Weniger Gewicht, neues Leben
So hat Ann-Kathrin Purwins den Start in ein neues Leben geschafft
95 Kilo wog Ann-Kathrin Purwins bei 1,65 Metern Größe. Dann begann sie zu laufen. Und das änderte nicht nur ihr Gewicht, sondern ihr ganzes Lebensgefühl. Und half ihr nach einer schweren Krankheit.
Irgendwann stand Ann-Kathrin Purwins da und fragte sich: „Was ist eigentlich los mit mir?“ Auslöser war ein Arztbesuch gewesen, nachdem sie und ihr Mann versucht hatten, ein zweites Kind zu bekommen, was aber nicht klappen wollte. „Sie sind zu dick“, hatte der Arzt schonungslos gesagt.
95 Kilo wog Ann-Kathrin Purwins. Bei 1,65 Metern Größe. Schon vor der Schwangerschaft mit ihrer Tochter sei sie nicht wirklich schlank gewesen, schaut sie zurück. „Aber in der Schwangerschaft habe ich mich dann vollends gehen lassen.“
Und auch danach wurde es nicht besser. Acht Wochen nach der Geburt ging Ann-Kathrin Purwins wieder arbeiten. „Ich habe immer gedacht, ich muss mich dafür belohnen, dass ich das so durchziehe“, erzählt sie. „Das habe ich dann gern mit ausgiebigen Süßkram-Gelagen getan.“ Gleichzeitig fing sie nach der Geburt ihrer Tochter vor zehn Jahren wieder an zu rauchen.
Und dann steht sie da im Jahr 2015 und merkt, dass sie etwas in ihrem Leben ändern muss. Nicht nur, um vielleicht doch noch ein zweites Kind zu bekommen. Sondern auch für sich.
95 Kilo sind zu viel. Sie muss etwas ändern
Um sich selbst wieder besser zu fühlen. Sie beginnt damit, abwechselnd zu laufen und zu gehen. Läuft immer mehr und geht immer weniger. Macht alles nach Gefühl, so wie es für sie passt. Und fährt damit richtig gut.
„Wenn ich etwas mache, dann ganz oder gar nicht“, sagt sie. Also stellt sie nach und nach auch ihre Ernährung um. Statt Schnitzel, Pommes, Döner stehen nun immer öfter Fisch oder gedünstetes Gemüse auf dem Tisch. Die Erfolge lassen nicht lange auf sich warten. Statt Größe 46 trägt sie 42 und dann 40. Sie hört mit dem Rauchen auf. „Ich hatte plötzlich ein ganz anderes Körpergefühl und habe auch wieder viel besser geschmeckt“, erzählt die heute 40-Jährige. Sie selbst merkt, wie das Laufen ihr Leben zum Besseren verändert. Und dazu kommen positive Rückmeldungen von anderen.
Nach einem Jahr der erste Marathon
Und auch leistungsmäßig geht es steil bergan. Schon rund ein Jahr nachdem sie mit dem Laufen begonnen hat, meldet sie sich zum Hamburg-Marathon an, weil ihre Freundin sie dazu überredet. Die kneift im letzten Moment – Ann-Kathrin Purwins aber zieht durch.
„Dieser Lauf hat mich so geprägt. Da hatte ich zum ersten Mal ein Runners High“, beschreibt sie. Noch heute erzählt ihr Mann Rainer, dass er damit gerechnet habe, sie komme bei Kilometer 38 angekrochen, wo er mit der gemeinsamen Tochter Meike stand, um sie anzufeuern. Doch stattdessen läuft sie mit einem Lachen auf dem Gesicht an den beiden vorbei.
Beim Laufen runterkommen und abschalten
Danach hat sie Blut geleckt. War Laufen zuvor eher Mittel zum Zweck, damit die Pfunde purzeln, wird es nun zum Selbstzweck. Ann-Kathrin Purwins beschreibt sich selbst als „kleine Hektikerin“. Sie ist immer in Bewegung, hat immer etwas zu tun. Neben ihrem Job in einer Stiftung, bei dem sie für die Betreuung in der Seniorenwohnanlage zuständig ist, studiert sie noch Gesundheit- und Sozialmanagment. Beim Laufen aber gelingt es ihr, runterzukommen und ganz bei sich zu sein. Während andere auf ihrer Laufrunde abschalten, hat sie dort endlich mal Zeit und Ruhe, über verschiedene Dinge nachzudenken.
