10 Jahre Altra-Laufschuhe
Mit dem Sandwichtoaster bessere Laufschuhe gebaut
Zehn Jahre ist es jetzt her, dass Altra seine ersten Laufschuhe in den USA verkauft hat und damit ein Pionier für gesünderes Laufen wurde. Was ein Sandwichtoaster damit zu tun hat, liest du hier.
2021 ist es zehn Jahre her, dass Altra seinen ersten Laufschuh auf den Markt gebracht hat: Im Frühjahr 2011 wurde der Instinct gelauncht. Seitdem hat sich das US-Unternehmen auf dem hart umkämpften Laufschuhmarkt etabliert. Wir hatten die Gelegenheit, ausführlich mit Brian Beckstead zu sprechen, der die Firma vor zehn Jahren im US-Bundesstaat Utah zusammen mit Golden Harper gegründet hat.
Brian, wie kam es dazu, dass du mit Ende 20 ein Unternehmen gegründet hast, das sich von Anfang an auf dem hart umkämpften Laufschuhmarkt etablieren konnte?
Brian Beckstead: Mit dem Laufen habe ich schon in der Schule angefangen. Mit 13 Jahren. Das mit den Laufschuhen ging los, als ich 17 war. 1998 habe ich angefangen, in einem Laufladen in meiner Heimatstadt Orem zu arbeiten. Dort habe ich zusammen mit Golden Laufschuhe verkauft. Seinem Vater gehörte der Shop. In dieser Zeit haben wir jede Menge Läuferinnen und Läufer mit all‘ ihren Verletzungsproblemen und Schuhsorgen kennengelernt. Das hat uns stark beeinflusst. Und Golden hat irgendwann angefangen, an Laufschuhen rumzubasteln, um sie für unsere Kunden besser zu machen.
Waren die Schuhe der etablierten Hersteller damals so schlecht?
Brian Beckstead: Golden und ich waren es jedenfalls gewohnt, als Läufer jede Menge verschiedene Verletzungen zu haben. Und das gleiche haben wir auch im Laden beobachtet. Jeden Tag kamen Läuferinnen und Läufer zu uns, die uns von ihren Problemen berichtet haben: Läuferknie, Schmerzen am unteren Rücken, Achillessehnenschmerzen, alle möglichen Probleme am Fuß und, und, und. Gleichzeitig hat die Industrie damals nur Schuhe angeboten, die fast alle gleich aufgebaut waren. Wenn du die Logos entfernt hättest, wären die einzelnen Modelle kaum zu unterscheiden gewesen. Nur die Namen für die technischen Elemente waren anders: Gel, Air, Wave und immer so weiter. Aber fast alle hatten dieselbe Geometrie mit einer deutlich höheren Ferse im Vergleich zum Vorfuß. Mittlerweile hat sich das vollkommen verändert, aber vor 15, 20 Jahren herrschte eine große Monokultur im Laufschuhdesign.
Die haben uns für verrückte Kids aus Utah gehalten
Altra-Mitgründer Brian Beckstead über seine Versuche, gemeinsam mit Golden Harper ihre Laufschuh-Ideen bei den etablierten Herstellern zu platzieren, nachdem Golden Laufschuhe mit Hilfe eines Sandwichtoasters „überarbeitet“ hatte
Und ihr wolltet das ändern?
Brian Beckstead: Ja, irgendwann um 2008 kam Golden mit der Idee, selbst Laufschuhe ohne Sprengung zu bauen. Zuvor hatte er schon Laufschuhe anderer Hersteller genommen und in so einem kleinen Ofen erhitzt, in dem man normalerweise Sandwiches toastet. Dann hat er mit einem Messer Teile der Mittelsohle entfernt, sodass Schuhe entstanden sind, die unter der Ferse genauso hoch waren wie unter dem Vorfuß. Unser „Zero-Drop-Konzept“ war geboren. Gleichzeitig hatten wir aber schon begonnen, in unserem Running Shop Laufschuhe so anzupassen, dass Vorfuß und Zehen mehr Platz haben. Die Schuhe haben wir an unsere Kunden verkauft, die sich sehr wohl mit diesen Unikaten gefühlt haben.
Und so waren die beiden hervorragenden Eigenschaften, die Altra-Schuhe bis heute prägen, schon bei Gründung der Firma da: Null Sprengung und eine weitere Zehenbox als bei anderen Marken.
