© Teneriffa Bluetrail/Jordi

Trailrunning
Von null auf 3550 und zurück: Vulkanüberquerung auf Teneriffa

| von Christian Ermert

Teneriffa ist ein beliebtes Pauschalreiseziel für Sonnenhungrige. Laufend kann man auf der größten Kanareninsel aber viel mehr erleben: Beim UTMB-Bluetrail mit Strecken zwischen 24 und 110 Kilometern.

Felsenpools, ein kleiner Strand direkt am alten Hafen, die großen, dunklen Strände direkt gegenüber vom berühmten Loro Parque, dem Zoo von Teneriffa. In Puerto de la Cruz gibt es jede Menge Möglichkeiten, den immer über 20 Grad warmen Atlantik zu genießen, ohne der oft heftigen Brandung ausgesetzt zu sein. Und danach locken Bars, Restaurants und Eisdielen. In einigen Hotelbars direkt an der Strandpromenade spielen abends Bands auf, gesetzte Paar genießen den Tanz, jüngere zieht es abends in die Clubs direkt am Meer. Bier, Wein, Sonne, gutes Essen. So fühlt sich Urlaub auf Teneriffa seit Jahrzehnten für die meisten an.

Aber dann sind da auch noch die, die an diesem Samstag im Juni den ganzen Tag über vorbeilaufen an den Stränden, den Bars, den Restaurants, den Pools. Verstaubt, verschwitzt, viele mit Stöcken in den Händen. Sie sind seit drei, sieben, 15 oder sogar mehr als 24 Stunden unterwegs, als sie in Puerto de la Cruz am Meer entlanglaufen. Sie sind auf den letzten Metern ihres 24, 47, 72 oder gar 110 Kilometer langen Weges über die Insel zum Ziel des Teneriffa Bluetrails, der in diesem Jahr zum ersten Mal zur UTMB-Serie gehört.

UTMB steht für Ultratrail du Mont Blanc, für das Mekka des Trailrunnings im französischen Chamonix, wo sich jedes Jahr im Spätsommer die Szene zum mythischen Lauf rund um den höchsten Berg der Alpen trifft. Mit der Marke werden Standards für Trailrunning-Wettbewerbe gesetzt und – für die meisten noch wichtiger – nur bei Rennen der UTMB-Serie lassen sich jene Punkte sammeln, die man benötigt, um in Chamonix an den Start gehen zu dürfen.

© Teneriffa Bluetrail/Carrera

Am Partystrand beginnen 110 Kilometer über den höchsten Berg Spaniens

Einer von diesen Punktejägern ist der Brite Max Willcocks. Es ist schon fast Mitternacht, als er den blauen Zielbogen erreicht. Gut 27 Stunden zuvor hat er an der gleichen Stelle einen Bus bestiegen, der ihn vom Hotel im Norden der Insel ganz in den Süden gebracht hat. Zum Start des Rennens über 110 Kilometer in Los Americanos. Und hier ist an diesem Freitagabend noch mehr los als in Puerto de la Cruz. Der Süden Teneriffas gehört traditionell sonnenhungrigen Partytouristen aus Großbritannien, Belgien, den Niederlanden aber auch aus Deutschland.

Kaum einer von denen dürfte sich vorstellen können, was die 350 Trailrunner erwartet, die aus dem abendlichen Partytrubel zu den Südhängen des Teides aufbrechen, um bei Sonnenaufgang knapp unterhalb des 3715 Meter hohen Vulkankegels den höchsten Punkt des Rennens zu erreichen. Von Meereshöhe auf 3550 Meter, in einer Nacht. Und dann wieder hinunter zur Nordküste der Insel. Und weil der Weg natürlich nicht immer nur bergauf führt, sondern auf dem Weg nach oben immer wieder Täler durchquert werden müssen, summiert sich die Zahl der Höhenmeter, die im Aufstieg zu bewältigen sind, auf 6000.

© Teneriffa Bluetrail/Lucas

Aufstieg in den Sonnenaufgang durch Lavafelder und Geröll

Dass beim Teneriffa Bluetrail in die Nacht hineingelaufen wird, hat einen guten Grund: Der Südteil Teneriffas ist fast vegetationslos. Während die immer von Nordosten wehenden Passatwinde die Feuchtigkeit des Atlantiks an die Nordhänge des Teidemassivs treiben, wo sie aufsteigt, mit den kühleren Temperaturen kondensiert und als Nebel oder dauernder Nieselregen am Boden ankommt, ist es im Süden staubtrocken. Hier brennt fast immer eine gnadenlose Sonne. Und obwohl Max Willcocks den größten Teil des Aufstiegs im Dunkeln der Nacht bewältig hat, sind sein Nacken und seine Waden sonnenbrandrot, als er die 110 Kilometer hinter sich hat.

