Stubai Ultratrail
Von der Großstadt ins ewige Eis
Aus der Olympiastadt Innsbruck bis auf 2960 Meter Seehöhe auf den Stubaier Gletscher laufen – das ist die Herausforderung, der sich die Teilnehmenden beim Stubai Ultratrail stellen. Ein Highlight!
Plan B, die Münchner Eventagentur, deren berühmtestes Pferd im Stall – der Transalpine Run – bereits eine Legende ist und die mit dem ZUT (Zugspitz Ultratrail) ein weiteres Event mit Kultstatus erschaffen hat, ist bekannt für seine innovativen hochalpinen Kreationen. Das jüngste, erst vor sechs Jahren ins Leben gerufene Baby, hat alle Zutaten, ein weiterer Klassiker im internationalen Trailrunningzirkus zu werden: der Stubai Ultratrail.
„city2glacier“ heißt die Zauberformel – im übertragenen Sinne, von der Metropole auf den Gletscher. Ausgehend von der Olympiastadt Innsbruck werden auf anspruchsvollen Genusstrails mit Wurzel-, Wald- und Schotterpassagen die Höhen und Tiefen des Stubai, einem der schönsten Alpentäler Österreichs, mitten im Herzen Tirols, entdeckt. Dann erfolgt auf steilen Serpentinen und teils im Schnee die Eroberung des Stubaier Gletschers, bis zum spektakulären Zieleinlauf am Eisgrat in 2960 Metern Höhe.
Auf der Speisekarte stehen 66 Kilometer mit 4700 positiven und 2355 negativen Höhenmetern. Natürlich gibt es auch ein Entrée. Die Vorspeisenkarte bietet drei kürzere Appetithäppchen über 31, 18 und 7,5 Kilometer, die ebenfalls zum Eisgrat hoch führen. Und seit 2022 auch ein Vertical-Rennen zwei Tage vor den Hauptläufen, die nicht wenige zu einem Doppelstart in Kombination mit Kurzurlaub verlockten. So wird vom Greenhorn bis zum Extremisten jeder Trailenthusiast und jede -enthusiastin fündig auf dem Menüplan des Stubai Ultratrail.
Streckenanpassung wegen Klimawandel
Bis 2021 führten die Läufe sogar zur Jochdohle in 3137 Metern Höhe, wo auch das höchstgelegene Bergrestaurant Österreichs liegt. Der Abschnitt musste jedoch wegen Steinschlaggefahr gestrichen werden. Zurückgehender Permafrost durch die Erderwärmung machen diesen Abschnitt auf Dauer zu gefährlich.
Bei der Premiere 2017 musste noch während des Rennens die Strecke wetterbedingt modifiziert und das Ziel in tiefere Regionen verlegt werden, obwohl schon ein Teil der schnelleren Läufer bei grenzwertigen Bedingungen gerade noch auf der Jochdohle angekommen war. Extremrennen im Gebirge erfordern absolute Flexibilität und erfahrenes Krisenmanagement der Organisation. In diesem Fall wird Plan B seinem Firmennamen gerecht, notfalls hat man sogar einen Plan C in der Schublade.
Vertical-Rennen auf der WM-Strecke
Das Vertical-Rennen am Donnerstagabend sollte bei seiner Premiere 2022 ursprünglich über 5,3 Kilometer und 890 Höhenmeter gehen. Dann erhielt Neustift Anfang Juni 2022 den Zuschlag für die Berglauf-Weltmeisterschaft 2023 in der Disziplin „Vertical Uphill Race“ und die Teilnehmer und Teilnehmerinnen spontan ein kostenloses Upgrade auf die Original WM-Strecke über 7,2 Kilometer und 1024 Höhenmeter, vom Dorfplatz in Neustift auf die Elferhütte in 2004 Metern Höhe.
Die Berglauf-Weltmeisterschaft fand dann mit Athletinnen und Athleten aus 69 Nationen vom 7. bis 10. Juni 2023 statt, genau drei Wochen vor dem Stubai Ultra Trail. Die Organisation entschied, das Vertical-Rennen auch in Zukunft auf der Original WM-Strecke auszutragen. Erster unter dem Zielbogen war der Tiroler Florian Zeisler, der mit 47:52 Minuten nahezu die gleiche Zeit erreichte, wie schon drei Wochen zuvor bei der WM.