Brian Beckstead: Ja, allerdings hatten wir zuvor bereits versucht, unsere Ideen an große Laufschuhhersteller heranzutragen. Wir wollten denen die Konzepte sogar kostenlos geben, aber dort hat man uns ausgelacht. Die haben uns für verrückte Kids aus Utah gehalten. Das war der Moment, als wir uns überlegt haben, unsere eigene Schuhfirma zu gründen. Unsere Überlegung war: Die Industrie baut seit einer gefühlten Ewigkeit Schuhe nach mehr oder weniger denselben, althergebrachten Konzepten. Warum gibt es keine gesünderen Alternativen? 2009 waren wir dann so weit, dass wir wussten, was wir benötigen und was es kosten würde, mit einer eigenen Firma Laufschuhe herzustellen und zu verkaufen. Altra gehört auf jeden Fall zu den Pionieren, die geholfen haben, dass der aktuelle Laufschuhmarkt so vielfältig ist und alle die Chance haben, einen Laufschuh zu finden, der wirklich zu ihnen passt.
Null Sprengung und eine breite Zehenbox gehörten aber auch zum Natural Running-Trend, der groß war, als Altra gegründet wurde. Mittlerweile spricht kaum noch jemand davon …
Brian Beckstead: … das heißt aber nicht, dass das Prinzip falsch war. Wenn die Natur gewollt hätte, dass der Mensch in Schuhen mit einer erhöhten Ferse und mit wenig Raum für die Zehen läuft, dann hätte sie den Fuß dafür konstruiert. Hat sie aber nicht, der menschliche Fuß ist fürs Barfußlaufen konstruiert. Und wenn der zivilisierte Mensch schon Schuhe anziehen muss, weil er Dämpfung, Schutz und Stabilität braucht, dann sollten die Laufschuhe wenigstens den flachen Fußaufsatz und das Spreizen der Zehen beim Abrollen und Abdrücken unterstützen. Das ermöglichen unsere Laufschuhe bis heute.
Mit Sprengung ist bei Laufschuhen der Höhenunterschied zwischen Ferse und Vorfuß gemeint. Ein Beispiel: Wenn die Sohle des Schuhs unter der Ferse 30 Millimeter hoch ist und unter dem Vorfuß nur 20 Millimeter, verfügt der Schuh über eine Sprengung von 10 Millimetern. Von „Null Sprengung“ spricht man, wenn die Sohle unter der Ferse genauso hoch ist wie unter dem Vorfuß.
Brian Beckstead erklärt, was Sprengung bei Laufschuhen eigentlich bedeutet
Warum ist es denn so wichtig, dass die Zehen im Laufschuh reichlich Platz haben?
Brian Beckstead: Weil die meisten Probleme, die Läuferinnen und Läufer am Vorfuß haben, durch zu enge Schuhe mitverursacht werden. Hammerzehen, Hallux Valgus oder Morton Neurom – alle diese Verletzungen können entstehen, weil der Vorfuß zusammengedrückt wird. Eine breite Zehenbox verhindert das beim Laufen. Hinzu kommt, dass wir dem großen Zeh so die Möglichkeit geben, beim Abrollen Aufgaben zu übernehmen, die bei vielen anderen Herstellern von technischen Elementen des Laufschuhs – wie der „Mittelfußbrücke“ – erfüllt werden. Wir finden aber, dass es langfristig gesünder ist, wenn der Körper das machen kann, wofür er von der Natur konstruiert ist. Dabei wollen wir ihn mit unseren Laufschuhen möglichst optimal unterstützen.
Und besonders deutlich wird das beim Trailrunning auf langen Distanzen, oder?
Brian Beckstead: Klar, unsere Plattform mit der flachen Konstruktion und dem breiten Vorfuß gibt gerade in natürlichem Gelände viel mehr Stabilität als schmalere Konzepte mit mehr Sprengung. Das dürfte auch der Grund sein, dass unsere Schuhe gerade bei Trailrunnern so beliebt sind.
Kannst du dir eigentlich erklären, warum das Konzept „Null Sprengung“ vor einigen Jahren bei fast allen Herstellern so beliebt war, mittlerweile aber fast nur noch von Altra stark in den Vordergrund gerückt wird?
Brian Beckstead: Ich glaube, das hat auch mit einem Missverständnis zu tun. Die meisten denken an minimalistische Schuhe und an Barfußlaufen, wenn sie „null Sprengung“ hören. Bei uns hat das aber nie zusammengehört. Minimalistische Schuhe, mit denen Barfußlaufen simuliert wird, haben tatsächlich zurecht an Bedeutung verloren, weil mit ihnen nur ganz wenige Läuferinnen und Läufer in speziellen Situationen sinnvoll trainieren können. Bei unserem Konzept geht es aber gar nicht um Minimalismus. Wir bauen Schuhe ohne Fersenerhöhung und gelangen so zu null Sprengung, weil wir glauben, dass viele damit gesünder und besser laufen. Das belegen auch unabhängige Studien: Schuhe mit einer deutlichen Fersenerhöhung provozieren den Fersenaufsatz beim Laufen um 22 Prozent mehr als Schuhe mit null Sprengung. Und es ist ja erwiesen, dass man mit einem flachen Mittelfußaufsatz gesünder und besser läuft als über die Ferse. Was unsere Schuhe aber deutlich von minimalistischen Modellen unterscheidet, ist die Mittelsohle, die für das sorgt, was wir „Balanced Cushioning“ nennen.
