Krafttraining für Läufer macht stark.
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Starke Muskeln
Wieso Krafttraining für Läufer und Läuferinnen so wichtig ist

| Text: Dr. Stefan Graf | Fotos: Adobe Stock

Krafttraining macht Muskeln dick und Läuferinnen sowie Läufer langsam. Warum dieses Vorurteil falsch ist und wieso Krafttraining für Läufer und Läuferinnen so gut ist.

Die Zeit, in der sich die Sportwelt strikt in Ausdauer- und Kraftaktivitäten teilte, ist vorbei. Hier die grazilen „Lungen“, dort die massigen „Eisenbieger“ und irgendwo dazwischen die mächtigen, stakkatoartig über die Laufbahn fliegenden Oberschenkelmuskeln der Sprinterinnen und Sprinter.

Das alles gibt es natürlich noch. Aber die Trainingsinhalte – vom Hobby- bis zum Hochleistungsathleten bzw. -athletin – sind ungleich vielfältiger geworden. Die Philosophie. „nur Laufen macht dich im Laufen besser“ ist ebenso antiquiert wie die Assoziation von Krafttraining mit voluminösen Muskelpaketen, die beim ausdauernden Laufen hinderlich sind. Krafttraining ist nicht gleich Krafttraining, sondern ebenso vielgestaltig wie es verschiedene Ausdauerdisziplinen sind.

Eine stabile Rumpfmuskulatur ist unerlässlich

So herausragend die Wirkungen ausdauernden Laufens auf das Herz-Kreislauf-System sind, so gefestigt sind die Belege, dass gutes Training auch den Aufbau einer funktionellen Ganzkörpermuskulatur beinhalten muss. Eine stabile Rumpfmuskulatur sowie kräftige Bein- und Oberkörpermuskeln sind die Voraussetzung, um auf längeren Distanzen einen ergonomischen Laufstil beizubehalten.

Krafttraining für Läufer und Läuferinnen gehört zu den wichtigsten Vorbeugemaßnahmen gegen Fehlhaltungs- und Überlastungsschäden sowie gegen akute Verletzungen. Muskelfaserrisse und Bänderdehnungen werden durch unterentwickelte Muskeln ebenso begünstigt wie Rückenschmerzen durch einen schwachen Beckenboden. Folglich sollte regelmäßige sportliche Aktivität stets Ausdauer-, Koordinations-, Stabilisations- und Krafttrainingselemente beinhalten.

Krafttraining für Läufer und Läuferinnen bedeutet nicht, Muskelberge zu züchten

Beim oft missverstandenen Thema „Kraft“ geht es also keineswegs um voluminöse Muskelpakete, sondern um sportartspezifische Schutz- und Leistungserhöhung. Ein ausbalanciertes Korsett mit- und gegeneinander arbeitender Muskelgruppen dient der:

  • Protektion vor Verletzungen (Knochen, Muskeln, Sehnen, Bänder)
  • Prävention von Haltungs- und orthopädischen Überlastungsschäden
  • Erhöhung des Grundumsatzes (Körpergewichtsregulation)
  • Ökonomisierung des Energiestoffwechsels
  • Steigerung der physischen und psychischen Ermüdungsresistenz

Damit erfüllt laufbegleitendes Krafttraining für Läufer und Läuferinnen zwei Hauptintensionen: Gesundheit bzw. Schadensprophylaxe und Leistungsverbesserung. Wie auch immer die sportlichen Ziele des oder der Einzelnen aussehen, der Aufbau und Erhalt eines ausdauernd stabilen Muskelkorsetts ist ein zentraler Faktor für Fitness, Herzkreislauf- und orthopädische Gesundheit.

Nur Laufen reicht nicht

Abgesehen von Herz- und Atemmuskeln ist gerade extensives Lauftraining im Hinblick auf die Entwicklung der Skelettmuskulatur wenig effektiv, kann bei hohen Umfängen sogar kontraproduktiv wirken. Die beim Laufen im aeroben Stoffwechselbereich gesetzten Trainingsreize sind zu niedrig (unterschwellig), um die Muskeln zu kraftsteigerndem Wachstum anzuregen.

