Boston will die WM

New Balance vereint Leichtathletik-Halle und Forschung unter einem Dach

Die neue Leichtathletik-Halle in Boston ist viel mehr als eine Sportanlage, die für Wettkämpfe auf höchstem Niveau geeignet ist. Der vom Sportartikelhersteller New Balance errichtete Komplex vereint darüber hinaus die Förderung von Top-Athleten und die Entwicklung nachhaltiger Sportartikel unter einem Dach. Ganz wichtig dabei: Die Zusammenarbeit mit Weltklasse-Athletinnen wie Gabby Thomas (Foto oben). Die Bronzemedaillengewinnerin von Tokio 2021 ist mit 21,61 Sekunden die drittschnellste 200-Meter-Läuferin aller Zeiten. Sie testete direkt nach der Eröffnung die Bahn und das Forschungszentrum in Boston.

Mit gut 625.000 Einwohnern liegt Boston unter den größten US-Städten grade mal auf dem 24. Platz. In Sachen Running gehört die Ostküstenstadt mit der reichen Historie und den weltberühmten Universitäten wie Harvard und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) zu den wichtigsten Städten nicht nur in den USA, sondern auch weltweit. Das liegt natürlich am Boston-Marathon, der länger ausgetragen wird als alle anderen aktuell existierenden Rennen über die klassischen 42,195 Kilometer. 2022 fand das Rennen vom ländlichen Hopkinton zum Ziel auf der Boylston Street mitten in Boston schon zum 126. Mal statt.

Boston ist aber auch Heimat einer der wichtigsten Lauffirmen: New Balance. Das Unternehmen hat dort eine neue Firmenzentrale errichtet, zu der auch eine Leichtathletikhalle gehört, die weltweit ihresgleichen sucht und unter deren Dach Wettkampfanlagen, Trainingsstätten und Forschungseinrichtungen perfekt vereint sind. Dort trainiert auch ein Laufteam, das auf den Frauen-Mittelstrecken zur Weltspitze gehört.

First Class. Das, was US-Hip-Hop-Star Jack Harlow da bei der Eröffnung rappt, ist Programm für die neuen Sportanlagen, die New Balance im April 2022 gleich neben der Firmenzentrale in Boston eröffnet hat. The Track heißt der Komplex, dessen Kernstück eine Leichtathletik-Halle mit sechs Rundbahnen und Platz für 5000 Zuschauer ist. The Track liegt in einem neu entwickelten Stadtteil Bostons – in unmittelbarer Nähe des Auerbach Centers und der Warrior Eisarena, wo die Boston Celtics und die Boston Bruins für ihre Basketball- und Eishockeyauftritte in der NBA und NHL trainieren.

Hier ist alles vom allerfeinsten. Auf den Leichtathletik-Anlagen sollen noch in diesem Jahrzehnt Hallen-Weltmeisterschaften ausgetragen werden. Die hydraulisch versenkbare 200-Meter-Bahn soll zu den schnellsten der Welt gehören – was sie natürlich erst unter Beweis stellen kann, wenn die Schnellsten der Welt auf ihr zum Wettkampf antreten. Das wird erstmals am 4. Februar 2023 der Fall sein, wenn die Hallenserie des Leichtathletik-Weltverbandes mit dem New Balance Indoor Grand Prix nach Boston kommt.

Die Anlage spielt aber nicht nur an solchen Festtagen der Leichtathletik eine Hauptrolle. Fast noch wichtiger sind die Anlagen für den Trainingsalltag, in dem die Grundlagen für jene Leistungen gelegt werden, die dann im Wettkampf sichtbar werden. Im selben Gebäude sind auch modernste Forschungsanlagen untergebracht, mit denen sportliche Bewegungsabläufe bis ins kleinste Detail ausgemessen und analysiert werden können.

Eine Klimakammer, in der alle Temperaturen und Bedingungen realisiert werden können, unter denen Sportbekleidung zum Einsatz kommt. Basketballfelder und Laufbahnen, bei denen jeder Millimeter von Kameras erfasst wird. Ohne dass Marker auf der Haut der Athletinnen und Athleten angebracht werden müssten, übertragen sie jede Bewegung in Echtzeit auf Monitore. Biomechanik und Trainingswissenschaft gewinnen so Erkenntnisse über das, was an den Bewegungsabläufen der Trainierenden verbessert werden kann. Und New Balance erfährt, an welchen Stellen Schuhe und Bekleidung für die unterschiedlichen Sportarten schon perfekt funktionieren und wo an Details gefeilt werden muss.

Das Besondere dabei: Die Forschungsanlagen in Boston dienen nicht in erster Linie der Produktentwicklung, ihr gleichberechtigter Daseinszweck ist es, das Training von Athletinnen und Athleten zu verbessern. Deshalb werden die ganz Großen des Sports ab jetzt noch häufiger in Boston zu Gast sein.

