Sifan Hassan: „Ich will in Berlin den Weltrekord angreifen“

Sifan Hassan: „Ich will in Berlin den Weltrekord angreifen“

| Interview: Christian Ermert | Foto: Imago

Sifan Hassan will am Sonntag beim Generali Berliner Halbmarathon den Weltrekord verbessern. Dazu muss die 26-Jährige ihren Europarekord um 24 Sekunden verbessern. Im Interview spricht die Holländerin darüber und erklärt, warum sie Deutschlands Hoffnung Konstanze Klosterhalfen für talentierter hält als sich selbst.

Sifan Hassan aus den Niederlanden will am Sonntagmorgen beim Generali Berliner Halbmarathon den Weltrekord angreifen. Bereits bei ihrem ersten Halbmarathon vergangenen September in Kopenhagen kam sie mit ihrem Europarekord von 65:15 Minuten der aktuellen Marke nah, die seit 2017 von der Kenianerin Joyciline Jepkosgei mit 64:51 Minuten gehalten wird. Und das ohne spezielle Vorbereitung. Zu Beginn des Jahres sicherte sich die 26-Jährige dann in Monte Carlo mit 14:44 Minuten den Weltrekord über fünf Kilometer. Im exklusiven laufen.de-Interview verrät die Läuferin, die mit 15 Jahren als Flüchtling aus Äthiopien in die Niederlande gekommen ist, warum sie glaubt, auf der Straße noch erfolgreicher sein zu können als auf der Bahn, wo sie immerhin schon fünf Medaillen bei Weltmeisterschaften gewonnen hat und vergangenen Sommer in Berlin Europameisterin über 5000 Meter geworden ist. Und sie erklärt, dass sie Deutschlands Hoffnung Konstanze Klosterhalfen für talentierter hält als sich selbst.

Sifan Hassan, was ist dein Plan für das Rennen am Sonntag?
Ich will versuchen, den Weltrekord zu attackieren. Letztes Jahr bin ich in Kopenhagen nach der Bahnsaison ohne spezielle Vorbereitung an den Start gegangen. Jetzt ist das anders. Ich habe speziell für den Halbmarathon trainiert und will deutlich schneller laufen als in Kopenhagen …

… und dann wärst du ja im Bereich des Weltrekords. Bis zu jenen 64:51 Minuten, die Joyciline Jepkosgei 2017 aufgestellt hat, sind es ja nur 24 Sekunden.
Genau. Und so schnell will ich am Sonntag in Berlin laufen.

Bedeutet das jetzt, dass du dich von der Bahn verabschiedest und nur noch Straßenrennen bestreiten wirst?
Nein. Erstmal liegt mein Fokus auf der Bahn. Ob ich bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio auf der Bahn oder im Marathon starte, ist noch offen. Ich werde mich aber auf jeden Fall mit dem Thema Marathon beschäftigen. Ich spüre, dass mein Körper für die ganz langen Distanzen gemacht ist. Dieses Jahr plane ich einen Doppelstart über 5000 und 10.000 Meter bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Doha im Herbst.

Mit dem Weltrekordschuh am Fuß: Der Vaporfly 4 % von Nike

Mit welchen Schuhen wirst du am Sonntag an den Start gehen?
Sifan Hassan: Mit dem Vaporfly 4% von Nike.

Wie so viele der besten Straßenläufer der vergangen zwei Jahre, seit der Schuh als das Modell auf den Markt kam, mit dem Marathon-Weltrekordler Eliud Kipchoge der magischen Zwei-Stunden-Marke so nahe gekommen ist, wie kein Läufer vor ihm. Was macht diesen Schuh mit der einzigartigen Karbon-Verstärkung unter dem Fuß so besonders?
Sifan Hassan: Ich kenne als Bahnläuferin ja gar nicht so viele Wettkampfschuhe für die Straße. Aber diesen habe ich sofort gemocht. Er federt bei jedem Schritt und gibt mir beim Laufen das Gefühl, größer zu sein und schneller zu laufen. Das liegt auch daran, dass der Schuh das Laufen auf dem Vorfuß super unterstützt. Und das ist genau das, was schnelle Läufer brauchen. Er läuft sich ein bisschen wie die Spikes, die wir auf der Bahn tragen, aber mit der nötigen Dämpfung, die du auf der Straße brauchst, um den harten Asphalt nicht zu sehr zu spüren.

