uns ist alles ‚learning by doing‘ – wir haben sicher schon viele Fehler gemacht, aber daraus lernt man am meisten“, erzählt Lina.
Von November bis Januar stehen eher kürzere Einheiten auf dem Programm und sie verbringen viel Zeit im Fitness-Studio. Sobald das Tageslicht zurückkehrt, kehrt auch die Energie zurück und sie sind bereit für längere Ausflüge und Trainingseinheiten rund um Åre, am Fuß des 1420 Meter hohen Berges Åreskutan. Das Skigebiet in der Provinz Jämtland zählt zu den ältesten und wichtigsten Schwedens. Knapp 100 Kilometer nordwestlich von Åre liegt Östersund, wo die El Kott Twins zusammen mit Vater, einem Halb-Ägypter, und Mutter aufgewachsen sind.
Schon als 16-Jährige trainiert wie Elite-Sportler – aus Spaß
Schon von Kindesbeinen an waren sie sehr aktiv, sehr sportlich und in jeder freien Minute an der frischen Luft. „Wir haben sehr viele verschiedene Sportarten ausprobiert, wie beispielsweise Football, Mountain-Biking, Tanzen, Skifahren, Langlauf und Abfahrt“, sagt Lina. „Wir haben immer Ausdauer-Sportarten gemacht. Wir waren dabei eigentlich nie besonders schnell, aber immer ausdauernd. Mit 16, 17 Jahren haben wir wie Elite-Sportler trainiert, jeden Tag mehrere Stunden, aber wir waren nicht in Kadern, wir haben das einfach gemacht, weil es uns Spaß gemacht hat.“ Das erklärt auch diese Leichtigkeit, diese Lockerheit, diese pure Freude beim Laufen, denn: „Trailrunning war für uns nie ein Wettkampf, es gehört einfach wie selbstverständlich zu unserer sportlichen DNA.“
Dem internen Schwestern-Wettkampf mussten sie sich von Geburt an stellen, ein Wettstreit, der niemals aufhört. Den ersten Sieg hat Sanna errungen, sie ist acht Minuten älter als Lina. Wie gehen beiden mit diesem andauernden Konkurrenzdruck um? „Jede von uns will immer die Bessere sein, das ist klar, keine von uns will die Schwächere sein“, sagt Sanna. Und Lina ergänzt: „Wenn eine von uns zum Beispiel beim Radfahren ständig einen Meter hinterherhinkt, wird sie mürrisch. Da wir aber zusammen trainieren und leben, gibt es immer jemanden, mit dem man sich messen kann.“
„Die Stärkere soll gewinnen – da spornen wir uns an“
So gesehen ist es fast schon ein Segen, dass beide bei Paarläufen wie dem Transalpine-Run die Chance haben, gemeinsam die Ziellinie zu überqueren und sich keine als Verliererin fühlen muss. Aber was passiert auf der Strecke während des Rennens? „Auf längeren Strecken war es meistens so, dass wir uns gegen Ende des Rennens im Grunde genommen in die Quere gekommen sind und auch wussten, dass von hinten kein anderer herankommt, sodass wir immer versuchen, das Rennen zu kontrollieren“, sagt Lina.
„Keine von uns hatte dann das Bedürfnis, hart gegen den anderen zu laufen, sondern wir haben es genossen, gemeinsam zu laufen, zu reden und dann gemeinsam zu gewinnen.“ Was aber, wenn es nur eine Siegerin geben kann? „Wenn noch einige Kilometer zu laufen sind und eine ist deutlich stärker als die andere, dann wird die Stärkere ermutigt, voranzugehen. Wenn wir zum Beispiel gemeinsam auf das Ende zulaufen und jemand anderes kommt, dann pushen wir uns immer gegenseitig – oder diejenige, die mehr Energie hat – um den Sieg zu verteidigen, auch wenn das bedeutet, dass wir nicht gemeinsam ankommen“, erzählt Sanna.