Wenngleich die in Trainingsprogrammen integrierten Tempo- und Bergläufe in puncto Schnellkraftentwicklung und Kraftausdauer bedeutsam sind, können sie aufgrund ihrer einseitigen Ausrichtung die Wirkung eines gezielten Muskeltrainings nicht ersetzen. Zwar ist das Wissen um dessen Bedeutung mittlerweile im Bewusstsein der meisten Laufaktiven verankert. Die praktische Umsetzung bereitet aber oft Schwierigkeiten.

Zum einen besteht Unsicherheit, welche Übungen in welcher Intensität und welchem Umfang für die Einzelne oder den Einzelnen mit individuellen sportlichen Zielen sinnvoll sind. Zum anderen setzt gerade Freizeitläuferinnen und -läufern das enge Zeitbudget, in dem berufliche und familiäre Verpflichtungen Priorität haben, Grenzen.

Krafttraining für Läufer macht stark.
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Core-Training ist unerlässlich

Haltung kommt von halten! Aber bei vielen Läuferinnen und Läufern ist nach einigen Kilometern nicht mehr viel davon zu sehen. Wenn der Körper ermüdet, geht das zuerst auf Kosten der Körperhaltung. Schuld sind nicht hinreichend trainierte Core-Muskeln. Das sind die Muskeln der Körpermitte („Core“), die permanent Haltearbeit verrichten. Sie umfassen die Becken- und Hüftmuskeln, die gerade und schräg verlaufenden, oberflächlichen und tiefen Bauch- und Rückenmuskeln bis hinauf zur komplexen Muskulatur des Schultergürtels.

Der „Core-Bereich“ bildet den Körperschwerpunkt und ist hauptverantwortlich für die Bewegungsstabilität des Gesamtkörpers. Das gilt auch und gerade für passive Bewegungsstrukturen wie Knochen, Bänder und Gelenke. Dabei spielt die nerval gesteuerte intermuskuläre Koordination eine wichtige Rolle.

Zu den wirkungsvollen Core-Übungen zählen der gerade und seitliche Unterarmstütz („Plank“), die langsame und gehaltene Bauchpresse („Crunch“), Beckenbodentraining und für den Brust-Schulterbereich Übungen mit dem Theraband oder nicht zu schweren Gewichten. Langsame, gehalten Liegestütz (für Leistungsschwächere auf den Knien) sind der Klassiker für die Entwicklung der Gesamtkörperstabilität.

Niedrige Gewichte, viele Wiederholungen

Lange Laufleistungen basieren auf der Arbeit der gut trainierbaren roten Ausdauermuskelfasern (Typ-1). Dieser Fasertyp hat einen hohen Gehalt des sauerstoffbindenden Muskelfarbstoffs Myoglobin, viele Energie produzierende Zellkraftwerke (Mitochondrien) und eine gute Blutgefäßversorgung (Vaskularisierung) für das Heranschaffen von Sauer- und Nährstoffen – und diese Eigenschaften machen ihn sehr ermüdungsresistent.

Ihre geringe Kontraktionsgeschwindigkeit ist in der Verwertung von Fett als Hauptenergiequelle begründet. Fett ist zwar sehr ergiebig, sein Abbau verbraucht aber viel Sauerstoff und das ist aufwendig. Mit Verbesserung des Trainingszustands erhöhen sich Mitochondriendichte und Vaskularisierung und damit werden Sauer- und Nährstoffumsatz ökonomisiert. Beim Krafttraining für Läufer und Läuferinnen geht es somit primär um Verbesserung der Kraftausdauerleistung dieser roten Typ-1-Fasern.