Also die individuell genau richtige Dämpfung für das jeweilige Einsatzgebiet eines Laufschuhs.
Brian Beckstead: Ja. Unser Erfolgskonzept ist null Sprengung plus Dämpfung.
Wenn du auf zehn Jahre Altra zurückblickst. Was war ausschlaggebend dafür, dass ihr euch als Newcomer und Start Up auf dem hart umkämpften Laufschuhmarkt etablieren konntet?
Brian Beckstead: Technologisch haben wir mit der Kombination von null Sprengung und Dämpfung die Brücke geschlagen zwischen traditionellen Laufschuhen und den phasenweise sehr erfolgreichen minimalistischen Modellen. Unser Konzept hat funktioniert und funktioniert natürlich weiterhin. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir nicht nur jung und leidenschaftlich waren, sondern auch etwas stur. Wir wollten der Welt mitteilen, was wir über Laufschuhe herausgefunden hatten. Gleichzeitig haben wir aber bemerkt, dass viele Leute unsere Einstellung und unsere Erkenntnisse teilten: Der Laufschuhmarkt lechzte nach neuen Konzepten, die traditionellen Schuhe reichten nicht mehr. Wir kamen genau zum richtigen Zeitpunkt auf den Markt.
Mittlerweile ist die Welt noch mal eine ganz andere geworden. Ein großes Thema ist die immer schwieriger werdende Situation des stationären Handels. Auch Laufschuhe werden immer mehr online gekauft, obwohl gerade bei der wichtigsten Ausrüstung Beratung hilft, das individuell richtige Modell zu finden und langfristig gesund zu laufen. Was ist deine Meinung dazu?
Brian Beckstead: Ich persönlich shoppe gar nicht online. Ich möchte Dinge anfassen und fühlen, bevor ich sie kaufe. Gerade bei Laufschuhen ist es gesünder, sich beraten zu lassen und die Schuhe vor dem Kauf anzuprobieren. Ich denke, dass es vielen Menschen so geht wie mir, sodass ich davon ausgehe, dass Laufläden weiter eine sehr wichtige Rolle beim Verkauf von Laufschuhen spielen werden. Allerdings werden sie sich verändern müssen. Ein Laufshop, der noch so ist wie der, in dem ich vor 20 Jahren gearbeitet habe, hat keine Zukunft. Und immer mehr Menschen wollen gar nicht mehr zum Laden fahren. Sie wollen ihre Schuhe direkt bestellen und dann sollen die am besten sofort geliefert werden. Diese Entwicklung wurde von Corona noch einmal beschleunigt. Wir bei Altra setzen voll auf den digitalen Verkauf von Laufschuhen, ohne jene Laufläden zu vernachlässigen, die zu einem jungen, modernen und digitalen Unternehmen wie Altra passen.
Unser erstes Modell, der Instinct, war ein Straßenlaufschuh. Wir verkaufen mehr Schuhe für die Straße als für den Trail.
Brian Beckstead über die Bedeutung des Straßenlaufens für sein Unternehmen
Altra wird in Europa stark als Trailmarke wahrgenommen. Entspricht das der Realität in deinem Unternehmen?
Brian Beckstead: Ich selbst bin Trailrunner und Altra ist auf den Trails zu Hause, zumal es in Utah jede Menge toller Trails gibt. Aber unser erstes Modell, der Instinct, war ein Straßenlaufschuh. Wir verkaufen in absoluten Zahlen mehr Schuhe für die Straße als für den Trail, auch wenn wir im Gelände einen größeren Marktanteil haben. Das liegt daran, dass Trailrunner abenteuerlustiger und offener für alternative Ideen sind als Straßenläufer. Deshalb wurde Altra im Trailbereich viel schneller akzeptiert als auf der Straße. Aktuell liegt unser Fokus darauf, zu zeigen, dass unsere Schuhe auf der Straße perfekt funktionieren. Wir wollen weiter im Trailrunning erfolgreich sein, aber gleichzeitig die Nische verlassen und eine etablierte Laufschuhmarke werden, die allen Läuferinnen und Läufern gute Schuhe für ihren alltäglichen Lauf anbietet.