Leichtathletik-EM
Richard Ringer wird in München Marathon-Europameister − Teamgold für die Frauen
Was für ein Auftakt der Leichtathletik-EM: Richard Ringer holt Gold im Marathon. Das deutsche Frauenteam auch. Die Männermannschaft Silber. Miriam Dattke und Amanal Petros laufen jeweils auf Rang vier.
Richard Ringer ist mit einem sensationellen Schlussspurt zur Europameisterschafts-Goldmedaille im Marathon gestürmt. Erstmals in der Geschichte der Leichtathletik-EM stellt Deutschland damit einen Männer-Sieger im Marathon. Der 33-jährige Läufer des LC Rehlingen triumphierte am Odeonsplatz in München in 2:10:21 Stunden. Israels Läufer Maru Teferi und Gashau Ayale gewannen in 2:10:23 beziehungsweise 2:10:29 die Silber- und Bronzemedaille. Einen sehr starken vierten Platz belegte Amanal Petros (TV Wattenscheid) in 2:10:39 vor Nicolas Navarro (Frankreich/2:10:41).
Bei prächtiger Stimmung vor vielen tausend Zuschauern an der 10-km-Rundstrecke gewann das deutsche Team die Silbermedaille im Europa Cup. Bei dieser in die EM integrierten Team-Wertung werden die besten drei Läufer einer Nation gewertet. Israel siegte mit 6:31:48 Stunden vor Deutschland (6:35:52), Dritter wurde Spanien mit 6:38:44. Johannes Motschmann (SCC Berlin) lief als 16. mit 2:14:52 Stunden in diese Wertung. Für das deutsche Team liefen zudem Hendrik Pfeiffer (TV Wattenscheid) auf Rang 24 in 2:16:04, Konstantin Wedel (LG Telis Finanz Regensburg) auf Platz 25 mit 2:16:09 und Simon Boch (LG Telis Finanz Regensburg), der Rang 49 in 2:21:39 belegte.
Das Rennen der Frauen gewann die Polin Aleksandra Lisowska. Sie triumphierte in 2:28:36 Stunden vor Matea Parlov Kostro (Kroatien), die nach 2:28:42 im Ziel war. Dritte wurde die Niederländerin Nienke Brinkmann nach 2:28:52 ganz knapp vor der zeitgleichen Miriam Dattke (LG Telis Finanz Regensburg). In einem dramatischen Duell auf den letzten Metern musste sich die 24-jährige Läuferin der LG Telis Finanz Regensburg haarscharf geschlagen geben. In ihrem erst dritten Marathonrennen zeigte Miriam Dattke bei den unangenehmen Wetterbedinungen eine herausragende Leistung und konnte sich mit der Goldmedaille in der Team-Wertung trösten. Das deutsche Team gewann die Europa-Cup-Wertung mit 7:28:48 Stunden vor den Spanierinnen (7:39:25) und den Polinnen.
Hinter Miriam Dattke lief Domenika Mayer (LG Telis Finanz Regensburg) in ihrem erst zweiten Marathon auf einen hervorragenden sechsten Platz in 2:29:21. Eine starke Leistung in einem Hitzerennen zeigten Deborah und Rabea Schöneborn (SCC Berlin): Deborah belegte Rang zehn in 2:30:35, Rabea wurde Zwölfte mit 2:30:36. Ebenfalls gut schlug sich Katharina Steinruck (Eintracht Frankfurt) mit Rang 15 in 2:32:41. Kristina Hendel (LG Braunschweig) folgte auf Rang 20 in 2:35:14.
In München herrschten für die Läufer große Wärme - wobei die Athleten sogar noch etwas Glück hatten, denn an den Tagen zuvor wäre es noch schlimmer gewesen. Im Schatten betrug die Temperatur während der beiden Rennen zwischen 22 und 26 Grad Celsius, in der Sonne war es deutlich wärmer. Manchmal halfen Wolken und ein kühler Wind, doch insgesamt hätten diese Marathonläufe früh morgens oder abends gestartet werden müssen.
Entsprechende, monatelange Proteste der deutschen Marathonläufer und auch internationaler Athleten nutzten nichts. Der Europäische Leichtathletik-Verband beharrte - offensichtlich in erster Linie aufgrund von TV-Übertragungszeiten - auf 10.30 Uhr für die Frauen und 11.30 Uhr für die Männer. Zwei Tage vor dem Start gab der Verband stattdessen bekannt, dass während der Rennen eine „Wet Bulb Globe Temperature“ von 19 bis 21 Grad Celsius herrschen würde - wie immer diese errechnet wurde, diese Werte waren fernab der Realität. Kurz vor dem Start der Männer zeigte ein Thermometer an einer Apotheke um die Ecke des Zielgebietes 25 Grad Celsius an - und zu dieser Zeit war der Himmel gerade bedeckt.
Allerdings hatten sich die deutschen Asse auch optimal auf die Wärme vorbereitet. Unter anderem mit Kappen, in die sie teilweise selbst Netze genäht hatten, um dort während des Rennens immer wieder Crushed Ice reinzustecken und so für Kühlung zu sorgen. „Das musste man richtig üben, damit im Rennen alles funktioniert“, sagte Deborah Schöneborn.
