5127 Kilometer in 120 Tagen
Wie Joyce Hübner laufend einmal Deutschland umrundete
Es klingt verrückt, aber Joyce Hübner hat es geschafft: Sie hat Deutschland laufend umrundet. 120 Lauftage, 5127 Kilometer, jeden Tag mindestens ein Marathon. Über ein außergewöhnliches Laufprojekt.
Bad ideas make the best memories – Schlechte Ideen schaffen die besten Erinnerungen. So heißt es im Hit des DJs Alle Farben. Ob sich das auch Lauf-Influencerin Joyce Hübner denkt, als sie in den Alpen auf einem Berg sitzt und nicht weiterkommt?
Hinter ihr zu steil, weil sie die letzten hundert Meter den Berg auf allen Vieren hinaufgekraxelt war. Und vor ihr auch zu steil, um weiterzukommen. Was tun? Bergwacht rufen? Oder versuchen, irgendwie weiter vorwärtszukommen, auch mit der Gefahr, dass sie abstürzt. Und dabei wahrscheinlich mit dem Leben bezahlt.
Aber wie kommt man eigentlich in so eine Situation? Indem man abends mit Freunden in einem Biergarten sitzt und darüber philosophiert, wieso Menschen um die halbe Welt reisen, um sich irgendwo einer Lauf-Challenge zu stellen. Und indem man dann auf die Idee kommt, Deutschland laufend zu umrunden. Hat nämlich noch keiner gemacht.
Ein Marathon pro Tag
Es war eine dieser typischen Ideen, die man einfach so dahersagt und die man dann nicht mehr aus dem Kopf bekommt. „Aus dem Gedanken wurde eine Recherche. Aus der Recherche eine Planung. Und irgendwann war ich mittendrin“, blickt Joyce Hübner lachend zurück.
Einmal rund um Deutschland, das sind 5127 Kilometer und knapp 70.000 Höhenmeter. Joyce Hübner will das in 120 Lauftagen schaffen. Plus 20 Tage für Pausen. Macht rund einen Marathon pro Lauftag. „Die Marathon-Distanz liegt mir und ich laufe sie sehr gern“, erklärt die 35-Jährige. 18 Marathons war sie vor dem Projekt bereits gelaufen und zwei Ultra-Rennen. „Ich wusste also schon, was es bedeutet, einen Marathon zu laufen“, sagt sie. „Ich wusste nur nicht, was die Auswirkungen sind, wenn man das über mehrere Tage hintereinander macht.“
Gesundheitscheck vor dem Start
Irgendwann also steht es fest: Joyce Hübner will Deutschland laufend umrunden. Wenn es einen Weg entlang der Grenze gibt, würde auf diesem gelaufen. Sonst auf dem nächstmöglichen daneben. Die Erwerbermanagerin bei einem Wohnungsbauträger nimmt für das Projekt unbezahlten Urlaub – genau wie ihr Freund Sven, der sie im Auto begleiten wird.
In der Vorbereitung lässt sich Joyce Hübner ärztlich durchchecken und absolviert eine Leistungsdiagnostik. Nach und nach erhöht sie die Anzahl der Kilometer, die sie pro Woche läuft, auf bis zu 120 Kilometer und gewöhnt sich auch daran, an mehreren aufeinander folgenden Tagen zu laufen. Und sie macht viel Stabilisationstraining. „Daneben musste ich ja noch arbeiten gehen“, blickt sie zurück.
Großen Respekt vor den Bergen – und das zu Recht
Vor ihrem Projekt hat sie einen riesigen Respekt. „Vor allem vor der Hitze und den Bergen“, erzählt sie. Und diese beiden verlangen ihr letztlich auch am meisten ab. Am 1. Mai startet sie ihren Lauf in Frankfurt an der Oder und läuft von dort im Uhrzeigersinn entlang der deutschen Grenze: Zunächst geht es entlang der polnischen und tschechischen Grenze in die bayerischen Alpen. Und da steht am 31. Tag die Etappe von Ramsau bei Berchtesgaden nach Grashof an. 44,1 Kilometer mit 2680 Metern im Aufstieg und 2610 Metern im Abstieg. Zwei Berge.
„Am ersten Berg habe ich mir schon gedacht, es ist völlig verantwortungslos, da hochzugehen“, blickt sie zurück. Da sich aber ein Mitläufer angekündigt hatte, der oben auf dem Berg zu ihr stoßen wollte, wollte sie auch nicht von der geplanten Route abweichen. Und so kämpfen sie sich durch unwegsames, steiles Gelände. Teils auf allen vieren. Und irgendwann sitzen die beiden auf einem Bergkamm. Hinter und vor ihnen eigentlich zu steil, um weiterzukommen. „Da hatte ich wirklich Panik“, erzählt Joyce Hübner. „Es ging da wirklich um Leben und Tod.“ Dazu kommt ein gewisser Zeitdruck, weil sie viel länger brauchen als geplant und keine Stirnlampe dabeihaben, um im Dunkeln laufen zu können.
