Mais statt Öl
Neue Methoden: Kommt jetzt das nachhaltige Lauf-Equipment?
Wer viel läuft, braucht ständig neue Schuhe. Und vieles mehr. Wie viel ist zu viel? Das tun die Hersteller, um Laufschuhe und Bekleidung aus natürlichen, nachwachsenden Rohstoffen herzustellen.
Laufen macht nur in einer intakten Umwelt richtig Spaß. Deshalb ist Nachhaltigkeit ein riesiges Thema in der Szene. Bei der Ausrüstung geht es in erster Linie darum, den Einsatz fossiler Stoffe wie Erdöl und Erdgas bei der Produktion zu reduzieren. Das verringert den CO2-Ausstoß und leistet einen Beitrag zum Klimaschutz. Am problematischsten aber ist die Reduktion des Erdöls ausgerechnet bei dem Produkt, das für Läuferinnen und Läufer, aber auch für die Industrie am wichtigsten ist: bei den Laufschuhen.
Laufschuhe lassen sich bislang kaum in ganz großem Maßstab ohne Erdöl herstellen, wenn sie die Eigenschaften bieten sollen, die wir von ihnen gewohnt sind: Top-Komfort, Dämpfung, Energy-Return und Stabilität. Die meisten Hersteller arbeiten zwar sehr ernsthaft daran, Laufschuhe nachhaltiger herzustellen – aber dieses Bemühen hat Grenzen, die vom Stand der chemischen Industrie gesetzt werden. Das gilt besonders für die Zwischensohle. Das Obermaterial, das den Fuß umschließt, kann bereits in hoher Qualität aus recycelten oder biobasierten Materialien hergestellt werden. Die meisten Marken wenden das auch an. Darunter kommen bei Laufschuhen für Dämpfung, Stabilität und federndes Laufgefühl aber fast immer Kunststoffschäume zum Einsatz, die von der chemischen Industrie bislang nur dann mit den gewünschten Eigenschaften produziert werden können, wenn dabei Erdöl eingesetzt wird.
Am häufigsten wird bei Laufschuhen EVA (Ethylvinylacetat), PU (Polyurethan) oder TPU (thermoplastisches Polyurethan) verwendet. Diese Kunststoffe sind praktisch nicht biologisch abbaubar. Bislang wurden nur wenige Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen oder recyceltem Material entwickelt, die ähnliche, Eigenschaften aufweisen und in großem Maßstab produziert werden können.
Maisgedämpft
Der Triumph RFG von Saucony verfügt über eine Zwischensohle, die zum Großteil aus einem Material besteht, das nicht auf Erdöl- sondern auf Maisbasis gewonnen wird. Saucony nennt den neuen Dämpfungsschaum PWRRUN Bio. Die Mittelsohle des Triumph RFG besteht zu 55 Prozent aus diesem Stoff. Um aus Mais allerdings Dämpfungsschaum zu machen, sind komplexe chemische Prozesse nötig, die mit der Umwandlung von Mais in Popcorn nur sehr wenig gemein haben.
Ein großer Schritt nach vorn ist zuletzt dem US-Hersteller Saucony gelungen: Diesen Herbst kommt mit dem Triumph RFG ein Neutralschuh in die Geschäfte, dessen Zwischensohle zum Großteil aus einem Material besteht, das nicht auf Erdöl- sondern auf Maisbasis gewonnen wird. Saucony nennt den neuen Dämpfungsschaum PWRRUN Bio. Die Mittelsohle des Triumph RFG besteht zu 55 Prozent aus diesem Stoff. Hinzu kommt ein Obermaterial, das größtenteils aus recycelten Garnen und pflanzlichen Farbstoffen hergestellt wird. Und die Außensohle besteht zu 80 Prozent aus Naturkautschuk. Das führt zwar dazu, dass sie mit der Zeit ihr Aussehen verändert, an Rutschfestigkeit büßt sie aber nichts ein.
In Sachen Dämpfung und Abrollverhalten kommt der RFG dem erdölbasierten Triumph 21 erstaunlich nah – auch wenn sich der RFG beim Laufen etwas weicher und weniger präzise verhält als sein Schwestermodell, das zu den besten neutralen Laufschuhen gehört, die derzeit erhältlich sind.
