Athleten und Händler
Wie uns Corona noch stärker gemacht hat
Corona hat die Szene erschüttert. Seit März gibt es keine großen Läufe. Olympia wurde ins Jahr 2021 verlegt. Fachgeschäfte waren wochenlang geschlossen. Ein Top-Athlet und ein Top-Schuhverkäufer über die Krise und die Zukunftsaussichten.
Corona hat die Laufszene in ihren Grundfesten erschüttert. Seit März haben keine Laufveranstaltungen in der gewohnten Form stattgefunden. Top-Athleten mussten auf Wettkämpfe verzichten, Olympia ins Jahr 2021 verlegt werden. Fachgeschäfte hatten während des Lock-Downs wochenlang geschlossen, während draußen das Laufen boomte und der Online-Handel blühte. Wir haben mit einem Top-Athleten und einem Top-Schuhverkäufer über die vergangenen Wochen und die Zukunftsaussichten nach Corona gesprochen. Hier liest du das Doppelinterview mit Marathonläufer Jonas Koller vom TV Wattenscheid, der mit einer Bestzeit von 2:16:03 Stunden zum erweiterten Kandidatenkreis für Olympia in Tokio gehört, und Marc Böhme, der seit 23 Jahren in seinem Geschäft Laufport Bunert in Essen nicht bloß Laufschuhe verkauft, sondern mit zahlreichen Events auch ein Motor der Laufszene im westlichen Ruhrgebiet ist.
Klick dich durch: Die Hangouts in Essen, München und Berlin
Unser Interview mit Jonas Koller und Marc Böhme ist im Rahmen dreier von Adidas in Laufsportfachgeschäften veranstalteten Hangouts mit Top-Läufern und Top-Fachhändlern entstanden. Dabei haben sich Athleten und Händler mit Götz Hohaus von Adidas darüber ausgetauscht, was sie in der Corona-Krise erlebt haben, wie sie Probleme bewältigt haben und warum sie große Hoffnungen für die Zukunft haben, gestärkt aus der Krise hervorzugen. In Essen war Marathonläufer Jonas Koller (links) bei Marc Böhme (rechts) zu Gast, der den Laufshop Bunert führt. In München diskutierte Anna Hahner (SCC Pro Team) in der Laufbar mit Volker Hausmann. Und in Berlin traf sich im Lang und Laufladen mit Philipp Baar, Fabian Clarkson, Johannes Motschmann und Lisa Hahner eine große Athleten-Runde vom SCC Pro Team zum Gespräch mit Händler Sören Naudorf (ganz links) und Götz Hohaus (ganz rechts).
Das Interview mit Läufer Jonas Koller und Händler Marc Böhme
Marc, was waren deine ersten Gedanken, als du am 20. März im Zuge des Corona-Lock-Downs deinen Laden schließen musstest?
Marc Böhme: Als erstes habe ich Existenzangst gespürt. Wir wussten ja nicht, was auf uns zukommt, wie lange wir schließen müssen oder wie es danach weitergeht. Nach dem ersten Schock haben wir aber schnell begonnen, im Team Ideen zu sammeln, wie wir Umsatz machen können, ohne den Laden zu öffnen. Wie zum Beispiel unsere „Analyse at home“: Die Leute haben uns mit dem Smartphone aufgenommene Videos von ihrem Laufstil und Fotos von ihren alten Laufschuhen geschickt. Darauf basierend haben wir Telefonberatung gemacht und ihnen dann die gemeinsam ausgewählten, neuen Laufschuhe nach Hause geliefert. Die Lieferungen haben meine Mitarbeiter und ich zum Teil selbst übernommen, um zwar auf Abstand, aber immerhin doch in direktem Kontakt mit unseren besten Kunden zu bleiben.
Jonas, wie ging es dir, als klar wurde, dass es mindestens in der ersten Jahreshälfte 2020 wegen der Covid-19-Pandemie keine Wettkämpfe geben würde?
Jonas Koller: Im ersten Moment war ich erschrocken. Und dann standen natürlich schnell die Fragen im Raum, wofür ich jetzt trainieren soll und welche Ziele ich mir setzen kann. Für mich war dann aber schnell klar, dass ich die Zeit ohne Wettkämpfe nutzen will, um noch mehr an meinen Schwächen zu arbeiten. Ich bin ja im Herbst 2019 an der Patellasehne operiert worden, nachdem ich lange Zeit mit Knieproblemen zu kämpfen hatte. Am Ende erwiesen die Schmerzen sich als Einriss der Sehne. Corona bedeutet für mich auch Zeitgewinn. Wahrscheinlich werde ich durch die Krise besser vorbereitet in meine nächsten Wettkämpfe gehen, als ich es ohne die Zwangswettkampfpause getan hätte.
Im Video: Das Hangout mit Jonas Koller, Marc Böhme und Götz Hohaus bei Laufsport Bunert in Essen
Was bedeutet Corona in finanzieller Hinsicht für euch?
