Nachhaltige Sportartikel
Berliner Start-Up produziert aus Algenschaum, Rizinusöl und Zuckerrohr
Die globale Sportartikel-Industrie hat ein Umweltproblem. Das möchten zwei Berliner ändern und haben das neue Unternehmen Winqs gegründet.
Das Berliner Startup Winqs hat sich darauf spezialisiert, ausschließlich nachhaltige Sportprodukte zu entwickeln. Winqs ist der erste Sportartikel-Hersteller der Welt, der sämtliche Produkte mit pflanzen-basierten oder recycelten Materialen herstellt. Das junge Unternehmen ist durch seine Zusammenarbeit mit der Stiftung myclimate zu 100 Prozent klimaneutral und bietet ein ganzheitliches Kreislaufprogramm.
Die Winqs-Gründer Marek Brincil und Jan Kratochvil waren über zehn Jahre für die schwedische Sportmarke Salming im Einsatz und somit nach eigenen Worten also selbst Teil des Problems. Sie haben miterlebt, wie in der Sportartikel-Industrie viele Brands versuchen, ihrem Image mit einzelnen Sonderkollektionen einen „grünen Anstrich“ zu geben. Der große Rest der Portfolios wird aber weiter konventionell hergestellt. Das wollen die beiden Unternehmer ändern.
Winqs investiert deshalb in ein spezielles Kreislaufprogramm, um Produkte zu reparieren oder wiederzuverwerten. Darüber hinaus wird mit nachwachsenden Rohstoffen wie Algenschaum, Rizinusöl, Zuckerrohr oder speziellen Holzfasern erdöl-basiertes Plastik ersetzt. Dazu kommen recycelte Materialien wie Meeresplastik oder Gummi-Reste. Sämtliche Bekleidung und ein Teil des Zubehörs werden in Europa gesourct und hergestellt, überwiegend in Österreich und in Portugal.
Produkte, die viel von recycelten Materialien abhängig sind, etwa Schuhe oder Taschen, werden in zertifizierten Fabriken vor Ort in Asien hergestellt, da das nötige Material in der Form auch nur dort zur Verfügung steht. Abfälle sind für Winqs nicht Müll, sondern ein Rohstoff: Beispielsweise wird das von dem Partner Oceanworks eingesammelte Meeresplastik dort zu neuwertigem Kunststoff-Granulat verwertet.
Vision: Den geringst-möglichen Fußabdruck hinterlassen
Die Vision von Winqs ist eine plastikfreie, klimaneutrale und zirkulare Produktion - eine, die den geringst-möglichen Fußabdruck hinterlässt. Deshalb ist es den Gründern wichtig zu beweisen, dass die meiste Sportbekleidung heute komplett plastikfrei und sogar kompostierbar hergestellt werden kann. Und dass der Erdöl-Bedarf von Laufschuhen massiv reduziert und dass bei der Verwendung von konventionellen Kunststoffen auf deutlich mehr recycelte Materialien zugegriffen werden muss.
Außerdem will das Unternehmen die Konkurrenz dazu bringen, ihre Produktion digital rückverfolgbar und klimafreundlich umzugestalten und sinnvolle Kreislaufsysteme zu installieren. Brincil und Kratochvil sehen ihre Aufgabe vor allem darin, diese wichtigen Themen zu besetzen und den verwaschenen Begriff der Nachhaltigkeit zu schärfen.
Winqs veröffentlicht ab Herbst 2021 jeden Monat ein neues Produkt - etwa die komplett plastikfreien Textilien aus einem neuen Lyocell-Stoff, Sporttaschen aus Ozeanplastik sowie den Zerofly-Laufschuh (Launch März 2022), der mit seiner Bio ePebax-Mittelsohle und der Michelin-Hybrid-Außensohle als erster nachhaltiger Performance-Laufschuh überzeugen möchte. In Kürze werde Winqs die erste Performance-Laufsocke ohne Plastik vorstellen, die Kunststoff kompostierbar mit hautschonenden Seetang-Fasern ersetzt.
“Es gibt viel zu verbessern”
Vor welchen Herausforderungen das junge Unternehmen steht, haben wir den Winqs-Mitgründer Jan Kratochvil gefragt.
