Im Interview: Philipp Pflieger, der Selfmade-Profi

| Interview: Christian Ermert | Fotos: JvM Stars, Norbert Wilhelmi
Nur in Deutschland top, im Weltmaßstab hinter den vielen schnellen Läufern aus Ostafrika abgeschlagen: Wie es Philipp Pflieger dennoch schafft gut vom La

Philipp Pflieger zählt mit einer Marathon-Bestzeit von 2:12:50 Stunden zu den besten deutschen Läufern. Weltweit ist er damit aber nicht unter den besten 250. Trotzdem kann er gut vom Laufen leben. Und das ohne Unterstützung durch Bundeswehr oder Polizei. Hier verrät der 30-Jährige, wie das funktioniert.

Es war ein holpriger Start in diese Laufsaison für Philipp Pflieger, der wegen muskulärer Probleme auf den geplanten Start beim Hamburg-Marathon im April verzichten musste und so keine Chance mehr hatte sich für die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in London zu qualifizieren, die am Freitag beginnen. Sein Fokus gilt seitdem dem BMW Berlin Marathon am 24. September, beim dem er sich für die bevorstehende Heim-EM 2018 in Berlin qualifizieren will. 

Am vergangenen Samstag gewann er in Berlin zum dritten Mal in Folge die Adidas Runners City Night. Obwohl er ohne spezifische Vorbereitung aus dem Training heraus zu dem Zehn-Kilometer-Rennen angetreten war, stürmte der 30 Jahre alte Läufer von der LG Teils Finanz Regensburg zu 29:37 Minuten und war damit ein paar Sekunden schneller als in den vergangen Jahren. Vielleicht ist das ein gutes Omen für den bevorstehenden Start in Berlin. Dort will er seine dort vor zwei Jahren aufgestellte Bestzeit von 2:12:50 Stunden angreifen.

Vor zwölf Monaten stecktest du mitten in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele. Ein Jahr später hat sich ganz schön viel in deinem Leben geändert, oder?
Ja. Ich habe mein ganzes Sportlerleben lang dem Moment entgegengefiebert, mal bei Olympischen Spielen dabei zu sein. Bis dahin waren alle meine großen Lebensentscheidungen von dem olympischen Traum beeinflusst. Deshalb bin ich nach dem Abitur in meiner Heimatstadt Sindelfingen nach Regensburg gezogen. Deshalb habe ich nach dem Bachelor mein Studium beendet. Und deshalb bin ich Sportprofi geworden.

Was sagen eigentlich deine Eltern zu dieser Entscheidung? Laufprofi ist ja nicht gerade der sicherste Job …
Meine Mutter hat sich am Anfang schon ein bisschen Sorgen gemacht. Als ich noch Politik- und Medienwissenschaften studiert habe, mussten meine Eltern ständig die Frage beantworten, was man damit eigentlich später mal macht. Und dann war der Sohn plötzlich Profisportler, da haben alle gedacht, klar, der verdient jetzt als Fußballer sein Geld. Wenn meine Eltern dann erklärten, „nee, er läuft“, war die Reaktion meistens Stirnrunzeln. Gesellschaftlich akzeptiert ist meine Entscheidung erst, seitdem ich bei Olympia in Rio dabei war. Meine Eltern haben mir immer Rückhalt gegeben, aber finanziell wollte ich nicht auf sie angewiesen sein. Profisport bedeutet für mich, dass man von seinem Sport leben kann. Wenn das nicht möglich gewesen wäre, hätte ich mich auf mein Master-Studium konzentriert und wäre jetzt wahrscheinlich Hobbyläufer wie Millionen andere.

Und dann wurde der Olympia-Traum Realität …
… Rio und der olympische Marathon waren ein Wahnsinns-Erlebnis. Ich hätte an dem Tag keine Sekunde schneller laufen können. Ich war voll zufrieden, wusste danach aber erstmal gar nicht, ob ich auf diesem Niveau überhaupt weiterlaufe. Die Erfüllung dieses Traumes, den ich fast 20 Jahre lang verfolgt hatte, fühlte sich an, als wäre jetzt ein Kapitel meines Lebens abgeschlossen. Ich habe dann nach den Spielen noch zwei Wochen Urlaub in Brasilien gemacht und bin gar nicht gelaufen. Als ich dann wieder zurück in Deutschland war, war die Lust am Laufen schnell wieder da. Drei Wochen nach dem Olympia-Marathon war ich wieder im Training, zwar ohne konkretes Ziel, aber mit viel Spaß.

Das Ziel: Ein fließender Übergang von der Läuferkarriere zum Beruf

Fehlt es dir jetzt immer noch an einem Ziel, auf das du hinarbeitest?
Nein, das nicht. Ich bin allerdings keine 20, 25 mehr. Damals hätte ich jeden Cent und meine Gesundheit geopfert, um irgendwann mal Olympische Spiele zu erleben. Das sehe ich heute anders. Mit 30 ist mein Kosmos nicht mehr nur mein eigenes Laufen. Ich denke daran, was in zwei, drei Jahren sein kann. Auch in finanzieller Hinsicht. Ich hatte ja nie Lust, zur Sportfördergruppe oder zur Polizei zu gehen. Ich empfinde es als Privileg, den Sport selbst finanzieren zu können – mit meinem Verein, der LG Telis Finanz Regensburg, und anderen Partnern wie Adidas und ultraSPORTS, die mich unterstützen. Das noch einige Jahre weiter zu können und dann den fließenden Übergang von der Läuferkarriere in eine neue Position im Sport zu schaffen – das ist mein Ziel.

