Eine Frau läuft im Sonnenuntergang, um keine Rückenschmerzen zu haben.
© iStockphoto/jacoblund

Seltener Probleme
Rückenschmerzen: Wieso Laufen hilft

| Text: Dr. Stefan Graf | Fotos: iStockphoto

Rückenschmerzen kennt fast jeder. Aber bei Leuten die laufen, treten sie seltener auf. Das bestätigt die Wissenschaft. Wie Rückenschmerzen entstehen und was du gegen sie tun kannst.

Rückenschmerzen sind zur Volkskrankheit geworden. Über 80 Prozent der Deutschen machen nach Angaben der „Deutschen Schmerzgesellschaft“ im Laufe ihres Lebens damit in unterschiedlicher Intensität und Häufigkeit unliebsame Erfahrungen.

Die Formenvielfalt ist dabei ebenso bunt wie die genaue Lokalisation. Die detaillierte Ursachensuche gleicht mitunter der sprichwörtlichen Stecknadelsuche im Heu. Zur Beruhigung vorweg: Über 80 Prozent der Rückenschmerzproblematiken verschwinden ohne invasives ärztliches Eingreifen von allein. Wirklich von allein? So ganz stimmt das nicht, denn wie erfolgreich und schnell sich die Schmerzen verflüchtigen, hängt maßgelblich vom Verhalten, genauer gesagt vom Bewegungsverhalten der betroffenen Personen ab.

Schmerzen meist im unteren Rücken

Insbesondere Schmerzen im Bereich der Lendenwirbel, also dem unteren (lumbalen) Abschnitt der Wirbelsäule, zählen zu den häufigsten Beschwerden in der Gesamtbevölkerung. Aber wie ist die Situation im Sport? Für eine Reihe von Sportarten liegen bereits belastbare Rückendaten vor. Laufen – insbesondere der nicht-professionelle Bereich – gehörte lange nicht dazu. Das meiste, was über die Zusammenhänge zwischen Laufen und lumbalen Rückenschmerzen verkündet wurde, fußte eher auf anekdotischer Evidenz, also auf Einzelerfahrungen, denen die wissenschaftlichen Belege fehlten.

Forschende der Universitäten Genua, Mailand und Venedig haben erstmals mit einer systematischen Analyse der verfügbaren Studien eine empirische Evidenz für die rückenfreundliche Wirksamkeit des Laufens geliefert – und die ist gleichermaßen beeindruckend wie aus Läuferaugen erfreulich.

Eine Frau hält sich den Rücken.
© iStockphoto/spukkato

Läuferinnen und Läufer haben seltener Probleme im unteren Rücken

Demnach machen lumbale Rückenschmerzen bei Läuferinnen und Läufern höchstens 14 Prozent ihrer „Wehwehchen“ aus. In der Gesamtbevölkerung beträgt diese sogenannte „Prävalenz“ bei recht großer Spannweite bis zu 82,5 Prozent und auch im Durchschnitt anderer Sportarten liegt die Rückenprävalenz mit bis zu 65 Prozent deutlich höher als beim Laufen.

Auch wenn man einen geschärften Blick auf das Neu-Auftreten von Rückenbeschwerden wirft – das nennt sich „Inzidenz“, wie wir alle seit Corona wissen – sind Läuferinnen und Läufer mit höchstens 22 Prozent im Jahresschnitt signifikant seltener betroffen als Athletinnen und Athleten anderer Sportarten (30 %) und die Gesamtbevölkerung (36 %). Zusammengefasst macht Laufenden der untere Rücken merklich seltener zu schaffen als anderen Sportlerinnen und Sportlern sowie Inaktiven.

Das Risiko minimieren

Eine 14-Prozent-Prävalenz für „Lower-Back-Pain” ist ein guter Wert, aber es geht noch besser. Um Risikofaktoren zu minimieren, muss man sie zunächst identifizieren. Und das haben die italienischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler getan. Demnach sind die stärksten Treiber für lumbale Schmerzen bei Läuferinnen und Läufer:

  • mehr als sechsjährige laufsportliche Aktivität
  • Körpermassen-Index (BMI) über 24
  • einseitiges Training/fehlender Ausgleichssport
  • unpassendes Schuhwerk
  • Bewegungseinschränkung der Hüfte
  • Flexibilitätsdefizite in der Muskulatur des hinteren Oberschenkels und der Rückenmuskulatur
  • große Körperlänge
  • Beinlängendifferenz

Viele Faktoren lassen sich beeinflussen

Mit Ausnahme der anatomischen Faktoren wie Körperlänge oder Beinlängendifferenz lässt sich eigeninitiativ an all diesen Einflussgrößen über Trainings-, Material- und Ernährungsanpassung einiges zum Positiven verändern. Die vielleicht überraschende Einstufung langjähriger Laufaktivität als Risikofaktor lässt sich mit den hohen Zielsetzungen erklären, die immer mehr Freizeitaktive zu überhöhten Trainingsbelastungen bei vernachlässigter Regeneration antreiben.