Was macht die herkömmliche Herstellung von Sportartikeln so umweltschädlich?
„Das hängt natürlich von der Produktkategorie ab. Aber wenn wir uns mit der Running-Branche befassen, dann lässt es sich verkürzt reduzieren auf problematische Materialien, insbesondere erdöl-basierte Kunststoffe, auf massive, andauernd wachsende CO2-Emissionen, auf intransparente Produktionsprozesse und auf die Abwesenheit sinnvoller Kreislaufsysteme. Ob es dann schlimmer ist, dass Mikroplastik die Gewässer dieser Welt verpestet oder dass die jährlich produzierten Sportschuhe etwa so viel CO2 verursachen wie 60 Millionen Verbrenner-Autos, muss jeder für sich beantworten. Es gibt jedenfalls genug zu verbessern.“
Ist die pflanzenbasierte Herstellung von Sportartikeln komplexer, teurer und aufwändiger als die mit bisherigen Technologien?
„Das Dilemma der Industrie ist, dass erdöl-basierte Materialien, Polyester etwa oder Nylon, deutlich günstiger sind als nachhaltigere Lösungen aus recycelten oder nachwachsende Rohstoffen. Das liegt vor allem an der fehlenden Masse. Die Herstellung unserer plastikfreien Funktionstextilien aus Lyocell ist deshalb gut zwei- oder dreimal teurer als die von Plastik-Bekleidung, weil noch bestimmte Skaleneffekte fehlen und auch deutlich umsichtiger produziert wird. Bei Schuhen ist die Sache ähnlich, nur noch etwas komplexer. Ein leistungsfähiger Laufschuh, also einer der optimal dämpft und dabei ein wettbewerbsfähiges Gewicht aufweist, lässt sich ohne Kunststoffe noch nicht produzieren. Aber ein Großteil der Bauteile lässt sich mit recycelten oder biobasierten Materialien ersetzen. Das reduziert nicht nur den Bedarf für Erdöl, sondern auch für Wasser und Energie, was wiederum einen deutlich geringeren CO2-Ausstoß bedeutet.“
Ist es schwierig, nachhaltige und trotzdem gut geeignete Alternativen für die üblichen Artikel wie Funktionstextilien aus Polyester oder Nylon zu finden und herzustellen?
„Das hängt tatsächlich immer von der Aufgabe ab, die der jeweilige Stoff erfüllen soll. Ein Laufshirt lässt sich schon heute mit hochfunktionalen pflanzen-basierten Materialien herstellen. Da hatte es schon zuvor Marken gegeben, die ähnliches angefangen hatten. Wir haben die Lösungen weiterentwickelt, etwa durch eine andere Spinntechnik und Weiterverarbeitung. Problematisch wird es, wenn es etwa um wasserabweisende Eigenschaften geht oder ein Textil viel Reibung oder Zerrung ertragen soll, etwa im Teamsport. Aber auch da arbeiten wir schon an einigen spannenden Produkten - etwa an der ersten plastikfreien Performance-Socke, die wir in Kürze vorstellen werden.“
“Profitabilität und Nachhaltigkeit endlich vereinen”
Unterscheiden sich umweltschonende Sport-Produkte in den Bereichen Qualität und Haltbarkeit von herkömmlich produzierten Sportartikeln?
„Wenn man es richtig macht, können viele sogar noch besser sein. Bei unseren Textilien oder im Innenbereich unserer Schuhe arbeiten wir beispielsweise mit samtweichen Lyocell-Fasern, die deutlich schonender zur Haut sind als herkömmliches Polyester. Was die Haltbarkeit betrifft, gibt es keine Unterschiede. In unserem Fall arbeiten wir sogar mit einem Reparatur-Partner zusammen, der von uns alle Originalteile beziehen wird und „angeschlagene" Schuhe reparieren kann. Und wenn der Schuh mal doch durch ist, nehmen wir ihn wieder zurück und kümmern uns um eine verantwortungsvolle Wiederverwertung oder Entsorgung.
Stehen Nachhaltigkeit und Performance der Produkte im Widerspruch?