Die Bilder von den irren Rennen in der Münchner Innenstadt
- Fotos: Norbert Wilhelmi (7), imago images/Beautiful Sports
So lief das Männerrennen vom Start bis ins Ziel
Wie bei Meisterschaftsrennen im warmen Sommer meist üblich, blieb eine größere Gruppe über die Halbmarathonmarke hinaus zusammen. Rund 20 Läufer hatten diesen Punkt nach 65:16 Minuten erreicht. Noch bei Kilometer 35 (1:48:36) liefen zehn Athleten an der Spitze. Darunter waren auch Richard Ringer und Amanal Petros. In der Folge entwickelte sich eine dramatische Schlussphase. Gut fünf Kilometer vor dem Ziel hatte Richard Ringer den Kontakt zur Spitzengruppe verloren und lag einige Sekunden zurück. Vorne waren noch fünf Athleten im Rennen um den EM-Titel: Neben Amanal Petros, Maru Teferi und Gashau Ayale waren dies noch Nicolas Navarro sowie Ayad Lamdassem (Spanien), der mit 2:06:25 die schnellste Bestzeit im Feld aufwies. Doch knapp drei Kilometer vor dem Ziel hatte Richard Ringer wieder aufgeschlossen und setzte sich sogar an die Spitze.
Dann jedoch verschärften Maru Teferi und Amanal Petros das Tempo und setzten sich ab. Richard Ringer lag erneut zurück und sicherte zunächst Rang drei. Wenige hundert Meter vor dem Ziel brach Amanal Petros ein, so dass Maru Teferi schon wie der sichere Sieger aussah. Während der Wattenscheider immer langsamer wurde und noch auf den undankbaren vierten Rang zurück fiel, wurde Richard Ringer immer schneller. Die Grundschnelligkeit des 5.000-m-EM-Dritten von 2016 half ihm dabei, tatsächlich noch zum Gold zu sprinten.
„Es tat eh alles weh, da war es dann auch schon egal. Ich musste alles versuchen. Die Zuschauerunterstützung war toll, die Zuschauer waren mein drittes Bein“, sagte Richard Ringer, der in der langen Historie der Europameisterschaften, die 1934 begann, erst die dritte deutsche Medaille im Männer-Marathon für Deutschland gewann. 1974 war Eckhard Lesse im Trikot der DDR Zweiter, 1986 lief Herbert Steffny auf Rang drei. „Marathon ist eine Wundertüte - du steht am Start und weißt nicht einmal ob du durchkommst“, sagte Richard Ringer. „Das Team hat mich heute motiviert und auch Amanal hat mir geholfen. Als ich am Ende der ersten Gruppe lief, ließ er sich von vorne zurückfallen und fragte ob alles okay ist. Amanal ist so ein lieber Mensch.“
„Im Marathon kann immer alles passieren. Ich bin sehr zufrieden mit dem vierten Platz, der uns ja auch geholfen hat, die Team-Silbermedaille zu gewinnen“, sagte Amanal Petros. „Vielleicht war ich während des Rennens etwas zu aktiv.“
So lief das Frauenrennen vom Start bis ins Ziel
Die Frauen hatten im ersten Teil des Rennes noch etwas Glück mit den Wetterbedingungen, denn der Himmel war meist bedeckt und die Temperaturen noch nicht ganz so hoch. 14 Läuferinnen bildeten eine Spitzengruppe, die die Halbmarathonmarke nach 1:14:33 Stunden passierte. In dieser Gruppe waren bis auf Kristina Hendel, die rund eine Minute zurück lag, noch alle deutschen Läuferinnen vertreten. Bald danach fielen Katharina Steinruck, die in ein Loch getreten war und zunächst leicht humpelnd laufen musste, sowie Deborah und Rabea Schöneborn zurück. Auch Domenika Mayer verlor den Kontakt zur Spitze, konnte aber wieder heran laufen. „Die Zuschauer haben mir sehr geholfen, dadurch konnte ich das Loch wieder zulaufen“, sagte Domenika Mayer, die in Hannover im April ihr Marathon-Debüt gewonnen hatte.
Neun Läuferinnen blieben bis Kilometer 35 zusammen in der ersten Gruppe, darunter Domenika Mayer und Miriam Dattke. Zwei Kilometer vor dem Ziel kämpften immer noch vier um die Medaillen: Aleksandra Lisowska, Matea Parlov Kostro, Nienke Brinkmann und Miriam Dattke, die zeitweilig auch führte. Auf der sehr langen letzten Geraden forcierte dann Aleksandra Lisowska das Tempo und setzte sich entscheidend ab. Hinter Matea Parlov Kostro kämpfte Miriam Dattke bis zum letzten Meter um die Bronzemedaille. Angefeuert von den Zuschauern kam sie noch einmal ganz dicht an Nienke Brinkmann heran, doch es reichte am Ende nicht ganz.
„Das ist unglaublich für mich, das hätte ich vor dem Start nicht für möglich gehalten - und ich kann es jetzt auch noch nicht glauben“, sagte Aleksandra Lisowska, die im vergangenen Jahr den polnischen Rekord auf 2:26:08 geschraubt hatte.
„Ich bin sehr glücklich mit dem vierten Platz, auch wenn ich die Medaille so knapp verpasst habe. Mehr ging am Ende nicht, wir konnten ja beide nicht mehr - das war wie zwei LKWs auf der Autobahn“, sagte Miriam Dattke, die im vergangenen Jahr noch Pech hatte, weil ihr geplantes Marathon-Debüt in Dresden verletzungsbedingt ausfiel. Dann kam sie in Valencia im Dezember aufgrund von Magenproblemen nicht ins Ziel. In Sevilla lief sie schließlich im Februar 2:26:50 Stunden und nun folgte Rang vier bei der EM. „Ich hoffe, dass ich in der Zukunft noch eine Chance habe, eine Einzel-Medaille bei einer EM zu gewinnen“, sagte Miriam Dattke. Dreimal hat eine deutsche Läuferin bisher bei einer EM eine Marathon-Medaille gewinnen können: 2002 wurde in München Luminita Zaituc Zweite vor Sonja Oberem, und 2006 gewann Ulrike Maisch sensationell die Goldmedaille.