Das gilt auch für Superstar Sydney McLaughlin. Die 22-Jährige lief 2021 als erste Frau überhaupt die 400 Meter Hürden unter 52 Sekunden, gewann in ihrer Spezialdisziplin und mit der US-Staffel über 4-mal-400-Meter jeweils Gold bei den Olympischen Spielen in Tokio. In den USA gilt sie schon seit ihrer Zeit auf der High School als Frau, der die Zukunft der Leichtathletik gehört. Mit ihrer Steigerung auf sensationelle 51,46 Sekunden, dem Weltrekord im Olympiafinale von Tokio, erfüllte sie alle Hoffnungen. Obwohl sie seit ihrem Wechsel zur Trainerlegende Bob Kersee meistens in Los Angeles trainiert, wird sie künftig öfter den amerikanischen Kontinent überqueren, um die neuen Anlagen in der alten Ostküstenstadt Boston zu nutzen.

„New Balance ist für mich wie eine Familie“, sagte sie bei der Eröffnung von The Track. Sie wird von dem Unternehmen unterstützt, seit sie mit 14 Jahren in den USA erstmals landesweit für Aufmerksamkeit gesorgt hatte. 2014 stellte sie gleich zwei Weltbestleistungen in ihrer Altersklasse auf: Über 100 Meter Hürden sprintete sie 13,34 Sekunden. Über 400 Meter Hürden gewann sie in 55,63 Sekunden die US-Jugendmeisterschaften für unter 20-Jährige vor der späteren U20-Weltmeisterin Shamier Little. Sie selbst durfte damals in Eugene nicht starten, weil sie noch zu jung war.

Acht Jahre später wird sie diesen Sommer alles daransetzen, im legendären Stadion Hayward Field Gold zu holen, wenn wieder Weltmeisterschaften in Eugene ausgetragen werden – diesmal die große Leichtathletik-WM mit allen Stars, die eigentlich schon für 2021 im US-Bundestaat Oregon geplant war. Wegen der coronabedingten Verlegung der Olympischen Spiele von 2020 nach 2021 kann diese WM erst diesen Sommer (vom 15. bis 24. Juli) ausgetragen werden.

Während Superstar Sydney McLaughlin nur gelegentlich in Boston trainiert, ist The Track Heimat einer der erfolgreichsten Gruppe von Mittelstreckenläuferinnen in den USA und weltweit. Coach Mark Coogan hat bei den von New Balance unterstützen Boston Rosters mehr als eine Handvoll Weltklasse-Athletinnen versammelt. Zu ihnen gehören mit Elle Purrier St. Pierre und Heather MacLean zwei Olympiastarterinnen von Tokio, die in der zurückliegenden Hallensaison angedeutet haben, dass sie im Sommer bei der Leichtathletik-WM in Eugene gute Rollen spielen können.

Elle Purrier St. Pierre hat bei den Hallenweltmeisterschaften in Belgrad zuletzt Silber über 3000 Meter gewonnen, nachdem sie sich 2021 auf 1:59,99 über 800 und auf 3:58,03 Minuten über 1500 Meter gesteigert hatte und im Olympiafinale von Tokio Zehnte über 1500 Meter war. Heather MacLean lief in Belgrad auf Rang sieben über 1500 Meter. Mit ihren Bestzeiten von 1:59,72 Minuten und 4:02,09 Minuten zeigt sie über die 800 und 1500 Meter ein ähnliches Potenzial wie Elle Purrier St. Pierre.

Mit Síofra Cléirigh Büttner aus Irland, Julie-Anne Staehli und Sarah McDonald aus Großbritannien trainieren drei weitere Läuferinnen in Boston bei Marc Coogan, die auf einem ähnlichen Niveau laufen wie die beiden US-Athletinnen. Die Irin und die Kanadierin waren 2021 bei Olympia in Tokio am Start. Damit dürfte die Trainingsgruppe von Mittelstrecklerinnen zu den stärksten weltweit gehören. Das wurde beim ersten Wettkampf auf ihrer neuen Heimatbahn bereits bewiesen. Zwei Tage nach der Eröffnung von The Track bildeten Heather MacLean and Elle Purrier St Pierre die Hälfte des Teams, das in der – zugegebenermaßen sehr selten gelaufenen – Medley-Staffel mit den Strecken 1200, 400, 800 und 1600 Metern einen neuen Weltrekord aufstellte. Heather MacLean lief dabei die 1200 Meter in 3:14,92 Minuten, Elle Purrier St Pierre die knappe Meile in 4:23,60 Minuten. Zusammen mit den 52,04 Sekunden von Kendall Ellis über 400 und den 2:03,29 Minuten von Roisin Willis über 800 Meter ergab das 10:33,85 Minuten für die insgesamt vier Kilometer.

Coach Mark Coogan geht es aber auch darum, jene Werte in seine Trainingsgruppe zu transportieren, für die Sponsor New Balance steht. „Wir wollen nicht um jeden Preis gewinnen“, sagt er, „am wichtigsten ist es, dass sich die Läuferinnen wohlfühlen. Sie sollen sich zu gesunden, cleveren und glücklichen Athletinnen entwickeln. Die Erfolge kommen dann fast von selbst“, sagt er.

