So aktivierst du deinen körpereigenen Kalorienkiller
2012 entdeckten Forscher der Harvard-Universität einen Botenstoff, der Fettabbau forciert: Irisin. Doch wer jetzt denkt, mit ein paar Pillen sei Abnehmen garantiert, liegt daneben: Nur das in den Muskeln beim und nach dem Sport produzierte Irisin wirkt Wunder. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Krafttraining zu.
Unser Experte Dr. Stefan Graf, der lange in den Bereichen Herz-Kreislauf- und Stoffwechselphysiologie geforscht und gelehrt hat, erklärt dir, wie das funktioniert und was du tun musst, um den Stoff in deinem Körper zu aktivieren.
Wer abnehmen will und regelmäßig Sport treibt, kann sich über eine schöne „Nebenwirkung“ seines Trainings freuen. Gemeint ist der sogenannte Nachbrenneffekt. Darunter versteht man einen über die eigentliche Belastung hinausgehenden, noch für mehrere Stunden anhaltenden höheren Kalorienverbrauch. Ursachen und Details dieser Wirkung werden seit einigen Jahren intensiv erforscht. Zunächst vermutete man, dies läge allein an der noch aktivierten Muskulatur, die bei Sportlern außerdem einen höheren Anteil an der Körpermasse ausmacht als bei Inaktiven. Das ist zwar nicht falsch, aber einige Effekte und die zum Teil recht lange Dauer des Nachbrennens ließen sich allein mit der noch erhöhten Muskelspannung nicht erklären. Aufsehen erregten dann 2012 Forschungsergebnisse aus den USA, die ein körpereigenes Muskelhormon als vermeintlichen „Kalorienkiller“ identifizierten.
Forscher der renommierten Harvard-Universität im US-amerikanischen Boston entdeckten in aktiven Muskeln ein Muskelhormon, dem sie den Namen „Irisin“ gaben – nach der homerischen Götterbotin „Iris“. Die zunächst an Mäusen durchgeführten Untersuchungen zeigten, dass dieser Botenstoff während körperlicher Aktivität offenbar den Kalorienverbrauch erhöht und auch nach dem Training noch längere Zeit den Fettabbau forciert. Zwei interessante Beobachtungen verlangten nach Erklärung: Auf der einen Seite fällt der Nachbrenneffekt bei Krafttraining intensiver und länger aus als bei Ausdauereinheiten. Auf der anderen Seite erhöht Ausdauertraining die Fettverbrennungsrate stärker. Was den Nachbrenneffekt betrifft, liegt folgende Vermutung nahe: Durch die höhere muskuläre Belastung beim Krafttraining wird Irisin verstärkt ausgeschüttet. Bei extensiven Ausdauerbelastungen dagegen macht sich ein zweiter Effekt des Muskelhormons bemerkbar: Irisin sorgt nämlich nicht nur dafür, dass Fett abgebaut wird, sondern wandelt zudem „schlechtes“ Fett in „gutes“ um.
So wird weißes Fett zu braunem
Streng genommen ist Fett natürlich weder gut noch schlecht. Es gibt aber unterschiedliche Arten, und von mancher Sorte sollte man eher weniger mit sich herumschleppen. In jedem menschlichen Körper findet sich Fett – und zwar in rauen Mengen. Energie wird im Körper als sogenanntes weißes Fett gespeichert. Und davon hat selbst der scheinbar nur aus „Haut und Knochen“ bestehende Weltklasseläufer als sogenanntes „subkutanes“ (direkt unter der Haut liegendes) Fettgewebe genug gespeichert, um mehrere Marathons zu bestreiten. Aber auch die ungeliebten Depots der bekannten Problemzonen – Bauch bei Männern, Oberschenkel und Hüfte bei Frauen – werden von weißen Fettzellen gebildet.
Daneben verfügen wir über einen geringen Anteil braunen Fettgewebes, das nicht der Energiespeicherung dient und daher kein „Hüftgold“ bildet. Ihre Farbe erhalten braune Fettzellen durch einen hohen Gehalt an Mitochondrien, den „Kraftwerken“ unserer Zellen. Im braunen Fettgewebe sorgen sie dafür, dass Fettsäuren für die Wärmeproduktion buchstäblich verheizt werden. Die Energie dieses Fettes geht also nicht auf die Hüften, sondern wird in Wärme umgewandelt. Dieses Thermofett hält zum Beispiel Säuglinge warm. Und beim Erwachsenen findet es sich in der Hals-Schlüsselbein-Schulterregion. Je höher der Anteil dieses „schmelzbaren“ Braunfetts, desto geringer ist das Risiko zur Fettdepot- und Übergewichtsentwicklung. Und genau hier hat wohl Irisin seine Finger im Spiel: Es fördert die Umwandlung von weißem Speicherfett in „schlankes“, braunes Fettgewebe. Und wie du ja schon weißt, kannst du die Irisinproduktion in den Muskeln durch Sport aktivieren.