Nachhaltigkeit zentral für wirtschaftlichen Erfolg
Der 55-prozentige Anteil des Bio-Dämpfungsmaterial zeigt, dass in Sachen Nachhaltigkeit schnelle Fortschritte möglich sind. Erst vor einem Jahr hatte beispielsweise Sauconys US-Konkurrent New Balance seinen Green Leaf Standard in den Vordergrund gerückt. Der verlangt, dass mindestens drei Prozent des bei Laufschuhen verwendeten EVAs nicht auf Erdöl-Basis, sondern unter Einsatz von Zuckerrohr hergestellt werden. Diesen Standard erfüllt beispielsweise der Neutralschuh 1080 V12 aus dem Jahr 2022. „Drei Prozent klingt erstmal nicht nach viel“, erklärte Produktmanager Paul Zeilinski bei der Vorstellung des Schuhs, „aber wenn man die Millionen Paare Laufschuhe bedenkt, die wir Jahr für Jahr verkaufen, ist es schon eine relevante Menge Erdöl, die durch den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen wie Zuckerrohr eingespart werden kann.“
Bei New Balance betrachtet man das Thema nachhaltigere Produkte als zentral für den wirtschaftlichen Erfolg: „Die Menschen wollen Produkte von Marken kaufen, die für dieselben Werte stehen, die ihnen selbst wichtig sind“, sagt Zeilinski. Ziel ist es, den Anteil erdölbasierter Materialien weiter zu senken.
Wiederverwertbar
Der Index 2 des französische Trailrunning-Spezialisten Salomon ist zu 100 Prozent recycelbar und gleichzeitig voll konkurrenzfähig in Sachen Komfort und Leistung. Am Ende seiner Lebensdauer können so aus dem Laufschuh Skischuhe und andere Sportartikel werden.
Der französische Trailrunning-Spezialist Salomon hat mit dem Index 2.0 einen Laufschuh im Programm, der zu 100 Prozent recycelbar und gleichzeitig voll konkurrenzfähig in Sachen Komfort und Leistung ist. In der Zwischensohle kommt hier der von Salomon Infiniride genannte Schaumstoff zum Einsatz, der vollständig recycelbar ist. Der Index verfügt auch in der zweiten Auflage über eine Konstruktion, die es ermöglicht, ihn am Ende seiner Lebensdauer so zu zerlegen, dass die Schuhmaterialien recycelt und für die Herstellung neuer Produkte verwendet werden können. Es gibt sogar eine subtile Linie entlang des Schuhs, die zeigt, wo er beim Recycling geteilt wird. Ein QR-Code auf der Zunge ermöglicht die problemlose Rückgabe zum Recycling.
Im Abo erhältlich
Der Cloudneo von On ist komplett recycelbar. Obermaterial und Zwischensohle bestehen aus biobasiertem Material, das aus Rizinussamen hergestellt wird. Ihn gibt es im Abonnement: Wer 29,95 Euro im Monat zahlt, bekommt zweimal im Jahr ein neues Paar, sobald er das alte zurückgeschickt hat.
Noch einen Schritt weiter geht der Schweizer Hersteller On. Mit dem Modell Cloudneo gibt es dort einen Laufschuh, der zu hundert Prozent recycelbar ist und dessen Obermaterial sowie die Speedboard genannte Zwischensohle komplett aus biobasiertem Material besteht: Es wird aus Rizinussamen hergestellt. Die Laufeigenschaften des Schuhs können allerdings noch nicht mit klassischen Schuhen mithalten, bei denen erdölbasierte Dämpfungsmaterialien zum Einsatz kommen. Das haben zahlreiche Tests bestätigt.
Den Cloudneo kann man auch nicht einfach kaufen. On vertreibt ihn im Rahmen eines Abomodells, das sich an Läuferinnen und Läufer richtet, denen Nachhaltigkeit besonders wichtig ist: Für 29,95 Euro im Monat erhält man alle sechs Monate ein neues Paar Schuhe, sobald man sein abgenutztes Paar an On zurückschickt. Die zurückgegebenen Schuhe werden dann recycelt und aus dem so gewonnenen Material neue gefertigt. Ein Kreislaufmodell, das eine der Richtungen vorgibt, in die sich die Laufschuhindustrie bewegen könnte.
Faire Arbeitsbedingungen als Element von Nachhaltigkeit
Aktuell werden die meisten Laufschuhe in Asien – vorwiegend in China und Vietnam – hergestellt. Faire Arbeitsbedingungen sind trotz Verbesserungen in den vergangenen Jahren eher Ausnahme als Regel, Umweltstandards werden nicht immer durchgesetzt. Das deutsche Unternehmen Lunge produziert dagegen seine Schuhe komplett in Mecklenburg-Vorpommern. Für Lunge gelten so die vergleichsweise strengen EU-Arbeits- und -Umweltstandards. Zudem spart die Fertigung in Deutschland lange Transportwege und damit CO2 ein. Auch die meisten Materialien stammen aus Deutschland. Veja aus Brasilien und Allbirds aus Kalifornien versuchen, Laufschuhe ganz ohne erdölbasierte Kunststoffe herzustellen.
