Mit neuem Coach
Startet Philipp Pflieger in Valencia zum zweiten Marathon-Frühling?
Mit seinem neuen Trainer Renato Canova kann Philipp Pflieger beim Valencia-Marathon in den zweiten Marathon-Frühling starten. Seine Bestzeit ist schon fünf Jahre alt. Jetzt will er nach Tokio.
Schon gut fünf Jahre ist es mittlerweile her, als Philipp Pflieger beim Berlin-Marathon als bester deutscher Läufer mit 2:12:50 Stunden überraschte. Diese Zeit sollte später ausreichen für die Olympia-Nominierung. Das Berliner Rennen war als erster von mehreren Schritten in Richtung erweiterte europäische Spitze gedacht. Doch Philipp Pflieger geriet ins Stolpern, der zweite Schritt passierte nie wirklich. Statt dessen folgten immer wieder verletzungsbedingte Probleme, auch vor seinem Start bei den Spielen in Rio, und Rückschläge bei den Saisonhöhepunkten bis hin zu einem Knock-out beim Berlin-Marathon 2017 knapp zehn Kilometer vor dem Ziel. Manches passte offensichtlich nicht mehr zusammen bei der Weiterentwicklung von Philipp Pfliegers Karriere. Fünf Jahre nach dem Berlin-Marathon 2015 steht die Bestzeit des inzwischen 33-Jährigen weiterhin bei 2:12:50. Am kommenden Sonntag wird er beim Valencia-Marathon starten mit dem Ziel, die Olympia-Norm von 2:11:30 Stunden zu unterbieten.
Sein schlimmster Albtraum
Dabei wäre sein Start fast noch in letzter Minute gescheitert - an einem positiven Corona-Test, der sich später aber als falsch positiv herausstellte. Unter der Schlagzeile „Mein schlimmster Albtraum“ berichtet Philipp Pflieger auf Instagram von den Ereignissen vor seinem Abflug nach Spanien: Am Donnerstag morgen, er saß schon auf gepackten Koffern, bekam er die Nachricht, dass sein Corona-Test, den er benötigte, um nach Spanien einreisen zu können, positiv sei. „ich hatte keine Symptome, war fit und bereit für das Rennen“, schreibt er. Danach hat er mehrere weitere Tests gemacht, die alle negativ ausfielen, buchte seinen Flug auf den frühen Samstagmorgen um und konnte schließlich nach Spanien reisen. Was für ein Stress vor so einem wichtigen Wettkampf.
Hier kannst du das Rennen am Sonntag (6. Dezember) live anschauen.
Zwischenzeitlich hatte Philipp Pflieger schon an ein Karriereende gedacht. Doch vor gut einem Jahr, als wieder einmal alles gegen ihn zu laufen schien, machte er den mutigsten Schritt seiner Karriere: Philipp Pflieger zog die „Notbremse“. Der Läufer verließ seinen Verein, die LG Telis Finanz Regensburg, und seinen langjährigen Trainer Kurt Ring, der ihn in die nationale Spitze geführt hatte. Zunächst stand er dabei buchstäblich im Regen, da der naheliegende Wechsel zum Berlin-Marathon-Klub SCC und dem Pro-Team nicht zustande kam. Ein anderer Verein fand sich jedoch relativ schnell: Philipp Pflieger startet seit diesem Jahr für das Laufteam Haspa Marathon Hamburg.
Mangels Coach trainierte er sich zunächst selber und setzte dann im Februar in Barcelona ein Achtungszeichen: Mit 62:50 gelang ihm erstmals eine Halbmarathonzeit von unter 63 Minuten - ein Ergebnis, dem er zuvor vier Jahre lang vergeblich hinterhergejagt war. Die „Notbremse“ hätte er wohl schon eher ziehen müssen. „Vielleicht hätte ich diesen Schritt zwei Jahre früher machen sollen“, sagt Philipp Pflieger. „Aber wäre ich dann bei Renato Canova gelandet? Wahrscheinlich nicht.“ So könnten sich die eigentlich verspäteten Änderungen am Ende doch noch positiv auswirken, da er jetzt von dem italienischen Top-Trainer gecoacht wird.
Im Trainingslager in Kenia neuen Coach gefunden: Renato Canova führte Sondre Moen zum Europarekord
Als Philipp Pflieger im vergangenen Winter ohne Coach im kenianischen Iten trainierte, traf er abends beim Essen im Hotel Sondre Moen. „Sondre wunderte sich und fragte mich: Willst du keinen Coach haben?“ Der Norweger hatte sich unter Renato Canova zu einem europäischen Top-Marathonläufer entwickelt und 2017 mit einer Zeit von 2:05:48 Stunden sogar einen Kontinentalrekord aufgestellt. So kam die Verbindung zustande. „Ich dachte zuerst: Renato Canova? Der interessiert sich doch nicht für Philipp Pflieger! Aber es war ganz anders. Ich machte zunächst ein paar Trainingseinheiten mit, und Renato wollte alle Zeiten und Leistungen von mir wissen. Schließlich sagte er mir: Du wolltest 2:10 laufen? Aber wo war dein Training dafür? Das war rund drei Monate vor dem Hamburg-Marathon im April. Renato sagte, wir haben noch zehn Wochen Trainingszeit, da können wir was machen“, erzählt Philipp Pflieger wie die Zusammenarbeit begann.
