„Marathon ist die ultimative Herausforderung“

Philipp Pflieger über sein Buch
„Marathon ist die ultimative Herausforderung“

| Fotos: Ruben Elstner

Philipp Pflieger zählt zu den besten Marathonläufern Deutschlands. Einen Einblick in sein Leben gibt er in seinem ersten Buch „Laufen am Limit“, das am 6. September erschienen ist. Im Interview verrät er, was ihm Laufen bedeutet, ob er den inneren Schweinehund kennt und was er aus seinen Rückschlägen gelernt hat.

Philipp Pflieger zählt zu den besten Marathonläufern Deutschlands. Am 29. September will sich der Athlet von der LG Telis Finanz Regensburg beim BMW Berlin-Marathon für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio qualifizieren. Tiefe Einblicke in sein Leben als Profiläufer gewährt er in seinem ersten Buch „Laufen am Limit“, das am 6. September erschienen ist. Im Interview mit laufen.de verrät der Olympiastarter von 2016, wie es zu dem Buch gekommen ist, was ihm Laufen bedeutet, ob er den inneren Schweinehund kennt und wie er den Berlin-Marathon angehen will.

Philipp, in gut drei Wochen startest du beim BMW Berlin-Marathon, am 6. September erscheint dein Buch „Laufen am Limit“, das mehr Biographie als Laufratgeber ist. Wie bist du auf die Idee gekommen, ein Buch übers Marathonlaufen zu schreiben, ohne dabei einen weiteren Ratgeber für Hobbyläufer verfassen zu wollen?
Im Spitzensport erlebt man so viel, dass man schnell mal sagt: „Junge, Junge, darüber müsstest du eigentlich mal ein Buch schreiben.“ Das war aber immer eher eine fixe Idee von mir und nie wirklich konkret bis dann im letzten Herbst der Verlag Edel Books ein Meeting mit meiner Agentur Jung von Matt/Sports hatte und das Ganze plötzlich sehr schnell Form annahm. Ich habe dann nicht lange überlegen müssen. Das war eine Chance, die man vielleicht nicht zweimal bekommt.

Und dann hast du sich hingesetzt und neben dem Training das Buch geschrieben?
Nein, ich hatte ja mit Björn Jensen vom Hamburger Abendblatt einen Co-Autor an meiner Seite, der das Schreiben professionell beherrscht. Wir haben gemeinsam das Konzept erstellt. Dann habe ich ihm in stundenlangen Telefonaten von meinen Gedanken, Erlebnissen und Ideen erzählt, die er aufgeschrieben hat und ich im Nachgang dann nochmal drüber gegangen bin. Das war für beide von uns ein sehr intensives und spannendes halbes Jahr, in dem das Buch dann schließlich entstanden ist.

Der Untertitel deines Buches suggeriert, der Marathon sei „die größte Herausforderung für Läufer“?
Marathon ist in meinen Augen die ultimative Herausforderung, die beiden eigentlich gegensätzlichen Pole Ausdauer und Geschwindigkeit zu einer perfekten Symbiose zusammenzuführen. Zusätzlich ist es eine Mammutaufgabe, sich über die gesamten 42,195 Kilometer und allen damit verbundenen mentalen Höhen und Tiefen durchzukämpfen. Marathon ist einfach magisch und hat für mich bis heute nichts an seinem Reiz verloren.

Wie groß die Herausforderung sein kann, hast du am eigenen Leib erlebt: 2017 hast du den Berlin-Marathon vorzeitig abbrechen müssen. Kannst du rückblickend sagen, was dazu geführt hat und welche Lehren du aus dieser Erfahrung ziehen konntest?
Wir haben im Nachgang zu diesem Rennen eine ganze Reihe von Untersuchungen und Analysen durchgeführt, die aber allesamt keine eindeutigen Ergebnisse geliefert haben. Rückblickend war es wohl eine unglückliche Konstellation aus widrigen Witterungsbedingungen (Kälte, Regen, Wind) und meiner sehr ambitionierten Zielstellung, was letztlich eine explosive Mischung war. Bei meinem nächsten Marathonstart ein halbes Jahr später in Hamburg habe ich dann keinen Gedanken mehr daran verschwendet. Mit Rückschlägen gehe ich sehr offensiv um, da ich diese so am besten verarbeiten und abhaken kann. Es geht immer weiter.