Seit sieben Jahren Veganerinnen
Während der Berglaufsaison von April bis September sind die neuen Himmelsstürmerinnen mit ihrem Campervan in ganz Europa unterwegs, tingeln von Wettkampf zu Wettkampf und Trainingsort zu Trainingsort und lassen sich leiten von Wetter und Gefühl. Dabei spielen Ernährung und Ausrüstung eine ganz wichtige Rolle. „Wir haben gerade ein veganes Kochbuch veröffentlicht. Wir sind seit sieben Jahren Veganerinnen – und kochen sehr gerne. Wir probieren immer wieder neue Rezepte aus. Wir ernähren uns schon immer sehr gesund – da lag es nah, unsere Ideen aufzuschreiben.
Wir möchte Menschen motivieren, gesund zu leben. Schöne Fotos gehören natürlich dazu“, berichtet Sanna. Wer manche Gerichte nachkochen und probieren möchte, sollte den El Kott Twins auf Instagram und Facebook folgen, dort posten sie regelmäßig Fotos und Rezepte. Lina sagt lachend: „Auf unserem Instagram-Kanal geht es manchmal mehr ums Kochen als ums Laufen.“
Wichtige Partnerschaft mit Merrell
Seit 2019 wird das schwedische Erfolgsduo durch die Firma Merrell unterstützt. Der US-amerikanische Schuh- und Outdoortextil-Hersteller vertreibt hauptsächlich Trailrunning- und Wanderschuhe. „Diese Partnerschaft ist sehr wichtig für uns“, sagen sie unisono, „denn wir werden sicher nicht reich durch unseren Sport, das ist nicht möglich. Aber Merrell als wichtigster Sponsor ermöglicht uns, dass wir uns voll auf den Sport konzentrieren können. Ohne Merrell könnten wir den Leistungssport auf diese Art und Weise nicht betreiben.“
Beide waren in der Entwicklung der MTL Trailrunning Modelle von Merrell – dem Allround Trailschuh MTL Long Sky und dem Wettkampf Trailschuh MTL Skyfire involviert. „Gerade ist der MTL Long Sky 2 auf den Markt gekommen, der noch ein bisschen besser geworden ist“, sagt Lina. „Die Produkte haben uns wirklich überzeugt. Wir wollen uns gar nicht so viel Gedanken über das Equipment machen. Das macht Merrell für uns. Und die Schuhe sind wirklich große Klasse. Da passt alles. Genauso wichtig ist uns aber die Freundschaft, die uns mittlerweile mit dem ganzen Merrell-Team verbindet“, betont Sanna.
Ein perfekter Tag fängt um fünf Uhr morgens an
Momentan passt alles für die El Kott Twins, die Saison kann kommen und wenn dann die stressige Wettkampf-Zeit vorüber ist, lassen die beiden bestimmt einmal Beine und Seele baumeln, oder? Weit gefehlt! Ein perfekter Tag beginnt bei Lina und Sanna morgens um fünf Uhr: „Und wenn das Wetter gut ist, ziehen wir die Skier an und machen eine Tour rauf auf den Gipfel des Åreskutan, dort wird dann gefrühstückt. Gegen acht Uhr sind wir dann wieder zu Hause, dann gibt es ein zweites Frühstück. Mittags kommen Freunde zu Besuch und nachmittags gehen wir wieder trainieren. Danach haben wir noch den ganzen Abend Zeit, um ein bisschen Gartenarbeit zu machen“, frohlockt Sanna.