Ein Marathon soll es mindestens sein – 40.000er-Startfelder sprechen für sich. Aber viele Körper sind für derartige Belastungen einschließlich der erforderlichen Trainingsumfänge nicht geschaffen. Eine Zeitlang spielt der Körper mit, dann aber gibt er seine Warnsignale ab. Da heißt es: Safety first und Ursachen abklären.

Läufern macht der untere Rücken merklich seltener zu schaffen als anderen Sportlern und Inaktiven.

Spezifische oder unspezifische Probleme

Nur ein kleiner Anteil der Rückenschmerzen wird der Kategorie „spezifisch“ zugeordnet. Dies bedeutet, dass eine angeborene oder erworbene Erkrankung der Wirbelsäule oder anderer Organe Ursache der Schmerzen ist. Der Löwenanteil von Rückenproblemen ist unspezifischer, das heißt funktioneller Natur.

Bei schmerzgeplagten Läuferinnen und Läufern gilt das umso mehr. Eine eindeutige Ursache in Form eines substanziellen Wirbelsäulen- oder Organschadens ist bei diesen unspezifischen Schmerzen nicht auszumachen. Meistens liegt der „Casus knacksus“ im disharmonischen Zusammenwirken von Muskeln, Sehnen, Bändern und Gelenken im Bereich der verschiedenen Wirbelsäulenabschnitte.

Bei länger andauernden bzw. wiederholten Rückenbeschwerden ist eine ärztliche Abklärung unbedingt ratsam. Dabei gilt es zu beachten, dass die schmerzverursachenden Auslöser in rückenfernen Körperpartien wie Kopf, Zähnen, Beinen und Füßen beheimatet sein können. Das Aufspüren kann akribische Diagnostik mit den Expertisen von A bis Z – von Allgemein- bis zur Zahnmedizin – erfordern.

Rückenschmerzen führen oft zu Schonhaltungen

Wenn der Rücken erst mal schmerzt und jede kleine Oberkörperdrehung wehtut, neigen wir zu Schonhaltungen und zum Verzicht auf jedwede „überflüssige“ Bewegung. Nur leider ist das die denkbar schlechteste Methode, der Rückenproblematik Herr zu werden.

Schonhaltungen stabilisieren bestehende Verspannungen und aus unphysiologischen Gelenkstellungen und Muskelzügen resultieren Beschwerden an andere Stelle. Zuerst versucht man krampfhaft, den Rückenschmerz zu unterdrücken. Und am nächsten Tag beginnen Hüfte und Knie zu zwicken.

Eine Frau und ein Mann laufen, um gesund zu sein.
© iStockphoto/Peopleimages

Immer in Bewegung bleiben: Laufen hilft

Immobilität ist schlichtweg kontraproduktiv. Verhärtete Muskeln bleiben verhärtet, Gelenkblockaden werden nicht gelöst und der reduzierte Stoffwechsel mindert die Durchblutung der schmerzenden Strukturen. Darunter leiden die Nährstoffversorgung von Muskeln und Gelenkschmiere, der Schadstoffabtransport sowie die „Ölung“ der Gelenke. Zudem werden die für Heilungsprozesse zuständigen Immunzellen nicht mehr in ausreichender Menge dorthin transportiert, wo sie gebraucht werden.

Auch wenn bei bestehenden Rückenschmerzen mitunter bereits der Gedanke an Bewegung als „Ding der Unmöglichkeit“ empfunden wird, empfiehlt es sich, alles daran zu setzen, mobil zu bleiben – natürlich sanft und nicht nach dem „Hau-Ruck-Prinzip“. Das gilt auch und gerade bei sogenannten Blockaden in den Iliosakralgelenken, die bei Läuferinnen und Läufern zu den häufigeren Ursachen für Rückenschmerzen zählen.

Diese Knochenverbindungen zwischen den Beckenschaufeln (Ossa ilia) und dem Kreuzbein (Os sacrum), das sich keilförmig unten an die Lendenwirbelsäule anschließt, bilden die bewegliche Verbindung der Wirbelsäule und dem Becken und sind beim Laufen für die Kraftübertragung und Bewegungskoordination zwischen Oberkörper und Beinen wichtig.

Unterschiede zwischen den Generationen

Läuferinnen und Läufer haben also deutlich seltener Rückenschmerzen als Bewegungsphobiker. Aber auch innerhalb der Laufcommunity offenbaren sich Unterschiede. So erleiden erfahrene Marathonis der Ü40-Generation signifikant seltener laufbedingte Verletzungen als jüngere Läuferinnen und Läufer der Königsdisziplin.

Würzburger Orthopäden um Dr. Markus Walther haben im Rahmen einer Studie mit 4800 Teilnehmenden (23 % Frauen, 77 % Männer) des Würzburg-Marathons 2003 die laufbedingten Verletzungsmuster in Abhängigkeit von Alter (U40 versus Ü40) und Lauferfahrung (Trainingsjahre, Trainingskilometer) untersucht.