Die neue Bestzeit ist schon lange überfällig

Was nimmst du dir für den Berlin-Marathon am 29. September vor?
Da geht es schon um die Olympia-Tickets für Tokio 2020. Die Norm des Weltverbands liegt bei 2:11:30 Stunden. Das wäre ausgehend von meiner bisherigen Bestzeit zwar ein ordentlicher Schritt, aber einer der in meinen Augen auch längst überfällig ist. In diesem Sinne: Man wächst mit seinen Herausforderungen.

Und wie ist die Vorbereitung bisher verlaufen?
Ich bin gut im Plan, ohne allerdings voraussagen zu können, dass es wirklich für die 2:11:30 Stunden reichen wird. Ich habe ein bisschen was im Training verändert, lege noch mehr Wert auf die Qualität und habe den Laufumfang etwas verringert. 180 bis 190 Kilometer pro Woche tun mir besser als über 200. So kann ich sehr gut die notwendigen drei intensiven und sehr belastenden Einheiten pro Woche absolvieren. Im vergangenen Frühjahr war ich zum ersten Mal im Höhentrainingslager in Kenia, was sehr inspirierend war. Dort wurde mir von den vielen schnellen Athleten wieder mal vor Augen geführt, dass Marathontraining in der Theorie kein Hexenwerk ist - man muss allerdings in der Lage sein, die hohen Kilometerumfänge ergänzt mit den drei intensiven und langen Belastungen pro Woche zu absolvieren, ohne sich zu überlasten. Das ist bisher in der Vorbereitung auf Berlin gut gelungen.

Die Anforderungen an Athleten, die im Olympiamarathon starten wollen, sind allerdings so hoch wie noch nie. Der Welt-Leichtathletik-Verband hat die Norm auf 2:11:30 Stunden festgelegt. Das ist deutlich schneller als zuletzt vom Deutschen Leichtathletik-Verband gefordert ...
... aber immerhin müssen jetzt die Athleten aus allen Ländern die gleiche Zeit laufen, um dabei zu sein. Das hat den positiven Effekt, dass sich bei großen Läufen wie dem Berlin-Marathon mit Sicherheit größere Gruppen von Läufern aus verschiedenen Ländern finden werden, die alle gemeinsam mit entsprechenden Tempomachern dieselbe Zeit jagen werden. In so einer Gruppe kann es dann eher gelingen, ein ambitioniertes Ziel zu realisieren als allein.

Du bist erst vor fünf Jahren in die längste olympische Laufdisziplin gewechselt. Wie kam es dazu?
Um ganz ehrlich zu sein war es nicht gerade „Liebe auf den ersten Blick“. In jungen Jahren meiner Karriere galt mein Fokus ausschließlich den 5.000 und 10.000 Metern und ich dachte auch, dass mich mein Weg über eine dieser Strecken zu den Olympischen Spielen führen würde. Nach meinem ersten Profijahr und quasi auf halbem Weg nach Rio dämmerte es mir, dass ich für die beiden Bahnstrecken vielleicht doch nicht schnell genug sein würde. Statt meinen olympischen Traum aufzugeben, wandte ich mich einer für mich vollkommen neuen läuferischen Herausforderung zu. Wer das Buch liest, wird sehen, dass das auch nicht auf Anhieb für mich funktionierte.

Warum hast du dich für den Laufsport entschieden und was sind die Vorteile des Laufens gegenüber anderen Sportarten?
Den ersten Kontakt zum Laufen erhielt ich schon früh über meinen Vater. Er war täglich nach Feierabend laufen und hat in seiner Freizeit auch an unterschiedlichsten Wettkämpfen bis hin zu Marathons teilgenommen. Als Kind verfolgt man natürlich genau, was die Eltern tun und es hat nicht lange gedauert, bis ich zum ersten Mal mitlief. Das hat auf mich einen so großen Effekt gehabt, dass ich immer wieder mitlaufen wollte, bis mich meine Eltern letztlich in einem Leichtathletikverein angemeldet haben. Für mich sind die Vorteile des Laufens die große Flexibilität und das wahnsinnig hohe Abwechslungspotential. Im Prinzip braucht man nichts außer ein paar guten Schuhen und schon kann man immer und überall laufen. Man braucht niemanden dafür und trotzdem muss Laufen kein Einzelsport sein.

