Boom oder Krise
Wo steht die Laufszene nach Corona?
Während der Corona-Pandemie fielen fast alle Laufveranstaltungen aus – dafür liefen mehr Menschen allein. Aber wie sieht die Laufszene nach Corona aus? Gab es einen Boom oder eine Krise? Die Fakten.
Als 2020 die Corona-Pandemie ausbrach, fast alle Laufveranstaltungen ausfielen, virtuelle Läufe boomten und viele Menschen mit dem Laufen begannen, prophezeiten viele, dass beim Laufen nach der großen Krise nichts mehr so sein würde wie zuvor.
Das ist nicht passiert. Gut ein Jahr nach dem offiziellen Ende der Pandemie ist Vieles wieder genauso wie zuvor. Aber es gibt in manchen Bereichen auch große Veränderungen. Die wichtigsten Entwicklungen haben wir hier anhand der aktuellen Zahlen und Statistiken für dich herausgearbeitet.
Die beste Nachricht vorweg: Laufen ist in Deutschland die drittbeliebteste Sportart. 8,4 Prozent der Befragten gaben 2023 in einer Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach an, in ihrer Freizeit häufig zu laufen.
Übertroffen wird das nur vom Wandern (11,2 %) und von Training im Fitnessstudio (10,9 %). Mountainbiken (5,8 %), Fußball (4,9 %), Tanzen (4,8 %), Yoga (4,6 %) und Rennradfahren (2,7 %) folgen mit deutlichem Abstand. Und seit dem Höhepunkt in der Coronazeit, als 2022 über 6,3 Millionen in Deutschland häufig liefen, hat die Begeisterung nur wenig nachgelassen.
Stefanie Eichel: „Laufen war die optimale Sportart während der Pandemie“
Mit besonderem Interesse schauen die Organisatoren der großen Laufveranstaltungen auf diese Zahlen, weil die das Reservoir bilden, aus dem sie ihre Teilnehmenden schöpfen. „Die Zahlen bilden die Entwicklung ab, die wir seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 beobachtet haben“, sagt Stefanie Eichel, die als Geschäftsführerin von Eichels Event den ADAC Marathon Hannover organisiert und zum Vorstand von German Road Races (GRR) gehört. GRR ist die Interessenvereinigung der großen Straßenläufe im deutschsprachigen Raum.
„Auf dem Höhepunkt der Pandemie war Laufen ja die optimale Outdoor-Sportart, die man unter den eingeschränkten Bedingungen ausüben konnte. Also sind viele, die eigentlich in anderen Sportarten aktiv waren, allein laufen gegangen, statt beispielsweise im Fitnessstudio zu trainieren oder Fußball zu spielen.“
2023 liefen knapp 6 Millionen häufig
Obwohl die Zahl der Läuferinnen und Läufer seit 2022 wieder etwas zurückgegangen ist, sieht Stefanie Eichel in der aktuellen Situation große Chancen für Laufveranstaltungen: „Auch wenn einige die Lust am Laufen verloren haben oder in ihren ursprünglichen Sport zurückgekehrt sind, können wir immer noch eine neue Zielgruppe ansprechen, wenn wir entsprechende Angebote machen, mit denen wir auch Menschen abholen, die zuvor noch nie an Laufevents teilgenommen haben.“
Immerhin liefen 2023 über 5,88 Millionen in Deutschland häufig. Das sind 630.000 mehr als 2019, im letzten Jahr vor der Pandemie. Vor dem Hintergrund, dass 2023 in ganz Deutschland 1,5 Millionen Teilnahmen an offiziell bei den Leichtathletik-Verbänden angemeldeten Laufveranstaltungen verzeichnet wurden, eine große Zahl.
Halbmarathon und Marathon im Boom
Wie gut es den Veranstaltern bereits gelungen ist, nach der Corona-Krise Menschen wieder für ihre Events zu begeistern, zeigen die Finisher-Zahlen bei den zehn größten Halbmarathon- und Marathon-Events. Berücksichtigt man die Werte von 2019 und 2024, ist bei den Halbmarathons ein Anstieg um 13,6 Prozent zu verzeichnen.
Und auch die Marathons konnten einen deutlichen Anstieg verzeichnen. Erreichten bei den zehn größten deutschen Marathons 2019 noch 84.310 Läuferinnen und Läufer das Ziel, waren es 2024 98.299 – ein Anstieg um 16,6 Prozent.
Finisherzahlen gehen nach oben
Eine Analyse von HDsports hat ergeben, dass 14 der 15 größten Marathonläufe in Deutschland 2024 ein Teilnehmerplus im Vergleich zum Vorjahr aufwiesen. Zwölf verzeichneten Zuwächse von mindestens 20 Prozent. Und fünf Läufe wuchsen sogar um mehr als 40 Prozent. 2024 wurde mit 102.000 Finishern zum ersten Mal seit 15 Jahren die Marke von 100.000 geknackt.