Jene Fasern, die Sprintern voluminöse Oberschenkel und schnelle Beine machen, sie aber rasch ermüden lassen („weiße“ Typ-2-Fasern), sind für Langstreckler von untergeordneter Bedeutung. Demzufolge geht es beim Krafttraining für Läufer nicht um Muskel-Hypertrophie (Querschnittsvergrößerung), das mit relative hohen Gewichten und Übungswiederholungen bis zur akuten Muskelerschöpfung erreicht wird. Die für den roten Fasertyp ausschlaggebende Verbesserung der Kraftausdauerleistung wird durch höhere Wiederholungszahl (längere Arbeitsdauer) mit niedrigeren Gewichten erzielt.

Welche Rolle Maximalkrafttraining spielt

Das Bild des voluminösen Bodybuilders gibt dem Mythos Nahrung, Krafttraining mache langsam und schwere Beine. Da erscheint es fragwürdig, Läuferinnen und Läufern ein Training ihrer Maximalkraft zu empfehlen.

Zur Begriffsdefinition gilt es, mit einem Irrglauben aufzuräumen. Maximalkraft-Training hat nichts mit Volumentraining zu tun. Bodybuilderinnen und -builder trainieren mit nur 75 bis 80 Prozent ihrer Maximalkraft in mehreren Sätzen mit acht bis zwölf Wiederholungen. Maximalkraft ist die willentlich höchstens aufzubringende Kraftentwicklung. Mit diesem Maximum können nur ein bis zwei Wiederholungen bewältigt werden. Diese Trainingsmethode fördert nicht das Dickenwachstum, sondern die intramuskuläre Koordination, also das Zusammenspiel der Fasern. Daraus resultiert ein Kraftzuwachs, der dem Laufen zugutekommt.

Krafttraining für Läufer macht stark.
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Muskeln langsam an Belastungen gewöhnen

Wer höhere Abdruckkraft auf den Fuß bringt, kann schneller laufen, ohne die Schrittfrequenz erhöhen zu müssen – ökonomisches Tempomachen. Dass die Angst, durch Maximalkraft-Training einen „Popeye-Körper“ zu entwickeln, unbegründet ist, zeigen Ski- sowie Hochspringer und -springerinnen, die zu den eifrigsten Maximalkraft-Trainierenden zählen. Als Schwer(e)-Athleten und -Athletinnen kann man ja weder die Schanzen- noch die hageren Höhenflieger und -fliegerinnen bezeichnen. Beide entwickeln beim Absprung aber „Bärenkräfte“ – dank des Trainings ihrer Maximalkraft.

Figurbewussten Läuferinnen und Läufern möge dies als Vorbild dienen. Aber Vorsicht! Muskeln müssen sich an hohe Belastungen gewöhnen. Wer bisher nicht mehr als die Trinkflasche gestemmt hat, muss den Körper erst mit kleinen Belastungen ans Krafttraining gewöhnen, den Muskeln Zeit zur Anpassung geben.

Wer keine Erfahrung mit Maximalkraft-Training hat, sollte sich fachkundige Anleitung holen. Denn neben dosiertem Trainingsaufbau hängen Wirksamkeit und Verletzungsrisiken von technisch korrekter Übungsausführung ab. Eine Wunderdroge, die „Ackergäule zu Rennpferden“ macht, ist die Maximalkraft-Entwicklung nicht – eher etwas für bereits gut (kraft)trainierte Athletinnen und Athleten, die ihr Potenzial bis ins Kleinste ausschöpfen wollen.

Wechsel- oder Kombitraining?

Erzielt man mit dem Muskeltraining an lauffreien Tagen oder mit Kombinationseinheiten größere Wirkung? Zahlreiche Studie haben sich dieser Frage gewidmet. Eine pauschale Antwort gibt es nicht. Es hängt von individuellen Parametern sowie der jeweiligen Lauftrainingseinheit (Long-Run, Intervalle, regenerativ) ab.

Einige Leistungsparameter verbessern sich bei der getrennten, andere bei der kombinierten Trainingsmethode. Wer nicht im Hochleistungsbereich um jede Zehntelsekunde feilscht, sondern in erster Linie den verletzungsprophylaktischen und gesundheitlichen Aspekt im Auge hat, kann sein Krafttraining so in den Trainingsalltag einbauen, wie es organisatorisch und vom Bauchgefühl her am besten passt.