Bist du bei deinem Sponsor Nike in die Entwicklung von Laufschuhen eingebunden?
Sifan Hassan: Ich habe mit den Designern und Entwicklern schon sehr viel über Spikes gesprochen, mit den Laufschuhen für die Straße habe ich ja noch nicht so viel Erfahrung. Bei meinen ruhigeren Trainingsläufen abseits der Bahn trage ich eigentlich immer den Pegasus von Nike.

Was machst du lieber: Lange Dauerläufe oder Tempotraining auf der Bahn?
Sifan Hassan: Ich mag Tempoläufe. Ich komme aber auch schon mal auf Wochen mit 120 Kilometern Trainingsumfang. Und bin auch schon mal 32 Kilometer am Stück gelaufen. Das war in den Wäldern um Portland. Dabei habe ich einfach die Natur genossen. Das Seltsame bei mir ist, dass mir bei solchen langen Läufen die ersten 40, 50 Minuten immer ein bisschen schwer fallen. Danach läuft es dann einfach und ich werde gar nicht müde. Ich habe das Gefühl, immer weiter laufen zu können.

Wie hast du eigentlich mit dem Laufen begonnen? Ging das schon in Äthiopien los oder hast du erst nach deiner Ankunft in den Niederlanden mit dem Sport begonnen?
Sifan Hassan: Ich laufe, solange ich denken kann. In Äthiopien gehört das für Kinder einfach dazu. Da hat man so viel Platz, ist den ganzen Tag draußen, spielt fangen und verstecken und ist den ganzen Tag in Bewegung. In der Schule geht das dann weiter. In Äthiopien gibt es eine tägliche Sportstunde für alle Schüler. Jeder muss mitmachen und mir hat das großen Spaß gemacht. Ich habe auch Volleyball gespielt, aber darin war ich nicht so gut. Ich bin dann beim Laufen geblieben.

Und wie bist du nach deiner Flucht aus Äthiopien in die Niederlande zum Leistungssport gekommen?
Sifan Hassan: Ich wollte Sport machen, mich draußen bewegen. Damals sagten aber alle, das sei zu teuer, das könne ich mir gar nicht leisten. Also habe ich mit dem Laufen begonnen. Das ging überall, war kostenlos und die Leute haben gemerkt, dass ich ziemlich schnell und Talent habe. So fing das dann an.

„Konstanze Klosterhalfen ist talentierter als ich“

Mittlerweile trainierst du hauptsächlich in den USA bei Alberto Salazar im Oregon Project. Wie viel Zeit verbringst du bei ihm in Portland?
Sifan Hassan: So drei, vier Monate im Jahr. Ich bin aber natürlich auch viel in Trainingcamps. Zuhause in Holland trainiere ich im nationalen Trainingszentrum in Arnheim. Dort sind viele Spitzenathleten aus den unterschiedlichsten Sportarten versammelt. Zuletzt war ich aber vier Wochen im Höhentrainingslager. Zum ersten Mal in Äthiopien, in Addis Abeba. Das war auch etwas Besonderes für mich.

Seit Herbst trainiert auch die große deutsche Laufhoffnung Konstanze Klosterhalfen in Portland im US-Bundesstaat Oregon. Seid ihr beiden dort schon gemeinsam gelaufen, nachdem du vergangenen Sommer in Berlin Europameisterin über 5000 Meter und Konstanze Vierte geworden ist?
Sifan Hassan: Nein, wir waren noch nicht gleichzeitig dort. Aber ich kenne sie ganz gut. Sie ist eine tolle Persönlichkeit und hat sehr, sehr viel Talent.

Sie ähnelt dir ja auch ein bisschen, mit ihrer Vielseitigkeit und Erfolgen auf den Strecken von 800 bis 5000 Meter …
Sifan Hassan: … ich denke sogar, dass sie besser sein kann als ich.
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