Kleinere Events geben in großer Zahl auf
Was dabei zu beobachten ist: Während bei den größten Marathons immer mehr Leute finishen, hat sich die Zahl der Marathon-Veranstaltungen in Deutschland seit 2019 um fast die Hälfte von 261 auf 131 reduziert. Eine Erklärung dafür liefert Jürgen Lock. Er verantwortet als Geschäftsführer von SCC Events den BMW Berlin-Marathon, der 2024 mit mehr als 54.000 Finishern einen Großteil aller Marathonläuferinnen und -läufer in Deutschland auf sich vereinen konnte.
Seine Beobachtung: „Für immer mehr Marathonläuferinnen und -läufer sollen die 42,195 Kilometer ein riesiges Erlebnis sein. Sie erleben die ganze Vorbereitung bis hin zum Rennen als persönliche Reise, an deren Ende auch ein entsprechend großes Ziel stehen soll.“ Für die ist dann ein Marathon beispielsweise in Berlin, New York, Tokio oder Paris, vielleicht auch noch in Frankfurt, Köln, München, Hannover oder Hamburg attraktiv. In kleineren Städten oder auf dem flachen Land eher nicht.
Jürgen Lock: „Die Anforderungen steigen immer mehr“
Diese Beobachtung passt auch dazu, dass Traillauf-Events in grandiosen Naturkulissen wie den Alpen in den vergangenen Jahren starke Zuwächse erfahren haben. Den offiziellen Statistiken der Leichtathletik-Verbände lässt sich das nicht entnehmen, aber hier finden immer mehr Menschen Erlebnisse, die fast schon einer „Once-in-a-lifetime-Experience“ entsprechen.
Und so sind die Veranstalter vieler Marathons, aber auch anderer kleinerer Laufveranstaltungen zuletzt gleich von zwei Seiten unter Druck geraten. Einerseits lässt ihre Attraktivität nach, andererseits wird der organisatorische und finanzielle Aufwand immer größer, wie Jürgen Lock erklärt: „Die Genehmigungsverfahren werden komplizierter. Die Anforderungen an die Sicherheit steigen. Man braucht immer mehr Mitarbeitende und Ehrenamtliche. Und irgendwann geraten dann Aufwand und Ertrag in ein so großes Missverhältnis, dass ein Laufevent einfach nicht mehr stattfinden kann.“
Gleichzeitig werden die großen Events von den teilweise extrem gestiegenen Kosten in vielen Bereichen der Veranstaltungsorganisation gezwungen, ihre Teilnahmegebühren oft drastisch zu steigern. Aber weil sie attraktiv genug sind, zahlen die Läuferinnen und Läufer auch Startgelder, die im Durchschnitt mehr als 40 Prozent höher liegen als vor der Pandemie.
Startgelder bei großen Events deutlich gestiegen
Dieser Anstieg ist fast doppelt so hoch wie die inflationsbedingte allgemeine Teuerungsrate von knapp 20 Prozent im Vergleich zu 2019. Das erklärt sich daraus, dass Laufevents viele Dienstleistungen benötigen, deren Preise seit 2019 viel stärker gestiegen sind als die allgemeine Teuerung.
„Es gibt bei uns Bereiche, in denen wir 200 Prozent mehr zahlen müssen als früher“, sagt Stefanie Eichel und nennt als Beispiel die mobilen Klohäuschen, von denen alle großen Laufevents eine Menge brauchen, „die konnte man früher für 30 Euro pro Stück mieten. Jetzt kostet eins hundert Euro.“ Auch für das benötigte Sicherheitspersonal muss mehr Geld hingelegt werden, wie Jürgen Lock erklärt. „Früher waren da Stundenlöhne von 17 oder 18 Euro üblich, mittlerweile sind die auf 28 Euro gestiegen. Und das ist natürlich nur ein Beispiel.“
Boom oder Krise?
Dass gerade beim immer ausgebuchten Berlin-Marathon, bei dem der Großteil der 50.000 Startplätze verlost wird, das Startgeld am stärksten auf mittlerweile über 200 Euro gestiegen ist, erklärt er mit der besonderen Situation in der Hauptstadt. „In einer Vier-Millionen-Metropole wie Berlin mit ihrer globalen Bedeutung sind die Genehmigungsprozesse noch mal komplexer als in anderen Großstädten. Der sicherheits- und verkehrstechnische Aufwand ist angesichts der Größe des Teilnehmendenfeldes und der Strecke vorbei an allen touristischen Highlights immens. Und wie alle großen Marathons sind wir überhaupt nur in der Lage, das Event zu finanzieren, weil wir neben den Einnahmen aus Teilnahmegebühren viele Sponsoren haben, die das alles erst ermöglichen.“
Also, Boom oder Krise? Stefanie Eichel drückt es so aus: „Weder noch. In der jetzigen Phase haben wir vor allem Chancen. Laufevents werden auch dank ihrer Anstrengungen in Sachen Nachhaltigkeit als helle Sterne in einer Welt wahrgenommen, in der sich zuletzt vieles verdüstert hat. Und wenn wir mit vielfältigen Angeboten möglichst viele Menschen emotional richtig ansprechen, werden Laufevents nicht nur attraktiv bleiben, sondern auch als relevant für die Gesellschaft wahrgenommen.“
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