Natürlich gibt derzeit noch Kompromisse, die man eingehen muss. Deshalb kommen auch wir etwa in der Mittelsohle unseres Laufschuhs nicht zur Gänze ohne Kunststoff-Schaum aus. In unserem Bio ePebax Material können wir aber einen Großteil mit Rizinusöl ersetzen. Das Resultat ist ein gleichwertiger Spitzenlaufschuh, der wortwörtlich geringere Spuren hinterlässt. Wir könnten heute schon einen rein pflanzenbasierten Laufschuh herstellen. Er wäre aber ziemlich schwer und recht unbequem.
Warum ändern andere Marken nicht deutlich schneller ihre Produktion?
„Vereinfacht gesagt, geht es um Profitabilität. Die Sportindustrie ist noch immer von einer langen Lieferkette abhängig. Erst das Sourcing, dann Fabrik, danach Distribution, Handelsvertreter, Marktplätze und noch die Fachhändler. Erst dann landet das Produkt bei den Kunden. Und natürlich wollen auf diesem Weg alle mitverdienen. Der Online-Handel hat die Situation sogar noch verschärft, weil Rabatte vergleichbar geworden sind und neue Billigmarken auf den Preis drücken. Das führt zu regelrechten Kommerzorgien wie etwa dem Black Friday. Für viele Hersteller ist ein Produkt mittlerweile nur noch dann profitabel, wenn seine ursprünglichen Herstellungskosten etwa bei einem Achtel bis Zehntel des Endpreises liegen. Das kann nicht richtig sein. Wenn bei diesen Sportmarken dann jemand kommt und sagt, lasst uns doppelt so teuer produzieren damit wir nachhaltiger sein können, jagt man ihn vom Hof. Ich bin sogar skeptisch, dass die meisten Sportmarken überhaupt noch umschwenken können. Das System ist alt und kaputt. Deshalb braucht es neue Marken, die ihre Prozesse von Anfang an anders einrichten - umsichtiger und selektiver.“
“Erster Bio-Laufschuh kommt vielleicht in fünf Jahren”
Gibt es eine umweltschonende Alternative zur bei Wettkampfschuhen beliebten Carbon-Platte?
„Das in Laufschuhen verwendete Carbon ist oft bereits ein recyceltes Material. Carbon wird aber aus Erdöl hergestellt und von seiner höchsten Qualitätsstufe, etwa in der Luftfahrt oder beim Bau von Windkraftanlagen, systematisch „herunterrecycelt“, bis hin zu Sportartikeln. Aber irgendwann wird es selbst für die einfachsten Aufgaben zu brüchig, dann muss es aufwändig zerlegt und verbrannt werden, benötigt dafür aber deutlich höhere Temperaturen als übliche Müllverbrennungsanlagen bieten können. Also um ehrlich zu sein, das Beste wäre, wir laufen ein halbes Prozent langsamer und verzichten auf den Einsatz eines solchen Materials. Aber das muss dann wohl jede und jeder für sich entscheiden. Aktuell arbeiten wir an einer Lösung, die einen ähnlichen Katapulteffekt hervorrufen kann, aber auf einem anderen mechanischen Prinzip funktioniert. Dazu vielleicht irgendwann in Zukunft mehr.“
Wann wird es den ersten richtig guten Laufschuh geben, der komplett ohne Erdöl produziert ist?
„Wie man bei unserem WINQS Zerofly sieht, gibt es bereits Bioplastik-Lösungen, etwa auf Basis von Zuckerrohr, Algen oder Rizinussamen, die vielversprechende Ergebnisse liefern. Noch sind sie aber abhängig von beigemischten konventionellen Kunststoffen. Ohne diese stehen insbesondere Dichte und Widerstandsfähigkeit noch nicht im richtigen Verhältnis. Das ultimative Ziel sollte ein langlebiger, leichter und griffiger Schuh sein, der aus einem oder wenigen gut trennbaren Biomaterialien hergestellt wird und am Ende seines Lebens kompostierbar oder zumindest biologisch abbaubar ist. Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass in den kommenden fünf Jahren in einer bestimmten Kategorie ein solches Produkt auf den Markt kommen könnte. Wenn wir uns Mühe geben, vielleicht früher.“