Ausmaß der Wirkung ist umstritten
Durch Humanstudien ist mittlerweile der Nachweis erbracht, dass Irisin auch in der menschlichen Muskulatur ausgeschüttet wird und prinzipiell genauso wirkt wie bei den ursprünglichen Probanden, den Mäusen. Allerdings besteht über die Stärke der Wirkung auf den Fett- und Energiestoffwechsel unter den Wissenschaftlern keine Einigkeit. Und während die ersten Studien noch die Hoffnung nährten, mit Irisin endlich einen Wunderstoff gefunden zu haben, der – als Nahrungsergänzungsmittel oder Medikament zugeführt – überflüssige Pfunde ganz ohne Sport verschwinden lässt, so muss man sich inzwischen von dieser Wunschvorstellung wohl verabschieden: Hinweise, dass Irisin-Pillen oder -Spritzen zu Fettabbau führen würden, gibt es keine.
„Irisinreich“ ernähren kann man sich auch nicht, da hohe Irisinspiegel nur in den eigenen, arbeitenden Muskeln entstehen. Viel Fleisch zu essen, bringt also nichts. Wenn es um Gewichts- beziehungsweise Fettabbau geht, bleibt also nur die gute, alte aktive „Do-it-yourself“-Methode: viel Sport und ausgewogene Mischkost – unabhängig davon, wie stark der Einfluss von Irisin auf den Fett- und Energiestoffwechsel nun tatsächlich ist.
Es muss nicht die Muckibude sein
Eine direkt verwertbare Information steckt allerdings schon in den Erkenntnissen über den Botenstoff Irisin: Gerade wenn das Laufen „deine“ Sportart ist, solltest du auf dem Weg zu deinem Wunschgewicht allwöchentlich zwei bis drei Krafttrainingseinheiten absolvieren. Das muss weder im Fitnessstudio noch mit aufwändigem Equipment geschehen. Das eigene Körpergewicht ist die beste „Hantel“, um jede Muskelgruppe anzusprechen. Nachweislich ist der Nachbrenneffekt beim Muskeltraining nachhaltiger (bis zu 48 Stunden) und intensiver als beim Ausdauersport. Darüber hinaus verbrennen Muskeln auch in Ruhe mehr Energie. Mit anderen Worten: Dein Grundumsatz steigt und du verbrennst rund um die Uhr mehr Fett. Also: Weiterlaufen, aber die Muskulatur von Rumpf und Oberkörper nicht vergessen und schon purzeln die Pfunde noch stärker. Dank Irisin, dem „göttlichen“ Botenstoff.
So werden die richtigen Gene eingeschaltet
Nach einer Studie am Uniklinikum Freiburg ist ein ganz bestimmtes Enzym für die Bildung von braunen Fettzellen entscheidend: Lysin-spezifische Demethylase 1, kurz LSD1. Bei LSD1 handelt es sich um ein „epigenetisches“ Enzym. „Epigenetisch“ (über-genetisch) bedeutet zweierlei: Zum einen die Regulation der Gene. LSD1 zum Beispiel hemmt Gene, aus denen „schlechtes“ weißes Fettgewebe hervorgeht, und aktiviert Gene, die für die Bildung von „gutem“ braunem Fett verantwortlich sind. Zum anderen bedeutet es, dass du es durch deinen individuellen Lebensstilfaktoren zumindest teilweise selbst in der Hand hast, welche Gene „eingeschaltet“ werden und welche nicht. Die Aktivität von LSD1 – und damit die Tendenz zur „schlanken“ Braunfettbildung – wird offenbar nachhaltig durch den Lebensstil beeinflusst – etwa durch Laufen und Krafttraining. Und welche Rolle übernimmt nun Irisin? Vermutlich aktiviert Irisin LSD1 und LSD1 kümmert sich dann um die entsprechenden Gene.