Die Corona-Pandemie warf dann mehrmals alle Pläne über den Haufen. Zweimal konzentrierte sich Philipp Pflieger auf einen Hamburg-Marathon - zunächst sollte das Rennen regulär im April stattfinden, dann mit einem Hygiene-Konzept im September. Beide Male wurde nichts daraus. „Da ist es schwierig, die Motivation hoch zu halten. Aber ich hatte Glück, dass mich mein Manager Christoph Kopp frühzeitig in das Feld des Valencia-Marathons bringen konnte“, sagt Philipp Pflieger.
Nach einer mehrwöchigen Trainingspause aufgrund der Corona-Situation hat Philipp Pflieger im Frühsommer wieder gezielte Trainingseinheiten absolviert. Rund einen Monat war er dann ab Ende August mit Sondre Moen in Sestriere im Höhentraining. „Das Trainingspensum von Renato ist eine große Herausforderung. Aber er hat eine absolut positive Aura und ich habe viele neue Impulse bekommen. Oft komme ich an Grenzen, aber drei Wochen später geht es dann doch darüber hinaus. Das war früher unmöglich“, erzählt Philipp Pflieger. „Vielleicht habe ich mir früher Grenzen gesetzt, die keine Berechtigung haben.“
„Renato hat mir quasi neues Leben eingehaucht. Ich fühle mich ein bisschen wie mit 16, als es vor den Trainingsläufen eine Spannung gab, weil ich immer wissen wollte, was möglich ist - dieses Gefühl ist wieder da“, erzählt Philipp Pflieger, der in den letzten zwei Monaten aufgrund der Corona-Situation zu Hause in Regensburg die Trainingspläne von Renato Canova umsetzte und mit dem Coach telefonisch Kontakt hatte.
Insider im Laufsport-Elitebereich können oftmals auf den ersten Blick abschätzen, wie fit ein Athlet ist. Bilder der letzten Monate zeigen einen Philipp Pflieger, der so fit aussieht wie noch nie. Wenn alles gut läuft am Sonntag in Valencia, müsste eine deutliche Verbesserung seiner Bestzeit und ein Ergebnis mit einer Olympianorm möglich sein. „Aber ich bin sicher nicht in der Position, groß die Klappe aufzureißen. Wenn es am Sonntag gut läuft, wäre es schön - wenn nicht, dann muss ich weiter trainieren. Nach einem halben Jahr mit einem veränderten Training kann man noch nicht die Welt aus den Angeln heben“, sagt Philipp Pflieger.
Mut machen ihm sicherlich auch die vielen anderen Athleten, die sich unter Renato Canova während seiner jahrzehntelangen Trainer-Tätigkeit nach und nach enorm verbessern konnten. Als Sondre Moen zu dem Italiener kam, stand seine Marathon-Bestzeit bei 2:12:54 Stunden. Als die Hahner-Zwillinge zeitweise unter Renato Canovas Anleitung trainierten, gewann Anna 2014 sensationell den Wien-Marathon und steigerte sich einige Monate später in Berlin auf 2:26:44 - eine Zeit, an die sie in den Jahren danach, ohne Renato Canovas Hilfe, bisher nicht wieder herankam. Und als Arne Gabius in Frankfurt 2014 sein sensationelles Marathon-Debüt lief und ein Jahr später dann mit 2:08:33 Stunden den deutschen Rekord aufstellte, war es auch Renato Canova, der ihm die Trainingspläne schrieb.
Arne Gabius ist aus einem anderen Grund noch ein gutes Beispiel für Philipp Pflieger: Mit 33 Jahren ist immer noch Zeit für Erfolge im Marathon. Als Arne Gabius sein Debüt über die 42,195 km lief, war er 33 und heute, sechs Jahre später, ist er immer noch im Rennen um einen olympischen Marathon-Startplatz 2021.
Sicherlich hat Philipp Pflieger im Vergleich zu manchen anderen deutschen Top-Marathonläufern nicht die beste Grundschnelligkeit und damit nicht unbedingt die beste Ausgangslage. Doch er hat mit Renato Canova einen der besten - manche würden wohl sagen den besten - Marathon-Trainer der Welt. Valencia könnte ein erster Schritt zu einem zweiten Marathon-Frühling für Philipp Pflieger werden.