Was bradytrophes Training ist und was es bringt

Die häufigsten Abnutzungsschäden betreffen Strukturen mit schlechter oder fehlender Blutgefäßversorgung und niedriger Stoffwechselaktivität. Der Fachbegriff lautet „bradythrophes Gewebe“ (griech. brady: langsam, troph: ernährt). Dazu zählen (Gelenk-)Knorpel, Bänder und Sehnen. Versorgt werden sie vorwiegend durch Nährstoffdiffusion aus der umgebenden Körperflüssigkeit.

Bradytrophes Training ist eine Sonderform des Kraftausdauertrainings, das sich durch eine besonders lange Gesamt-Muskelanspannungszeit (TUT = Time Under Tension) und langsame Ausführung (Kadenz) jeder Einzelübung unter Einsatz nur kleiner Trainingsgewichte bzw. -widerstände auszeichnet. Das bradytrophe Gewebe wird so langsam an steigende Belastungen gewöhnt. Eine Bespielübung ist ein vereinfachter Liegestütz im Kniestand mit den Händen auf der Stuhlsitzfläche. Bradytrophes Krafttraining wird besonders für die Rehabilitation nach Verletzungen eingesetzt, ist aber gerade für den Einstieg in das Krafttraining eine risikoarme und zur Technikschulung geeignete Option.

Krafttraining für Läufer macht schnell.
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Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse

„Nach fest kommt ab!“ Die Handwerkerweisheit, dass einer bereits festsitzenden Schraube weitere Umdrehungen den Garaus machen, lässt sich auch auf das Krafttraining übertragen. Die Befürchtung, dass Krafttraining der Laufleistung abträglich ist, hat zumindest einen Funken Wahrheit.

Wissenschaftler am Biozentrum der Uni Basel haben in intensiv krafttrainierten Muskeln die Ausschüttung eines speziellen Botenstoffs („Brain Derived Neurotrophic Factor“) nachgewiesen, der nicht nur auf den Muskel selbst einwirkt, sondern auch die Signalübertragungsstrukturen (Synapsen) zwischen Muskeln und Nerven umformt. Die Folge ist ein bis dato nicht in größerem Ausmaß für möglich gehaltener Umbau von roten in weiße Muskelfasern, was auf Kosten der Ausdauerleistung geht. Bislang ist das nur tierexperimentell nachgewiesen, gibt aber Anlass zu der Empfehlung, als Ausdauersportler bzw. -sportlerin, nicht zu intensiv und häufig schwere Gewichte zu bewegen.

Wichtig: Sportliche Routine finden, in der auch Krafttraining seinen Platz hat

Eine andere Forschungsarbeit der Universität Potsdam ist der Frage nachgegangen, inwieweit es beim für Läuferinnen und Läufer bedeutsamen isometrischen (die Spannung haltenden) Training Effektivitätsunterschiede zwischen einem drückenden und haltenden Spannungsaufbau gibt. Lassen sich beispielsweise Wirkungsunterschiede in einer Partnerübung messen, bei der eine Person aktiv ihre Hände gegen die einer anderen Person drückt, welche ihrerseits „nur“ passiv dem Druck widersteht?

Tatsächlich zeigten sich für beide Aktivierungsformen signifikante Unterschiede in der Kraftausdauer und Muskelmechanik. Der haltende Modus konnte deutlich kürzer aufrechterhalten werden als der drückende, was in einer komplexeren, störungsanfälligen Steuerung begründet sein könnte. Für konkrete Empfehlungen ist es aber zu früh und solche Feinheiten sind ohnehin für das Gros der Laufgemeinde von untergeordneter Bedeutung. Wichtig ist, seine sportlichen Routinen zu finden, in denen auch bei begrenztem Zeitbudget, die kräftigenden Momente ihren festen Platz haben. Auch wenn es nur ein paar Minuten nach dem Laufen sind, schon wenig hilft viel!