© Imago Images/Xinhua

Olympia in Paris
Sifan Hassan holt Sieg und dritte Medaille – Deutsche mit gutem Rennen

| Text: Anja Herrlitz | Fotos: Imago Images

Nach Bronze über 5000 und 10.000 Meter hat die Niederländerin Sifan Hassan in einem spannenden Schlussspurt Gold im Marathon gewonnen. Domenika Mayer und Laura Hottenrott liefen ein gutes Rennen.

Was für ein Rennen! Was für eine Läuferin! Die Niederländerin Sifan Hassan hat bei den Olympischen Spielen in Paris nach Bronze über 5000 und 10.000 Meter am letzten Wettkampftag den Marathon in einer Spurtentscheidung in 2:22:55 Stunden gegen Weltrekordlerin Tigst Assefa aus Äthiopien (2:22:58 h) gewonnen. Die Kenianerin Hellen Obiri wurde in 2:23:10 Stunden Dritte. Damit ist Hassan die erste Frau der Geschichte, die bei denselben Olympische Spielen eine Medaille über diese drei Strecken gewann.

Auf der hügeligen, schweren Strecke mit 438 Metern bergauf und 436 Metern bergab war Domenika Mayer (LG Telis Finanz Regensburg) als 29. in 2:30:14 Stunden die beste deutsche Läuferin. Laura Hottenrott (PSV Grün-Weiß Kassel), die das Rennen defensiv anging, lief auf Platz 38 in 2:31:19 Stunden. Melat Kejeta (Laufteam Kassel), die Olympia-Sechste von Sapporo (2021), gab das Rennen nach rund 18 Kilometern auf.

Wie das Rennen lief

Erstmals in der Geschichte Olympischer Spiele war es nicht der Männer- sondern der Frauenmarathon, der am letzten Olympiatag den Abschluss der Leichtathletik-Wettbewerbe bildete. Bei hochsommerlichen Temperaturen – am Start morgens um 8 Uhr wurden bereits 19 Grad gemessen, im Ziel waren es knapp 30 Grad – wurde von den Läuferinnen allerdings kein zurückhaltendes Tempo angegangen. Schon auf den ersten Kilometern fielen die ersten Läuferinnen zurück. Laura Hottenrott, die das Rennen geplant defensiv anging, verlor vor Kilometer 10 den Anschluss an das große Feld.

Nach der 10-Kilometer-Marke und darauffolgenden Verpflegungsstelle startete die Französin Mélody Julien einen Angriff, der das große Feld sprengte. Die Kenianerin Peres Jepchirchir, Marathon-Olympiasiegerin von Sapporo, folgte ihr schnell. Etwas später schlossen auch alle anderen Favoritinnen um Weltrekordlerin Tigst Assefa, Weltmeisterin Amane Shankule (Äthiopien) sowie die zweimalige Boston-Marathon-Siegerin Hellen Obiri und die ehemalige New York-Marathon-Siegerin Sharon Lokedi (beide Kenia) auf. Sifan Hassan hatte zunächst etwas Probleme, den Anschluss zu schaffen, wenig später gelang es ihr aber.

© Imago Images/ANP

Melat Kejeta muss das Rennen aufgeben, Sifan Hassan mit Problemen

Melat Kejeta lief zu diesem Zeitpunkt noch in der ersten Verfolgungsgruppe, Domenika Mayer und Laura Hottenrott folgten mit 43 Sekunden und 1:18 Minuten Rückstand. Als dann der erste steile Anstieg vor der Halbmarathonmarke kam, fiel das Verfolgungsfeld auseinander. Melat Kejeta musste bei Kilometer 18 gehen und hielt sich die Seite. Wenig später gab sie das Rennen auf.

Nachdem die Halbmarathonmarke von den schnellsten Läuferinnen nach 1:13:22 Stunden passiert worden war, ging es kurz vor Kilometer 30 in den nächsten steilen Anstieg. Und erneut war es Sifan Hassan, die Probleme hatte und aus der Spitzengruppe zurückfiel. Manch einer glaubte hier wahrscheinlich schon, drei Olympiastarts über 5000 und 10.000 Meter sowie im Marathon seien für die 31 Jahre alte Niederländerin zu viel.

