R5K-Tour 2024: Von Dresden nach Berlin
Favoritin im Porträt: Vanessa Mikitenko und die großen Fußstapfen ihrer schnellen Mama
R5K – das sind Fünf-Kilometer-Rennen für den Nachwuchs. Eine Favoritin für den Gesamtsieg: Vanessa Mikitenko. Die Tochter von Marathonlegende Irina Mikitenko startet am 29. August bei der U20-WM.
Die südafrikanische Morgensonne färbt den Himmel noch orange, als Vanessa Mikitenko und ihre Trainingsgruppe loslaufen. Auf der schier endlos geradeaus führenden Straße muss ein langer Lauf absolviert werden. 16 Kilometer stehen auf dem Programm. Schnell teilt sich die Gruppe auf. Die etwas schnelleren Jungs preschen nach vorne, Vanessa und die anderen Mädchen halten sich einige Meter dahinter. Trainer Benjamin Stalf rollt im Auto neben seinen Schützlingen, die allesamt zu den besten deutschen Talenten zählen, durch die endlose Graslandschaft. Aus den Fenstern seines Wagens dröhnt Musik. Es ist zum Ritual geworden, dass er bei Long Runs zwischen den zwei Gruppen hin und her pendelt, um sie mit Getränken zu versorgen und mit ermutigenden Worten zu pushen.
Im Frühjahr 2024 war Vanessa Mikitenko für drei Wochen im Trainingscamp in Potchefstroom, nahe Johannesburg. In knapp 1400 Meter Höhe hat sich die 19-Jährige komplett auf ihren Sport konzentriert, um die Form für die Bahnsaison 2024 zu erreichen. Mit Erfolg: In diesen Tagen reist die Athletin vom SCC Hanau-Rodenbach nach Lima, um sich am 30, August bei den U20-Weltmeisterschaften in der peruanischen Hauptstadt über 3.000 Meter mit den besten Nachwuchsläuferinnen der Welt zu messen. Zuletzt hat sie sich über diese Distanz in Pfungstadt auf 9:08,14 Minuten verbessert. Sie reist als zweitbeste Europäerin nach Lima und rangiert in der WM-Meldeliste auf Rang sieben. Was sie sich vorgenommen hat? „Jede wird kämpfen, alle sind stark und am Ende zählt nur, dort die wirklich beste Jahresleistung zu erbringen“, sagt Vanessa Mikitenko, die 2023 bereits bei den U20-Europameisterschaften in Jerusalem auf Platz fünf über 3.000 Meter gelaufen ist. Damals war ihre Bestzeit noch fast 20 Sekunden langsamer als jetzt.
Im Juni triumphierte Vanessa Mikitenko bei den Deutrschen Jugendmeisterschaften der U20 über 3.000 Meter. Jetzt tritt sie über diese Strecke bei der U20-WM im peruanischen Lima an. Beim BMW Berlin-Marathon will sie am 28. September um den Gesamtsieg in der R5K-Serie für den Laufnachwuchs kämpfen.
Trainingslager in Südafrika, U20 EM in Israel oder U20 Weltmeisterschaft in Peru – nur wenige Jugendliche kommen so früh so viel in der Welt herum. „Ich sehe so viel durch den Sport“ schwärmt Vanessa im Interview, „auch wenn ich als Sportlerin nicht dieselben Erfahrungen mache, wie andere in meinem Alter, fühlt es sich nicht wie ein Verzicht an.“
Das Leben der 19-jährigen unterscheidet sich in vielen Aspekten von denen anderer Teenager. Statt zuhause bei ihrer Familie wohnt die Kaderathletin zurzeit mit anderen Nachwuchsathletinnen und -athleten im Sportinternat am Olympia Stützpunkt Hessen in Frankfurt. Statt die Schule möglichst schnell hinter sich zu bringen, absolviert die sie eine Schulzeitstreckung. Für den Stoff der zwölften Klasse hat sie demnach zwei Jahre Zeit. Und statt im Urlaub zwei Wochen am Strand zu faulenzen, trainiert sie eben drei Wochen auf den endlosen Straßen und einer speziellen Grasbahn in Südafrika.
Trotz aller Disziplin verliert Vanessa den Spaß am Laufen nie. Harmonie innerhalb der Gruppe und die Trainingsphilosophie von Benjamin Stalf helfen dabei. Ihr Trainer setzt auf nachhaltige Erfolge und schult seinen Schützling in Geduld und Durchhaltevermögen. „Früher hatte ich weniger Geduld“, gibt Vanessa zu „im Training wollte ich manchmal mehr geben als gut für mich war. Jetzt denke ich fast immer daran, dass ich mein ganzes Potenzial nur ausschöpfen kann, wenn ich behutsam die Grundlagen aufbaue.“
Vanessas Mutter ist Irina Mikitenko, die einzige Deutsche die bislang einen Marathon unter 2:20 Stunden gelaufen ist. Sie begleitet und unterstützt die Laufkarriere ihrer Tochter seit vielen Jahren, so wie hier beim Silvesterlauf in Trier 2019.