Eine weitere Möglichkeit, ressourcenschonender zu laufen, ist es natürlich, Laufschuhe so lange wie möglich zu nutzen, bevor man neue kauft. Viele Hersteller unterstützen das, indem sie es sich auf die Fahne geschrieben haben, möglichst langlebige Schuhe zu produzieren – auch wenn darin wirtschaftlich betrachtet die Gefahr liegt, den eigenen Absatz zu reduzieren. Deshalb werden langlebige Schuhe teurer verkauft – in der Hoffnung, dass die Läuferinnen und Läufer bereit sind, mehr Geld für haltbare Schuhe auszugeben.
Je weniger produziert wird, desto besser für die Umwelt
Beim Outdoor-Spezialisten The North Face, der auch Top-Trailrunningschuhe produziert, glaubt man fest daran, dass das funktioniert. „Für uns ist es zentral, möglichst langlebige Schuhe zu bauen“, sagt Julien Traverse, Gründer des Labors All Triangles im französischen Annecy. Dort, mitten in den Alpen, lässt das US-Unternehmen seine Trailschuhe konzipieren und designen, bevor die Serienproduktion in Asien startet. Julien Traverse hat eine klare Haltung zum Thema Nachhaltigkeit bei Laufschuhen: „Den größten Einfluss auf die ökologische Bilanz hat der Herstellungsprozess. Während nur zwei Prozent des durch Laufschuhe erzeugten CO2-Ausstoßes beim Transport entstehen, sind es bei der Produktion fast 70 Prozent. Also: Je weniger Schuhe man produziert, desto umweltfreundlicher ist man. Wir setzen auch auf lokale Zulieferer und ökofreundliche Materialien. Aber auf Langlebigkeit kommt es wirklich an.“
Weniger Schuhe, mehr Natur
Kaum jemand weiß besser, wie wichtig eine intakte Natur fürs Laufen ist, als Traillegende Kilian Jornet. Deshalb bietet die von ihm mitgegründete Sport- und Outdoor-Marke NNormal jetzt die Möglichkeit, ihre mit Vibramsohlen ausgerüsteten Trailschuhe bei ausgewählten Schustern reparieren zu lassen. Das verlängert die Lebensdauer der Schuhe. Und das hilft der Umwelt, weil so weniger neue Schuhe produziert werden müssen.
Einen ähnlichen Weg beschreiten auch manche kleine Schuhhersteller, die Nachhaltigkeit erzeugen wollen, indem weniger neue Schuhe gekauft werden. Die von der spanischen Trailrunning-Legende Kilian Jornet mitgegründete Schuhmarke NNormal bietet beispielsweise gemeinsam mit dem Unternehmen Vibram, das die Außensohlen für viele Trailrunningschuhe zuliefert, seit diesem Sommer einen neuen Service: Schuster auf der ganzen Welt können dank der Unterstützung von Vibram die Schuhe so fachgerecht reparieren, dass sie auch dann noch weitergelaufen werden können, wenn andere Modelle in den Müll wandern und durch neue ersetzt werden müssen.
Bei der Bekleidung kann das Laufen Vorbild sein
Bei der Bekleidung könnte die Laufszene relativ einfach ein nachhaltiges Beispiel für die ganze Textil- und Modeindustrie sein, die durch billige und immer neue Kleidungsstücke zu einem der größten Umweltverschmutzer weltweit geworden ist. Laufshirts, Jacken und Hosen gibt es mittlerweile von vielen Herstellern in hoher Qualität aus recycelbaren, recycelten oder Biomaterialien, sodass man sich komplett nachhaltig ausrüsten kann. Der Verzicht auf die klassische Laufbekleidung mit hohem Kunststoffanteil ist möglich, wenn auch bei Shirts einfacher als beispielsweise bei enganliegenden Tights oder funktionellen Regenjacken, für die meist auch noch erdölbasierte Kunststoffe Verwendung finden. Genauso wie bei den Millionen Laufshirts, die als Massenware auf den Markt kommen und aus erdölbasierten Garnen hergestellt werden. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass aktuell gar nicht genügend recyceltes oder biologisch hergestelltes Material verfügbar ist, um die weltweite Nachfrage nach Sportbekleidung zu decken.
Werden Laufshirts bald aus Algen hergestellt?