© imago images/ANP

20 Wettkampfkilometer vor dem Marathonstart

Vor drei Jahren hatte sie bei den Olympischen Spielen in Tokio Gold über 5000 und 10.000 Meter gewonnen. Dieses Jahr sammelte sie über diese Distanzen zweimal Bronze ein. Mit Vorlauf und Finale über 5000 Meter sowie dem 10.000-Meter-Finale hatte sie bereits 20 Wettkampfkilometer in den Beinen, als sie an den Marathonstart ging. Die Kilometer zum Aufwärmen und Auslaufen nicht eingerechnet. Kann man mit so einer Vorbelastung noch einen Marathon laufen und sogar gewinnen?

Vielleicht ist es nur Sifan Hassan, die einerseits diesen Spagat zwischen den Disziplinen und andererseits auch die enorme Belastung schafft. Und das, wo nicht wenige schon an ihrer Form gezweifelt hatten, weil sie in den Wettkämpfen vor den Olympischen Spielen nicht überzeugt hatte. Jetzt aber zeigte sie, dass sie im richtigen Moment topfit war und kämpfte sich wieder an die Führungsgruppe mit allen Favoritinnen heran.

Kein zweiter Olympiasieg für Peres Jepchirchir

Dort, wo am Vortag der Äthiopier Tamirat Tola die Vorentscheidung gesucht hatte und einem überzeugenden Sieg entgegengelaufen war, liefen jetzt noch neun Läuferinnen zusammen. Dahinter hatten Domenika Mayer und Laura Hottenrott zwar schon einen deutlichen Abstand von mehr als drei Minuten, machten aber Platz um Platz gut.

Die erste Top-Favoritin, die aus der Führungsgruppe herausfiel, war Peres Jepchirchir. Die Olympiasiegerin von 2021 war mit dem Ziel gestartet, als erste Frau der olympischen Geschichte eine zweite Goldmedaille im Marathon zu gewinnen, musste dieses Unterfangen an diesem Punkt aber aufgeben.

© Imago Images/Beautiful Sports

Protest von Äthiopien wird nicht stattgegeben

Mit Sifan Hassan, Sharon Lokedi, Amane Shankule, Hellen Obiri und Tigst Assefa passierten fünf Top-Läuferinnen gemeinsam den Eiffelturm und auch Kilometer 40. Während die Führung immer wieder wechselte, war es Sifan Hassan, die sich taktisch klug immer hinter den anderen Läuferinnen hielt und so entscheidende Körner sparte. Immer aber bereit zu reagieren, wenn vor ihr etwas geschah.

Kurz vor Kilometer 41 fiel dann Weltmeisterin Amane Shankule aus der Führungsgruppe und kurz vor dem Ziel setzten Sifan Hassan und Tigst Assefa gemeinsam zum Schlussspurt an. Mit einem unglaublichen Tempo bogen sie auf den blauen Teppich an der Esplanade des Invalides ein. Dort kam es auch zu einer Rangelei, wegen der Äthiopien später Protest einlegt, der aber abgewiesen wurde. Sifan Hassan spielte ihre Spurtstärke aus, die sie von den Unterdistanzen mitbringt. Immer wieder schaute sie sich auf den letzten Metern um, doch Tigst Assefa konnte nicht kontern.

© Imago Images/Xinhua

Olympischer Rekord wie bei den Männern

In 2:22:55 Stunden stellte sie auf der so schwierigen Strecke, wie auch Tamirat Tola am Vortag, einen neuen olympischen Rekord auf. Tigst Assefa, die 2016 bei Olympia noch über 800 Meter gestartet war, folgte in 2:22:58 Stunden vor Hellen Obiri, die in 2:23:10 Stunden sogar eine persönliche Bestleistung lief. Für Helen Obiri war es die dritte Olympia-Medaille nach Silber 2016 und 2021 über 5000 Meter. „Ich habe vorher versucht, mich abzusetzen, weil ich weiß, dass Tigst und Sifan gute Sprinterinnen sind. Aber ich habe es nicht geschafft“, sagte sie, nachdem sie im Rennen sogar zweimal gestürzt war – einmal im Anfangsgetümmel und einmal an einer Verpflegungsstation. Peres Jepchirchir, Siegerin der letzten Olympischen Spiele, blieb in 2:26:51 Stunden nur Rang 15.