Lina fasst zusammen: „Das Beste am frühen Aufstehen ist, dass man so viel Zeit hat, etwas zu tun! Der perfekte Tag ist also der Tag, an dem wir Zeit haben, uns zu entspannen und Spaß zu haben, aber auch zu kochen, mit dem Hund spazieren zu gehen, zu trainieren und so weiter. Wenn wir also viele Dinge tun, aber dabei keinen Stress haben!“
Sanna: „In Zukunft gerne auch längere Distanzen laufen"
Nur der Himmel ist die Grenze: Mit 28 Jahren stehen Lina und Sanna El Kott Helander trotz einiger beachtlicher Erfolge noch am Anfang ihrer Trailrunning-Laufbahn. Momentan lieben sie das, was sie tun: „Skyrunning ist spektakulär. Die Skyrunner World Series zu laufen, heißt durch atemberaubende Landschaften zu laufen – die Aufstiege sind immer spektakulär. Auch 2022 werden wir wieder einige Rennen der World Series bestreiten. Wir sind aber neugierig und wollen auch einmal längere Strecken ausprobieren“, sagt Sanna, auch wenn Lina, die Uphill-Spezialistin mit den momentanen Streckenlängen ganz zufrieden ist: „Rennen um 20 Kilometer sind mir am liebsten, ein bisschen länger ist schon okay. Ich mag es, wenn es steil bergauf geht. Wir möchten andere Rennen kennenlernen. Ich möchte mehr Vertical- und Uphill-Races machen. Das ist meine Stärke.“ Insbesondere Lina, die 2019 durch eine Knie-OP ausgebremst wurde, ist bei Downhill-Strecken noch etwas vorsichtig.
Welche Ziele haben beide? Von was träumen sie aus sportlicher Sicht? Sanna: „Wenn es ums Laufen geht, würde ich gerne irgendwann die längeren Distanzen – gerne bis zu 100 Kilometer – laufen. Im Moment bin ich aber mit den Strecken bis 50 Kilometer zufrieden. Ich möchte längere Läufe machen, einfach weil ich dann mehr erleben kann, und ich möchte auch mehr Abenteuerläufe machen. Ich fände es toll, wenn Skyrunning als Sportart wachsen und größer werden würde. Außerdem würde ich gerne noch einmal für die Nationalmannschaft laufen und dann auch allein ein großes Rennen gewinnen – wir haben schon große Rennen als Team gewonnen, aber ich würde mich über einen großen Einzelsieg freuen.“
Lina: „Möchte, dass der Sport weiter wächst“
Lina sieht eher das große Ganze: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich spezielle Ziele habe, aber genau wie Sanna möchte ich, dass der Sport wächst und mehr Leute ihn kennen lernen. Ich glaube, es wäre einfacher, auf bestimmte Rennen zu verweisen und zu sagen, dass ich hier oder dort gut abschneiden möchte, wenn der Sport größer wäre und bestimmte Rennen mehr Prestige hätten und immer eine starke Konkurrenz bieten würden. Aber letzten Endes möchte ich einfach nur so viele Rennen wie möglich bestreiten und so viel wie möglich erleben. Da es keine Olympischen Spiele oder etwas Ähnliches gibt, fehlt mir ein sehr konkretes Ziel. Immerhin haben wir die Weltmeisterschaften.“
Und welche Ziele verfolgen beide im privaten Bereich? „Oh, also, es gibt so viel, was ich gerne machen würde“, sagt Sanna, „aber ich denke, man kann viele Dinge im Leben miteinander verbinden. Ich würde gerne eines Tages einen kleinen Bauernhof mit ein paar Tieren und einer Frühstückspension haben, aber ich sehe nicht ein, warum ich deswegen aufhören sollte, auf Elite-Niveau zu laufen!“
"Die Freiheit ist unser größtes Geschenk"
Und auch Lina möchte noch lange der Trailrunning-Szene verbunden bleiben, dafür ist die Liebe zur Natur und zur Bewegung einfach viel zu groß: „Viele unserer Konkurrenten sind zehn Jahre älter als wir und arbeiten als Ärzte und Anwälte, besitzen Bauernhöfe oder ähnliches. Wir wissen also, dass man beides machen kann. Außerdem haben wir selbst Rennen organisiert, was ich auch nach meinem Ausstieg aus dem Rennsport gerne weiter machen würde, damit ich diesem Sport, den ich liebe, verbunden bleiben kann.“
Für Sanna und Lina El Kott Helander, die El Kott Twins aus Schweden, bedeutet Trailrunning in erster Linie Freiheit. „Und das ist das größte Geschenk“, sagen sie zurecht, „das man haben kann.“