Aus diesem Grund ist Adidas Partner eines Projekts, mit dem erforscht wird, ob Algen als Bio-Rohstoff schon bald Erdöl in der Herstellung von synthetischen Fasern für Textilien ersetzen können. Algen wachsen schnell und können sehr effizient Kohlendioxid aufnehmen und in Sauerstoff umwandeln. Da die Algen für die Textilverarbeitung nicht im Meer, sondern in Bioreaktoren gewonnen werden, ist die Produktion an keine bestimmten Standorte gebunden und die Algen könnten in Gebieten kultiviert werden, in denen erneuerbare Energien genutzt werden könnten, um eine gute Ökobilanz zu erreichen. Ein weiterer entscheidender Vorteil: Die Gewinnung von kultivierten Mikroalgen kommt im Gegensatz beispielsweise zu Baumwolle ohne Pestizide und den enormen Wasserverbrauch aus.
Das von der Bundesregierung geförderte Projekt Algaetex hat das Ziel, die technische Machbarkeit der Herstellung thermoplastischer Biopolymere aus Algen für textile Anwendungen zu demonstrieren. Auf Forschungsseite ist das weltweit führende Institut für Textiltechnik an der RWTH Aachen in der Verantwortung. Für die Industrie übernimmt diesen Part Adidas. Ziel ist es, im Labormaßstab das Potenzial für die spätere industrielle Anwendung der Algen nachzuweisen. Nach Aussagen des Forschenden-Teams, eignet sich das Material aus den Algen sowohl für den Einsatz in T-Shirts als auch für Schuhe.
Kleine Marken mit innovativen Konzepten
Neben den Großen wie Adidas bemühen sich aber auch zahlreiche kleinere Firmen um Nachhaltigkeit bei Laufbekleidung. Ein gutes Beispiel ist die schwedische Sportmodefirma Houdini. Dort werden alle Kleidungsstücke nach strikten Vorgaben designt und produziert. Das Unternehmen konzentriert sich auf langlebige Produkte, vielseitige Funktionen und minimalistischen Aufbau. Um zirkuläre Produktlebenszyklen zu gestalten, werden Rohmaterialen so rein wie möglich gehhalten und niemals natürliche und synthetische Fasern gemischt, wodurch die Produkte entweder recycelbar oder biologisch abbaubar sind.
Noch weiter geht der italienische Hersteller UYN („Unleash Your Nature“): Im Juli kam ein Shirt auf den Markt, das ganz ohne herkömmliche synthetische Fasern aus fossilen Brennstoffen auskommt. Das so genannte Reinvented Bio-Shirt wird aus einer Mischung von organischen Fasern hergestellt und bietet hohe Atmungsaktivität und Belüftung. Ein weiches Gefühl auf der Haut sorgt für Komfort.
Das Shirt besteht aus drei leistungsstarken biobasierten Fasern, die aus Maiskörnern, Rizinusöl-Samen und Baumwolle hergestellt werden. Es wird im Gegensatz zu traditionellen Shirts, die aus mehreren Stoffstücken zusammengenäht werden, aus einem einzigen Stück gefertigt. So entsteht eine perfekte Passform, Nähte werden eliminiert und der Textilabfall und die Produktionszeit reduziert: Dies bedeutet einen geringeren Stromverbrauch und weniger CO2-Emissionen.
Nur erneuerbare Energie für Tücher aus Spanien
Aber auch die Großen der Branche zeigen, dass es möglich ist, Top-Produkte nachhaltig zu produzieren. Ein gutes Beispiel ist Buff: Die Multifunktionstücher aus Spanien, die um den Hals, vor dem Mund oder über dem Kopf getragen werden können, zählen schon lange zur Standardausrüstung von Läuferinnen und Läufern. Der Markenname steht für eine ganze Gattung. Und das Unternehmen hat einige Meilensteine für die umweltfreundlichen Produktion der Tücher gesetzt: 90 Prozent aller Buff-Produkte werden in Igualada bei Barcelona hergestellt – dort, wo vor 31 Jahren die Erfolgsgeschichte startete. Mittlerweile wird die Firma zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien versorgt. Und im vergangenen Jahr erzielte Buff 79 Prozent seines Umsatzes mit Produkten, die aus recycelten oder natürlichen Materialien hergestellt wurden.
Klar, jetzt lässt sich leicht sagen, dass diese Multifunktionstücher im Vergleich zu den Schuhen der unwichtigste Teil der Laufausrüstung sind. Aber: Auf dem Weg zum Ziel zählt eben jeder Schritt, sei er auch noch so klein. Das gilt fürs Laufen und für den Erhalt unseres Planeten. Damit nach uns noch viele Generationen lustvoll laufen können.