Was macht für dich die Magie des Laufens aus? Und was hat es mit dem berühmt-berüchtigten Runner’s High auf sich?
Jeder, der das Runner’s High schon einmal erlebt hat, weiß es in dem Moment, in dem es passiert – und es macht süchtig nach mehr! Dieses Gefühl von Geschwindigkeit gepaart mit Leichtigkeit kommt einem tranceartigen Zustand vermutlich relativ nahe. Man hat das Gefühl zu fliegen und endlos weiterlaufen zu können. Auch ich genieße natürlich ein Runner’s High, aber auch wenn ich täglich fast zweimal laufe, kommt es deswegen nicht häufiger vor. Insofern bleibt es einfach etwas Besonderes und das ist gut so. Ganz allgemein bedeutet Laufen für mich Freiheit und ist eindeutig die Bewegungsform, die sich für mich am besten anfühlt.

In „Laufen am Limit“ schilderst du nicht nur offen deine Siege und Niederlagen, sondern gibst auch Tipps, was Amateure von Profis lernen können. Richtet sich das Buch ausschließlich an Marathonläufer?
Ich würde sagen, das Buch richtet sich ausdrücklich nicht nur an Marathonläufer, sondern gerade auch an Hobbyläufer, die sich mit den 42,195 Kilometern noch nie so richtig beschäftigt haben. Natürlich geht es in dem Buch ums Marathonlaufen und meine Erfahrungen mit dieser Strecke, aber eben auch viel um die Laufkultur im Allgemeinen, das Umgehen mit Herausforderungen und Rückschlägen und das Verfolgen von Träumen.

Laufen ist seit vielen Jahren für dich mehr als nur ein Hobby. Was würdest du Laufanfängern raten und was hättest du rückblickend gern anders gemacht?
Ich bin heute glücklich in meiner Situation, wie sie ist und wahnsinnig dankbar für alles, was ich bislang erleben durfte. Ich habe bei weitem noch nicht alle Ziele erreicht, die ich mir erträumt habe, aber es geht im Leben auch viel weniger darum, alles zu erreichen, als vielmehr darum, das Erreichte auch entsprechend wertschätzen zu können. Insbesondere die Rückschläge haben mich gelehrt: Es geht immer weiter. Wenn ich eines meinem früheren Ich mit auf den Weg geben würde, dann vielleicht früher auf die (Warn-)Signale des eigenen Körpers zu hören und diesen mit mehr Respekt zu behandeln. Die ein oder andere Verletzung hätte ich mir damit vielleicht ersparen können.

Nach dem Laufen fühlst du dich immer besser als vorher

Was sind deine Motivationstipps, wenn sich der innere Schweinehund meldet?
Es hilft immer, sich bewusst vor Augen zu führen, dass man sich nach dem Lauf zu 100 Prozent besser fühlen wird als vorher. Damit will ich aber gar nicht sagen, dass es bei mir nicht auch diese Tage gibt, an denen ich mich ganz schwer aufraffen kann. Die größte Hürde ist es, über die Schwelle zu gehen. Sobald man zwei, drei Schritte gelaufen ist und seinen Rhythmus gefunden hat, ist man schon glücklich, dass man sich überwunden hat.

Welche sind die größten Verletzungsgefahren und wie beugt man ihnen am besten vor?
Die größte Verletzungsgefahr ist in meinen Augen falscher Ehrgeiz. Zu schnell zu viel wollen führt fast zwangsläufig zu Frust und leider häufig auch zu den ersten Überlastungserscheinungen in Form von Sportverletzungen. Gerade wenn man erst kürzlich das Laufen für sich entdeckt hat, sollte man nicht direkt den Anspruch haben, täglich zu laufen, denn der Bewegungsapparat braucht gerade am Anfang Zeit, sich zu erholen. Man kann diese Erholungstage aber durchaus sinnvoll nicht-läuferisch nutzen, indem man sie für funktionales Training nutzt, um Rumpf und Rücken zu kräftigen.