Vollgepumpt mit Adrenalin
„Wir sind dann teilweise von Felsklippe zu Felsklippe gesprungen“, blickt sie zurück. Flachwurzelige Kiefern sind das Einzige, was ihnen Halt bietet. Jeder Fels, den sie anfassen, zerbröselt in ihren Händen. Sie haben Glück, alles geht gut. Nach 13 Stunden ist die Etappe geschafft. „Unten standen wir uns dann mit zitternden Händen gegenüber, weil noch so viel Adrenalin in uns war“, erzählt sie. Und selbst in der folgenden Nacht kommt sie schwer zur Ruhe.
Zum Glück ist nicht jede Strecke so gefährlich. Nach den Alpen geht es zum Bodensee, dann eine lange Strecke entlang des Rheins ins Saarland. In Aachen ist Halbzeit. Bei der Leistungsdiagnostik wurde ihr eine Durchschnittspace von 5:30 Minuten pro Kilometer empfohlen. „Ich habe aber schnell für mich entschieden, dass das zu schnell ist“, erklärt sie. Sie wählt für sich eine Geschwindigkeit von rund 6:30 Minuten pro Kilometer. Um Zeit geht es ja sowieso nicht. Sondern ums Erleben. Ums Ankommen. Zwischendurch wird für Fotos angehalten. Es wird in Ruhe gegessen und getrunken. „Meist waren wir rund sechs Stunden unterwegs jeden Tag und viereinhalb bis fünf Stunden davon sind wir gelaufen.“
Joyce Hübner läuft selten allein
Wir, das sind Joyce Hübner und Leute, die sie abschnittsweise begleiten. Sie hat ihr Projekt über Social Media gestreut, allein bei Instagram folgen ihr fast 60.000 Leute. Und so melden sich immer wieder Leute, die ein Stück mitlaufen wollen. Von den 120 Marathons läuft sie nur vier allein.
Und das hilft ihr auch dabei, die harten Momente durchzustehen. Da sie insgesamt nur 20 freie Tage während der Tour eingeplant hat, kann sie zwar nach sechs Lauftagen immer einen Tag Pause machen. Viel mehr ist allerdings nicht drin an Verschnaufen. So läuft sie auch mal mit leichtem Fieber, mal mit einem Magen-Darm-Infekt. „Es war zwar nicht schön, aber es ging und hat halt einfach länger gedauert.“
Schmerzen kommen und gehen
Joyce Hübner ist vor der Tour klar: Es wird hart. „Ich wusste nur nicht, wie diese Härte aussieht und in welchem Maße sie mich trifft.“ Letztlich tut oft irgendetwas weh. Je nach Terrain verlagert sich der Schmerz. Als sie auf den Deichen im Norden die ganze Zeit leicht schief läuft, ist es die Hüfte. Bevor sie in die Berge kommt, zwickt die Achillessehne. Mal tut die Pomuskulatur weh, mal das Knie.
Aber die Schmerzen vergehen wieder und trotz allem hat sie unterwegs viel Spaß. 15 Paar Puma-Laufschuhe hat sie dabei, unterschiedliche für jedes Terrain. Ihr Equipment fährt ihr Freund von Unterkunft zu Unterkunft, zwischendurch bringt er ihr Verpflegung an die Strecke.
Andere Menschen motivieren, ihre Komfortzone zu verlassen
Auf der zweiten Hälfte wird es flacher und einfacher zu laufen. Es geht durch Nordrhein-Westfalen und Niedersachen bis zur Nordsee und an die dänische Grenze. Über die Ostseeküste und die polnische Grenze geht es dann wieder zurück nach Frankfurt an der Oder, wo sie am 20. September ankommt. Damit hat sie ihr erstes und offensichtliches Ziel erreicht: Deutschland zu umrunden. Aber auch ein anderes: „Ich wollte auch zeigen, dass man nicht aus dem Leistungssport kommen muss, um große Dinge zu vollbringen. Ich wollte andere Menschen inspirieren und gleichzeitig motivieren, ihre Komfortzone zu verlassen.“
Wer übrigens glaubt, dass sie danach erst einmal genug vom Marathonlaufen hatte, irrt: Nur vier Tage nach Beendigung ihrer Deutschland-Tour war sie beim Berlin-Marathon am Start. Es gibt schließlich noch viele Lauf-Abenteuer zu erleben.
Das Buch zum Lauf
Joyce Hübner schreibt ein Buch zu ihrer Deutschlandumrundung, das im Mai 2024 erscheinen wird: The Joy(ce) of Running. Der Lauf meines Lebens. Auf 256 Seiten lässt sie darin alle ihre Erlebnisse Revue passieren. Das Buch ist jetzt vorbestellbar.
Joyce Hübner: The Joy(ce) of Running. Der Lauf meines Lebens | 256 Seiten | Malik Verlag | 20,00 Euro | ISBN: 9783890295930.