Weniger Probleme als Allgemeinbevölkerung

Auch damals zeigte sich ein insgesamt protektiver Effekt gegen Rücken- und Gelenkbeschwerden im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Darüber hinaus belegten die erhobenen Daten aber auch, dass Rücken- und Gelenkbeschwerden bei den über 40-Jährigen insgesamt seltener auftraten als bei den jüngeren.

Einschränkend muss dabei beachtet werden, dass es sich um eine Befragungsstudie handelt, in der die subjektive Wahrnehmung eine große Rolle spielt. Möglicherweise sind die Älteren härter im Nehmen. Auf jeden Fall aber erwiesen sie sich als trainingsfleißiger, sowohl was die Trainingshäufigkeit als auch die Kilometerumfänge betrifft. Stehvermögen und mentale Stärke wachsen halt mit der Trainingserfahrung.

Massive Probleme abklären lassen

Auch wenn die meisten Rückenprobleme von allein ausheilen, müssen länger andauernde Schmerzen ärztlich abgeklärt werden. Sensibilitätsstörungen wie ins Bein ausstrahlende Taubheitsgefühle bedürfen der zeitnahen Vorstellung beim Arzt oder der Ärztin.

Welchen Einfluss hat die Psyche auf Rückenschmerzen?

Dass zwischen der psychischen Verfassung und Rückenproblemen eine enge Beziehung besteht, ist unstrittig. Dabei geht es nicht nur um die Entstehung der Schmerzen. Die Psyche entscheidet maßgeblich mit, ob Rückenschmerzen eine Einmalerfahrung bleiben, ob sie wiederholt auftreten oder gar chronisch werden.

Prof. Dr. Monika Hasenbring, Fachärztin für Psychosomatische Medizin an der Ruhruniversität Bochum, hat aufgrund ihrer Forschungen zu den Zusammenhängen von Psyche und Rücken ein Modell mit vier verschiedenen Psychotypen entwickelt, die Schmerzen offenbar anders verarbeiten und somit sehr unterschiedlich hohe Risiken für die Chronifizierung einer Rückenproblematik aufweisen. Ein kürzlich vom Forschungsnetzwerk „Medicine in Spine Exercise“ präsentierter Vergleich von Daten aus der Allgemeinbevölkerung mit denen von 200 Aktiven hat dieses Modell auch für den Sportbereich bestätigt.

Ängstliche, Beißer und Frohnaturen

Typ 1: Der/die „Ängstliche“ befürchtet eine schwerwiegende Erkrankung hinter seinen Rückenproblemen und neigt zum strikten Herunterfahren seines Aktivitätslevels bis hin zum völligen Sportverzicht sowie zur Einnahme von Schonhaltungen. Die Folge sind Muskelabbau und unnatürliche Verspannungen, die das Schmerzgeschehen verstärken.

Typ 2: Der/die „Beißer*in“ setzt mit gedanklicher Verdrängung und Eigensuggestion nach der „Indianer-kennt-keinen-Schmerz“-Methode alles daran, das vorgegebene sportliche Pensum dem Schmerz zum Trotz abzuarbeiten. Wenn dann irgendwann nichts mehr geht und eine längere Pause unumgänglich ist, kommt die Erkenntnis, dass Schmerzen immer ein zu beachtendes Warnsignal sind. Richtig gefährlich ist die leider viel zu häufige Vorgehensweise, die Trainingsfähigkeit durch längeren Schmerzmittelkonsum einhalten zu wollen. Hier drohen substanzielle und organische (Leber, Niere, Herz) Schäden.

Typ 3: Frohnaturen, die sich durch gute Stimmung vom Schmerz abzulenken versuchen. Doch ohne eine geeignete Neujustierung der Be- und Entlastungsroutinen fehlt auch hier die Ausschaltung der Schmerzursache.


Typ 4: Die Vernünftigen beschreiten den Königsweg. Er oder sie fällt bei Rückenschmerzen weder in hypochondroide Schockstarre mit Bewegungsabstinenz noch versucht er/sie mit der „Brechstange“ oder über autosuggestive Ablenkung das Sportprogramm durchzuziehen. Er/sie bleibt so gut es geht in Bewegung, vermeidet aber schmerzverstärkende Überlastung.

Bewegung ist die beste Rückenmedizin

Zusammenfassend bleibt, dass Bewegung die beste Rückenmedizin ist, vorausgesetzt, sie ist bezüglich Umfang und Intensität vernünftig dosiert. Die Wissenschaft liefert frische Daten, dass Laufsportlerinnen und -sportler deutlichen seltener „Rücken“ haben. Dennoch gilt es, die individuellen Voraussetzungen zu beachten. Nicht jeder ist zum Marathon geboren, weniger ist oft mehr – auch für die Rückengesundheit.