Wie unterscheidet sich das Training eines Läufers über kürzere Distanzen von dem eines Marathonläufers? Kann jeder Hobbyläufer einen Marathon laufen?
Aus meiner Sicht ist der Hauptunterschied die Integration von sogenannten „Long Runs“ im Trainingsprogramm – also Läufe, die über die 30 Kilometer hinaus gehen. Komplett unvorbereitet würde ich niemandem empfehlen, einen Marathon zu laufen. Es geht gar nicht darum, dass man das nicht schaffen kann, aber im Idealfall sollte man ja auch Spaß daran haben. Eine gewissenhafte Vorbereitung über acht bis zwölf Wochen auf einen Marathon mit einigen Läufen über 30 Kilometer oder länger sind auf jeden Fall empfehlenswert.

Jeder dritte Deutsche läuft regelmäßig und mit über 200 Rennen finden doppelt so viele Marathonläufe wie noch vor 15 Jahren statt. Wie erklärst du dir diese zunehmende Begeisterung?
Gerade in der heutigen Zeit sehnen sich die Menschen nach „einfachen Sportarten“, die sich leicht in den Alltag integrieren lassen. Laufen ist vergleichsweise kostengünstig und flexibel durchzuführen. Außerdem gibt es nach wie vor das Bedürfnis, sich zu messen, egal ob mit anderen oder absolut betrachtet im Kampf gegen die Uhr. Dazu muss man auch sagen, dass sich die Laufveranstaltungen in den vergangenen Jahren massiv weiterentwickelt haben: Marathons wie in Berlin, Hamburg oder Frankfurt sind riesige Events mit Musik-Acts und hunderttausenden Zuschauern an der Strecke. Das sind einfach extrem beeindruckende Erlebnisse, die einen nachhaltig prägen!

Obwohl heute zwei Millionen Menschen jährlich in Deutschland an Laufveranstaltungen teilnehmen, gilt die Disziplin im Profisport noch immer als Randsportart. Wie ist das zu erklären und was müsste sich ändern?
Das mag jetzt hart klingen, aber vermutlich sind wir deutschen Marathonläufer dafür im internationalen Vergleich nicht erfolgreich genug. Erfolg ist immer ein Katalysator, der Sportarten in den Blickpunkt des nationalen Interesses rückt. Das war im Tennis so (Graf, Becker), im Skispringen (Schmitt, Hannawald) und auch im Turnen (Hambüchen). Dass (Marathon-)Laufen ein Sport für Jedermann ist, ist Fluch und Segen zugleich. Man braucht außer Schuhen kein Equipment, keine teuren Sportanlagen und kann bis auf der Sahara und der Antarktis im Prinzip überall laufen. Das sorgt in meinen Augen dafür, dass Laufen die Sportart mit der höchsten Konkurrenzdichte weltweit und es dementsprechend schwer ist, sich hier durchzusetzen. Dazu kommt, dass wir zwar auch in Deutschland nach wie vor riesige (Lauf-)Talente haben, aber die Rahmenbedingungen in einer sich zunehmend professionalisierenden Sportwelt hierzulande noch nicht so sind, dass man sich zu 100 Prozent nur auf den Sport konzentrieren kann.

In „Laufen am Limit“ äußerst du dich zu mitunter heiklen Themen wie Leistungsdruck, Doping oder Sportfördersysteme. Ganz bewusst verzichtest du auf monetäre Leistungen des Deutschen Leichtathletik-Verbands und finanzierst dich selbst. Worin liegen die sportpolitischen Schwachstellen im Fördersystem des Verbandes?
Das Prinzip fördern und fordern ist in meinen Augen sinnvoll und gerecht, in Deutschland aber leider nicht gelebte Praxis. Hier wird viel von Sportlern gefordert, aber leider nicht im gleichen Maße gefördert. Die jungen Sportler sollen eine duale Karriere machen, sauberen Sport betreiben, am besten mindestens zweimal pro Tag trainieren und international Medaillen gewinnen. Das reicht für mindestens zwei Leben gleichzeitig, dabei ist aber noch nicht klar, woher das Geld zum Leben kommen soll. Ich kenne Leute, die daran zerbrochen sind. Burnout, wie man das heute nennt. Ständige Existenzangst gepaart mit dauerhafter Überforderung – physisch und psychisch – ist keine gute Mischung, ich denke, das braucht man nicht zu erklären. Da sind andere Länder schon weiter. Entweder muss mehr Geld in die deutsche Sportförderung fließen oder wir müssen die Anspruchshaltung an unsere Sportler anpassen. Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir nicht nur viele junge Talente verlieren, sondern sie sehenden Auges ins offene Messer laufen lassen und das ist noch schlimmer.