Nach ihrem ersten Marathon beginnt Ann-Kathrin Purwins, ambitionierter zu laufen und zu trainieren. Sie merkt, dass ihr die langen Strecken liegen. Und so läuft sie mittlerweile so gut wie jeden Tag mindestens einen Halbmarathon. Um das mit Familie, Job und Studium unter einen Hut zu bekommen, läuft sie meist morgens um 3:30 Uhr los. „Am Wochenende gönne ich mir auch mal Ausschlafen und laufe erst gegen 6:30 Uhr los“, erzählt sie schmunzelnd. Danach wird zusammen mit der Familie gefrühstückt bevor ein durchgetakteter Tag beginnt.
„Ich gehe abends zwischen 21:00 und 22:00 Uhr schlafen und komme dann morgens ganz gut aus dem Bett“, erzählt sie. Sie liebt es, früh morgens am Deich rund um Winsen an der Luhe unterwegs zu sein. Eine Lampe an einem Brustgeschirr spendet ihr Licht. Viele in ihrem Umfeld verstehen nicht, wieso sie bei so einem hohen Pensum durch Arbeit, Studium und Alltag noch so viel läuft. Für Ann-Kathrin Purwins aber ist es ein Ausgleich, der ihr Kraft gibt. Deshalb gibt es auch kaum Tage, an denen sie gar nicht läuft. So kam sie im vergangenen Jahr auf fast 8000 Laufkilometer.
Lebensbedrohliche Krankheit stoppt sie jäh
Im vorletzten Jahr aber stoppt sie ihr Körper. Plötzlich bekommt sie migräneartige Kopfschmerzen, der Arzt verschreibt ihr Tabletten. Als sie den Arzt wechselt, macht der neue ein MRT. Dort wird – rund zwei bis drei Monate nach den ersten Beschwerden – eine Zyste im Hirn festgestellt, die den Abfluss des Hirnwassers blockiert. Ann-Kathrin Purwins kommt ins Krankenhaus und wird sofort operiert. Wie bei allen Operationen am Hirn weiß niemand genau, welche Auswirkungen das haben wird. Ann-Kathrin Purwins hat Angst, ihre Tochter nicht wiederzusehen. Aber auch, nicht mehr laufen gehen zu können.
Aber sie hat Glück. Nach der Zeit auf der Intensivstation beschließt sie daheim, alles dafür zu tun, dass es wieder wird wie zuvor. Sie setzt sich zuerst auf einen Heimtrainer, nach rund zwei Monaten beginnt sie wieder mit dem Laufen. „Nach fünf Monaten bin ich zum ersten Mal wieder einen Halbmarathon gelaufen“, erzählt sie strahlend. Die Ärzte sind überaus zufrieden. Aber die Fortschritte kommen nicht von allein. Es ist der Lohn dafür, dass Ann-Kathrin Purwins konsequent an sich arbeitet. „Ich glaube auch, es hat mit dem Laufen zu tun. Bevor ich gelaufen bin, war ich nicht so konsequent und willensstark. Mir war es wichtig, dass alles wieder funktioniert. Das Laufen hat mich stark gemacht.“
Nach einigen Marathons sind jetzt die 100 Kilometer ein Ziel
Heute geht es ihr wieder gut. Und so schmiedet sie wieder Pläne. Es liegt ihr, lange Strecken zu laufen, „ich werde meist erst nach knapp 20 Kilometern richtig warm.“ Neben einigen Marathons ist sie auch schon Ultras gelaufen. Die längste Strecke waren bislang knapp 60 Kilometer. „Ich mag die Ultraläufer-Gemeinschaft. Dort ist es noch ein bisschen familiärer, die Wettkämpfe sind kleiner.“ Ihr Ziel ist es, einmal 100 Kilometer zu laufen. 2022 hat sie dafür aber zu viel um die Ohren, da sie ihr Studium beenden will. Aber im Jahr darauf soll es dann so weit sein.
Andere Ziele hat sie dafür schon längst erreicht. Ihr Gewicht, was ja eigentlich der Auslöser war, mit dem Laufen zu beginnen, spielt für sie heute keine Rolle mehr. 55 Kilo wiegt sie heute und muss schon fast aufpassen, nicht noch mehr abzunehmen. Und das Laufen hat sie auch als Person verändert. „Früher war ich eher eine kleine, graue Maus“, erzählt sie. Heute hat sie ein viel größeres Selbstbewusstsein, geht offen auf andere zu. Und damit hat sie unglaublich viel erreicht!