Für Sifan Hassan war es bereits die sechste olympische Medaille. 2021 hatte sie neben Gold über 5000 und 10.000 Meter auch Bronze über 1500 Meter gewonnen. Dieses Jahr folgten Bronze über 5000 und 10.000 Meter sowie Gold im Marathon. „Ich fühle mich wie in einem Traum“, sagte die in Äthiopien geborene Niederländerin nach dem Rennen.

© Imago Images/ZUMA Wire Press

Von einem anderen Stern

Gleichzeitig aber gestand sie, dass ihr das Rennen nicht leichtgefallen war. „Ich habe in jedem Moment des Rennens bereut, dass ich die 5000 und 10.000 Meter gelaufen bin. Ich habe mir gesagt, wenn ich das nicht getan hätte, würde ich mich heute großartig fühlen.“ So ein schnelles und anstrengendes Rennen dann trotzdem zu gewinnen, spricht für ihre Ausnahmestellung. „Von einem anderen Stern“, sagte da auch Laura Hottenrott anerkennend.

„Wenn Sifan mich so kurz vor dem Ziel nicht geschubst hätte, hätte ich vielleicht Gold gewonnen. Aber so war es nicht möglich“, sagte Assefa später. „Ich freue mich aber trotzdem über Silber.“ Und sie hatte sogar lobende Worte für Sifan Hassan: „Auf der Bahn und im Marathon Medaillen zu gewinnen, ist hart. Sie ist eine große Athletin und ich gratuliere ihr.“

© Imago Images/Eibner

Domenika Mayers Plan geht nicht auf

Jubelnd warf Domenika Mayer die Arme nach oben, als sie nach 2:30:14 Stunden als 29. das Ziel erreichte. Auf der zweiten Hälfte des Rennens hatte sie noch einige Plätze gutgemacht. „Ich hatte große Erwartungen an diesen olympischen Marathon. Ich wollte im Feld bis zum ersten Berg mitschwimmen und dann noch einmal drücken“, sagte sie im Ziel.

Bergauf musste die 33-Jährige, die auch eine sehr gute Bergläuferin ist, dann allerdings ein paar Läuferinnen ziehen lassen. „Ich konnte es bergab zwar rollen lassen, aber irgendwann musste ich dann einsehen, dass heute für mich kein optimaler Tag ist. Marathon ist halt auch Tagesform.“ Trotzdem erreichte sie glücklich das Ziel. „Ich hatte vorher ein bisschen Angst gehabt, hier alleine zu laufen. Aber tatsächlich war man auf dieser Strecke nie allein. Man ist überall angefeuert worden, das war einmalig.“

© Imago Images/Beautiful Sports

Defensive Taktik von Laura Hottenrott

Genauso glücklich verließ Laura Hottenrott den Zielbereich, nachdem sie in 2:31:19 Stunden auf Platz 38 gelaufen war. Vor drei Jahren hatte sie die Olympia-Qualifikation noch knapp verpasst. „Danach wollte ich schon öfter das Handtuch werfen. Aber ich habe nie aufgegeben und deswegen bin ich heute umso dankbarer, vor so einer Kulisse ins Ziel laufen zu dürfen. Auch an der Strecke war die Stimmung einfach Wahnsinn.“

Die 32-Jährige war das Rennen sehr defensiv angegangen und lief bis zum ersten Berg weit hinten im Feld. „Aber ab Kilometer 15 habe ich nur noch überholt und mich peu à peu nach vorne gearbeitet“, erzählte sie. Für die Kasselerin war es der erste Hitzemarathon, „da habe ich auf jeden Fall einiges für die Zukunft dazugelernt“.

Impressionen vom Olympia-Marathon