Nebel und Regen nach Wetterumschwung
Die Siegerin Lena Laukner kam aus Dresden und blieb mit 58:14 Minuten als einzige Dame unter einer Stunde. Für die Teilnahme am Stubai Vertical wurden freiwillige Spenden als Startgeld entgegengenommen. Adrian Siller, Obmann des Tourismusverband Stubai Tirol, freute sich im Anschluss an das Rennen, einen Spendenscheck über 1600 Euro an den Sozialsprengel Stubai zu übergeben.
Nach über einer Woche Kaiserwetter läutete die Nacht von Donnerstag auf Freitag mit einem kräftigen Gewitter den Wetterumschwung ein, sodass die Rennen am Samstag bei nasskalten Bedingungen und in den höheren Lagen im Nebel stattfanden. Der Ultra startete bereits um 1:00 Uhr morgens auf dem Vorplatz des Landestheaters im 574 Meter hohen Innsbruck.
Nacheinander geht es auf die unterschiedlich langen Strecken
Neustift, eine der fünf Ortschaften im Stubaital, fungierte mit seinem Dorfplatz als Wettkampf-Hauptquartier. Hotels, Pensionen, Restaurants, Sportgeschäfte, Lifte und eine bunte Gästeschar, je nach Saison Skier oder Rucksäcke schleppend, prägen das Ortsbild dieser alpinen Tourismushochburg.
Hier startete morgens um 9:00 Uhr der 31-Kilometer-Lauf (+2630 m, -720 m). Das 18-Kilometer-Rennen (+1796 m) um 10.00 Uhr und der klassische Berglauf über 7,5 Kilometer (+1210 m) um 12:00 Uhr begannen entsprechend weiter taleinwärts. Zu diesem Zeitpunkt war der Kopf der Ultraschlange bereits über Schlicker Alm (1644 m) und Starkenburger Hütte (2227 m) bis zum finalen Aufstieg am Stubaier Gletscher vorgerückt.
Lokalmatador siegt im Ultra-Rennen
Bis zum Start des 18-Kilometer-Rennens waren bereits sechs Ultraläufer im Ziel. Mit nur 20 Sekunden Vorsprung gelang dem Lokalmatador und Vorjahressieger Christian Stern mit 8:05:13 Stunden ein erneuter Erfolg, vor dem ebenfalls aus dem Stubaital stammenden Alexander Hutter. Dritter wurde der Deutsche Johann Obermüller in 8:37:54 Stunden.
Die Läuferinnen und Läufer auf den Unterdistanzen durften sich erst einmal durch das Stubaital arbeiten, vorbei an tosenden Wasserfällen und entlang ruhiger Trails. Die schneebedeckten Dreitausender, welche sich hier sonst verheißungsvoll am Horizont erheben, konnten in der Nebelfront nur erahnt werden. Über den Wilde Wasser Weg, einem der Highlights der Strecke, mussten die Kraftreserven für den Schlussanstieg gesammelt werden.
509 Kilometer bis Dresden
Am Mutterberg, Talstation der Eisgratbahn, startete in steilen Serpentinen der Aufstieg zum Stubaier Gletscher. Drei Kilometer und 560 Meter höher tauchte plötzlich ein Hinweisschild auf: 509 Kilometer bis Dresden! Direkt dahinter die 1875 eröffnete Dresdner Hütte, 2306 Meter über Meereshöhe, welche kurz nach Gründung der Sektion Dresden des Deutschen Alpenvereins gebaut wurde.
Auf der Sonnenterrasse geben sich normalerweise unzählige Touristinnen und Touristen sowie Bergwandererinnen und -wanderer der Völlerei hin, doch das ungemütliche Wetter hatte die wenigen Gäste in das innere der Alpenvereinshütte getrieben. Stattdessen begrüßte hier die letzte Labestation asketische Läuferhorden, die noch immer 654 Höhenmeter bis ins Ziel abarbeiten durften.
Zur Belohnung gibt es Kaiserschmarrn
Unbeschreiblich die Zielankunft am Eisgrat, nach kräfteraubenden Steilpassagen im Fels und dicken Nebelbänken im finalen Aufstieg. Im Liegestuhl, bei alkoholfreiem Bier, köstlichem Kaiserschmarrn und Livemusik, konnten die rund 1000 Athleten und Athletinnen, die insgesamt für alle vier Rennen gemeldet waren, den Tanz der Emotionen auf knapp 3000 Metern Höhe ausklingen lassen.