Das Laufen liegt der jungen Sportlerin im Blut. Ihre Mutter ist Irina Mikitenko, die einzige Deutsche, die mit 2:19:19 jemals einen Marathon unter 2:20 Stunden gelaufen ist. Der Rekord, den sie 2008 beim Berlin-Marathon aufstellte, überdauert bis heute.
Vanessa sieht in ihrer Mutter allerdings nicht vorrangig „Die beste deutsche Marathonläuferin aller Zeiten“, sondern ihre Vertrauensperson Nummer eins. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist sehr innig. „Meine Mutter ist eine emotionale Stütze, die alles schon durchgemacht hat und mich total gut kennt.“ Irina weiß genau, wie sie ihre Tochter in Momenten des Zweifels wieder aufbauen kann und hat immer ein offenes Ohr für Vanessa. In das Training ihrer Tochter mischt sich die ehemalige Spitzensportlerin allerdings nicht ein. Die Planung wird komplett Benjamin Stalf überlassen, der Vanessas absolutes Vertrauen genießt.
Neben ihrer Mutter hat Vanessa Mikitenko zwei weitere große Vorbilder. Zuletzt imponierte ihr, wie Sifan Hassan aus den Niederlanden in Paris als erste Läuferin überhaupt Marathonolympiasiegerin wurde, nachdem sie zuvor schon Medaillen über 5.000 und 10.000 Meter gewonnen hatte. Aber auch der 800-Meter-Triumph der Britin Keely Hodgkinson über 800 Meter hat großen Eindruck bei Vanessa Mikitenko hinterlassen: „Egal ob man energetisch von vorne läuft wie Keely oder mutig von hinten wie Hassan, man muss einfach seinen eigenen Rhythmus finden, um erfolgreich zu sein.“
Mit den fesselnden Spielen von Paris ist Vanessas Wunsch noch einmal gewachsen, 2028 selbst in Los Angeles an den Start zu gehen. Über 5000 Meter. So wie ihre Mutter vor dann 32 Jahren ebenfalls in den USA. 1996 startete Irina Mikitenko in Atlanta und schied im Vorlauf aus. Dennoch begann dort die Karriere einer der größten deutschen Läuferinnen so richtig. Vier Jahre später wurde sie Fünfte bei den Spielen in Sydney. Nach ihrem siebten Platz bei Olympia 2024 in Athen wechselte sie auf die Straße und wurde wenige Jahre später durch ihren Gesamtsieg bei den World Marathon Majors zur Marathon-Millionärin.
Über die R5K-Tour für den Laufnachwuchs
Mit der R5K-Tour sucht Deutschland den schnellen Nachwuchs: Zur Serie gehören 2024 fünf Rennen über je fünf Kilometer in Dresden (24. März), Paderborn (30. März), Hannover (13. April), Hamburg (1. September) und am Ende das große Finale beim BMW BERLIN-MARATHON am 28. September in der Hauptstadt. In der Gesamtwertung geht es für junge Läuferinnen und Läufer in den Klassen U20 und U23 um Preisgelder, Trainingslager und vor allem ums regelmäßige Kräftemessen mit den Besten des Landes. Veranstaltet wird das Ganze von German Road Races (GRR) mit Unterstützung des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). GRR ist als Vereinigung der großen Laufevents im deutschsprachigen Raum die Interessenvertretung für den Laufsport auf der Straße. Um in der Gesamtwertung vorn zu landen, reicht es nicht, einmal schnell zu sein. Mindestens drei Starts sind Pflicht. Einer davon muss beim Finale in Berlin sein. Am Ende gewinnt, wer in der Addition des Ergebnisses von Berlin mit den beiden schnellsten Zeiten bei den vorhergehenden R5K-Läufen die schnellste Zeit hat (2+1-Regel). Alle Infos, Ergebnisse und die Zwischenstände findest du auf r5k-tour.de.
Große Fußstapfen, von denen sich Vanessa Mikitenko aber kaum beeinflussen lässt. „Ich habe jetzt vier Jahre bis dahin. Und ich werde alles geben.“ Die junge Läuferin will dabei so viele Erfahrungen wie möglich mitnehmen. Den nächsten Lauf des R5K in Hamburg verpasst Vanessa aufgrund der WM in Lima. Dafür freut sie sich umso mehr auf das Finale in Berlin, denn die letzten fünf Kilometer auf der Straße werden im Rahmen des BMW Berlin-Marathons gelaufen. „Ich verbinde mit dieser Veranstaltung so viel Gutes, weil ich als Kind meiner Mutter beim Laufen zugeschaut habe“, erklärt die 19-jährige im Interview. Als ihre Mama 2008 in Berlin den deutschen Rekord aufstellte, war sie drei.
16 Jahre später hat sie immerhin die Chance, am selben Ort die Gesamtwertung der R5K-Tour zu gewinnen und so ein Preisgeld in Höhe von 500 Euro zu ergattern. Plus einen Zuschuss zu einem Trainingslager in Höhe von 1000 Euro. Den wird sie dann sicher wieder in eine Reise investieren, mit der sie ihre Form perfekt aufbauen kann. Das hat ja schon dieses Jahr in Südafrika hervorragend funktioniert.