Aber das war bei weitem nicht sein größtes Problem. Der Aufstieg durch Lavafelder, Geröll, große Felsstufen und steile Wege vom Meer in über 3500 Meter Höhe brachte ihn an den Rand seiner Belastungsfähigkeit. „Auf den letzten Metern vor der Verpflegungsstation unterhalb des Teidegipfels habe ich meine Umgebung nur noch verschwommen wahrgenommen“, erzählt er. Als er endlich wankend und todmüde an der Verpflegungsstelle ankam, kümmerten sich sofort Helferinnen und Helfer um ihn. Die Sauerstoffsättigung seines Bluts wurde gemessen, er bekam Sauerstoff und erst als alle Werte in Ordnung waren, durfte er weiterlaufen. „Ich habe auf dem Stuhl gesessen und bin fast eingeschlafen“, sagt der Brite, der in Windsor nahe dem berühmten Schloss der königlichen Familie lebt.

© Teneriffa Bluetrail/Carrera

Einzigartige Landschaft im Nationalpark auf Teneriffa

Also stand er auf und lief weiter. In dem Wissen, dass es von jetzt an zwar größtenteils bergab gehen würde, er aber immer noch fast 50 Kilometer und zahlreiche Stunden vor sich haben würde. Die ersten davon weiterhin in der schattenlosen Wüste aus erstarrter Lava und Asche, die der Teide in zahlreichen Ausbrüchen geschaffen hat – den bislang letzten gab es 1909.

Um diese einzigartige Vulkanlandschaft zu erleben, muss man beim Teneriffa Bluetrail allerdings keine 110 Kilometer laufen. Mit den 73 Kilometern gibt es eine weitere Strecke, die durch den Nationalpark mit seiner Mondlandschaft in großer Höhe führt. „Ich hatte das Gefühl, auf einem anderen Planeten zu laufen“, beschreibt Janneke Wilhelmina die einzigartige Vulkanlandschaft.

Die Niederländerin lebt in Südafrika, arbeitet als Model und ging auf Teneriffa ihre Leidenschaft für die ultralangen Trails nach. Sie schwärmt von den unterschiedlichen Landschaften, die man beim Bluetrail durchquert. Mondlandschaften in großer Höhe, der immer feuchte Wald an den Nordhängen des Teides, die subtropische Vegetation mit Bananenplantagen und Weinbergen kurz oberhalb der felsigen Küste – diese Vielfalt lässt sich so wohl nur auf Teneriffa erleben.

© Teneriffa Bluetrail/Carrera

Der Nebelwald als Erlösung

Für Willcocks war es eine Erlösung, endlich den Nebelwald zu erreichen. „Nach den vielen Stunden in der Sonne war es wunderschön, im Schutz der Wolken und mit der kühlen Feuchtigkeit auf der Haut zu laufen, auch wenn die Pfade der Downhills rutschiger wurden.“ Mit jedem Höhenmeter bergab wurde ihm klarer, dass er das Ziel erreichen würde. Zwar nicht vor Anbruch der zweiten Nacht, was er sich eigentlich vorgenommen hatte, aber noch vor Verstreichen der höchstens 27 Stunden, die man beim Teneriffa Bluetrail höchstens für die 110 Kilometer brauchen darf. Danach schließt das Ziel.

Auf solche Extreme müssen sich aber nicht alle einlassen, die Teneriffa laufend in einem Rennen erkunden wollen. Es werden auch kürzere Strecken über 24 und 47 Kilometer angeboten – immer noch anspruchsvolle Trails, die in den Bergwald der Teide-Nordhänge, aber nicht bis in die Mondlandschaft unterhalb des Gipfels führen. Und die lassen sich ja auch im Rahmen eines Urlaubs rund um das Rennen noch walkend erkunden. Das passt zum erklärten Ziel, das die für den Tourismus auf Teneriffa Verantwortlichen mit ihrer Unterstützung des UTMB-Rennens verfolgen: Zu zeigen, dass ein Teneriffa-Urlaub viel mehr sein kann als das All-inclusive-Hotel in Strandnähe mit perfektem Wetter, tollem Essen und Unterhaltung.

Und nach dem Rennen: Kanarischer Wein aus Fässern und aus dem Meer

Und dazu gehört dann beispielweise auch ein Besuch bei einer der „Bodegas“, die auf Teneriffa Wein anbauen und produzieren, seit die Inseln im 16. Jahrhundert von Spanien erobert worden sind. Dabei lassen sich nach dem Lauf beim Wein probieren auch einige Kuriositäten entdecken, wie der Abend, der unter dem Motto „Wein und Sex“ bei der Winzerfamilie Monje stattfindet. Nein, das ist keine Sexparty, sondern eine erotische Show, die aktuell unter dem Motto „Vampire“ steht.

Die gleiche Winzerfamilie ist außerdem auf die Idee gekommen, ihren Rotwein in Flaschen zu füllen und die dann ein halbes Jahr lang in 20 Meter Tiefe im Atlantik zu lagern. Druck, Salzwasser und die leichte Bewegung sollen dem Wein zu einem ganz besonderen Geschmack verhelfen. Auf jeden Fall geben die sandigen, salzverkrusteten Flaschen ein besonderes Bild ab – womit wir wieder bei den Trailrunnern wären: Ohne Salzkrusten, Dreck und Staub erreicht auch von denen auf Teneriffa niemand sein Ziel.

Fotos: Teneriffa Bluetrail/Carrera