Jonas Koller: Das hat schon für Unsicherheit gesorgt. Ich bin ja als Athlet quasi selbstständig, zumal ich mich entschieden habe, erst mal alles auf die Karte Sport zu setzen und nicht neben dem Laufen zu arbeiten. Klar, das Geld vom Verein und den Sponsoren fließt weiter. Aber ohne Veranstaltungen gibt es ja keine Antrittsprämien und Preisgelder. Die fehlen und ich weiß nicht, wie lange die Sponsoren das mitmachen, denn ohne Wettkämpfe können wir Athleten unseren Partnern ja kaum Präsenz bieten.
Marc Böhme: Für mich war es am wichtigsten, zusammen mit dem Team den Laden am Laufen zu halten und die Arbeitsplätze der Mitarbeiter zu sichern. Wir haben immer nach vorn geschaut und Aktionen kreiert, mit denen wir Umsatz realisieren konnten, um zu überleben und die Gehälter zahlen zu können. Kurzarbeit war zwar anfangs auch mal ein Thema, aber es war dann doch relativ schnell klar, dass wir auch in der Krise genug Umsatz haben würden, um auf solche Maßnahmen verzichten zu können. Ich hatte nie das Gefühl, dass das Team resigniert und bin sehr stolz auf meine Mitarbeiter.
In der Krise scheint ein gutes Team noch wichtiger zu sein als in normalen Zeiten.
Jonas Koller: Auf jeden Fall. Das Team beim TV Wattenscheid war schon vor der Krise ein ausschlaggebender Grund dafür, dass ich zu Jahresbeginn von der LG Telis Finanz Regensburg ins Ruhrgebiet gewechselt bin. Der Zusammenhalt ist grade in schwierigen Zeiten unerlässlich. Man pusht sich gegenseitig und versichert sich, dass das Training auch dann Sinn macht, wenn der nächste Wettkampf noch gar nicht absehbar ist.
Nach Monaten fast ganz ohne reale Events starten jetzt ja wieder die ersten Rennen …
Marc Böhme: … schon, aber die Events mit echtem Wettkampfcharakter und dem speziellen Flair großer Laufveranstaltungen fehlen immer noch. Wir veranstalten ja auch den Essener Firmenlauf mit 13.000 Teilnehmern. Als wir Anfang Februar die Anmeldung geöffnet haben, war der Lauf in weniger als 20 Minuten ausgebucht. Eigentlich war der Lauf für den 23. Juni geplant, jetzt haben wir ihn auf den 20. Oktober verschoben, ohne uns sicher sein zu können, dass er dann auch wirklich stattfinden kann. Wir liefern außerdem Team-T-Shirts für die teilnehmenden Firmen – auch diese Einnahmen fallen weg. Um die Phase zu überbrücken, haben wir mittlerweile aber ein neues, an die Corona-Bedingungen angepasstes Eventformat kreiert: Den Bunert Solo Run, bei dem insgesamt maximal 600 Teilnehmer im Abstand von jeweils einer Minute auf die Strecke gehen können. So ähnlich wie beim Radsport im Einzelzeitfahren. Auch hier waren die Startplätze in kürzester Zeit weg. Das erste Event in Essen ist Ende Mai so toll angekommen, dass es am 5. Juli in Mülheim an der Ruhr und am 12. Juli in Dortmund weitergehen wird. Mit Zeitnahme, Urkunden, Medaillen, Zuschauern und drei Moderatoren an der Strecke, die für Stimmung sorgen.
Jonas Koller: „Spätestens nächstes Frühjahr werde ich wieder Marathon laufen“
Was nehmt ihr aus der Corona-Krise mit für bessere Zeiten?
Marc Böhme: Die Erfahrung, dass uns die Nähe zu den Kunden, die wir in den vielen Jahren zuvor aufgebaut haben, gerade in der Krise sehr geholfen hat. Wir veranstalten schon lange unseren großen, kostenlosen Lauftreff, an dem vor Corona jeden Samstag über hundert Leute teilgenommen haben. Dazu kommen zahlreiche Events in unserem Laden. Das hat dazu geführt, dass die Läufer uns auch unterstützt haben, als der Laden geschlossen war. Sei es, indem sie Gutscheine erworben haben, um sie später im Geschäft einzulösen. Sei es, dass sie sich Schuhe haben liefern lassen. Das war für mich ein Riesending, für das ich sehr dankbar bin und das ich niemals vergessen werde. Und die digitale Beratung. Die wollen wir nach der Corona-Krise genauso fortsetzen wie die Laufschuhberatung nach Terminvergabe. Die haben wir eingeführt, weil ja aus Gründen des Infektionsschutzes nicht so viele Kunden gleichzeitig im Laden sein sollten. Wir haben aber bemerkt, dass die Leute das auch weiterhin wollen. Sie schätzen es, wenn wir uns richtig viel Zeit nehmen, um ihnen den optimalen Laufschuh zu empfehlen.
Jonas, was glaubst du, wann dein nächster Marathon stattfinden wird?
Jonas Koller: Ab Dezember ist es wieder möglich, die Norm für Tokio anzugreifen. „Spätestens nächstes Frühjahr werde ich wieder Marathon laufen“ wird man mich wieder im Rennen sehen.