Das Bergrestaurant Eisgrat wurde an diesem Tag zu einer Intensivstation des Wohlgefühls, bevor es mit der Eisgratbahn wieder in tiefere Gefilde ging. Einen klaren Sieg feierte der Deutsche Johannes Löw auf der 31-Kilometer-Distanz. Er bewältigte die Strecke von Neustift auf den Gletscher in 3:37:21 Stunden mit über 13 Minuten Vorsprung.
Deutsche feiern Erfolge
Die 18-Kilometer-Strecke ging an den Australier Vlad Ixel in 2:02:03 Stunden. Einen weiteren Deutschen Sieg errang Daniel Deppisch in 1:05:33 Stunden auf der Kurzdistanz. Doch die aus deutscher Sicht tolle Performance der Trailladys soll nicht ungenannt bleiben. Beim Ultra setzte sich die in Österreich lebende Deutsche Marie-Luise Mühlhuber in 9:16:43 Stunden mit fast einer Stunde Vorsprung auf ihre Verfolgerinnen durch.
Auf der 31- und 7,5-Kilometer-Distanz fuhren die Deutschen Lena Laukner (4:05:28 h) und die Schwäbisch Gmünderin Annika Seefeld (1:12:06 h) die Gesamtsiege ein. Laukner gelang somit an diesem Wochenende mit dem Vertical ein Doppelerfolg. Beim 18-Kilometer-Wettbewerb ging mit 2:20:25 Stunden der Triumph an Paula Gross vom LC Uster in der Schweiz. Kurios war, dass zwei Drittel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Stubai Ultratrail aus Deutschland kamen, nur 17 Prozent waren Einheimische.
So lief's beim Stubai Ultratrail
Ab auf den Gipfel!
Einige Finisher ließen es sich nicht nehmen, mit der Schaufeljochbahn noch eine Stufe höher zu fahren, um von dort auf ein paar hundert Stahlstufen die Gipfelplattform „Top of Tyrol“ zu besteigen. Diese ragt auf 3210 Metern Höhe wie eine Schwertspitze waghalsige neun Meter über die Felskante hinaus, direkt oberhalb der Steinschlag gefährdeten Jochdohle, dem Zieleinlauf der vergangenen Jahre.
Hier eröffnet sich bei gutem Wetter ein fast schon sakrales Panorama auf die 109 Dreitausender dieser Region. Das ist mehr als auf ein Foto passt! Die gigantische Bergkette der Ötztaler Alpen präsentiert sich dann am südwestlichen Horizont – ein alpines Panoptikum, nein, ein Landschaftsgemälde, dessen atemberaubendes Panorama dem Pulsschlag keine Ruhe gönnt!
Tragischer Todesfall
Doch ein paar Wolkenlöcher taten sich tatsächlich auf hier oben. Das 3507 Meter hohe Zuckerhütl, ein kühnes Firnhorn mit Schneehaube und höchste Erhebung der Stubaier Alpen, sowie der Wilde Pfaff (3458 m) ließen sich kurz zwischen den Wolkenbänken blicken. Und wer jetzt noch das Bedürfnis hatte, dem Trail-, Wetter- oder sonstigem Gott zu huldigen oder Entschleunigung, Stille und Kontemplation suchte, der durfte gleich nebenan in der spektakulär auf der Gratscheide gelegenen, nur 9 Quadratmeter großen Kapelle Schaufeljoch, besinnliche Einkehr halten.
Leider wurde der 6. Stubai Ultra Trail von einem tragischen Todesfall überschattet. Ein 47-jähriger Holländer kollabierte auf der Strecke und stürzte rund 30 Meter über eine Böschung ab. Die Rettungsaktion lief sofort an, die fünf Minuten später eintreffenden Rettungskräfte des medizinischen Teams sowie der Bergrettung setzten die bereits von Teilnehmenden eingeleitete Ersthilfe fort. Wenig später konnte der Notarzt nur noch den Tod des Läufers feststellen. Aus Respekt vor dem Verstorbenen und seiner Familie wurden die für den Abend geplanten Siegerehrungen abgesagt.