Gegründet wurde das Profiteam 2014. Damals hatte New Balance-Eigentümer Jim Davis die Idee, in unmittelbarer Nähe zur neuen Firmenzentrale in Boston die Leichtathletikhalle zu bauen. Die Anlagen sind Bestandteil von Investitionen in Höhe von 500 Millionen Dollar, die New Balance in dem neu entwickelten Stadtteil Boston Landing auf 1,5 Millionen Quadratmetern getätigt hat. Dazu gehören neben The Track das Auerbach Center, die Warrior Eisarena sowie das neue New Balance-Hauptquartier mit Büros und Forschungseinrichtungen, ein Hotel, Shops und Restaurants.

Für Jim Davis, der New Balance 1972 als Unternehmen mit sechs Angestellten kaufte und daraus eine Weltfirma mit heute mehr als 7000 Angestellten und einem Umsatz von 4,4 Milliarden US-Dollar (2021) machte, gehört zu solch einer Leichtathletikhalle eben auch ein Team aus professionellen Läuferinnen oder Läufern. Mark Coogan, der 1996 bei Olympia in Atlanta selbst im Marathon am Start war, konnte als Coach des Teams seine Ideen für eine optimale Leichtathletikhalle in den Planungsprozess einbringen.

Eine davon war die Anregung, eine Rundbahn zum Aufwärmen in die Halle zu integrieren. Bei winterlichen Indoor-Wettkämpfen müssen sich die Läuferinnen und Läufer meistens im Freien einlaufen, was in den manchmal kalten und schneereichen Wintertagen im Nordosten der USA schwierig sein kann. In Boston dagegen kann die Aufwärmbahn natürlich auch zum täglichen Indoor-Lauftraining bei geringeren Geschwindigkeiten genutzt werden, für die es keiner Kunststoffbahn mit überhöhten Kurven bedarf.

„Die neuen Anlagen sind eine Riesensache für unser Team, aber auch für New Balance als Firma“, sagt Mark Coogan, „jetzt können die Leute, die Schuhe und Bekleidung designen, aus dem Fenster schauen und sehen, wie Top-Athleten die Produkte einsetzen. Diese Nähe von Designern und Athletinnen und Athleten ist wichtig für das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Firma.“

Zu denen, die jetzt fast täglich verfolgen können, wie mit ihren Produkten trainiert wird, zählt New Balance-Produktmanager Paul Zeilinski. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist das Green Leaf genannte Nachhaltigkeitsprogramm von New Balance. Einige neue Laufschuhe – wie beispielsweise der 1080 V12 – erfüllen bereits den Green Leaf-Standard. Dabei werden mindestens 50 Prozent des Obermaterials aus recycelten Materialien hergestellt. Bei der Mittelsohle, in der fast die komplette Dämpfungstechnologie moderner Laufschuhe steckt, hat New Balance es schon erreicht, mindestens drei Prozent des verwendeten Materials nicht auf Erdöl-Basis, sondern unter Einsatz von Zuckerrohr herzustellen. Ziel ist es, den Anteil erdölbasierter Materialien weiter zu senken. Eine Herausforderung vor allem für die chemische Industrie, mit der alle Laufschuhhersteller bei der Entwicklung neuer Schaummaterialien zusammenarbeiten. Schließlich soll der Einsatz zuckerrohrbasierter Materialien das Dämpfungs- und Abrollverhalten des Schuhs nicht schwächen.

„Drei Prozent klingt erstmal nicht nach viel“, sagt Paul Zeilinski, „aber wenn man die Millionen Paare Laufschuhe bedenkt, die wir Jahr für Jahr verkaufen, ist es schon eine relevante Menge Erdöl, die durch den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen wie Zuckerrohr eingespart werden kann.“ New Balance betrachtet das Thema nachhaltigere Produkte auch zentral für den wirtschaftlichen Erfolg: „Die Menschen wollen Produkte von Marken kaufen, die für dieselben Werte stehen, die ihnen selbst wichtig sind“, sagt Paul Zeilinski. Gerade Läuferinnen und Läufer leben immer mehr in dem Bewusstsein, dass wir für den Erhalt der Lebensgrundlagen auf der Erde gemeinsam arbeiten müssen, ohne die Freude am Laufen und Leben zu verlieren.

Und dazu können Produkte, bei denen Nachhaltigkeit und perfekte Funktion Hand in Hand gehen, sehr viel beitragen. Dann wird’s eben erstklassig. So wie bei der feierlichen Eröffnung von The Track der ganze Auftritt von Jack Harlow, der mit „First Class“ dieses Jahr seinen zweiten Nummer-Eins-Hit in den US-Charts hatte, nachdem er 2020 mit „What’s poppin“ und 2021 mit „Industry Baby“ insgesamt zehnmal Platin abgeräumt hat.