Aber sportliche Ziele brauchst du doch auch, oder?
Schon, aber ich habe mich davon entfernt, bei internationalen Höhepunkten konkrete Platzierungen anzupeilen. Ich will im Rahmen meiner Möglichkeiten so hart trainieren, wie ich kann. Und dann im Rennen das Beste geben. Was an Platzierungen rauskommt, habe ich nicht in der Hand. Ich weiß ja nie, wie die Konkurrenz „gearbeitet“ hat. Wenn man sich die Veränderungen der Ergebnislisten der vergangenen Jahre durch nachträglich aufgedeckte Dopingfälle anschaut, verlieren internationale Platzierungen an Wert. Wer sich unter diesen Umständen davon abhängig machst, ob er bei einer EM Erster, Dritter oder Sechster wird, steigt in einen langfristig frustrierenden Prozess ein. Das wird dann ziemlich zermürbend.

Dann bleibt also nur noch die Verbesserung der eigenen Leistung als Maßstab …
… für mich schon. Ich will ausloten, wie schnell ich Marathon laufen kann. Wo das mal hingeht, ist schwer zu sagen. Weltrekord wird es sicher nie werden. Ich hoffe aber stark, dass es noch mal unter 2:12:50 Stunden gehen wird und wenn ja, wie weit ich das noch ausreizen kann.

Gesundheit, Fitness, Erfolg und Spaß: Die Botschaften von Philipp Pflieger

Eine zweifellos starke Leistung, aber auch damit wärst du weltweit nicht unter den 250 besten Marathonläufern. Dennoch hast du kürzlich einen Vertrag mit der Sportmarketing-Agentur Jung von Matt abgeschlossen, die sich sonst um prominente Sportler wie Formel-1-Pilot Nico Hülkenberg oder Fußball-Weltmeister Benedikt Höwedes kümmert.
Um genau zu sein, mit der Spezialagentur Jung von Matt/STARS, die mich in meiner individuellen Vermarktung unterstützen. Dass die Agentur sich für mich entschieden hat, überrascht mich selbst  ein wenig. Aber wie schnell genau ich laufe, ist dem Team gar nicht so wichtig. Sie finden es gut, dass ich schnell laufe und sportliche Ziele verfolge und ein klares Profil habe. Laufen ist ja längst mitten in der Gesellschaft angekommen. Und als Profi-Läufer transportiere ich die Botschaften, die jeder mit Laufen verbindet: Gesundheit, Fitness, Erfolg, Spaß.

Und deshalb hat sich Ex-Fußballnationalspieler Arne Friedrich bei dir gemeldet und gefragt, ob seine Agentur dich vermarkten darf?
Nein. Es war umgekehrt. Ich habe dort angerufen, weil ich mir gedacht habe: „Wer nicht fragt, bekommt auch keine Antwort.“ Zu meiner großen Überraschung haben sie mich zu einem Gespräch nach Hamburg eingeladen. Und dann saß ich Arne Friedrich gegenüber. Als Fußballer stand er dem Thema Laufen ohne Ball zunächst etwas skeptisch gegenüber. Aber ich habe ihn wohl ein bisschen dafür begeistern können.

Und wie darf man sich das vorstellen, wenn ein Marathonläufer von einer Sportmarketing-Agentur betreut wird?
Das Team begleitet mich beim Aufbau einer Persönlichkeitsmarke und dem Erreichen meiner sportlichen Ziele. Ich habe als Profisportler die Möglichkeit, die Öffentlichkeit für Themen rund ums Thema Laufen zu begeistern, zum Beispiel durch Experten-Interviews, Statements zu Trendthemen wie Fitness, Reisen, Essen und Trinken, durch Fernsehauftritte – oder durch Aktionen wie Race the Tube.

Race the Tube? Was ist denn das? Ein Rennen in der U-Bahn?
Fast. Einen Rennen gegen die U-Bahn in Berlin. Ich habe versucht, auf einer zehn Kilometer langen Strecke quer durch Berlin zu Fuß schneller zu sein als ein Läufer von der Adidas-Community in Berlin, der mit den U-Bahn-Linien U6 und U2 vom U-Bahnhof Naturkundemuseum bis zum U-Bahnhof Neu-Westend nahe dem Olympiastadion gefahren ist. Mein Rennen habe ich live auf Facebook gestreamt.

Und? Wer hat gewonnen?
Ich. Aber darauf kam es am Ende eigentlich nicht an. Das hat riesigen Spaß gemacht, und es war ein Highlight in den sozialen Netzwerken. Der Live-Stream über meine Seite erreichte 1,4 Millionen Kontakte, die Zusammenfassung nochmals knapp eine halbe Millionen. Es hat sich gelohnt, mal zwei Tage nach Berlin zu fahren und zehn Kilometer in 34 Minuten zu laufen. Aber solche Aktionen sind längst nicht alles. Unsere Zusammenarbeit ist langfristig angelegt. Wir hoffen, dass beide Seiten davon auch noch nach dem Ende meiner aktiven Zeit profitieren.